Lou Andreas-Salomé - In der Schule bei Freud

Es gibt 13 Antworten in diesem Thema, welches 2.112 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Konstanze.

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    Ich besitze nur diese ältere Version hier (Ullstein, 1989):

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    Aber da funktioniert der Bild-Link leider nicht.


    Im Rahmen des 17. TAMKATZ-Wettbewerbs versuche ich erneut, mich durch das Ding zu arbeiten, nachdem ich vor Jahren schon mal abgebrochen habe.

    Kurze Eindrücke zu jedem Leseabschnitt zu posten, hält mich diesmal hoffentlich bei der Stange :saint:

  • Kapitel I. WIEN, 25. Oktober 1912 bis 6. April 1913



    Seite 1 - 28:

    Habe begonnen und sofort wieder gemerkt, warum ich das Buch schon mal zur Seite gelegt hatte.


    Es hat 224 Seiten Text und anschließend gute 60 Seiten Erläuterung. Lou schreibt tatsächlich ausschließlich im Stil eines persönlichen Tagebuches. Das heißt teilweise nahezu stichpunktartig kurzgefasst und dann wieder die damals typischen Mega-Schachtelsätze.

    Interessant sind ihre eigenständigen Gedankengänge. Ihr hoher Intellekt wird sehr deutlich.


    Ausschließlich zum vor Ort Studium der Psychoanalyse reist sie nach Wien.

    Interessant auch, dass sie sowohl mit Freud einen sehr engen, scheinbar schon freundschaftlichen Umgang hatte. Aber ebenso Adler und Konsorten besucht hat und sich auch mit den Theorien Jungs, Stekels u.a. ausführlich und kritisch auseinandergesetzt hat. Und das alles, während die Abspaltung dieser ehemaligen Freud-Schüler/Anhänger in vollem Gange war.

    Klug wie sie war, ist sie einfach offen damit umgegangen und Freud hat eine beachtliche Ausnahme für sie gemacht:

    "Wir haben uns genötigt gesehen, jeden Verkehr zwischen der Adler'schen Abspaltung und unserer Gruppe zu unterbinden, und auch unsere ärztlichen Gäste sind gebeten, zwischen dem Besuch hier oder dort zu wählen. (...) Es fällt mir nicht ein, für Sie, gnädige Frau, solche Beschränkungen geltend zu machen." (Seite 23)

    Jaja, unsere charmante Lou. Selbst den guten Sigmund scheint sie um den Finger gewickelt zu haben.


    Keinerlei Prosa macht dieses Tagebuch natürlich sehr trocken. Noch dazu viele altbackene, hochgestochene Begrifflichkeiten in Schachtelsätzen... Ich fühle mich überfordert.



    Exkurs: Habe gerade schon mal das Nachwort gelesen. Zum Stil findet sich dort folgender Hinweis:

    "Eigenheiten des "Für - sich - Schreibens" blieben möglichst bestehen, wie auch gelegentliche Wiederholungen belassen wurden. Fortgelassen wurden nur wenige Stellen, die für die Sache entbehrlich waren oder bloße Tagesnotizen sind." (Seite 295)


    Also gerade das bisschen Prosa, welches mir die Lektüre erleichtert hätte, wurde absichtlich weggelassen :D


    Ansonsten setzt das Nachwort die Entstehung dieses Tagebuches bzw. Lous Faszination für die Psychoanalyse, in Bezug zu bestimmten Lebensereignissen der Autorin. Auch der Umstand, dass Gedanken zu Rilke wohl oft im Tagebuch auftauchen, wird erklärend beleuchtet.

    3 Mal editiert, zuletzt von Konstanze ()

  • Seite 28 - 50


    Erstmals notiert Lou Gedanken, in denen sie psychoanalytische Theorien in Bezug zu künstlerischem Schaffen setzt.


    Auf einem der Adlerschen Diskussionsabende kommt es zu einem Beinahe-Eklat zwischen Lou und Stekel, woraufhin Lou beschließt, diesen Abenden fortan fernzubleiben.


    Seite 48 bis 50 sehr interessante, eigenständige Gedanken Lous zum Thema "männlich und weiblich".

    Einmal editiert, zuletzt von Konstanze ()

  • Seite 51 - 100


    Hier kommt das Freche in Lous Wesen - das Kenner sicherlich lieben - zum Vorschein: "Dies Sich - gewaltsam - Entfernen von den "Realien", so charakteristisch für alle Neurotiker auch nach Adlers Ansicht, haftet insofern seiner eigenen Ansicht etwas an." (Seite 52)


    Dank ihrer Schlagfertigkeit und der hohen Intelligenz schafft sie es auch in persönlichen Gesprächen ihren "Mann" zu stehen: "Deshalb konnte mich, einige Tage später (...) Adler in persönlichem Streit auch nicht überzeugen [...] Wir sprachen uns heiße Köpfe an, endlich durch alle Straßen rennend; er lief rührend und treu mit." (Seite 52f)


    Ihre Bewunderung für Freud reißt nicht ab. Erste Vieraugengespräche mit ihm, die stellenweise Lehranalysen-Charakter annehmen.


    Sie lässt sich von Dichtung zu Gedanken über die Psychoanalyse inspirieren.


    Immer wieder zieht sie Parallelen zwischen Spinoza bzw. dem Spinozismus und der Psychoanalyse.


    Bei aller Sachlichkeit des Tagebuchs, erwähnt Lou doch immer wieder Zwischenmenschliches, das sie persönlich berührt (bspw. Gewisses in Adlers und Freuds Verhalten ihr gegenüber, Erschütterung über eine Paranoikerin, die nicht vor dem "Steinhaus" bewahrt werden konnte).


    Manche der regelmäßig stattfindenden Diskussionsabende rühren an Lous eigener Psyche.


    Bis 2 Uhr nachts diskutiert sie mit den Männern in Schenken und lässt sich scheinbar nie unterkriegen: "Adler konnte ich natürlich, bei unserer Debatte darüber, nicht überzeugen. Wir streiten wie toll." (Seite 86)


    Bei all der "verbalen" Leidenschaft zwischen den beiden, erwarte ich irgendwie, dass sie miteinander im Bett landen werden.

    Klischeealarm! Zu viele Nackenbeißer gelesen :D :schuld:

    Einmal editiert, zuletzt von Konstanze ()

  • Seite 100 - 143


    Kurze Gedanken Lous zum (recht neuen) Medium Film und dessen Interaktion mit Psyche.


    Interessantes von Tausk zum Verhältnis Angst und Zwang: Wie die Phobie, i. S. von Angst, ein "Vorbau" der Aggression sei, so sei "das Zeremoniell" ein Vorbau der Phobie. (Seite 116f)

    Na, ob das immer zutrifft?


    Exkurs: Großer Gott, die Erläuterungen am Ende des Buches sind genauso hochgestochen und höchst fachlich formuliert wie Lous Tagebuch selbst. So viele Fachbegriffe, so trockene Kontemplationen darüber, ...

    Dieses Buch ist wahrlich kein Roman, sondern ein sehr trockenes Fach - Tagebuch. Ein Buch von Lou, nicht über Lou.

    Man muss schon ein echter Psychoanalyse-Kenner und -Fan sein, um sich gern durch dieses Buch zu wühlen. All diese wissenschaftlich veralteten Begriffe und Denkansätze, die ja mittlerweile - zum Glück - größtenteils überholt oder wenigstens neu definiert sind ...

    Also für dieses Buch kann ich mir echt nur eine kleine Zielgruppe vorstellen. Und ich gehöre nicht dazu :D


    Aber immerhin findet sich am Ende der Erläuterungen ein wunderbarer, wertschätzender Nachruf Sigmund Freuds auf Lou, vom Februar 1937 (Seite 285f).



    Lou führt und schätzt weiterhin ihre nächtlichen Einzelgespräche mit Freud. Dieser widerspricht seinem Anhänger Tausk innerlich immer öfter. Lou tauscht sich auch mit Tausk intensiv aus, geht dabei aber in der Regel mit Freud d'accord.


    Uuuh, jetzt geht es um Sex, Perversionen, erogene Zonen, Untreue, ... So trocken habe ich noch nie über diese Themen lesen müssen XD


    Ende März 1913 verabschiedet sich Lou von allen, mit denen sie zu tun hatte: z.B. Alfred Adler, Ambulatorium und natürlich auch Freuds Diskussionsrunde. Wobei ich hier sehr überrascht war zu lesen, dass sie sich dort scheinbar nie aktiv beteiligt hatte. Denn zum Abschied "hätte ich fast, zum erstenmal, die Hand zum Wort gehoben und hätte folgendes gesagt:

    Meine Herren! Diskutieren habe ich nicht mögen, habe es Sie für mich tun lassen; aber danken mag ich selbst." (Seite 140)


    Zum Einzelabschied von Freud schreibt Lou: "Als ich mit seinen Rosen fortging, da freute ich mich, daß ich ihm auf meinen Wegen begegnet war und ihn erleben durfte: als meinen Wendepunkt." (Seite 143)


    Einzelne SW-Fotos aus Lous Nachlass: Freud, Lou, Jung, Tausk - leider alle ohne Datumsangabe - und Weimarer Kongress.


