03 - April 1942 bis Ende (Seite 142 bis Ende)

Es gibt 27 Antworten in diesem Thema, welches 4.993 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von odenwaldcollies.

  • ysa

    In dem vom dubh verlinkten Zeitungsartikel gab es einen Absatz,wo auf der Vorwurf des Antisemitismus' erläutert wurde:

    Zitat

    Kristin ist eine Verführerin, Friedrich verfällt ihr sexuell. Sie ist raffgierig, etwas unheimlich, klug und verschlagen. Später erfährt man: Das ist die Jüdin Stella. Diese literarische Darstellung „der schönen Jüdin“ bedient zweifellos gleich mehrere antisemitische Topoi.

    Quelle: https://www.morgenpost.de/kult…-Autor-Takis-Wuerger.html

  • Heute Nacht wollte ich das Buch beenden, musste es aber auf die Seite legen, weil mich die Protokolle und die einleitenden historischen Beschreibungen zu jedem Kapitel zu sehr mitgenommen haben. Auch wenn man das alles weiß und schon zigmal gelesen hat, es wird deswegen nicht weniger schlimm.

    Das kann ich verstehen, zumal mit fortschreitender Zeit die Fakten immer bedrückender werden.


    Ich muss gestehen, stellenweise musste ich Tristan recht geben, als er Friedrich vorwirft, keine klare Stellung zu beziehen und für Stella einzustehen.

    Friedrich weiß sehr lange nicht, wohin mit sich. Er ist zerrissen, auf der einen Seite stehen seine Gefühle für Stella, auf der anderen Seite merkt er immer mehr, was eigentlich vor sich geht. Herz gegen Verstand.

  • Bei einem Tristan von Appen fragt man sich auch, warum wurde er überhaupt ein Nazi? Ein Mann wie er mit diesem sozialen Hintergrund hatte garantiert eine Alternative zur SS. Ohne die Nazis wäre er sicherlich ein eher unauffälliger Mensch geblieben (in Bezug auf die Nazi-Ideologie, nicht auf sein schillerndes Leben) - und man fragt sich dann unweigerlich, wer von den Menschen, die man zu kennen glaubt, würden sich genauso für einen Weg wie er unterscheiden.


    Typen wie Dobberke gehören eindeutig zum braunen Gesocks, die daraus und aus ihrer Abneigung gegenüber bestimmter Gruppen kein Geheimnis machen.

    Die Frage stellt man sich immer wieder, wer im eigenen Umwelt wie reagieren würde. Wie man selber reagieren würde. Ob man mutig oder feige wäre. Ich glaube, dass so mancher erschrecken würde nicht nur über die anderen Menschen sondern auch ein bisschen über sich selbst, weil so mancher sich doch anders einschätzt und wenn er dann in so eine Ausnahmesituation kommt, dann reagiert man anders als man dachte.


    Mir ist so etwas einmal passiert. Also eine gaaaanz andere Sache. Aber etwas, wo ich immer meinte, wenn es mir passiert, dann bin ich da cooler und rationaler. Und dann war es so, dass ich fürchterlich emotional reagiert habe und gar nicht mehr cool. Da habe ich gemerkt, dass ich mich sogar selber manchmal nicht ganz richtig eingeschätzt habe. Ich habe daraus gelernt, dass ich nicht so leicht sage, dass könnte mir nicht passieren, sondern erst sehr sehr gründlich drüber nachdenke. :)

    :lesen:





  • Friedrich weiß sehr lange nicht, wohin mit sich. Er ist zerrissen, auf der einen Seite stehen seine Gefühle für Stella, auf der anderen Seite merkt er immer mehr, was eigentlich vor sich geht. Herz gegen Verstand.

    Ja, der Prozess ist lange und schmerzhaft bei ihm.


    Mir ist so etwas einmal passiert. Also eine gaaaanz andere Sache. Aber etwas, wo ich immer meinte, wenn es mir passiert, dann bin ich da cooler und rationaler. Und dann war es so, dass ich fürchterlich emotional reagiert habe und gar nicht mehr cool.


