Anthony Powell - Der Klang geheimer Harmonien/Hearing Secret Harmonies

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  • Hab mal gerade angefangen, und schon haben wir wieder eine neue markante Figur: Scorpio Murtlock. Im Jahr der Hippis, 1968 , landet eine bunte Truppe im Zigeunerwagen auf Jenkins`Anwesen, und Murtlock ist ihr Anführer. Sehr hübsch finde ich, wie Jenkins sich zu einem Wettbewerb mythologischer und rhetorischer Art mit Murtlock aufgefordert fühlt. Und es gibt wieder so schöne Sätze:


    Zitat


    Fionas schulische Auszeiten hatten ihre Bildung nicht ausreichend beeinträchtigt, um sie daran zu hindern, ihren Lebensunterhalt in den journalistischen Außenbezirken der Hochglanzmagazine zu verdienen.

    Ich war schon etwas befremdet bezüglich der möglichen Entfremdung der armen Flusskrebse in einem Opferritual der Harmony.Sekte, aber anscheinend sterben sie nur den alltäglichen kulinarischen Fresstod, was für die armen Viecher aber wohl auch keinen großen Unterschied ausmacht.

  • Kapitel 1


    Das war ja mal ein ulkiger Anfang und was ganz anderes, als ich erwartet hatte!


    Das Hippie-Zeitalter ist also auch in Jenkins' Welt angekommen :lachen: Die Erwähnung von T-Shirts und Computern mutet irgendwie merkwürdig an in dieser Romanumgebung, die so sehr der Vergangenheit verhaftet scheint.


    Die esoterischen Diskussionen um die moralischen Implikationen des Flusskrebsfangens waren ja wohl Satire pur :lachen: Und dieser schräge Hippieprophet (Scorpio? Im Ernst? Wohl eher Age of Aquarius ...) hat seine Anhänger ganz schön im Griff, ich bin gespannt, wann und wo der wieder auftaucht.


    Jenkins hingegen merkt, dass sich hier eine parallele, ebenfalls ziemlich in sich geschlossene neue Welt entwickelt hat, zu deren Codes und Besonderheiten er keinen Zugang hat. Eine viel stärkere Abkopplung der jüngeren von der älteren Generation, als sie bei ihm selbst stattgefunden hat.


    Das naturnahe Hippieleben hat mich ein wenig an diesen Typen erinnert, der in einem der Bände aus der Zeit des 1. Weltkriegs vorkam und auch in wallenden Gewändern draußen seine Übungen absolviert hat. Ich komme bloß nicht mehr auf den Namen :gruebel:


    Beiläufig wie immer gibt es auch Neuigkeiten (oder teilweise auch nicht-mehr-so-Neu-igkeiten) von den Tollands. Norah und Eleanor sind schon lange getrennte Wege gegangen und Eleanor ist tot. Und Hugo ist schwul? Wussten wir das?

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich war schon etwas befremdet bezüglich der möglichen Entfremdung der armen Flusskrebse in einem Opferritual der Harmony.Sekte, aber anscheinend sterben sie nur den alltäglichen kulinarischen Fresstod, was für die armen Viecher aber wohl auch keinen großen Unterschied ausmacht.

    :totlach:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Das naturnahe Hippieleben hat mich ein wenig an diesen Typen erinnert, der in einem der Bände aus der Zeit des 1. Weltkriegs vorkam und auch in wallenden Gewändern draußen seine Übungen absolviert hat. Ich komme bloß nicht mehr auf den Namen

    Das war Dr. Trelawney. Als er später völlig abgehalftert war, hat sich dann Mrs. Erdleigh um ihn gekümmert.

    Einmal editiert, zuletzt von dodo ()

  • Danke! Ich hab noch überlegt, ob das derselbe war. Auf den Doktor bin ich sogar noch gekommen :lachen:

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    Leonard Cohen





  • Dr. Trelawney und seine Sekte werden ja auch von Jenkins ausdrücklich als Vorläufer der Harmony-Sekte genannt.
    Ganz schön finde ich übrigens, dass Isobel in diesem Band endlich mal eine größere Rolle spielt. Anscheinend ist Jenkins inzwischen als arrivierter Schriftsteller auf seinem Landsitz sesshaft geworden und insofern häufiger in der Gesellschaft seiner Frau.

