Emily Gunnis - Das Haus der Verlassenen

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    "Das Haus der Verlassenen" von Emily Gunnis ist im Heyne-Verlag (HC, gebunden; 2019) erschienen. Es handelt sich um den Debutroman einer englischen Autorin (Originaltitel: The Girl in the Letter), die ich mir sehr gerne merke, da mich dieser Roman sehr berührt hat. Übersetzt vom Englischen ins Deutsche wurde er von Carola Fischer.


    Sussex, 1956.


    Im Prolog kommt Ivy zu Wort: Eine verzweifelte junge Frau, die - schwanger und unverheiratet, daher gegen die damaligen Moralvorstellungen der Gesellschaft verstoßend - entführt den Leser in eine düstere Welt der späten 50er Jahre nach St. Margaret's, einem Heim für ledige Mütter. Für sich selbst sieht Ivy keine Zukunft mehr, aber Elvira, ein 8jähriges Mädchen, will sie retten, ihr die Flucht ermöglichen...


    60 Jahre später, 2017:


    Sam , alleinerziehend, eine Journalistin, findet bei ihrer Großmutter, die ihre Tochter oft betreut, während sie arbeitet, durch Zufall einen Brief von Ivy, der an den Vater ihres Kindes gerichtet ist und ihn anfleht, sie abzuholen aus St. Margaret's... Auf Nachfrage Sam's zögert die Großmutter (Nana), weist jedoch darauf hin, dass sich auf dem Dachboden noch mehr Briefe Ivy's finden, die sich wohl im Nachlass des Großvaters, seines Zeichens Antiquitätenhändler und vor 2 Jahren verstorben, befunden haben. Wie sind die Briefe dort hin gekommen? Was hat Ivy mit ihrer eigenen Familie zu tun? Um diese Recherche, die in dunkle Abgründe führt, die auch den Leser nicht unberührt lassen, geht es in diesem gefühlvoll und spannend geschriebenen Roman von Emily Gunnis.


    "Die 50er Jahre waren keine gute Zeit für unverheiratete Mütter", so die Großmutter von Sam. Diese Tatsache hat sowohl mein Interesse geweckt als auch mich aufhorchen lassen: Es gibt zum einen einen spannenden Einblick in die Recherchearbeit von Sam, die hier wahrlich dunklen Geheimnissen auf der Spur ist und durch ihren journalistischen Instinkt auch auf merkwürdige Todesfälle stößt, zum anderen erlebt man die Zeit in St. Margaret's mit den jungen Frauen mit, die in einer unmenschlich harten, lieblosen Atmosphäre leben mussten, ihre Kinder gebaren - und sie zur Adoption freigeben mussten. Doch damit nicht genug, viele mussten jahrelang "angeblich" dafür arbeiten, dass sie dort ja ein Dach über dem Kopf und einen Kanten Brot zu essen hatten (oder eine dünne Suppe). Wenn ich von "Barmherzigen Schwestern" höre oder lese, stellen sich mir also nicht ganz ohne Grund die Nackenhaare angesichts dieser grausamen Behandlung und dem Missbrauch junger schwangerer Frauen, die selbst entweder Missbrauch in der Familie erleben mussten - oder selbst nichts Böses taten, die nur liebten - und dafür verachtet wurden und bestraft.


    In den Roman eingebettet ist ein familiäres Drama, dessen Auflösung man mit Spannung verfolgt; um einen Kampf ums Überleben und um ein altes Herrenhaus, das möglichst bald abgerissen werden soll, um alte, unangenehme Spuren für immer zu verwischen. So fragt sich Sam, welche Rolle z.B. Pater Benjamin spielte und ob die Oberin des Grauens noch lebt?
    Daneben ist sie selbst Mutter, von dem Vater Emmas, ihrer Tochter, getrennt lebend, dem harten Erfolgsdruck im Journalismus/Zeitungswesen ausgeliefert und fragt sich nicht nur einmal, ob sie eine gute Mutter ist, auch wenn Emma oft von einer Freundin oder der Großmutter betreut wird; dieses sehr aktuelle Zeitgeschehen besonders Alleinerziehender in all ihren erschöpfenden Ausmaßen wird sehr authentisch von der Autorin beschrieben, auch wenn es solche "Mutter-Kind-Heime", wie sie auch wohlwollend hießen, heute nicht mehr gibt; die letzten (besonders in Irland gab es viele, auch in England) schlossen erst Mitte der 70er Jahre ihre (höllischen) Pforten, dazu gibt die Autorin in ihren Anmerkungen viele Informationen.


