Diskussion Amoz Oz - Unter Freunden ab. 25. Februar 2019

Es gibt 10 Antworten in diesem Thema, welches 2.323 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Hafermilch.

  • So ihr Lieben,

    hier diskutieren wir gemeinsam über den Roman "Unter Freunden" von Amos Oz.

    Bitte denkt daran notfalls Spoiler zu setzen. Außerdem sollten Meldungen das ihr noch nicht anfangen konntet etc. im Anmeldethread gepostet werden, damit dieser Thread hier ausschließlich zum Diskutieren genutzt wird.


    Ich wünsche uns ganz viel Spaß!


    Grüßle

    Holden


    Seferli

    Hafermilch

    Tina

    dodo

  • Zuerst war ich sehr überrascht, dass es sich bei "Unter Freunden" um eine Kurzgeschichten-Sammlung handelt. Irgendwie hatte ich eine Novelle erwartet. Weil ich Kurzgeschichten generell skeptisch gegenüberstehe, war ich vorsichtig abwartend. Amos Oz hat mich aber auf der ganzen Linie überzeugt. Hatte ich anfangs zögerlich zu lesen begonnen, konnte ich das schmale Büchlein kaum mehr aus den Händen legen.


    Die Geschichten spielen alle im Kibbuz Jikhat und hängen mehr oder weniger lose zusammen. Was auffällt, ist, wie Oz die unterschiedlichen Arten von Einsamkeit perfekt porträtiert. Man sollte meinen, in einer eingeschworenen Gemeinschaft wie in einem Kibbuz gibt es keine Einsamkeit, aber Oz belehrt den Leser schnell vom Besseren. Das scheinbar idyllische Leben im Kibbuz hält bei näherer Betrachtung nicht statt. Bei allem Idealismus kristallisieren sich rasch in Ansätzen totalitäre Züge heraus.


    Trotz der Kürze gelingt es Oz zudem authentische Charaktere zu präsentieren. Vielleicht liegt es an der Serie Shtisel, die ich momentan schaue, aber ich konnte mir die verschiedenen Personen lebhaft vorstellen.

  • Hallo Ihr Lieben


    auch ich war erstaunt über die Kurzgeschichtenform. Bisher habe ich die ersten beiden Geschichten gelesen und werde entweder später oder morgen dazu mehr schreiben.

    Ich bin das ganze Wochenende bei einem Klausurvorbereitungsseminar in Bonn und mir raucht der Schädel. ( Stunden Philosophie des Geistes haben mich fertig gemacht.

    Ich freue mich jetzt auf eine weitere Geschichte von Amos Oz. Wie schön und angenehm ist er im Vergleich zu Kant, Platon und Konsorten. Ich hoffe ich schlafe nicht ein und kann gleich noch etwas schreiben.

    Nur in aller Kürze,


    Schon die erste Geschichte hat mich sehr berührt und fast ein wenig traurig gemacht. Es scheinen aber, trotz der einzelnen in sich abgeschlossenen Geschichten, alle Geschichten in einem Kontext zu stehen, nämlich dem des Kibbuz und seinen Kibbutzniks.

  • Trotz der Kürze gelingt es Oz zudem authentische Charaktere zu präsentieren. Vielleicht liegt es an der Serie Shtisel, die ich momentan schaue, aber ich konnte mir die verschiedenen Personen lebhaft vorstellen.

    Nur dass es sich bei Sthisel um Charedim handelt und die Menschen im Kibbuz mit Religion meist nicht viel zu tun haben. Natürlich gibt es auch religiöse Kibbutzim, aber die sind eher eine Seltenheit. In diesem hier rennen sie eher in Latzhosen, Shorts, Top und Sandalen rum, aber ja, auch ich sehe sie leibhaftig vor mir.

  • Da hast du natürlich recht, Tina. Das hätte ich der Vollständigkeit halber erwähnen sollen. Ich fand nur den Menschentypus sehr ähnlich, deswegen der Vergleich. David Dagan erinnert mich zum Beispiel sehr an Rabbi Shulem Shtisel. Beide meinen es gut, aber beide können unnachgiebig in ihren Ansichten sein, völlig ignorant darüber, was das bei den Betroffenen anrichten kann.

  • Was auffällt, ist, wie Oz die unterschiedlichen Arten von Einsamkeit perfekt porträtiert. Man sollte meinen, in einer eingeschworenen Gemeinschaft wie in einem Kibbuz gibt es keine Einsamkeit, aber Oz belehrt den Leser schnell vom Besseren. Das scheinbar idyllische Leben im Kibbuz hält bei näherer Betrachtung nicht statt. Bei allem Idealismus kristallisieren sich rasch in Ansätzen totalitäre Züge heraus.

