Mirko Bonné - Nie mehr Nacht

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 767 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Markus Lee fährt gemeinsam mit seinem Neffen in die Normandie. Er soll dort Brücken zeichnen, die bei der Landung der Alliierten 1944 eine wichtige Rolle spielten, sein Neffe will zu einer befreundeten Familie, die dort in einem ausrangierten Hotel das Haus hüten und Vögel beobachten. Es ist das erste Mal, dass die beiden eine längere Zeit miteinander verbringen seit dem Selbstmord von Markus Schwester, Jesses Mutter.


    Vor dem Lesen war ich irgendwie der Überzeugung, dass es einen Zusammenhang zwischen den Figuren und der Alliiertenlandung, gäbe, ich dachte es wären Engländer o.ä., aber die Lees sind dann doch eine nach außen normale Hamburger Familie. Zentrale Person ist eigentlich Markus, ein durchs Leben mäandernder Zeichner, nun verloren ohne seine Schwester. Nach zwei Dritteln verschwinden die anderen Figuren auch aus der Handlung und man kann stattdessen Markus dabei beobachten, wie er immer weiter abdriftet, wäre er ein reales Familienmitglied wäre es an der Zeit, sich große Sorgen um ihn zu machen.


    Gestört haben mich primär Details im Verhalten der Figuren, gerade der Jugendlichen, die ich oft nicht realistisch und schon gar nicht sympathisch fand. Die Gesamtstimmung hingegen fand ich gelungen dargestellt, auch wenn sie eher unbehaglich war. Es ist ein trüber Roman, das beschriebene Novemberwetter an der einsamen Küstenlandschaft, spiegelt auch die Stimmung wieder. Das Ende ist ein Auftauchen aus der Düsternis, „nie mehr Nacht“.


    3ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

  • Markus Lee ist auf dem Weg in die Normandie, seinen 15jährigen Neffen im Schlepptau. Er hat den Auftrag, für ein D-Day-Special eines Kunstmagazins Brücken(ruinen) zu zeichnen, die bei den Kämpfen 1944 beschädigt oder ganz zerstört wurden. Das passt Jesse, dem Sohn von Markus‘ Schwester Ira, die sich einige Jahre zuvor das Leben genommen hat, ganz hervorragend, denn genau in der Gegend wohnt momentan sein bester Freund, dessen Eltern ein leerstehendes Hotelgebäude hüten.


    Die lange Fahrt ist eine ziemliche Geduldsprobe für Markus, der kein sonderlich enges Verhältnis zu seinem Neffen hat. Über Iras Suizid ist er nie hinweggekommen und sieht in dem Jungen immer wieder seine Schwester.


    Die Halbinsel Cotentin mit den Landungsstränden und den zahlreichen Gedenkstätten, Mahnmalen und baulichen Überbleibseln aus dem Krieg wird für Markus zu einem Ort, der ihn komplett aus seinem sowieso nicht besonders zielgerichteten Leben reißt und ihn nochmals ganz tief in die Trauer und den Schmerz über den Verlust seiner Schwester eintauchen lässt.


    „Haltet die Welt an, ich will aussteigen“ trifft Markus‘ Gemütszustand wohl ganz gut. Er war schon immer anders als die anderen in seinem Leben, seine Eltern haben seine künstlerischen Ambitionen als „Kritzelei“ abgetan, seine Ehe ist gescheitert und er lebt von Auftragsarbeiten, weil er es als Künstler auch nie nach oben geschafft hat. Seine Schwester hatte zumindest in Teilen Verständnis für ihn, doch sie ist am Leben zerbrochen, litt an Depressionen und sah schließlich keinen Ausweg mehr, als sich das Leben zu nehmen.


    Die Konfrontation mit Krieg, Zerstörung, Leid und Tod an den D-Day-Schauplätzen und eine Zufallsbegegnung spülen die nie gänzlich aufgearbeiteten Gefühle nach oben und lassen für Markus ein geordnetes Leben endgültig sinnlos erscheinen.


    Irgendwie lässt mich dieses Buch etwas ratlos zurück. Mirko Bonné schreibt sehr eloquent, beschreibt Menschen, Landschaften und Gemütszustände sehr präzise, doch kam bei mir häufig nur Wortgeklingel an statt Emotionen, Verständnis oder wenigstens ein Zugang zu dem spröden Protagonisten, der sich für meine Begriffe bei allem Mitgefühl für seine Situation ein bisschen zu sehr in Selbstmitleid und Nihilismus suhlt. Die Parallelen, die immer wieder zu Gottfried Kellers „grünem Heinrich“ gezogen werden, empfand ich als arg bemüht und völlig überflüssig.


    Die Darstellung von Jesse und den anderen Jugendlichen hat mich auch nicht überzeugt, und richtig geärgert hat mich geographischer Quatsch wie verdrehte Himmelsrichtungen bei der Beschreibung der Landungsstrände.


    Und doch hat mich etwas dranbleiben lassen, bei allem Unverständnis für Markus‘ Denken und Handeln wollte ich doch wissen, wie es weitergeht mit ihm, Jesse, der Erinnerung an Ira und dem Versuch, aus allem auszusteigen. Das Ende empfand ich dann als erstaunlich versöhnlich, wenn auch - wie ein Großteil des Buches - etwas konstruiert.


    Im Gedächtnis bleiben wird mir das Buch aber hauptsächlich als Vertreter einer Art zeitgenössischer deutscher Literatur, mit der ich einfach nicht viel anfangen kann, einer Verliebtheit in die eigene Wortgewandtheit, die mir zu gewollt ist und einer schwerblütigen, verkopften Art zu erzählen, die ganz große Sehnsucht nach der Umsetzung desselben Stoffes durch einen britischen oder amerikanischen Autoren weckt (oder durch einen Erzählkünstler wie Benedict Wells, eben jemanden, der mit Tiefgang erzählen kann, ohne dass man gleich das Gefühl hat, einen Mühlstein um den Hals zu tragen).


    3ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Die Darstellung von Jesse und den anderen Jugendlichen hat mich auch nicht überzeugt, und richtig geärgert hat mich geographischer Quatsch wie verdrehte Himmelsrichtungen bei der Beschreibung der Landungsstrände.

    Autsch, die geographischen Patzer habe ich nicht bemerkt, aber so was darf Autor:innen nun mal nicht passieren.

  • Nein - und schon gar nicht bei so bekannten Dingen wie der Reihenfolge der Landungsstrände!

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen