Yoko Ogawa - Schwimmen mit Elefanten

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    Inzwischen habe ich schon einige Romane von Yoko Ogawa gelesen und es überrascht mich nicht mehr, dass sie ihren Figuren nur selten einen Namen gibt. In dieser Geschichte sind immerhin schon zwei aufgetaucht. :)


    Der eine Name gehört einem Elefanten, der auf dem Dach eines Kaufhauses lebte. Er hörte auf den Namen Indira und sollte eigentlich nur kurze Zeit als Attraktion auf dem Dach verbringen. Doch als man beschloss ihn in den Zoo zu geben, passte er nicht mehr in den Aufzug und auch auf andere Weise wollte er das Dach nicht verlassen. So lebte er bis zu seinem Tod dort, wo nur noch eine Gedenktafel an ihn erinnert. Aber diese Tafel wird oft von einem Jungen besucht, der Indira zu seinem Freund erkoren hat, denn andere hat er nicht.


    Der andere Name gehört der zweiten Freundin, die der Junge hat. Er lautet Miira und auch sie ist tot. Gestorben in einem Spalt zwischen dem Haus seiner Großeltern und dem Nachbarhaus. Der Junge wächst zusammen mit seinem kleinen Bruder dort auf, nachdem seine geschiedene Mutter verstorben ist. Die Großeltern sind nicht sehr wohlhabend, daher ist der Ausflug zum Kaufhaus mit seinen vielen Waren und dem Spielplatz auf dem Dach ein Höhepunkt für alle.


    Der Junge wurde kurz nach seiner Geburt operiert, da seine Lippen miteinander verwachsen waren. Nun hat er feine Härchen auf seinen Lippen und wurde von den anderen Kinder gehänselt, verprügelt oder einfach nur angestarrt. Seinen Freunden ist dieser Umstand egal. Als er eines Morgen im Schwimmbad der Schule einen toten Mann entdeckt, lassen ihn die Kinder fortan in Ruhe und er hat einen neuen Freund. Den toten Busfahrer. Dieser wohnte im nahegelegenen Junggesellenheim und so zieht es den Jungen eines Tages dorthin. Im verwilderten Garten findet er einen ausrangierten Bus, der sich als Wohnung eines sehr dicken Mannes entpuppt. Die Beziehung der beiden wird sich noch über lange Zeit hinziehen habe ich den Eindruck. Von ihm erlernt der Junge das Schachspiel.


    Gleich zu Beginn der Geschichte erfährt man, dass der Junge eines Tages "Kleiner Aljechin" genannt werden wird. Ich beherrsche zwar die Grundlagen zum Schachspiel, aber von Schachspieler oder berühmten Strategien habe ich kaum eine Ahnung. Wie dem Klappentext zu entnehmen ist, wird es sich wohl auf seine Fähigkeit des Blindschach spielens beziehen.

  • Ist das Buch so verwirrend wie ich verwirrt bin..? :/

    Die Freunde des Jungen sind also alle "imaginär"??

    "Das Geheimnis der Eulerschen Formel" hatte mir von der Autorin ausnehmend gut gefallen.. ich werde weiterhin gespannt hier mitlesen. :)

  • Also als verwirrend empfinde ich es nicht. Es ist der übliche Stil von Ogawa.

    Die Freunde hat der Junge sich erst nach deren Tod zugelegt. Da konnten sie ja nicht mehr ablehnen. ^^ Er hat sich somit ehemals reale Lebewesen zu imaginären Freunden erkoren.

  • Der Junge bekam regelmässig Schachunterricht von dem dickem Mann im Bus. Bald stellte sich heraus, dass er viel besser spielen konnte, wenn er mit Pawn, der Katze, unter dem Schachtisch saß. Und irgendwann war es so weit - er besiegte seinen Meister.

    Als er mit Männern im Park spielt, ist er in der Lage seinem Bruder eine große Freude zu machen, aber sein Meister ist enttäuscht von ihm. Um ihm aber andere Gegner zu besorgen, meldet er ihn bei einem Schachclub für ein Spiel an. Sollte er gewinnen, wird er aufgenommen. Ein sehr aufregender Tag für den Jungen. Dort wird er auf Grund seines Spiels mit dem neuen Namen, Kleiner Aljechin, versehen. Leider wird der Junge abgelehnt.

    Dann kommt es zu einem einschneidenden Ereignis in seinem Leben. Nun wird sein Leben in neuen Bahnen verlaufen.