    Ich wollte dazu noch etwas sagen.

    Auch wenn es sich hier um eine fiktive Geschichte handelt, so sind die einzelnen Charaktere auch in einem realen Kibbuz zu finden, erst Recht in dieser Zeit. Ich denke, man sollte mein Lesen auch immer den historischen Kontext nicht aus den Augen verlieren. Es ist hier die Rede von einem Kibbuz der 50er Jahre. Die Kibbuzim stellten eine unglaublich heterogene Gesellschaft dar, immer in Hinblick auf ihre Geschichte. Auch wenn diese vielleicht nicht explizit Erwähnung finden, so muss man bedenken, das die Menschen, die in den 50er Jahren in den Kibbuzim lebten, größtenteils mit der 5. Alina ins Land kamen. Sie kamen aus Europa, Polen und hatten das Grauen in seiner Reinform kennengelernt. Hier spielen auch Traumata eine Rolle, die wir uns nicht ansatzweise vorstellen können, von denen wir auch nicht so viel wissen, da die Überlebenden der Shoa meist nicht darüber sprechen wollten. Sie gehörten zu den Menschen, die eher zurückhaltend waren, sich abkapselten und einfach nur froh waren, zu leben. Natürlich gab es auch viele Kibbuzniks, die im Land geboren waren, aber sie waren indirekt auch von den Ereignissen in Europa betroffen. Man hatte eine sehr ambivalente Einstellung den Einwanderern gegenüber und es prallten Charaktere aufeinander, die sich freiwillig an diesem Ort mit Sicherheit nie gefunden hätten. Wir reden hier von Akademikern, von Arbeitern, von zerstörten Familien. Sie alle leben in einer, aus Not bedingten Gemeinschaft und die Einstellung der Sabres (der im Land geborenen) war eine gänzlich andere. Man wollte nichts mehr zu tun haben mit dem Bild des europäischen Juden. Man wollte kein Opfer mehr sein. Darum auch das falsche Bild der Ultra-Orthodoxen Juden in einem Kibbuz (wie gesagt, es gab auch vereinzelt religiöse Kibbuzim, aber die waren eher die Ausnahme). Die traf man dort nicht. Das Bild des "Neuen" Israelis war das des starken, unabhängigen und durchtrainierten Menschen. Braungebrannt und selbstbewusst. Das Bild der Charedim passte dort nicht hinein. Wir reden hier von einer Zeit nach der Staatsgründung und dieses Land hatte vom ersten Tag an das Problem, sich seiner Existenz rechtfertigen zu müssen. Am Tag der Staatsgründung wurde Israel von 5 arabischen Staaten angegriffen und es endete in einem zwei Jahre andauernden Krieg. Dem Unabhängigkeitskrieg. Es gab immer wieder arabische Angriffe auf Kibbuzim. Damals war es ein normales Bild, dass die Kibbuzim Wachtürme hatten. Man schlief mit der Waffe unter dem Kopfkissen. Diese Menschen kamen trotz ihres an für sich abgeschotteten Kibbuzleben niemals wirklich zur Ruhe.

    Es gäbe noch viel mehr zu sagen, aber ich denke, alle diese Fakten, sollte man beim Lesen dieser Lektüre nicht aus dem Fokus verlieren. Es war eine harte Zeit und sie erforderte harte Maßnahmen, genauso wie sie im Gegenzug auch die Menschen in einer bestimmten Art und Weise hart machte. Diese emotionale Härte war oft nichts anderes als simpler Eigenschutz. Angst vor engen zwischenmenschlichen Bindungen war keine Seltenheit und insofern kommen die Genossen dort dem Begriff "Freund" schon sehr nah, auch wenn wir zu diesem Begriff, von unserem heutigen Standpunkt aus, einen ganz anderes Bild haben.

  • dodo. Ich habe erst die ersten beiden Geschichten gelesen und muss mich jetzt auch noch mal für drei Stunden meiner "Philosophie des Geistes" widmen, werde aber heute Mittag weiterlesen. Ich freue mich schon darauf.

