03 - April 1942 bis Ende (Seite 142 bis Ende)

Es gibt 27 Antworten in diesem Thema, welches 4.995 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von odenwaldcollies.

  • Das Buch lässt mich ratlos zurück. Teilweise plätscherte die Handlung im letzten Drittel ein wenig dahin. Ich habe mir hier ein wenig mehr Spannung erhofft. Wir erleben hier eine Stella, die gefühlt vollkommen verloren ist. Friedrich versucht ihre Eltern auf seinem Weg zu befreien: Bestechung. Er hat genügend Geld, um das versuchen zu können, wenn auch leider erfolglos. Doch auch Stella Denunziationen bringen ihre Eltern nicht frei. Ich finde es ernüchternd, dass Stella auch noch weiter damit macht, obwohl ihre Eltern bereits umgebracht worden. Auch wie sie noch auf dem Nazifest für die Nazis singt und zudem noch Nazilieder trällert. Ich frage mich ja fast, ob Stella unbedingt damit zeigen will, dass sie durch und durch deutsch und nicht jüdisch ist. (Was sich in meinem Weltbild nicht unbedingt ausschließen muss.) Denunziert sie auch deswegen weiter?


    Irgendwann am Ende fragt sich Friedrich, was von Stella übrig bleiben würde, wenn man all die Lügen von ihr abziehen würde. Das war für mich eine Art Schlüsselsatz, denn es sagt so viel über Stella und ihr Wesen aus.


    Vollkommen entglitten ist mir Tristan. Ich habe ihn und sein Handeln irgendwann gar nicht mehr verstanden. Wie steht er denn nun zu Friedrich und wie zu Stella? Kam er aufgrund seiner adligen Abstammung nicht um die SS herum oder teilt er deren Ideologie wirklich, aber will sich deswegen dennoch ein guter Leben mit all den ausländischen Leckereien machen?

    Dass Friedrich enttäuscht von ihm ist und am Ende verrät, war eine interessante Wendung, mit der ich nicht gerechnet hätte.

  • Jetzt hab ich die letzten paar Seiten auch noch gelesen - es liest sich wirklich gut, dieses Buch. Der Stil ist reduziert, überhaupt nicht dramatisch, eigentlich schon fast emotionslos werden die Ereignisse geschildert. (ich weiß... ich hab das schon geschrieben, aber ich bin wirklich begeistert von dieser Art zu schreiben und ich werde sicher noch "Der Club" lesen).


    Ich frage mich jedoch, wie nahe die geschilderten Ereignisse der historischen Wahrheit kommen. Im Buch bleibt ja vieles vage und wird am Ende keineswegs aufgelöst. Wir Ihr schon geschrieben habt: Takis Würger lässt sehr viel Raum für persönliche Interpretation. Für mich persönlich fast ein wenig zu viel. Wussten Stellas Eltern über ihre Kollaboration Bescheid? Ihre Mutter deutet doch so etwas an.


    Denn ich verstehe nach wie vor nicht, warum Takis Würger dieses Buch geschrieben hat. Eine Liebesgeschichte um die menschliche Seite einer Stella Goldschlag zu zeigen, deren Taten unvorstellbar und grausam waren?

    Aber nur als schöne und tragische Liebesgeschichte in einer dunklen Zeit, kann man dieses Buch doch nicht lesen! Aber ein fundiertes Psychogramm ist es aber doch auch nicht. Der Versuch, das Vergessen zu verhindern ohne zu verurteilen?


    Für mich war es ein sehr emotionales Lesen - teilweise hatte ich Mitleid, teilweise war ich entsetzt, viele Protagonisten waren völlig unsympathisch, manche so entsetzlich naiv, andere wieder nur bemitleidenswert. Stella war - soviel ist schon klar - anfangs ein Opfer der Nazis. Irgendwann hat sie sich entschieden, Täterin zu sein.

    Wie ist es für die Nachkommen ihrer Opfer, die Namen hier zu lesen?

    Und ich frage mich die ganze Zeit, ob es (in meinem sonderbaren Moralkodex) erlaubt oder klug ist, SO eine historische Persönlichkeit für eine Liebesgeschichte zu verarbeiten.

    Ein moralisches Dilemma.

    Vernunft, Vernunft...