    So wie er bis zur Begegnung mit dem dicken Mann nur imaginäre Freunde hatte, so spielt der Junge auf einem imaginären Brett, das er während er unter dem Tisch sitzt vor Augen hat. Kann er sich dort besser konzentrieren, weil er sich nicht beobachtet fühlt, oder braucht er die Abgeschiedenheit um sich völlig auf das Spiel konzentrieren zu können? Die Worte seines Meisters, Nicht so hastig, mein Junge, helfen ihm, wenn er auf der Suche nach der richtigen Strategie ist.

    Seine bei der Geburt verschlossenen Lippen öffnen sich nicht oft. Die Stille schenkt ihm die nötige Ruhe für sein Spiel, dem er sich ganz hingibt. Das Schachspiel wird hier mit Poesie verglichen. Die Züge gleichen Versen, die sorgfältig notiert werden.


    Was den Junge beeindruckte, war, dass der Läufer, seine Lieblingsfigur, früher ein Elefant war. So kann er nicht nur seine Empfindungen mir Miira diskutieren, sondern auch Indira ganz nah bei sich fühlen.

    Der Titel des Buches, Schwimmen mit Elefanten, bezieht sich übrigens auf eine Szene, die der Junge unter dem Schachtisch erlebte.

  • Der Junge, die Bezeichnung kommt mir manchmal komisch vor, da er bereits über 25 Jahre alt ist, hat sich mit der veränderten Lebenssituation abgefunden und einen neuen Weg beschritten. Er hat Schach zu seiner Einnahmequelle gemacht und spielt auf eine für ihn, trotz aller Unannehmlichkeiten, annehmbaren Basis.

    Durch den Schicksalsschlag erkannte er, dass größer werden gefährlich ist und fortan wuchs er nicht mehr. Mit 11 Jahren war er somit ausgewachsen und daher war es ihm möglich den Vorschlag des Schachclubs am Grunde des Meeres anzunehmen.


    Er war glücklich dort, denn in seiner "Assistentin" meinte er Miira zu erkennen. Er spielte gegen die unterschiedlichsten Gegner, wuchs an den Herausforderungen und es hätte ewig so weitergehen können. Aber ein anderer Zwischenfall führte, durch seine Schuld wie er glaubte, zum völligen Zusammenbruch dieses Lebens.

    Die alte Dame, die nicht unerheblich dazu beigetragen hat, dass er dort spielen konnte, ermöglicht ihm einen Neuanfang.


    Gerade in diesem Abschnitt merkt man, dass Schach das Thema des Buches ist. So wie die Autorin beispielsweise in ihrem Buch Das Geheimnis der Eulerschen Formel dem Leser die Schönheit und den Zauber der Mathematik näher bringen wollte, ist es hier die Poesie des Schachspiels. Das Schachspiel offenbart den Charakter des Spielers. Ein Satz, der sich immer wieder bewahrheitet in diesem Roman.

    Aber wie schlimm es auch kommt, Yoko Ogawa behält ihren ruhigen Stil bei.

  • Die Angst des Größerwerdens verfolgte ihn aber immer. Nicht nur bezogen auf seine Statur, sondern auch wenn es um Menschen ging, die ihm am Herzen lagen.

    So wenig wie er wachsen wollte, so wenig wollte er auch wahrgenommen werden. Nicht er sondern sein Spiel war für ihn wichtig. Nur selten war es ihm ein Bedürfnis sich zu zeigen, wahrgenommen zu werden. Miira war eine davon.


    Es ist ein, ich will nicht sagen trauriger, aber ein melancholischer Roman. Der Junge, dessen Lippen bei der Geburt verschlossen sind, bleibt introvertiert, was sich auch in der Wahl seiner Art des Schachspiels zeigt. Versteckt in einem Schachautomaten spielt er seine Partien. Seine Hingabe an dieses Spiel bringt erstaunliche Notationen hervor. Voller Poesie und harmonischer Klänge. Aber er selbst hat sich dafür aufgegeben. In Worte gekleidet hatte es einer seiner Gegner so:


    Zitat

    Der Mund ist ein überflüssiges Organ. Wer einen Mund besitzt, spricht doch sowieso nur von sich selbst. Ich, ich, ich. Immer nur ich, das ist das Allerwichtigste. Aber beim Schach geht es nicht um die eigene Person. Das, was sich auf dem Spielfeld ereignet, lässt sich nicht in menschliche Worte fassen. Wer da nur sich selbst ins Spiel bringen will, hinterlässt als Notation nur hässliche Krakeleien.