    Sowohl Ivy als auch Sam sind sehr sympathische, emotionale und authentische Figuren, die Emily Gunnis hier detailliert zeichnet: Dies gilt auch für die Nebenfiguren wie z.B. Nana und den Kollegen von Sam: Der Autorin gelang es, all den Frauen (und auch den zwangsadoptierten Kindern) die großes Leid und Unrecht erfahren mussten, stellvertretend in Ivy eine Stimme zu geben, den Leser nachspüren zu lassen, welche Demütigungen, harte Arbeit, Verachtung und Missbrauch jene erduldeten, die sich nicht wehren konnten. Und dies jahrelang. Ein Einblick in die Heime, in denen (oft im Namen Gottes) malträtiert, schikaniert, gequält und misshandelt wurde. Ein weiteres Thema sind grausame Versuche an Kindern, die zu Testern von Medikamenten degradiert wurden und nicht selten dabei ihr Leben ließen. Ebenfalls eine grausame Tatsache: Die Verantwortlichen wurden allzu oft niemals zur Rechenschaft gezogen; Beweise vernichtet - Häuser abgerissen wie jenes "St. Margaret's".....


    Fazit:


    Ein sehr gelungener und spannend geschriebener literarischer Einblick in sog. "Mutter-Kind-Heime" der 50er und 60er Jahre, der vielen vergessenen jungen Frauen eine Stimme gibt. Dafür danke ich der Autorin, die es verstanden hat, diesen Frauen und Kindern in Ivy ein "Gesicht" zu geben, sie nicht in der Vergangenheit und Vergessenheit zu belassen, sondern ihr ungerechtes, hartes und unmenschliches Schicksal in Romanform den LeserInnen näher zu bringen. Auch die Anmerkungen (Quellenangaben, Bücher und Filme) zum Thema kann ich ebenso empfehlen wie das Lesen dieses wundervollen Romans. Daher von mir die volle Punktezahl und 5*.


    5ratten

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Die Geschichte eines Magdalenen-Heimes


    Die junge Ivy Jenkins ist ungewollt schwanger. Der Orden der Barmherzigen Schwestern führt in Preston/Sussex ein Heim für ledige Mütter. Hierher wird Ivy von ihrem Herrschsüchtigen Stiefvater abgeschoben. Im St. Margaret´s wartet sie auf die Geburt ihres Kindes. Nur ahnt niemand, was sich hinter den Mauern dieses Hauses wirklich abspielt.


    Samantha „Sam“ Harper lebt mit ihrer kleinen Tochter Emma derzeit bei ihrer Großmutter Rose. Aus Briefen, die sie im Nachlass ihres Großvaters findet, erfährt sie von Ivy und dem Ort, wo sie gelebt hat. Sofort wittert die Journalistin eine Geschichte, die sie vielleicht in ihrem Job ein Stück nach oben bringt. Nur wird St. Margaret´s in zwei Tagen dem Erdboden gleich gemacht. Sam muss sich also beeilen…