  • Auch wie sie noch auf dem Nazifest für die Nazis singt und zudem noch Nazilieder trällert. Ich frage mich ja fast, ob Stella unbedingt damit zeigen will, dass sie durch und durch deutsch und nicht jüdisch ist.

    Sie hat ja ihre Familie als Dreitagesjuden bezeichnet - die hohen Feiertage werden begangen und ansonsten war der Glaube nicht wichtig. Und irgendwo sagt der Gärtner ja auch, dass Stella "auf ihre verreckte Art ihrem Vaterland treuer ist als wir zwei miteinand".

    Vielleicht war das für sie tatsächlich ihr Beweis.


    Irgendwann am Ende fragt sich Friedrich, was von Stella übrig bleiben würde, wenn man all die Lügen von ihr abziehen würde. Das war für mich eine Art Schlüsselsatz, denn es sagt so viel über Stella und ihr Wesen aus.

    Das ist auch für mich ein Schlüsselsatz. Nicht nur weil er möglicherweise bezeichnend für Stellas Charakter ist, sondern auch, weil das die Erkenntnis ist, die Friedrich dazu bringt, für sich selber wieder handlungsfähig zu sein und Stella zu verlassen.

    Dass Friedrich enttäuscht von ihm ist und am Ende verrät, war eine interessante Wendung, mit der ich nicht gerechnet hätte.

    Das hat mich auch überrascht - und wenn ich ehrlich bin: es hat mir gefallen. Auch wenn es ja eigentlich auch Denunziation war.

    Vernunft, Vernunft...

    Einmal editiert, zuletzt von ysa ()

  • Ich frage mich jedoch, wie nahe die geschilderten Ereignisse der historischen Wahrheit kommen. Im Buch bleibt ja vieles vage und wird am Ende keineswegs aufgelöst. Wir Ihr schon geschrieben habt: Takis Würger lässt sehr viel Raum für persönliche Interpretation. Für mich persönlich fast ein wenig zu viel.

    Das geht mir ähnlich. Auch den Epilog fand ich schwer einzuordnen, weil er für mich fast eher wie ein Nachwort klang als wie ein Epilog. Aber wie habe ich ihn dann zu nehmen? Sind die geschilderten Ereignisse dort Fakten? Oder gehört der wirklich zur fiktiven Geschichte? Ein erklärendes Nachwort hätte ich mir sehr gewünscht, auch wenn zumindest in meinem Buch Würger noch seine Mailadresse hinterlässt, so dass man sich bei Fragen an ihn wenden kann. Aber mal ehrlich - wenn ich jedem Autor nach dem Lesen schreiben würde, würde ich mehr Mails als Bücher lesen. ;)


    Denn ich verstehe nach wie vor nicht, warum Takis Würger dieses Buch geschrieben hat. Eine Liebesgeschichte um die menschliche Seite einer Stella Goldschlag zu zeigen, deren Taten unvorstellbar und grausam waren?

    Das frage ich mich auch. Eine Intention ist nicht so wirklich zu finden und ich habe eigentlich auf ein AHA-Erlebnis am Ende des Buches gewartet, aber so ganz gab es das für mich nicht. Eine Liebesgeschichte ist das Buch für mich auch nicht wirklich. Aber um einem die Schrecken der Zeit aufzuzeigen irgendwie auch nicht. Dafür ist es fast zu inhaltsleer und emotionslos. Ich bin ein wenig ratlos und weiß auch noch gar nicht, wie ich meine Rezension schreiben soll. :/

  • Ein erklärendes Nachwort hätte ich mir sehr gewünscht, auch wenn zumindest in meinem Buch Würger noch seine Mailadresse hinterlässt, so dass man sich bei Fragen an ihn wenden kann. Aber mal ehrlich - wenn ich jedem Autor nach dem Lesen schreiben würde, würde ich mehr Mails als Bücher lesen. ;)

    Ich hab mir schon überlegt, ob ich diese Mailadresse nutzen sollte, aber im Endeffekt kann mir der Autor ja auch nicht alles erklären, was Fiktion und was Realität ist. Allerdings würde es mich interessieren, warum Takis Würger gerade dieses Thema gewählt hat, warum er garade Stella als Protagonistin ausgesucht hat.


    Ich habe mir heute noch einmal den Umschlagtext durchgelesen. Er ist nicht wirklich falsch, aber irgendwie ist er meiner Ansicht nach irreführend. Und wenn ich nicht gewusst hätte, dass es um Stella Goldschlag geht, wäre es nur eine Liebesgeschichte mit einem übelkeitserregendem Ende, weil irgendwann dann doch der Name Stella Goldschlag fällt.

