Marco Balzano - Ich bleibe hier

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    Ein Stück Südtiroler Geschichte


    An dem Kirchturm im Wasser bin ich als Kind einige Male staunend vorbei gefahren, wenn wir in Italien Urlaub gemacht haben. Erst später habe ich mich für die Geschichte der Orte am Reschensee interessiert. In diesem Buch lerne ich fiktive Menschen kennen, die hier gelebt und alles versucht haben, ihren Heimatort vor der Überflutung zu retten. Wenn ich das nächste Mal über den Reschen fahre und am See vorbei komme, werde ich die Kirchturmspitze mit anderen Augen sehen.


    Trina Hauser erzählt ihre Geschichte und die Geschichte des kleinen Dorfes Graun im Vinschgau ihrer Tochter Marica. Wie sie als junge ausgebildete Lehrerin unter Mussolini und seinen Faschisten keine Anstellung bekam, den Kindern, die tagsüber in die italienische Schule gingen, abends im Schutz der Dunkelheit in Kellern und Scheunen deutsch beibrachte.

    Wie sie in der Schreinerei ihres Vaters die Bücher führte. Wie immer mehr Italiener in die Dörfer kommen, es für Südtiroler jedoch keine Arbeit gibt und das Geld immer knapper wird. Dann kam Hitler und bot ihnen an, „heim ins Reich“ zu kommen. Ein Großteil der Bewohner nahm dieses Angebot an, Erich wollte unbedingt bleiben. Dann plötzlich ist Marica zusammen mit Trinas Schwester Alexandra und deren Mann Lorenz weg. Auch Trina und Erich werden bald zu Flüchtlingen.

    Dann, endlich ist der Krieg vorbei. Nun soll ein Staudamm gebaut werden, der Trina und Erich endgültig die Heimat nimmt.


    Eingeteilt in 3 große Kapitel „Die Jahre“, „Auf der Flucht“ und „Das Wasser“ durchlebe ich die Zeit zusammen mit Trina und Erich. Es macht mich traurig zu lesen, wie sich Trina und Erich im Laufe der Zeit verändern. Ich bewundere die Beiden, wie sie allen Entbehrungen zum Trotz an ihrer Heimat festhalten und dort weiterleben, als der Krieg vorbei ist.


    Der Autor Marco Balzano zeichnet in seinem neuen Roman ein Stück der jüngeren Geschichte Südtirols nach, wobei die Flutung des Tales durch den neu erbauten Staudamm den traurigen Abschluss bildet.


    Die Klappen des Buches zeigen vorne wie hinten eine Ansicht von Südtirol mit den Grenzen zu Österreich, der Schweiz und Italien.


    Ein sehr interessantes und spannendes Buch, das so viel mehr kann, als nur ein kleines Stück Geschichte zu erzählen. Eine eher leise Geschichte um Trina und ihre Familie, die mir zu Herzen geht, die mich berührt und beeindruckt hat.

    5ratten

  • Mich hat schon das Titelbild fasziniert, als Du das Buch im "Was lest ihr"-Thread gepostet hast. Umso schöner, dass es auch mit dem Buch im Zusammenhang steht und auch die Geschichte erzählt wird, wie der Turm ins Wasser gekommen ist. Danke für den Tip!

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Im Zweiten Weltkrieg werden die Südtiroler zum Spielball der politischen Verhältnisse. Hitler und Mussolini treffen eine Abmachung und die Südtiroler sollen wählen, ob sie in ihrer Heimat bleiben oder auswandern ins „Deutsche Reich“. Viele Wandern aus, aber die junge Trina beschließt zu bleiben. Als ihr verboten wird, weiter als Lehrerin tätig zu sein, unterrichtet sie heimlich in Kellern und Scheunen. Sie bleibt in ihrer Heimat. Doch später will ein Energiekonzerneinen Stausee errichten und ihr Dorf soll überflutet werden. Trina leistet Widerstand mit aller Kraft.


    Dies war mein erstes Buch des Autors Marco Balzano und es hat mich sehr beeindruckt. Die Beschreibungen lassen Bilder entstehen, die auf mich authentisch, aber auch ziemlich düster wirken. Das Leben in Südtirol ist hart und der Krieg trägt auch noch seinen Teil dazu bei. Als das alles überstanden ist, kommt der nächste Schlag – die Zurückgebliebenen sollen weichen, da ihre Heimat überflutet werden soll.


    Das was dort in Südtirol geschehen ist, ist real, wie der Kirchturm beweist, der aus dem Rechensee ragt. Trina allerdings ist eine fiktive Person.