    Ich lese Geschichten, die auf zwei verschiedenen Zeitebenen spielen sehr gerne.
    Hier steige ich im Jahr 1956 bzw. 1959 ein und lerne Ivy und die Machenschaften in diesem Heim für ledige Mütter kennen. Anstatt sich nach der Geburt um ihre Kinder kümmern zu können, werden sie den jungen Frauen weggenommen und gezwungen, die Babys zur Adoption freizugeben. Ich kann und will mir gar nicht vorstellen, wie es Ivy gegangen ist, als sie ihre kleine Rose im hintersten Winkel des Hauses hat weinen und schreien hören. Auf die Briefe, die sie an ihren Freund und Kindsvater Alistair schreibt, kommt keine Reaktion. So sieht Ivy, die 1959 in die Psychiatrie abgeschoben werden soll, nur noch einen Ausweg...
    2017 findet Sam Ivys Briefe und beginnt Fragen zu stellen. Die Antworten darauf haben mich schockiert und sprach- und fassungslos zurück gelassen. Wenn ich bedenke, dass es gerade mal zwei Generationen her ist, und es diese Heime vor allem in Irland, aber auch in England wirklich gab, macht es mich wütend und tieftraurig. Es will mir nicht in den Kopf, dass die Menschen im Umfeld der Heime nichts von dem Machenschaften dort gewusst haben wollen. Und das alles geschah unter dem Deckmantel der Kirche. Unfassbar.


    Der Schreib- und Erzählstil von Emily Gunnis ist sehr lebendig und hat mich ab der ersten Seite gefesselt. In leichten Dosen bekomme ich die unglaublichen Geschehnisse in diesem Heim vorgesetzt. Viele kleine Puzzlestücke setzen sich ganz langsam zu einem großen Bild zusammen und ich war überrascht über den für mich fast nicht vorstellbaren Ausgang der Geschichte. Ein Krimi kann an manchen Stellen nicht spannender sein.


    Die Autorin legt mir eine emotionale und fesselnde Geschichte mit einem hohen Tempo vor, die sehr gut konstruiert ist. Bei mir kochten beim Lesen immer wieder die verschiedensten Emotionen hoch. Eine Geschichte, die wütend und traurig macht, die für mich an einigen Stellen unfassbar war. Eine Geschichte, die ich genossen habe und die noch lange in mir nachwirken wird.


    5ratten

  • Gebundene Ausgabe: 400 Seiten

    Verlag: Heyne Verlag (18. März 2019)

    ISBN-13: 978-3453272125

    Originaltitel: The Girl in the Letter

    Übersetzung: Carola Fischer

    Preis: 20,00 €

    auch als E-Book und als Hörbuch erhältlich


    Sehr beklemmend, aber auch fesselnd


    Inhalt:

    Sussex, 1956. Die jugendliche Ivy ist schwanger. Ihre Eltern schieben sie in ein Heim für ledige Mütter ab. Hier herrschen strenge Nonnen. Die Zustände sind furchtbar.


    Sussex, 2017. Die junge Reporterin Samantha stößt auf einen Brief von Ivy an ihren Geliebten, in dem sie von ihren schrecklichen Erlebnissen in St. Margaret’s berichtet. Sam stürzt sich in die Recherche auf der Suche nach einer großen Geschichte - nicht ahnend, dass ihr eigenes Leben dadurch komplett auf den Kopf gestellt werden wird.


    Meine Meinung:

    Emily Gunnis erzählt sehr fesselnd und atmosphärisch. Der Roman hatte mich von der ersten Seite an in seinem Bann. Dabei mag ich sonst Geschichten, die so weit in die Vergangenheit reichen, gar nicht. Doch hier konnte ich gar nicht aufhören zu lesen. Dabei könnte ich nicht sagen, dass mir einer der beiden Haupterzählstränge besser gefallen hätte als der andere. Sie waren beide auf ihre Weise sehr spannend und berührend. Die Handlung in der Vergangenheit wirkt ziemlich beklemmend. Oft blieb mir beim Lesen einfach die Luft weg, so abscheulich wurden die Mädchen in dem Heim behandelt.


    Dachte ich anfangs noch, ich würde die Handlung schnell durchschauen, musste ich mich bald eines Besseren belehren lassen. Immer wieder sind Überraschungen eingeflochten, Wendungen, mit denen ich wirklich nicht gerechnet hatte. So blieb der Roman die ganze Zeit interessant und spannend.


    Fazit:

    Ein beklemmender, berührender und spannender Roman, der mich sicher noch einige Zeit gedanklich beschäftigen wird.


    ★★★★★