    Im zweiten Kapitel begegnen wir unserem vertrauten Widmerpool in gewandelter Form wieder. Nach langen Jahren in den USA, abgemagert und rhetorisch geschickt, ist er nun Kanzler einer neu gegründeten englischen Universität und muss sich mit Farbbeuteln von Demonstrantinnen bewerfen lassen, pikanterweise den Zwillingstöchtern der Quiggins. Auch sonst finden sich im zweiten Kapitel wieder viele alte Bekannte aus dem Umkreis der Magnus-Donners sowie einige, die im letzten Band während der Venedig-Konferenz wichtig wurden. Im Moment finde ich die Vielzahl der Personen ein wenig anstrengend: Ich schlage mehr in der Konkordanz nach, als dass ich im Roman weiterkomme.

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Das zweite Kapitel hat bei mir den Eindruck des Abschieds erweckt. Jenkins berichtet zwar Neues aus dem in 11 Bänden eingeführten Personenkreis, gleichzeitig gibt er sich häufig in Reminiszenzen über sie hin. Zum Beispiel verknüpft er die Quiggin-Attacke auf Widmerpool mit der Zuckerstreueraffäre in den 20er Jahren.


    Neugierig bin ich ja, wie es mit Scorpio Murtlock* weiter gehen wird. Mir ist dieser Sektenguru ja unheimlich - so harmlos wie Trelawney scheint er mich nicht zu sein. Deswegen konnte ich die Erleichterung der Familie in Bezug auf ihn nicht verstehen. Er ist zwar scheinbar verantwortlich dafür, dass Fiona Struktur in ihr bis dahin chaotisches Leben gebracht hat, aber das war es auch schon. Irgendwie wirkt er wie ein Charles Manson Typ auf mich. Natürlich muss man in Betracht ziehen, dass es die 60iger sind. Die Gefahr, die von Sekten und charismatischen Führern ausgehen kann, wird im Bewusstsein der Gesellschaft (noch) nicht verankert gewesen sein.


    *Mich erinnert der Name ja an Harry Potter. Dort könnte ein Charakter wie Scorpio Murtlock locker als Todesser durchgehen.

  • Btw: War es schon das zweite Kapitel, in dem Jenkins über das Schicksal von Pamela Widmerpool und den "speziellen" Neigungen von Russen Gwinnett eingeht? Echt abartig!

  • *Mich erinnert der Name ja an Harry Potter. Dort könnte ein Charakter wie Scorpio Murtlock locker als Todesser durchgehen.

    Der Gedanke ist mir auch gekommen :breitgrins: Der Sohn von Draco Malfoy heißt doch Scorpius :lachen: Auch bei der Erwähnung des "hippogryph" in der Orlando-Geschichte musste ich an HP denken.

    Btw: War es schon das zweite Kapitel, in dem Jenkins über das Schicksal von Pamela Widmerpool und den "speziellen" Neigungen von Russen Gwinnett eingeht? Echt abartig!

    Ja :kotz: Ist das eklig!

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Fasziniert hat mich ja das Achselzucken und die Nonchalance, mit der alle Gwinnetts Nekrophlie abgetan haben. Als wäre das das natürlichste auf der Welt, einfach nur eine exzentrische Neigung.


    Wobei ich ja glaube, dass das Kapitel um Gwinnett, das Buch und dem eventuellen Preis dafür, nur dazu dient, um Widmerpool wieder eine Bühne zu bereiten. Zugegeben, nachdem ich das vierte Kapitel schon gelesen habe, bin ich etwas weiter. Nur soviel sei verraten: unser guter alte Widmerpool übertrifft sich wieder einmal selbst.

  • Fasziniert hat mich ja das Achselzucken und die Nonchalance, mit der alle Gwinnetts Nekrophlie abgetan haben. Als wäre das das natürlichste auf der Welt, einfach nur eine exzentrische Neigung.

    Ja, echt seltsam!