    Wer am Rande des Braunkohltagesbaus lebt wie ich, kann gut nachvollziehen, was es bedeutet, wenn einem die Heimat genommen wird. Trina ist tief mit ihrer Heimat verwurzelt. Sie ist eine mutige und starke Frau, die es ihr Leben lang nicht leicht hat und vieles ertragen muss. Doch trotzdem kämpft sie und hat doch keine Chance, denn was können die Menschen schon gegen die wirtschaftlichen Interessen eines großen Konzerns ausrichten. Auch die anderen Charaktere sind authentisch dargestellt.


    Diese sehr emotionale Geschichte stimmt sehr nachdenklich und hallt noch lange nach. Mir hat dieser Roman sehr gut gefallen und ich kann ihn nur empfehlen.


    5ratten

  • Mehr als ein kurioses Fotomotiv


    Mitten aus dem Reschensee ragt ein Kirchturm – heute ein Wahrzeichen und vor allem ein kurioses Fotomotiv.


    Marco Balzano erzählt die Geschichte die dahinter steckt, indem er die Geschichte von Trina und ihrer Familie erzählt: sie erleben erst den italienischen Faschismus und dann anschließend sofort den Nationalsozialismus. Auch in Südtirol dunkle Zeiten, die Widerstand erfordern.


    Später dann will ein Energiekonzern mit der Anlage eines Stausees die Ortschaften Graun und Reschen überfluten und wieder müssen sie sich die Menschen im Vinschgau wehren. Trotz aller Gegenwehr wird das Staudammprojekt realisiert und damit verlieren viele Familien ihre Heimat.


    Balzano versteht es hervorragend, die Emotionen und Gedanken seiner Protagonisten zu beschreiben und die zahlreichen Tragödien aus der Perspektive einzelner Menschen darzustellen, ihren Überlebenskampf zwischen gnadenlosen politischen und wirtschaftlichen Interessen.


    Er erzählt eine berührende Geschichte über Heimatgefühl und Entwurzelung, über Leid, Verlust, aber auch über Mut, Kampf und Widerstandsgeist.


    Ein wunderbares Buch, das den Blick auf den Kirchturm im Reschensee auf immer verändert.


    5ratten

    Vernunft, Vernunft...

    Einmal editiert, zuletzt von ysa ()

  • Meine Meinung zum Buch:


    Titel: Düstere Zeitgeschichte...


    Das Buch wurde mir empfohlen und da meine Eltern in dieser Region sehr gern in den Urlaub fahren, war ich doch sehr gespannt.


    In der Geschichte geht es um Trina und Erich, die im beschaulichen Graun ein einfaches Leben führen. Im idyllischen Bergdorf haben sie alles was sie brauchen, doch dann kommt der Krieg und verändert alles. Wird ihnen ihr beschauliches Leben bleiben?


    Gut gefallen hat mir die Wahl der Erzählperspektive, denn Trina fungiert als Erzählerin und schildert ihrer Tochter was sie alles erlebt hat. So bekam man tiefe Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt der Protagonistin.


    Der Roman beruht auf wahren Begebenheiten, denn das Dorf Graun hat es wirklich einmal gegeben. Ich mag so etwas sehr gern. Ich habe sehr viel dazu gelernt, denn mir war nicht bewusst, dass Deutsche jemals unter Faschisten zu leiden hatten.


    Die Geschichte zeigt sehr deutlich auf, wie hart die Arbeit eines einfachen Bauern war und was die Belange von Konzernen alles zerstören können.


    Der nüchterne Schreibstil Balzanos passt perfekt zu dieser eher düsteren Geschichte. Der Roman hat sich angenehm lesen lassen und berührt enorm. Ich muss allerdings gestehen, dass er mich doch sehr emotional heruntergezogen hat, da einfach so viel Trauriges passiert und kaum Hoffnung verbreitet wird.


    Fazit: Die Beschreibung einer heutigen Urlaubsregion mal unter einem ganz anderen Blickwinkel weiß zu unterhalten und zu berühren. Gern spreche ich eine Leseempfehlung aus.Prädikat gut.


    Bewertung: 4ratten

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)

  • Der Vorgänger gefiel mir sehr - werde das Buch im Fokus behalten. Der Erzählstil des Autors hat was - z.B. Tiefgang ;)

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • @Sagato: Welches Buch meinst du? Etwa "Das Leben wartet nicht"?


    Ich werde auf jeden Fall noch weitere Bücher des Autors lesen, sein Stil ist schon etwas Besonderes.

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)

  • Trina ist in dem Südtiroler Dörfchen Graun auf einem Bauernhof aufgewachsen. Zum Leidwesen ihrer Mutter sind Bücher ihre große Leidenschaft, und ihr ist auch mehr daran gelegen, Lehrerin zu werden und Zeit mit ihren Freundinnen zu verbringen, als sich einen Mann zu suchen.