    Ende Kapitel I. WIEN, 25. Oktober 1912 bis 6. April 1913

    2 Mal editiert, zuletzt von Konstanze ()

  • Kapitel ll. Budapest, 7. bis 9. April 1913 (Seite 144 bis 147)


    Lou ist ganz begeistert von ihren dortigen Gesprächen mit einem Herrn Ferenczi. Leider wird nirgends erläutert, wer das überhaupt ist!



    Ich denke der letzte Absatz des Kapitels spricht für sich:

    "Mir sind diese Budapester Tage so wertvoll, nach den Wiener Stunden schon mit Ferenczi, dem ich immer näher kam. Seine Arbeiten (auch Arbeitsart) interessieren mich leidenschaftlich. Für das, was Freud jetzt und zunächst arbeitet, ist vielleicht das Herauskommen mit dem Ferenczischen zu früh: aber sie sind sich die Ergänzer! Und drum muß Ferenczis Zeit noch kommen." (Seite 147)

  • Lou ist ganz begeistert von ihren dortigen Gesprächen mit einem Herrn Ferenczi. Leider wird nirgends erläutert, wer das überhaupt ist!

    Sándor Ferenczi - ein ungarischer Psychoanalytiker.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Lou ist ganz begeistert von ihren dortigen Gesprächen mit einem Herrn Ferenczi. Leider wird nirgends erläutert, wer das überhaupt ist!

    Sándor Ferenczi - ein ungarischer Psychoanalytiker.

    Ja, das ist schon klar.


    Scheinbar sollte ich präzisieren: Da Ferenczi heutzutage keinen großen Bekanntheitsgrad (mehr?) genießt, hätte ich mir - wenigstens - zu ihm nähere Informationen in den Erläuterungen der Hrsg. erhofft.

    Hat er seine Ideen parallel zu Freud entwickelt? Hat er praktiziert oder blieb er einsiedlerischer Theoretiker? Kannten die beiden sich? Wie haben sie sich im Weiteren beeinflusst? Warum ist Ferenczi heute so unbekannt? ...

    Dass Lou sowas nicht notiert ist klar, sie kennt ja all die Leute in ihrem Tagebuch. Aber nicht jeder Leser weiß Genaues zu Freud, Adler, Jung, Tausk, Ferenczi, ... Und da hätten erläuternde Informationen der Herausgeber mich gefreut. So war mein kurzes Sätzchen gemeint ;)

  • Da Ferenczi heutzutage keinen großen Bekanntheitsgrad (mehr?) genießt, [...]

    Das ist die Crux einer jeden Herausgeberin: Was kann sie bei ihren Leserinnen voraussetzen? Es ist ein ungeheuer schwieriger Balance-Akt. Der einen erklärt sie, was diese für banal und selbstverständlich hält; die andere freut sich, wenn jedes Fremdwort und jeder Name erklärt wird. Und die meisten sind irgendwo mittendrin - aber keine kennt dieselben Namen und Begriffe wie die andere...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Kapitel lll. Göttingen, Mitte April bis Mitte August 1913 (Seite 148 - 180)


    Lou auf ihrem Göttinger Anwesen "Loufried".

    Jetzt wird's endlich persönlich. Hier kommt viel über Rilke und einen B. mit dem sie ihn vergleicht: "Beides Blondköpfe mit sinnlichem Mund und prachtvoller Stirnpartie, sonst verschieden genug." (Seite 148)


    In den Erläuterungen erfährt man, dass es Lou war, die 1912 maßgeblich eine Psychoanalyse Rilkes verhindert hatte. Da sie befürchtete, diese sei "am fertigen Künstler nicht anwendbar ohne starke Gefährdung" (Seite 268).


    Lous eigene Gedanken zu den Freudschen Themen. Diese lesen sich nun weniger hochgestochen, mit weniger Fremdworten angefüllt und daher (für mich) wesentlich angenehmer les - und nachvollziehbar. Auch Theorien Tausks, Ferenczis und Bleulers werden durchdacht.


    Kleines Schmankerl: "Nietzsche (dieser Sadomasochist an sich selber)" :breitgrins:

    (Seite 155f)


    Sehr interessant und treffend fand ich auch ihre Gedanken zur "Sublimation": Nach Tausk eine "Aufarbeitung" und in Lous bildlicher Vorstellung ein Selbstschutz.


    Vom 9. bis 21. Juli 1913 Rainer Maria Rilke zu Gast auf Loufried. Lou macht darüber sehr beklemmende, um Rainer besorgte Aufzeichnungen.