    Liege ich falsch mit dieser Ansicht?

    Vernunft, Vernunft...

  • Definitiv ein kompliziertes Buch weil der Autor es sich total verkneift, Aussagen zu treffen. Aussagen darüber, wer Stella Goldmann wirklich war. Wie sie wirklich war. Was sie getrieben hat. War sie eine Jüdin, die nur ihre Eltern retten wollte? War sie eine Deutsche, die lieber keine Jüdin gewesen wäre. Eine, die gerne eine gute reine Deutsche gewesen wäre? War sie feige? Oder mutig? Oder einfach nur gedankenlos, von Drogen ihrer Emotionen beraubt? War sie eine Lügnerin? Eine Mörderin?


    Und was sollte Friedrich in dieser Geschichte? Auch auf ihn treffen viele dieser Fragen zu und auch die, warum er sie dann endgültig verlassen hat. Weil es zu viele Lügen waren? Weil er ihr tun nicht mehr gutheißen konnte? Zumindest das habe ich so interpretiert. Wie auch sein Vater seine Mutter, so konnte er Stella aber irgendwann musste er für sich entscheiden, dass es zu viel war trotzdem er sie liebte und dass er ihr Tun nicht länger gutheißen oder ignorierne konnte.


    Die Ambivalenz der Figuren war mir eigentlich zu viel für dieses dünne Buch. Auch Tristan ist so ein Charakter, den man kaum einschätzen kann. Ob wohl Friedrich ihn angezeigt hat? Wenn ja, kam mir das ein bisschen wie nachtreten vor. Auch wenn Tristan natürlich ein Scheißkerl war.


    Tatsächlich war es mir dann doch zu viel was der Autor in so wenigen Seiten erzählt hat. Z.B. der Boxer Noah. Dessen Auftritt hatte was aber eigentlich war es zu aufgesetzt und aus dem Nichts heraus. So als wollte Würger einfach, dass dieser Boxer einmal in der Geschichte einen Kampf bekommt. warum auch immer.


    Oder diese Szene, wo Friedrich Gärtner erschießen will. Ein reinrassiger Nazi. Der stand wohl für alle Typen dieser Colleur und erinnerte mich an ganz viele Filme mit solchen verrohten Nazis mit verdrehten Weltanschauungen. Sicher ein gut erzählter Dialog. Aber wie gesagt, jede Seite brachte neue solche schwer verdaulichen Geschichten. Über jeder hätte ich eigentlich mal einen Tag grübeln können aber schon ging es weiter.


    Ich bin richtig geschafft von diesem Buch und davon, darüber nachzugrübeln, was alles zwischen den Zeilen drin steckt.

    :lesen:





  • nd wenn ich nicht gewusst hätte, dass es um Stella Goldschlag geht, wäre es nur eine Liebesgeschichte mit einem übelkeitserregendem Ende, weil irgendwann dann doch der Name Stella Goldschlag fällt.

    Für mich war es nur ganz am Anfang eine Liebesgeschichte. Dann kippte das vor all dem gesagten und ungesagten Gräuel. Und ich spürte auch nicht, dass Stella ihn liebte. Sie brauchte ihn, aber Liebe, dazu war sie in ihrer Situation und mit ihrem Drogenpegel doch gar nicht richtig fähig. Und Friedrich... seine Liebe war fast eine Abhängigkeit und mir eher unheimlich und unangenehm, weil sie so absolut und ohne nachfragen war.

    :lesen:





  • Aber mal ehrlich - wenn ich jedem Autor nach dem Lesen schreiben würde, würde ich mehr Mails als Bücher lesen. ;)

    Ich gehe in vier Wochen zu einer Lesung. Wahrscheinlich. Ich überlege, ob und was ich ihn fragen könnte. Also eine entscheidende Frage? Aber eine, die denen, die das Buch noch nicht gelesen haben, nicht alles verrät. Aber die mich besonders beschäftigt. Vorschläge?