    Doch kaum hat sich Trina ihren Traum vom Lehrerinnenberuf erfüllt, kommt Mussolini an die Macht. Südtirol wird zwangsitalianisiert, Deutsch ist ab sofort verpönt und darf nicht mehr unterrichtet werden, und wenn es nach den Machthabern ginge, spräche jeder auch zu Hause nur noch italienisch. Heimlich lehren Trina und ihre Freundinnen die Sprache zwar weiterhin, riskieren aber harte Strafen, falls sie erwischt werden.


    Und noch ein Schreckgespenst geht um am Reschensee: das Gerücht, man wolle ein umstrittenes Bauprojekt wieder aufleben lassen, ein Wasserkraftwerk mit riesigem Staudamm, der die Existenz des Dorfes bedrohen könnte. Scharenweise ziehen die Menschen weg aus Graun, viele folgen dem Lockruf Hitlers nach Deutschland oder Österreich. Für viele derer, die bleiben, ist das Verrat an der Heimat und an den Nachbarn. Wie soll man denn ein Dorf verteidigen, wenn nur noch eine Handvoll Leute da sind?


    Tiefe Gräben ziehen sich durch die Dorfgemeinschaft, und ein solcher Riss geht auch mitten durch die Familie von Trina, die inzwischen doch verheiratet ist und zwei Kinder hat und kaum ahnen kann, was nach diesem Exodus noch alles auf sie zukommen wird.


    Aus heutiger Sicht wissen wir es natürlich: die langen Kriegsjahre und anschließend der tatsächliche Bau des Staudamms und der Untergang von Alt-Graun, von dem heute nur noch ein malerisches Postkartenmotiv übriggeblieben ist, der berühmte Kirchturm im Reschensee.


    Trina schildert in einfachen, zu Herzen gehenden Worten ihr Leben und ihre Entwicklung von der verträumten jungen Studentin zu einer Frau mittleren Alters, die viel zu viel gesehen, erlebt und auch verloren hat. Ab und an klingen ihre Worte bitter, vor allem, wenn es um ihre Tochter geht, an die sich ihre ganze Erzählung immer wieder in der Du-Form richtet, oder resigniert-melancholisch, wenn sie eine Welt aufleben lässt, die es aus verschiedenen Gründen so nicht mehr gibt. Sie brüstet sich nie, doch in eindrücklichen Szenen wird klar, wie stark sie ist (oder sein muss) und wie oft ihr das Leben widrige Umstände vor die Füße wirft, mit denen sie entweder zurechtkommen muss oder zerbrechen wird.


    Marco Balzano ist es ausgezeichnet gelungen, ein so unsentimentales wie berührendes Buch über ein düsteres Kapitel der Südtiroler Geschichte zu schreiben und den untergegangenen Ort (Alt-)Graun noch einmal würdig zum Leben zu erwecken, auf eine Art, die noch lange nachhallt, nicht nur beim Anblick des berühmten Kirchturms, der als Mahnmal aus den Fluten des Sees herausragt.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Vom Dörfchen Graun in Südtirol steht heute nur noch ein Kirchturm, seine Spitze ragt aus dem Reschen(stau)see hervor. Balzano beschreibt das Leben einer Bewohnerin des ursprünglichen Ortes von etwa den 1920er Jahren bis zur Flutung 1950.


    Ich finde es schwierig, zu diesem Buch etwas zu schreiben.

    Ja, es hat mir schon gefallen, es war interessant und ließ sich gut lesen, aber so wirklich gefallen hat es mir doch nicht.


    Da war zum einen die Tatsache, dass zunächst Hitlers Nazideutschland als positiver Gegenpol zum italienischen Faschismus gesehen wurde, hatten die Italiener doch die vollständig deutschsprachige Bevölkerung des Dorfes unterdrückt. Das ändert sich zwar als die Schrecken des NS-Staats erkannt werden, aber diese Position zwischen zwei faschistischen Staaten „wählen“ zu müssen, war mir selbst als Leserin unangenehm.

    Und dann dieses sich durch das ganze Buch und entsprechend viele Jahre ziehende, drohende Staudammprojekt. Ich verstehe die Müdigkeit der Bewohner*innen und die daraus resultierende Weigerung, sich ständig damit auseinandersetzen zu sollen.


    Diese dauerhaft resignierte Stimmung der Figuren hat sich auf mich als Leserin übertragen und dafür gesorgt, dass ich es zwar als gutes Buch empfinde, es aber nicht wirklich genießen konnte.


    4ratten

  • Nein, ein Wohlfühlbuch ist das tatsächlich nicht, Deine Beschreibung trifft meinen eigenen Eindruck in vielen Punkten, illy .

    Es hat mir aber tatsächlich dabei geholfen, einige Dinge besser zu verstehen und Situationen besser nachvollziehen zu können.

  • Ein Gute-Laune-Buch ist es nicht, aber es hat mich trotzdem sehr beeindruckt und ich finde den Untergang des Dorfes immer noch sehr traurig.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen