Jo Walton - Das Jahr des Falken / Half a Crown (Inspector Carmichael 3)

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    enthält Spoiler zu den Vorgängern


    Seit den Ereignissen der Vorbände sind ein paar Jahre vergangen, Chief-Inspector Carmichael sitzt an der Spitze der „Wacht“, dem britischen Pendant zur Gestapo(? - hier lassen mich meine Kenntnisse der NS-Zeit im Stich, ich weiß nicht genau, ob der Vergleich passt) Sein Plan, die Position zum heimlichen Schutz von Verfolgten zu nutzen ist bislang aufgegangen, sein Doppelleben und das seiner Verbündeten unentdeckt. Da hilft es, dass seine Vorgesetzten sich sicher sind, ihn fest in der Hand zu haben.

    Die zweite Hauptrolle spielt Elvira, sein Mündel, Tochter des im Vorband verstorbenen Polizisten Royston. Von Politik völlig unbefleckt sieht sie den im Vorfeld einer Friedenskonferenz stattfindenden Fackelzug mit ein paar Juden drin, die man bewerfen kann, als harmlose Unterhaltung an. Als die Angelegenheit aus dem Ruder läuft, Redner auftreten, denen die Briten zu lasch mit ihren Juden oder sonstigen „Staatsfeinden“ umgehen und eine Straßenschlacht beginnt, gerät Elvira salbst in die Fänge des Systems.


    Die ganze Situation ist also noch übler geworden seit den Vorgängern und ich habe mich gefragt, wie die Autorin das enden lassen will. Angesichts dieses Regimes, das für mich bereits kriminell genug handelt, hat sie sich diesmal den Kriminalfall als Handlungsfaden vollkommen gespart, wenn überhaupt handelt es sich um einen Agententhriller.


    Das Ende war mir dann aber etwas zu englisch und etwas zu einfach,



    Da mir aber nichts Besseres einfällt, bin ich trotzdem recht zufrieden, insgesamt eine beeindruckende Trilogie mit einem bedrückenden Thema.


    4ratten

  • Seit dem aufsehenerregenden Anschlag auf Hitler und den britischen Premierminister Mark Normanby bei einer Shakespeare-Theateraufführung sind zehn Jahre vergangen. Hitler hat unversehrt überlebt und regiert nach wie vor in Deutschland, Normanby kam nicht unbeschadet davon, ist jedoch in Großbritannien nach wie vor an der Macht.


    Es brodelt im Land, auch die Rechte ist gespalten. Bei einem Fackelmarsch mit Kundgebung kommt es zu Unruhen und anschließenden Verhaftungen. Auch die neunzehnjährige Elvira Royston wird in Gewahrsam genommen - dabei wollte sie nur einen unterhaltsamen Abend erleben und hat sich über die Politik noch nie groß Gedanken gemacht. Doch Elviras Vormund ist Peter Carmichael, Kommandeur des "Watch" genannten Pendants zur deutschen Gestapo, und er ist sich ziemlich sicher, dass Elvira als Druckmittel gegen ihn eingesetzt werden soll, damit er weiterhin brav auf Linie bleibt, zumal in London nur wenige Tage später eine große internationale Friedenskonferenz stattfinden soll. Denn trotz seines hohen Ranges hat Carmichael nicht nur eine homosexuelle Beziehung zu verbergen und ist dadurch höchst angreifbar.


    Im letzten Band der "Small Change Trilogy" steht kein Mordfall und keine Verschwörung zum Attentat im Mittelpunkt, die Carmichael aufklären müsste - schließlich hat er schon am Ende des 2. Teils den Arbeitsplatz gewechselt und steckt mitten im politischen Tagesgeschehen. Dieses ist Stoff genug für einen düsteren Politthriller mit rivalisierenden Strömungen innerhalb der herrschenden Partei und gesetzlich sanktionierter Diskriminierung von Juden und anderen unerwünschten Menschen. Carmichael weiß nie, wem er wirklich trauen kann, und die furchtbare Rolle, in die er Tag für Tag schlüpfen muss, belastet ihn sehr, gerade weil ihm klar ist, dass es keinen gangbaren Ausweg für ihn gibt, wenn er nicht seine Liebsten gefährden will.


    Mit der Eskalation auf dem Fackelzug und der Verhaftung der politisch unbedarften Elvira wird das Eis auf einen Schlag für ihn noch viel dünner, und es scheint unausweichlich, dass er in eine fatale Abwärtsspirale aus Verrat und Gewalt hineingesogen wird.


    Waltons alternatives Großbritannien ist in diesem letzten Teil noch trostloser, düsterer und menschenverachtender geworden, was sich aber nicht in epischen Schilderungen zeigt, sondern durch oft ganz subtil am Rande erwähnte Kleinigkeiten wie die Pläne zur Errichtung eines Konzentrationslagers in Gravesend. Die unschuldig im Gefängnis gelandete Elvira schildert die Willkür des totalitären Systems aus ihrer eigenen, oft recht naiv wirkenden Sicht, und die zweite Erzählperspektive, wie immer die des ewig zweifelnden und innerlich zerrissenen Carmichael, der hier mehr als je zuvor am Rande des Abgrunds steht, ist die perfekte Ergänzung dazu.


    Ohne Effekthascherei und blutige Gewaltszenen beschwört Jo Walton ein politisches Gruselszenario erster Güte herauf, das mich gleichermaßen atem- wie fassungslos immer weiterlesen ließ. Ein mehr als würdiger Abschluss der Trilogie.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • illy :

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