    :lesen:





  • Ich finde es ernüchternd, dass Stella auch noch weiter damit macht, obwohl ihre Eltern bereits umgebracht worden. Auch wie sie noch auf dem Nazifest für die Nazis singt und zudem noch Nazilieder trällert. Ich frage mich ja fast, ob Stella unbedingt damit zeigen will, dass sie durch und durch deutsch und nicht jüdisch ist. (Was sich in meinem Weltbild nicht unbedingt ausschließen muss.) Denunziert sie auch deswegen weiter?

    so habe ich das auch empfunden. Sie wäre am liebsten keine Jüdin. Das kam bei mir so an. Fast flehentlich will sie das herbeisingen.

    :lesen:





  • Vollkommen entglitten ist mir Tristan. Ich habe ihn und sein Handeln irgendwann gar nicht mehr verstanden. Wie steht er denn nun zu Friedrich und wie zu Stella? Kam er aufgrund seiner adligen Abstammung nicht um die SS herum oder teilt er deren Ideologie wirklich, aber will sich deswegen dennoch ein guter Leben mit all den ausländischen Leckereien machen?

    Hab ich auch nicht mehr gecheckt. Aber ich hatte das Gefühl er spürt auch, dass Stella gerne Deutsche wäre und dass Friedrich das einfach nicht sehen will, dass ihr das Jüdische lästig ist. Und dass nur die Eltern ihr wichtig waren und die anderen Juden/Menschen egal.

    :lesen:





  • Denn ich verstehe nach wie vor nicht, warum Takis Würger dieses Buch geschrieben hat.

    Vielleicht wäre das die richtige Frage. Wobei es für mich da schon eine halbe Antwort gibt, denn allein die Beschäftigung mit dem Thema und der Person Stella und Menschen wir ihr (Tätern) und ihren Opfern ist ja schon eine Art Rechtfertigung, weil man sich wieder mit der Geschichte beschäftigt. Aber man kann es auch runterbrechen auf heute. Dazu und zur Diskussion ist das Buch allemal gut.


    Wobei sich für mich prinzipiell die Frage stellt, ob der Autor unbedingt einen Zweck haben musste, eine Aussage. Ich denke eher, das wollte er nicht. Er wollte etwas erzählen und eine Reaktion auslösen darauf. Auch Unverständnis ist ja eine Reaktion. Unverständnis, wie Menschen so etwas tun können. Wie Menschen manchmal einfach sind, und wir es uns nicht erklären können. Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine. :saint:

    :lesen:





  • gagamaus - mit allem was Du sagst, hast Du völlig recht:es muss nicht unbedingt sein, dass der Autor eine Aussage tätigen will, ein Buch muss auch nichti mmer einen Zweck erfüllen. Vielleicht ist es ja wirklich die Reaktion, die er provozieren will, das Diskutieren, das Nicht-Vergessen.


    Aber gerade deshalb möchte ich wirklich wissen, welche Motivation er zu diesem Buch hatte und wie sich die Recherchearbeiten dazu gestaltet haben.

    Aber egal was Du ihn fragen wirst (und ich bin sicher, Du wirst eine kluge Frage finden!) bitte, bitte berichte hier darüber! Das wäre total interessant.


    Viellicht nutze ich ja doch noch mal die am Ende des Buches angegebene Mailadresse.

    Vernunft, Vernunft...

  • In irgendeiner Kritik habe ich auch gelesen, dass dieses Buch als antisemitisch bzw nationalsozialistisch kritisiert wurde. (Ich weiß allerdings nicht mehr wo!:confused: Eine Kritik, die ich persönlich überhaupt nicht nachvollziehen kann.

    Wie seht ihr das?


    Ihr seht schon... auch wenn mir nicht alles klar ist: das Buch beschäftigt mich wirklich stark!

    Vernunft, Vernunft...

  • Z.B. der Boxer Noah. Dessen Auftritt hatte was aber eigentlich war es zu aufgesetzt und aus dem Nichts heraus. So als wollte Würger einfach, dass dieser Boxer einmal in der Geschichte einen Kampf bekommt. warum auch immer.

    Lt Sddeutsche.de handelt es sich hier um den Sportjournalisten Noah Klieger, der am 13. Dezember 2018 in Tel Aviv verstarb. Er wurde 1942 verhaftet und hat das Vernichtungslager Auschwitz III nur überlebt, weil er behauptete, boxen zu können. Der Kommandant gründete zu seinem Vergnügen eine Boxmannschaft.

    Klieger war kein Boxer und er verlor alle Kämpfe, aber nicht sein Leben.

    :blume:

    Vernunft, Vernunft...