    Ohja, da kann man mit sich selber manches Male eine Überraschung erleben.


    In Verbindung mit Tristan meinte ich eher, dass man teilweise erschrocken ist oder wäre, wenn man dahinterkommt, welche Gesinnung manch eigentlich sympathischer Zeitgenosse hat.

    Liebe Grüße

    Karin

  • Ich war gestern auf der Lesung von Takis Würger in der Münchner Seidlvilla. Also eigentlich war es keine Lesung sondern ein Werkstattgespräch (mit Lesung) bei dem auch der Münchner Kollege Fridolin Schley und der Moderator Dieter Heß auf dem Podium saßen und Rede und Antwort standen. Das war eine sehr passende und spannende Veranstaltung, denn man ging dort u.a. der Frage auf den Grund, wie junge Autoren sich historischen Stoffen und Personen nähern und in ihren Werken verarbeiten und ganz allgemein, was Literatur darf oder soll.


    Zu Stella und dem Arbeitsprozess hat Takis Würger berichtet, dass er sich durch "den Vorleser" von Schlink als junger Mann dem Thema Nationalsozialismus zum ersten Mal richtig genähert hatte (er hörte dort zum ersten Mal von dem Ort Majdanek) für sein Buch dann sehr lange und sehr gründlich recherchiert hat. Intensive Gespräche mit Zeitzeugen, Auswitzüberlebenden, Fachleuten für Geschichte und Nationalsozialismus und das Durcharbeiten diverser Sachbücher und der kompletten Prozessakten gegen Stella Goldschlag gehörten dazu.

    Er habe zwar mit einer Diskussion über sein Buch gerechnet. Aber sowohl er als auch sein Lektor und der gesamte Hanser-Verlag und alle Menschen, die vorher mit dem Buch in Berührung kamen waren überrascht und erschrocken über die Ausmaße, die die Diskussion über den Roman STELLA in Null-Komma-Nichts annahm. Am Tag vor dem Erscheinungstermin kam ja die erste vernichtende SZ-Kritik,der sofort die FAZ mit ähnlichem Tenor folgte. Er wurde im Laufe der letzten 3 Monate so ungefähr für alles angeprangert und verdammt, was man sich nur vorstellen kann. Am Shrägsten war tatsächlich in einer Kritik die Aussage, er habe wohl fabuliert. Ist es nicht genau das, was ein Autor tun sollte?


    Das war für mich der Dreh- und Angelpunkt und die wichtigste Aussage der Diskussion. (Da musste ich mich auch ein bisschen selber an der Nase fassen, weil ich das nicht ganz bedacht hatte in meiner Rezension.) Beide Autoren, Schley noch mehr als Würger, bestehen darauf, dass Literatur genau so funktioniert. Dass man einen Roman zwar in Anlehnung an reale Geschehnisse schreiben kann, er aber dennoch immer Fiktion sein wird. Schley geht hier noch viel weiter als Würger, der als Journalist durchaus versuchte, die Fakten und Daten korrekt wiederzugeben. Schley in seinen Romanen verfremdet und überspitzt gerne bzw. gibt seinen Texten durch literarische Kniffe (Wiederholungen, Metaphern usw.) einen eigenen Tenor, der keinen Wert auf historische Korrektheit legt sondern auf eine Aussage und eine Stimmung, die er einfangen möchte.


    Würger wollte - wie ich schon gedacht hatte - nicht Stellung beziehen, sondern dieses wichtige Thema, wie weit Menschen unter Zwang gehen dürfen und müssen, in romanhafter Form vielleicht oder vor allem jungen Menschen näher bringen. In einer Studie kam heraus, dass 4 von 10 Jugendlichen nicht wissen, was in Ausschwitz und Bergen-Belsen passiert ist.


