Anthony Powell - Der Klang geheimer Harmonien/Hearing Secret Harmonies

Es gibt 28 Antworten in diesem Thema, welches 5.344 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von dodo.

  • Mein Gott, Widmerpool schafft es immer wieder mich zu überraschen. Die Beschreibung seines äußeren Erscheinungsbildes war bereits alarmierend, aber seine Rede anlässlich der Preisverleihung zeigte seine neue Gesinnung, die er mit dem gleichen Fanatismus auslebt, wie seine vorherigen Wege. Ob er sich bewusst war, was die Quiggin-Zwillinge geplant hatten, vielleicht sogar dazu angestiftet hatte oder ob er genau so überrascht wurde wie die restliche Gästeschar, darüber kann ich mir nicht klar werden.

    Gwinnet erscheint mir diesmal wesentlich distanzierter als im letzten Band. Widmerpools Verhalten scheint an ihm abzuperlen. Aber auch gegenüber Emily Brightman verhält er sich sehr zurückhaltend.


    Im vierten Kapitel schweifen die Gedanken öfters in die Vergangenheit und man hat den Eindruck, dass Nick nun in einem Alter ist, in dem die Rückblicke an Häufigkeit zunehmen. Er müsste jetzt etwa Ende 60 sein, nehme ich an. Ich verliere leider ständig den Überblick über die Zeitrechnung.

    Domherr Fenneau ist ein eigentümlicher Herr mit seinem Hang zur Alchemie und mit vielen Leuten bekannt, die auch wir kennen. Seine Bekanntschaft mit Murtlock verwundert kaum. Allerdings dass er ihn bereits als Kind kannte.

    Eine Allianz zwischen Murtlock und Widmerpool stelle ich mir nicht erstrebenswert vor, da muss ich dem Domherren zustimmen. Aber diese beiden Kräfte scheinen unabwendbar aufeinander zuzusteuern. :angst: Da kann man nur hoffen, dass die Opfer nicht zu zahlreich sind. Es würde mich interessieren, wer noch alles zu Widmerpool Umkreis gehört.

  • Widmerpool hat einfach keine Ahnung, wer er wirklich ist. Er sucht sich eine Rolle, die er verbissen erfüllen will und dabei erstaunlich erfolgreich ist. Bis er an die gläserne Decke stößt, weil er nicht authentisch ist. Dann sucht er sich eine neue Rolle und beginnt von vorn.

  • Genau so ist es. Das hast du auf den Punkt gebracht. Seine Identitätssuche spürte man bereits von Anfang an. Da tat er mir noch etwas leid. Inzwischen ist er mir oft nur noch unsympathisch. Das machte vielleicht auch seine anfängliche Beliebtheit aus, die sich im Laufe der Zeit bestimmt bei den Lesern verflüchtigt hat.

  • Das hast Du wirklich schön zusammengefasst, dodo! Wenn er nicht so grottenunsympathisch wäre, müsste man ihn wirklich bedauern, dass er mit sechzig (oder wie alt er jetzt auch sein mag) immer noch keine Ahnung hat, wer er eigentlich ist, und sich mit schöner Regelmäßigkeit komplett in eine neue Identität stürzt :rollen:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Das ist ja diesmal wieder sehr unterhaltsam! Widmerpool und auch Russell Gwinett halten durch ihre überraschenden und Klatsch herausfordernden Aktionen Jenkins' und unser Interesse in Gang: Warum Gwinett nun Fiona geheiratet hat, erschließt sich mir bisher nicht. Im fünften Kapitel werden nochmal Gwinetts nekrophile Neigungen erwähnt, also habt ihr wohl Recht.

    Die Hochzeit d.es Cutts-Sprosses führt nochmal die Tollands und ihre Trabanten zusammen, sodass wir kurz vor dem Ende des Romanzyklusses von einem Teil des Personals Abschied nehmen können. Und auch Bithel taucht nochmal auf, pikanterweise ebenfalls in Scorpios Sekte. Ich bin sehr gespannt, wie Powell den Schluss gestaltet und uns Langzeitleser entlässt.

  • Warum Gwinett nun Fiona geheiratet hat,

    Ja, darüber habe ich mich auch sehr gewundert. Bei der Hochzeit hat Powell auch sehr schön gezeigt, wie schwierig der Ausstieg aus einer Sekte ist. Dabei hat er auf allzu große Dramatik verzichtet. Die Szene hat gereicht und für sich gesprochen.

  • Nun bin ich fertig und schon mit einer gewissen Melancholie erfüllt.