  • Aber mal ehrlich - wenn ich jedem Autor nach dem Lesen schreiben würde, würde ich mehr Mails als Bücher lesen. ;)

    Ich gehe in vier Wochen zu einer Lesung. Wahrscheinlich. Ich überlege, ob und was ich ihn fragen könnte. Also eine entscheidende Frage? Aber eine, die denen, die das Buch noch nicht gelesen haben, nicht alles verrät. Aber die mich besonders beschäftigt. Vorschläge?

    Ich hatte auch überlegt zu einer Lesung zu gehen, aber nach der Lektüre bin ich ein wenig davon abgerückt. Mein Hirn ist zu verknotet, deswegen finde ich es auch schwer mit der Frage. Ich hätte so viele und wüsste noch nicht mal, wie ich diese alle stellen sollte...

  • Und wenn ich nicht gewusst hätte, dass es um Stella Goldschlag geht, wäre es nur eine Liebesgeschichte mit einem übelkeitserregendem Ende, weil irgendwann dann doch der Name Stella Goldschlag fällt.

    Ja, hätte man Kristin nicht von Anfang an mit Stella verknüpfen können, wäre das Buch wirklich schwierig geworden und wahrscheinlich hätte ich auch vor allem eine Liebesgeschichte gesehen. Aber durch die zitierten Aktenberichte wird eigentlich ziemlich deutlich, dass es sich darum nicht wirklich handelt.


    Die Ambivalenz der Figuren war mir eigentlich zu viel für dieses dünne Buch.

    Das geht mir ähnlich. Ich mag Ambivalenz sehr gerne und momentan höre ich wieder ein Hörbuch, wo die Charaktere so einfach in nett und doof unterteilt sind, dass ich fast die Krise kriege. Aber wenn dann Ambivalenz, dann will ich ihr auch folgen können und das kann ich hier kaum, weil der Schreibstil auch so kunstvoll vieles nur andeutet.


    Ich bin richtig geschafft von diesem Buch und davon, darüber nachzugrübeln, was alles zwischen den Zeilen drin steckt.

    Mein Kopf fühlt sich auch immer an wie Watte, wenn ich über Stella, Friedrich und Tristan nachdenke.


    Wobei sich für mich prinzipiell die Frage stellt, ob der Autor unbedingt einen Zweck haben musste, eine Aussage. Ich denke eher, das wollte er nicht. Er wollte etwas erzählen und eine Reaktion auslösen darauf. Auch Unverständnis ist ja eine Reaktion. Unverständnis, wie Menschen so etwas tun können. Wie Menschen manchmal einfach sind, und wir es uns nicht erklären können. Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine. :saint:

    Aber auch das ist im Endeffekt ein Zweck: Er will Reaktionen auslösen. Und vielleicht auch Unverständnis. Warum Stella, warum in dieser Art, das sind schon Fragen die mich beschäftigen. Aber vielleicht weiß er selbst nicht oder kann sich Stellas Verhalten selbst nicht erklären, weswegen er es so unspezifisch im Endeffekt verpackte?


    In irgendeiner Kritik habe ich auch gelesen, dass dieses Buch als antisemitisch bzw nationalsozialistisch kritisiert wurde. (Ich weiß allerdings nicht mehr wo! :confused: Eine Kritik, die ich persönlich überhaupt nicht nachvollziehen kann.

    Wie seht ihr das?

    Huch, das habe ich auch nirgends heraus gelesen. Vielleicht weil Tristan auf seine krude Art und Weise doch sympathisch wirkte? Weil Stella sich nicht jüdisch fühlte und/oder keine sein wollte? Aber das würde ich weder als antisemitistisch noch als nationalsozialistisch ansehen sondern eher als menschlich. Wenn Nazis nur unsympathische Raufbolde gewesen wäre, wäre die Welt wesentlich einfacher - aber so leicht ist es eben nicht oder wenn jüdisch sein so wäre, wie die Nazi-Propaganda es dargestellt hat. Aber auch so war es eben nicht. Hinter allem steckt immer noch ein Mensch.