    Mehr zu Kapitel 2, wenn ich meine Notizen wieder zur Hand habe.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich werde diesmal etwas langsamer vorrankommen und habe erst das 1. Kapitel gelesen.

    Der Einstieg war meiner Meinung nach ganz anders als in den Vorgängerbänden. So locker, so modern.


    Bei der Gruppe um Scorpio Murtlock fühlte ich mich auch sofort an Dr. Trelawney erinnert. Mit dem Einordnen der Namen habe ich noch ein wenig Probleme, sicher, weil man plötzlich junge Erwachsene präsentiert bekommt, die man als Kinder gar nicht wahrgenommen hat.


    Hugo Holland war doch der letzte Überlebende männliche Erbe der Holland-Familie, der auch kein Interesse an dem Erbe hatte. Wenn er dann auch noch homosexuell ist, wird der Titel und das Erbe sicher an einen Cousin übergegangen sein. Viel meine ich hat man von ihm nicht erfahren, nur dass er eben etwas chaotisch war.


    Die esoterischen Diskussionen um die moralischen Implikationen des Flusskrebsfangens waren ja wohl Satire pur :lachen: Und dieser schräge Hippieprophet (Scorpio? Im Ernst? Wohl eher Age of Aquarius ...) hat seine Anhänger ganz schön im Griff, ich bin gespannt, wann und wo der wieder auftaucht.

    Die Themen scheinen sich geändert zu haben, aber die Art der Diskussion ist gleich geblieben. Sehr amüsant! :)


    Im Moment fühle ich mich ein wenig hilflos ohne mein Begleitbuch, das ich sicher irgendwo verwahrt habe und nun einfach nicht finden kann. :spinnen: Da merkt man doch mal wieder, wie schnell man sich an Hilfsmittel gewöhnen kann.

  • Was mir vor allen Dingen an Kapitel zwei aufgefallen ist, war, dass recht viele Männer als homosexuell eingestuft wurden. Gerade so, als ob es damals "in" gewesen wäre.

    Ich meine, diese angebliche Neigung Gwinnets wurde auch schon im letzten Band angedeutet. Allerdings habe ich da nicht verstanden, oder war es gar nicht herauszulesen, dass sich Pamela deswegen umbrachte.


    Scorpio Murtlock ist sicher nicht so harmlos wie Dr. Trelawney war.


    Es gibt also einen Magnus-Donners-Gedächtnispreis. Als Nick erklärte an welche Autoren dieser Preis vergeben wird, war doch schon klar, dass Gwinnet mit seiner Biographie über X. Trapnel wieder auftauchen würde. Es wird interessant werden, wie Widmerpool darauf reagieren wird, denn ich bin davon überzeugt, dass der Preis in diese Richtung vergeben wird.


    Überhaupt, Widmerpool! Der hat sich ja verändert. Und wieder wird er von Frauen attackiert! Seine Reaktion darauf war sehr gefasst und "schlagfertig".


    So sind erneut viele alte Bekannte aufgetaucht, wenn teilweise auch nur noch in Erzähllungen.

  • dass recht viele Männer als homosexuell eingestuft wurden. Gerade so, als ob es damals "in" gewesen wäre.

    Weniger "in" als in Jenkins Künstler-Intellektuellen-Kreisen einfach akzeptiert und als natürlich betrachtet. Wenn sie Gwinnetts Nekrophilie nicht schockiert, kann das bisschen Homosexualität keinen Skandal mehr darstellen. Es ist einfach nur Tratsch - so wie sie sich im Band davor über Widmerpools Voyeurismus unterhalten haben.

  • Ich habe nun auch das zweite Kapitel beendet und frage mich, wie ihr auf darauf kommt, dass Gwinnet besonders ekligen Neigungen fröhnt. Okay, Jenkins nennt es Nekrophilie, aber irgendwo im Kapitel erläutert er auch , dass sich Gwinnet nur von er Nähe des Todes fasziniert zeigt. Dass er dabei irgendwas Abartiges treibt, habe ich dem Kapitel nicht entnommen.