    Der letzte Band war nochmal ziemlich unterhaltsam und ein guter Abschluss zur Reihe. Die Romanreihe endet, wie sie begann: Arbeiter scharen sich um ein kleines Feuer, während einzelne Schneeflocken rieseln. Dann kommt in einem langen Zitat Jenkins literarischer Ziehvater, Robert Burton, aus seiner "Anatomie der Melancholie" zu Wort, das die Vielfalt und ewige Wiederkehr menschlichen Lebens zum Ausdruck bringt und damit auch auf diesen Reigen aus Plaudereien, Innen- und Außensichten, Gestalten aus sechzig Jahren englischer und europäischer Zeitgeschichte in literarischer Verdichtung verweist, die Powell um uns als Leser tanzen ließ.
    Diese Romanserie hat mir sehr viel Lesespaß und einige Einsichten gebracht. Powell ist sicher kein Shakepeare, aber auch er erschafft eine Welt um uns, sicherlich mit einigen Schwächen, wenig Konturen in der Erzählerfigur - wenn das vielleicht auch wohldurchdachte Taktik ist - und eine Beschränkung auf die Ober- und obere englische Mittelschicht, die natürlich die Perspektive verengt, aber auch die Sicht auf ihre eigenen Schwächen verstärkt. Dazu kommt die geschliffene Sprache, die selbst in der Übersetzung großen Lesegenuss bereitet.
    Ich bin deshalb dem Übersetzer Heinz Feldmann und dem Elfenbein-Verlag sehr dankbar, dass sie das Wagnis eingegangen sind, diesen Zyklus so gut ins Deutsche übersetzt und in so einer schönen Ausgabe präsentiert zu haben. Anmerken möchte ich, dass in den letzten Bänden das Lektorat manchmal recht gehäuft Rechtschreibfehler, insbesondere in der Schreibung der Höflichkeitsform, übersah, da könnte nachgebessert werden.

    Es hat Freude gemacht, mit euch in allen diesen Monaten und Jahren Lesewochen in der Welt des "Tanzes" zu verbringen !:tanzen:

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • In diesem letzten Teil des Buches kam es nochmals zu geballten Treffen alter Bekannter. Die Hochzeit von Fionas Bruder war für mich der Höhepunkt. Powell brachte mit Bithel die militärische Vergangenheit ein wenig zurück und vermischte seine noch verbliebenen Figuren ganz munter auf diesem Fest.

    Zwar bekamen wir Isobel diesmal etwas mehr zu lesen, allerdings fiel mir auf, dass wir mehr über ihre Nichten und Neffen erfuhren, als über ihre eigenen Söhne.


    Widmerpools Ende passte zu ihm. So gönne ich ihm seinen letzten kurzen Triumph und nehme Abschied von einem, der nie recht wußte wohin er gehört und manchmal mein Mitleid hatte. Aber könnte man einen der anderen als wirklich glücklich bezeichnen? Irgendwie bleibt bei mir der Eindruck von vielen tragischen Gestalten zurück. Aber wer weiß, was Nick uns so alles unterschlagen hat...


    Mit dem spätherbstlichen, ja schon winterlichen Bild in Nicks Garten, dem Verbrennen überflüssiger, abgestorbener Dinge und Gartenpflanzen, des Endes der Arbeitsschicht im nahen Steinbruch endet das Buch und schließt sich der (Jahres-)Kreis. So wie Nicholas erste Lebensjahre für uns im relativen Dunkeln blieben, so werden es auch seine letzten sein. Viele von damals sind nicht mehr da und es wird Zeit die Bühne frei zu machen für ein neues Ensemble, für einen neuen Tanz der Zeit.


    Die Einblicke in das Leben der gehobenen Gesellschaft war sehr interessant. Manchmal war es mir zu langatmig, zu detailiert in seiner Beschreibung, hin und wieder musste ich mich zum Weiterlesen animieren, aber ich bin froh, dass ich drangeblieben bin.

    Wie finsbury vielleicht auch, war ich angenehm überrascht, dass der Verlag den gesamten Zyklus als sehr schön gestaltete Hardcoverausgabe herausgebracht hat. Ich hätte mir nur gewünscht, dass das Handbuch dazu eher erschienen wäre.


    Ich danke euch allen für die interessante Leserunde über diese lange Zeit, die mich manche (Lese-)Tiefs leichter überstehen ließ. :)

  • Mit "Der Klang geheimer Harmonien" hat Powell ein fulminantes Finale seines Zyklus vorgelegt. Er hat den Kreis geschlossen, einen letzten Höhepunkt mit Widmerpools rasantem Abstieg bis zum bitteren Ende geschaffen und mir den Abschied von den vielen Charakteren mit ihren Macken und Kanten erleichtert.


    Mir persönlich hat der Zyklus als gesamtes sehr gut gefallen. Es gab Bücher, die waren schwächer und es gab Bücher, die mich mehr gefesselt haben. Aber im Großen und Ganzen war der Zyklus eine runde Sache. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in ein paar Jahren noch einmal bei Jenkins und Co vorbei schauen werde.