  • Huch, das habe ich auch nirgends heraus gelesen. Vielleicht weil Tristan auf seine krude Art und Weise doch sympathisch wirkte? Weil Stella sich nicht jüdisch fühlte und/oder keine sein wollte? Aber das würde ich weder als antisemitistisch noch als nationalsozialistisch ansehen sondern eher als menschlich. Wenn Nazis nur unsympathische Raufbolde gewesen wäre, wäre die Welt wesentlich einfacher - aber so leicht ist es eben nicht oder wenn jüdisch sein so wäre, wie die Nazi-Propaganda es dargestellt hat. Aber auch so war es eben nicht. Hinter allem steckt immer noch ein Mensch.

    Vielleicht war ja auch genau das sein Bestreben. Zu zeigen, dass nur weil man als Jüdin geboren wurde, man sich dieser Glaubensrichtung ja nicht unbedingt nahe fühlen musste. Eigentlich ist Stella, so wie Takis Würger sie darstellt, die Ärmste von allen. Denn weder sieht sie sich als Jüdin noch sehen die anderen sie als Deutsche, auch wenn sie es für sich wahrscheinlich durch und durch wäre, wenn man sie ließe. Wobei, könnte auch sein, dass sie am liebsten einfach ein Mensch wäre - ohne Zuordnung zu irgend einer speziellen Gruppe. Aber die Nazis nötigen sie ihnen vorzugaukeln, dass sie die deutscheste Jüdin aller Zeiten wäre. Ein noch perverserer Gedanke. So oder so ist Stella ein sehr erschreckender Charakter in einem Buch und dass es die Frau wirklich gab, macht es dem Leser nicht leichter sie zu fassen.

    Wenn man danach liest, wie das Leben dieser Frau verlief, vor allem, was sie vor Gericht aussagte, dann wird es noch düsterer und verwirrender. Ich kann mir gut vorstellen, dass es genau das war, was auch Würger fasziniert und zu diesem Buch animiert hat. Die Rätselhaftigkeit von Stella.

    :lesen:





  • Heute Nacht wollte ich das Buch beenden, musste es aber auf die Seite legen, weil mich die Protokolle und die einleitenden historischen Beschreibungen zu jedem Kapitel zu sehr mitgenommen haben. Auch wenn man das alles weiß und schon zigmal gelesen hat, es wird deswegen nicht weniger schlimm.


    Ich fange jetzt direkt mit dem Ende, sprich dem Epilog an: ich denke, das erklärt einiges, warum der Autor eine fiktive Geschichte über Stella geschrieben hat. Es geht darum, eine fiktive Erklärung zu liefern, wer der mögliche Vater von Stellas Tochter sein bzw. um wen es sich bei dem alten Mann bei Stellas Beerdigung handeln könnte plus die Armbanduhr, die dort abgelegt wurde.

    Allerdings passt es mit den Zeiträumen überhaupt nicht, wenn ich das richtig sehe.


    Stella bleibt auch im letzten Abschnitt sehr ambivalent bzw. verschärft es sich logischerweise noch, je länger sie für die Gestapo arbeitet. Einerseits kann ich nicht verstehen, dass sie sich mit Tristan treffen oder in Schwanenwerder vor all den Nazis singen will, andererseits hofft sie vielleicht immer noch, ihre Eltern und sich selbst damit retten zu können bzw. ist sie hungrig auf das Leben, und wenn es dann noch luxuriös ist, umso besser. Ist sie genauso blind wie Friedrich und verschließt sie absichtlich die Augen vor dem, was um sie vorgeht, Hauptsache, sie kann ihr gutes Leben genießen oder benötigt sie das als Ausgleich für ihre Tätigkeit als Greiferin, um mit ihrer Schuld überhaupt leben zu können?


    Als Stella Friedrich gegenüber ohne jeglichen Berliner Dialekt hochdeutsch spricht, wird klar, dass auch Friedrich wahrscheinlich niemals die echte Stella kennengelernt hat.


    Friedrichs "Verhandlungen" mit Dobberke zeigten ziemlich gut, welcher Willkür man sich mit solchen Bitten an die Nazis gegenübersehen musste - und dann brachte der ganze Einsatz überhaupt nichts.


    Stellas Eltern sind überhaupt nicht damit einverstanden, was ihre Tochter tut, um sie vor dem Abtransport zu bewahren.


    Dass Friedrichs Vater ein großzügiger Mensch ist, haben wir ja schon erlebt, aber dass er Stella direkt mit solch offenen Armen empfängt, fand ich dann doch sehr überraschend. An dem Abend schwelgen die Drei im Luxus - bis sie Stellas Peiniger im Restaurant begegnen. Das wirft sie dann doch ziemlich aus der Bahn.