    Liebe Grüße Tina

  • Tina: Danke für deine Ausführungen. Ich bezog mich bei meinem Hinweis auf die totalitären Zügen nicht auf die nächtlichen Wachdienste, sondern zum Beispiel auf den Umgang mit den Kindern in den Erzählungen. Dass diese nicht bei ihren Eltern leben durften, sondern sie nur besuchen konnten und jeden Abend im Kinderhaus schlafen mussten. Wobei ja diese Regelung einigen Kibbuz-Mitglieder sogar noch zu lasch war, die es lieber gesehen hätten, wenn die Kinder überhaupt der Gemeinschaft gehörten. Oder dass ein junger Mann sich sein Studium nicht selbst aussuchen durfte, sondern die Ausbildung von der Gemeinschaft festgelegt wurde. Du hast aber selbstverständlich recht, meine Anmerkung war zu knapp und ist sicher missverständlich.


    Ich versuche immer bei einem Buch die Zeit, in der es spielt, und die dann herrschenden sozialen Regeln während der Lektüre miteinzubeziehen. Mir war klar, dass das Büchlein nicht in der Jetzt-Zeit spielt, ich hätte die Kurzgeschichten allerdings in den Sechzigern angesiedelt. Ich habe den erwähnten vergangenen Krieg mit dem 6-Tage-Krieg gleich gesetzt. Leider weiß ich zur Geschichte Israels zu wenig, um Amos Oz Erzählungen über den Kibbuz in einen vernünftigen Kontext zu bringen. Da hoffe ich sehr auf deinen Input (wie ja bereits oben geschehen).

  • Nicht zu vergessen den politischen Hintergrund, die meisten Kibibbuzim sind angelehnt an sozialistische Vorstellungen. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß die Kinder von der Gemeinschaft erzogen werden.


    Ich persönlich hab da Erinnerungen an meinen Hebräischunterricht. Wir hatten da auch ein paar Texte die sich mit dem Leben im Kibbuz beschäftigt haben. Natürlich nur sehr grob, so viele Vokabeln konnten wir nicht.


    Kleiner Streberhinweis :P: Alija

    Bezeichnet die Rückkehr der Juden nach Eretz Israel. Damit werden aber auch die einzelnen Einwanderungswellen nach Israel bezeichnet. Deshalb die Nummerierung,die Tina gemacht hat.

  • Das schon, aber es kommt deutlich heraus, dass viele Mütter, Väter und Kinder unter dieser Situation leiden, sich aber bei den Abstimmungen nicht durchsetzen können. Aber ich greife vor - dieses Thema wird ausführlich in der Erzählung "Ein kleiner Junge" bearbeitet und scheint in Ansätzen auch in "In der Nacht" auf.

  • Ich habe mittlerweile die ersten drei Kurzgeschichten gelesen. Ich war auch erstaunt, als ich hier gelesen habe, dass es sich um Kurzgeschichten handelt. Wie so oft habe ich bei Kurzgeschichten das Problem, dass sie für mich recht abrupt und "unfertig" enden. Auch wenn Oz die Charaktere gut beschreibt, würde ich mir wünschen, mehr in den Alltag eines Kibuz eintauchen können.


    Ich kenne mich viel zu wenig (eigentlich fast gar nicht) mit der Geshichte Israels aus, geschweige denn habe ich Ahnung vom Leben in einem Kibbuz. Ich vergleiche es für mich ein wenig mit einer ökologischen Gemeinschaft/ Kommune, in denen es ja auch immer wieder Diskussionen und Probleme und auch Fragen der Ausrichtung gibt. Und sicherlich auch Einsamkeit/ Ausgrenzung.


    Sehr verwundert hat mich schon in der Geschichte "unter Freunden", dass die Kinder als "Gemeinschaftseigentum" angesehen werden. Das liest sich für mich, als Mutter von zwei Kindern, schrecklich. Es ist doch das eigene Kind, das man beschützen, lieben und großziehen möchte. Auch für die Kinder stelle ich mir das nicht einfach vor - die Geborgenheit in einer Familie fällt weg, der Bezug zu den Eltern.


    Über die erste Geschichte "Der König von Norwegen" steht ja im Klappentext, dass es Zvi, abgelenkt durch seine tägliche Portion Pessimismus entgeht, dass die Lehrerin Luna um ihn wirbt. Ich bin mir da gar nicht so ganz sicher, dass das wirklich so ist. Ich glaube sehr wohl, dass er das bemerkt hat, aber hoffte, dass dieser Zustand nicht in Körperlichkeiten übergeht, da er diese nicht zulassen/ ertragen kann. Auf seine Weise bringt er - vor allem im Nachgang - sehr zum Ausdruck, wie wichtig ihm die Freundschaft zu Luna ist, indem er sich nach ihrem Weggang um ihre Blumen auf dem Balkon kümmert.