    Das Kapitel zeigt im zweiten Teil wieder diese Plauderhaltung, die uns schon im letzten Band aufgefallen ist und du, dodo, ja auch oben erwähnst. Sunny Farebrother hat am Grab von Jimmy Stripling anscheinend Scorpio mit seinem Gefolge getroffen, so dass wir davon ausgehen können, dass es zwischen Stripling und ihm gar nicht zu einer richtigen körperlichen Beziehung gekommen ist, denn wir haben ja schon von einem anderen Fall gehört, dass sich Scorpio wohl, indem er solche Beziehung als möglich erscheinen lässt, sich bei alleinstehenden Männern einnistet, ohne ihnen zu Gefallen zu sein.

  • Die sehr häufigen Verweise auf Homosexualität sind mir auch aufgefallen. Vielleicht, weil das zum damaligen Zeitpunkt allmählich mehr Akzeptanz gefunden hat?


    Ziemlich witzig fand ich zu Beginn des 2. Kapitels den Kommentar zur Orlando-Handlung: "Only lost foolishness was missing from this vast stratospheric Lost Property Office, where by far the largest accretion was lost sense." :breitgrins:


    Die Parallelen zwischen Murtlock und Trelawney wird dann sogar irgendwann erwähnt, hätte ich mir also gar nicht den Kopf zerbrechen müssen :breitgrins: Ich denke auch, dass Murtlock weniger harmlos ist als Trelawney ...


    Widmerpool hat sich mal wieder gewandelt, ist der jetzt Anarchist oder sowas? Auf jeden Fall fand ich die Farbbeutelszene lustig. Er hat ja auch schon jahrzehntelang nichts mehr übergeschüttet bekommen. War neben der Szene mit Barbara Goring und dem Zucker nicht auch im Internat mal was mit einer zermatschten Banane?


    In diesem Band gefällt mir, dass kräftig in der Mottenkiste gewühlt wird. Das mit den 7 Todsünden ist ja schon ewig her, ebenso das erste Auftauchen von Jimmy Stripling und sein blöder Streich mit Farebrother.


    Der wiederum hat ja tolles Lob für seine verstorbene Frau übrig. "A wonderful woman, Geraldine. Marvellous manager. Knew just where to save. Never had any money of her own, left a sum small but by no means to be disregarded." Das scheint ja alles zu sein, worauf es in diesen Kreisen ankommt. Ätzend.


    Mit Delavacquerie haben wir nach Gwinnett nun wieder einen Außenstehenden, der mit interessanten Entdeckungen in die alteingesessene Runde platzt - als ob die aus eigener Kraft nichts Neues mehr zustande brächte.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich habe nun auch das zweite Kapitel beendet und frage mich, wie ihr auf darauf kommt, dass Gwinnet besonders ekligen Neigungen fröhnt.

    In meiner deutschen Ausgabe auf Seite 89 steht:


    Zitat

    "Sagen sie mir, Nicholas, hat nicht Pamela Widmerpool eine Überdosis genommen, um verfügbar zu sein für den nekrophilen Professor?"


    Das klingt schon sehr danach.

  • Vielen Dank, yanni. Das könnte natürlich sein, wenn ich mir das auch kaum vorstellen kann.

    Ich bin mit dem dritten Kapitel durch. Die Stinkbomben-Attacke auf das edle Preisverleihungsdiner war schon köstlich. Davor zeigte Widmerpool wieder die gleiche Verbissenheit wie immer: Ob nun als aufstrebender junger Banker, als Offizier im Zweiten Weltkrieg, als Labor-Politiker mit stalinistischen Sympathien oder nun als anarchischer Gesellschaftskritiker mit einem Herz für die revoltierende Jugend: Bei ihm geht es nie entspannt zu, ständig hat man das Gefühl, dass er sich immer mit seinen eigenen, zu hoch angelegten Maßstäben misst und deshalb nie genügen kann. Mit so einem kann man natürlich auch nicht entspannt reden und arbeiten, geschweige denn befreundet sein oder LIebe empfinden, das ist wohl das Drama seines Lebens. Er ist die verbissene Seite dieses Tanzes zur Musik der Zeit, der zwar immer wieder neue Facetten an einzelnen Personen des Romans zum Vorschein bringen kann, aber nicht grundsätzliche Persönlichkeitsstrukturen umwirft.