    Ich muss gestehen, stellenweise musste ich Tristan recht geben, als er Friedrich vorwirft, keine klare Stellung zu beziehen und für Stella einzustehen. Den Gärnter in einer Bar mit einer Schusswaffe zu bedrohen, war allerdings ziemlich unüberlegt und kindisch. Und er beendet sein Vorhaben eh nicht. Mir ist bei dem Gerede des Gärtners jedenfalls ziemlich übel geworden.


    Überhaupt dachte ich einige Male, dass Friedrich einfach nicht in die Pötte kommt, sondern sich nur treiben lässt. Mich hätte es nicht gewundert, wenn er auf seiner Fahrt in die Schweiz doch wieder umgedreht wäre.

    Umso überraschter war ich dann, als er Tristan von Appen ans Messer liefert - ich gehe jedenfalls davon aus, dass Friedrich der anonyme Anrufer aus dem Ausland ist.

    Das mit dem Madagaskarplan war übrigens neu für mich.


    Noah hat mir sehr gut gefallen und ich war froh zu lesen, dass er den ganzen Albtraum überlebt hat.


    Ich muss sagen, mich hat der Roman in jedem Fall neugierig auf Stella Goldschlag gemacht und ich möchte nun mehr über sie erfahren. Vor allem auch, warum sie später zu überzeugten Antisemitin wurde.

    Liebe Grüße

    Karin

  • Ich finde es ernüchternd, dass Stella auch noch weiter damit macht, obwohl ihre Eltern bereits umgebracht worden.

    Ja, das ist schwer zu begreifen. Aber wahrscheinlich war sie zu dem Zeitpunkt schon zu weit gegangen, um einfach aufzuhören und ihr eigenes Todesurteil damit zu unterschreiben. So konnte sie weiterhin hoffen, irgendwie doch noch durchzukommen.


    Irgendwann am Ende fragt sich Friedrich, was von Stella übrig bleiben würde, wenn man all die Lügen von ihr abziehen würde. Das war für mich eine Art Schlüsselsatz, denn es sagt so viel über Stella und ihr Wesen aus.

    Ja, denn genau das habe ich mich ebenfalls gefragt.


    Vollkommen entglitten ist mir Tristan. Ich habe ihn und sein Handeln irgendwann gar nicht mehr verstanden. Wie steht er denn nun zu Friedrich und wie zu Stella?

    Das fand ich am Ende auch etwas schade, dass er immer weniger greifbar wurde. Irgendwie hatte ich auch den Eindruck, dass Tristan und Stella mehr auf einer Wellenlänge lagen und Friedrich trotz seiner intimen Beziehung zu Stella immer ein wenig außen vor stand. Was Stella auch immer wieder Friedrich gesagt hat, dass er das alles nicht verstehen würde. Aber hat sie selber es überhaupt verstanden?


    Wussten Stellas Eltern über ihre Kollaboration Bescheid? Ihre Mutter deutet doch so etwas an.

    Ja, das würde mich auch interessieren, ob es darüber verlässliche Quellen gibt.


    Und irgendwo sagt der Gärtner ja auch, dass Stella "auf ihre verreckte Art ihrem Vaterland treuer ist als wir zwei miteinand".

    Vielleicht war das für sie tatsächlich ihr Beweis.

    Das ist gut möglich.


    Definitiv ein kompliziertes Buch weil der Autor es sich total verkneift, Aussagen zu treffen. Aussagen darüber, wer Stella Goldmann wirklich war. Wie sie wirklich war. Was sie getrieben hat. War sie eine Jüdin, die nur ihre Eltern retten wollte? War sie eine Deutsche, die lieber keine Jüdin gewesen wäre. Eine, die gerne eine gute reine Deutsche gewesen wäre? War sie feige? Oder mutig? Oder einfach nur gedankenlos, von Drogen ihrer Emotionen beraubt? War sie eine Lügnerin? Eine Mörderin?

    Ob das überhaupt irgendwer weiß, wer sie wirklich war? Ob sie das selbst überhaupt wusste? Ihr Lebenslauf nach 1945 ist definitv kein glücklicher, woran das, was sie erlebt hat, sicherlich nicht unschuldig war. Bei einem Artikel von Peter Wyden im Internet (der in dem Wikipedia-Eintrag über Stella Goldschlag verlinkt ist) steht, dass sie ihre jüdischen Wurzeln ablehnte. Durch das Nazi-Regime wurde sie in ein Schema gezwängt, dass für sie eigentlich nie gegolten hat.