    Am Ende seines Buches stand und steht ja seine E-Mail-Adresse. Nach der ersten Kritik wagte er lange nicht, sein E-Mail-Fach zu öffnen, weil er Angst vor Hetze und heftigen Angriffen hatte. Inzwischen sind diese Mails zu seiner Rückenstärkung geworden, da die Menschen zwar sein Buch nicht alle LIEBEN aber ihm dafür danken, dass er das Thema zur Sprache gebracht und so verarbeitet hat, dass Diskussionen darüber entstehen konnten. Von 1500 Mails waren nur 10 schlimme dabei. Das hat mich sehr gefreut. Vor allem auch, weil Takis Würger ein wahnsinnig netter Mann ist. Total sympathisch und authentisch - und er hat eine geniale Vorleser-Stimme. :)


    Ein sehr interessanter und erbaulicher Abend. Ich bin froh, dass ich das Buch gelesen habe und bei diesem Werkstattgespräch war.

    :lesen:





    Einmal editiert, zuletzt von gagamaus ()

  • Danke für diese tollen Bericht! Das klingt nach einem sehr interessanten (und persönlichen) Abend. Wenn ich eine Rezension schreibe, dann hat das keine Auswirkungen, aber manchmal denke ich auch, dass manche Rezensionen sich im Ton mäßigen sollten. Man kann ein Buch inhaltlich diskutieren und schlecht finden, aber den Autor deswegen persönlich anzugreifen, ist einfach daneben. Ein Autor ist nicht sein Roman und auch nicht die Charaktere, die dort auftreten.

  • Vielen Dank für Deinen interessanten Bericht, gagamaus !

    Am Tag vor dem Erscheinungstermin kam ja die erste vernichtende SZ-Kritik,der sofort die FAZ mit ähnlichem Tenor folgte. Er wurde im Laufe der letzten 3 Monate so ungefähr für alles angeprangert und verdammt, was man sich nur vorstellen kann. Am Shrägsten war tatsächlich in einer Kritik die Aussage, er habe wohl fabuliert. Ist es nicht genau das, was ein Autor tun sollte?

    Zugegebenermaßen hat mir der Roman ja auch nicht gefallen, aber ich frage mich, ob die großen Kübel mit Kritik, die in solch kurzen Intervallen über Würger geschüttet wurden, tatsächlich nicht ein wenig den Bezug verloren hatte. Man sagt ja immer, dass das Feuilleton die Bücher, die rezensiert werden, nicht oft wirklich zu Ende gelesen hat oder zumindest nicht von dem- oder derjenigen, dessen/deren Name unter der Rezension steht. Vor diesem Hintergrund könnte ich mir durchaus vorstellen, dass so manche Kritik einfach auf den Zug aufgesprungen ist - was natürlich sehr schade wäre, da so kein Zerriss entstehen sollte.


    Beim vorliegenden Roman handelt es sich um Fiktion, ja. Dennoch finde ich das Stilmittel, dass der Autor immer wieder Zeugenaussagen einstreut und so eine Art Dokumentationsatmosphäre erzeugt, weiterhin schwierig. Hätte Würger in einem Nachwort Zusammenhänge erklärt, Fiktion von Wahrheit getrennt, dann wäre ich versöhnlicher gestimmt - so lässt mich das Projekt ratlos zurück. Leider.


    Würger wollte - wie ich schon gedacht hatte - nicht Stellung beziehen, sondern dieses wichtige Thema, wie weit Menschen unter Zwang gehen dürfen und müssen, in romanhafter Form vielleicht oder vor allem jungen Menschen näher bringen.

    Und das ehrt ihn! Aber man kann ein richtiges und wichtiges Ziel haben und es dennoch um Meilen verfehlen. Unterm Strich empfinde ich es bei Würgers Roman so, aber ich würde ihn dafür niemals beschimpfen oder gar den Menschen Takis Würger deshalb negativ beurteilen, denn ich denke nicht, dass sein Ansinnen irgendwie fragwürdig war/ist.

    Liebe Grüße

    Tabea