    Das Kapitel schließt mit einem Briefwechsel zwischen Lou und Alfred Adler, in dem Lou (nochmals) versucht ihre Einstellung zu Adler versus Freud deutlich zu machen. Nach meinem Empfinden mit einem friedenstiftenden Grundgedanken.

    Doch Adler reagiert in seiner prompten Antwort emotional aufgebracht. Wobei seine Kritikpunkte an Freud zum Teil die sind, die auch heute noch gegen die Psychoanalyse vorgebracht werden.

  • Kapitel lV. München, 17. bis 20. August 1913 (Seite 181 - 183)


    Lou scheint wieder auf dem Weg nach Wien und schaut vorher in München bei Herrn Gebsattel vorbei. Wohl auch ein Psychoanalytiker seiner Zeit.


    Die beiden reden viel über Rilke. Lou scheint Pflanzen-Metaphern zu mögen :)


    Auch Gebsattel steht Freud kritisch gegenüber, doch Lou kann nicht anders, als weiter zu Freud zu stehen.




    Kapitel V. Wien, 21. August bis 5. September 1913 (Seite 184 - 189)


    Lou arbeitet mit Tausk zum Narzissmus. Vier Seiten ihres Tagebuchs widmet sie alleine Viktor Tausk.


    Hier zwei vielsagende Zitate:

    "Am gefährlichsten wird es jedoch bei solchen Psychoanalytikern, die dieser ihrer Methode praktisch selber bedürfen: nur so verstehe ich es, wie Tausk, ein von Haus aus philosophischer Kopf, ihn sich sozusagen abgeschlagen hat, anstatt ihn wenigstens feiertags zu benutzen." (Seite 187)


    "(...) empfand ich doch an Tausk grade all diesen Kampf als das, was mich an ihm tief berührte: den Kampf der menschlichen Kreatur. Brudertier, Du." (Seite 189)


    Der gute Tausk scheint in Lous Augen nachzulassen.

  • Kapitel VI. München, 6. September bis 3. Oktober 1913 (mit Rilke) (Seite 190 - 204)


    Zu einem großen psychoanalytischen Kongress reist Lou erneut nach München und trifft dort die zeitgenössische Creme de la Creme: Freud, Gebsattel, Ferenczi, Staudenmaier, um nur einige zu nennen. Von der Sexualität über Okkultes bis hin zu Rainer und dessen Mutter wird vieles durchgearbeitet.


    Im Anschluss daran verreisen Rainer und Lou "ins Gebirge über Dresden" (Seite 204).




    Kapitel Vll. Dresden-Hellerau und Riesengebirge, 4. bis 16. Oktober 1913 (mit Rilke) (Seite 205 - 213)


    In diesem Kapitel analysiert Lou die aktuellen Geschehnisse mit Rainer, z.B. lernen Sie Werfel kennen. Zur Abwechslung mal kein Psychoanalytiker, sondern wie Google verrät ein österreichischer Schriftsteller.

    Ebenfalls vieles aus Rainers Vergangenheit wird analysiert, z.B. seine ambivalente Einstellung zu seinem Vater, frühkindliche Erektionen in Bezug zur Wäscherin des elterlichen Haushalts und natürlich Träume.




    Zu guter Letzt noch drei kurze Kapitel zu Aufenthalten Lous in Dresden, Berlin (beides im Oktober 1913) und Göttingen (Anfang November 1913)


    Mit Ausnahme von "Stunden mit Eitingon" (Seite 219) in Berlin, kontempliert Lou hier selbst über das in den letzten Monaten Gehörte und Gelernte. Daraus zwei Zuckerstückchen zum Schluss:


    Zum Thema Geschlechtlichkeit:

    "Daher durfte der Phallus nackt und dumm - in seiner physischen Ungegliedertheit, die alles Sein latent in sich enthält - als Obelisk emporragen. Erst für uns ist er etwas zwischen Kichern und Grausen geworden, ebenso fern von Anbetung wie von Selbstverständlichkeit - etwas, woran das unreife Kind nur den Widerspruch zwischen Erscheinung und Bedeutung erschreckt ahnt und was dem Erwachsenen zu Trivialität oder Hysterie wird." (Seite 215)


    Und aus Lous Schlusswort:

    "Die Art, wie man einen Menschen in der Psychoanalyse vor sich sieht, ist etwas, das über jeden Affekt ihm gegenüber hinausführt: irgendwo in der Tiefe werden auch Abneigung und Liebe nur noch Gradunterschiede." (Seite 223)



    ENDE XXX




    Wie gesagt, für mich ein Buch von Lou, das recht wenig über Lou verrät. Liebhaber psychoanalytischer Geschichte wissen dies Werk sicher zu schätzen.