    Was mich aber wirklich erschüttert, dass sie später zur überzeugten Antisemitin wurde.


    so habe ich das auch empfunden. Sie wäre am liebsten keine Jüdin. Das kam bei mir so an. Fast flehentlich will sie das herbeisingen.

    Genauso kam es bei mir auch an.


    Wobei sich für mich prinzipiell die Frage stellt, ob der Autor unbedingt einen Zweck haben musste, eine Aussage. Ich denke eher, das wollte er nicht. Er wollte etwas erzählen und eine Reaktion auslösen darauf. Auch Unverständnis ist ja eine Reaktion. Unverständnis, wie Menschen so etwas tun können. Wie Menschen manchmal einfach sind, und wir es uns nicht erklären können. Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine. :saint:

    Es ist auch schwierig, eine klare Aussage über einen Menschen zu treffen, der und dessen Motive überhaupt nicht greifbar sind. Bei mir hat das Buch in jedem Fall erreicht, dass ich über dieses Thema "Greifer" und die Person Stella Goldschlag mehr erfahren möchte.


    Aber egal was Du ihn fragen wirst (und ich bin sicher, Du wirst eine kluge Frage finden!) bitte, bitte berichte hier darüber! Das wäre total interessant.

    Ohja, das wäre prima, wenn du hier berichten würdest.


    In irgendeiner Kritik habe ich auch gelesen, dass dieses Buch als antisemitisch bzw nationalsozialistisch kritisiert wurde. (Ich weiß allerdings nicht mehr wo! :confused: Eine Kritik, die ich persönlich überhaupt nicht nachvollziehen kann.

    Wie seht ihr das?

    Das kann ich eigentlich nicht nachvollziehen, denn dann müssten Bücher wie "Die Mütze oder der Preis des Lebens" genauso als antisemitisch angesehen werden, in dem ein KZ-Überlebender davon schreibt, wie sich die Lagerinsassen gegenseitig die obligatorische Mütze gestohlen haben, um der Bestrafung durch Erschießen zu entgehen. Vielmehr werden hier die Vorgehensweisen eines grausamen und unmenschlichen Regimes dargstellt, das auf perfide Art und Weise es schafft, Menschen ihre Würde zu nehmen und sie derart zu erniedrigen und zu unterdrücken, dass sie keinen anderen Ausweg sehen, als Dinge zu tun, die man mit komfortablem Abstand als moralisch verwerflich ansehen könnte und die der Betroffene in "normalen" Zeiten niemals tun würde, ja nicht mal in Erwägung ziehen würde.

    Bei einem Tristan von Appen fragt man sich auch, warum wurde er überhaupt ein Nazi? Ein Mann wie er mit diesem sozialen Hintergrund hatte garantiert eine Alternative zur SS. Ohne die Nazis wäre er sicherlich ein eher unauffälliger Mensch geblieben (in Bezug auf die Nazi-Ideologie, nicht auf sein schillerndes Leben) - und man fragt sich dann unweigerlich, wer von den Menschen, die man zu kennen glaubt, würden sich genauso für einen Weg wie er unterscheiden.


    Typen wie Dobberke gehören eindeutig zum braunen Gesocks, die daraus und aus ihrer Abneigung gegenüber bestimmter Gruppen kein Geheimnis machen.


    Ich bin der Meinung, es hilft nichts, die Augen davor zu verschließen, wenn Opfer des Dritten Reiches mit ihren Handlungen in einem Graubereich oder gar darunter agieren, weil man damit dem braunen Abschaum keine Angriffsfläche bieten möchte, denn damit gesteht man sich nur ein, dass man genau das befürchtet, es könnte die Opfer womöglich in einem schlechteren Licht darstellen lassen. Vielmehr muss man aufzeigen, was solche Regimes aus Menschen machen, damit das auch begriffen wird.


    Außerdem brauchen Nazis keine solchen Vorlagen, die haben genügend bescheuerte und absolut haltlose Argumente, warum man bestimmte Menschen verachten und ausgrenzen sollte - siehe diese Giftpilzgeschichte oder der Vergleich des Gärtners, in dem er Juden mit eingeschlepptem Unkraut vergleicht.

    Liebe Grüße

    Karin