    Das Gefühlsleben des Jungen wird sehr gut beschrieben, aber wer mit Schach nichts anfangen kann, wird den Roman vielleicht etwas langatmig empfinden.

    Mich fasziniert Ogawas Stil immer wieder aufs neue.


    4ratten+ :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Taschenbuch: 318 Seiten

    Verlag: Aufbau Taschenbuch (5. Dezember 2014)

    ISBN-13: 978-3746630809

    Originaltitel: Neko wo Daite Zô to Oyogu

    Übersetzung: Sabine Mangold

    Preis: 9,99 €

    auch als E-Book erhältlich


    Surreal und berührend


    Inhalt:

    Der Junge wurde mit einer Missbildung der Lippen geboren. Deshalb wird er von anderen Kindern gehänselt. Seine einzigen Freunde sind ein toter Elefant, ein imaginäres Mädchen und ein toter Busfahrer. Nach und nach wird sich dieser Freundeskreis auch auf lebende Menschen erweitern, allen voran ein ehemaliger Busfahrer, der den Jungen das Schachspielen lehrt. In diesem findet er eine erhabene Schönheit und eine ganze Welt.


    Meine Meinung:

    Selten gibt Yoko Ogawa ihren Figuren Namen, so auch hier. Der Junge wird stets „der Junge“ genannt, auch als er schon längst erwachsen ist. Das mag einem seltsam erscheinen, aber eigentlich passt es hier ganz gut, denn der Junge beschließt im Alter von elf Jahren, nicht mehr weiterzuwachsen.


    Mir gefällt Yoko Ogawas kraftvoller Schreibstil sehr gut. Sie entführt einen damit in eine fremde Welt und bringt sie einem nahe. Obwohl die Geschehnisse zum Teil recht unrealistisch sind, kann man sich gut in die Handlung hineinfühlen. Besonders die Gedanken des Jungen werden detailliert dargestellt.


    Wer mit dem Schachspiel überhaupt nicht vertraut ist, wird hier möglicherweise außen vor bleiben und dem Roman nichts abgewinnen können. Denn Schach dominiert hier alles, das Brett, die Figuren, die Spielzüge. In all dem gibt es so viel zu entdecken. Das Schachspiel wird als eine Sinfonie beschrieben, ein Kunstwerk, die Spielzüge als verschlungene Muster. Ich bin leider nicht so ein begnadeter Schachspieler wie der Junge, aber ab und zu spiele ich. Und so konnte ich leicht nachvollziehen, was der Junge darin sieht.


    Mich konnte die Autorin mit diesem Werk bezaubern und berühren.


    ★★★★★

  • Der Junge, die Hauptfigur dieses Romans, ist zu Beginn der eigentlichen Geschichte 11 Jahre alt. Er hat einen jüngeren Bruder, sie leben bei den Großeltern, Freunde hat er keine. Vom Hausmeister des Busdepots neben seiner Schule lernt er das Schachspiel kennen. Doch so wie er sich in seiner Fantasie mit einem nicht realen Mädchen anfreundet, so spielt er auch am besten, wenn er die Figuren gar nicht sieht. Er sitzt unter dem Schachbrett, unsichtbar und lässt die Figuren für sich sprechen.


    Eine Mitgliedschaft im Schachclub, die Teilnahme an normalen Partien ist ihm dadurch trotz seiner Spielstärke verwehrt. Stattdessen erhält er ein anderes Angebot, er steigt in einen Schachautomaten und führt über Hebel dessen Hand, der „kleine Aljechin“ wird zum gesuchten Gegner während er selbst verborgen bleibt und sich nur dem Mädchen etwas öffnet, dass seine Partien notiert.


    Der Junge ist eine seltsame Figur, er passt nicht in diese Welt und dass er zu wachsen aufhört und sich ihr soweit wie möglich entzieht passt zu ihm. Dabei ist er freundlich und er möchte manchmal doch mehr Kontakt zu einzelnen Personen, doch hat er sich selbst soweit herausgenommen, dass er nicht mehr aus seiner Rolle herauskann.


    Daraus ergibt sich ein seltsames, aber trotzdem irgendwie faszinierendes Buch. Nur die Bewunderung für Schachnotationen, in denen man die Eleganz eines Spiels, den Charakter der Spielenden erkennen kann, ist für mich leider nicht nachvollziehbar. Ich kenne zwar die Regeln und kann etwas spielen, aber Schach hat mich nie in dem Maße fasziniert, wie es nötig ist, um wirklich gut darin zu sein und vermutlich auch um die Schönheit darin zu erkennen.


    4ratten