Emily Gunnis - Die verlorene Frau

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  • Emily Gunnis - Die verlorene Frau

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    Anfangs verwirrend, doch schnell entwickelt das Buch einen enormen Sog

    Jessies Baby wird fast vier Wochen zu früh geboren und ist krank. Die kleine Elizabeth Rose braucht dringend ein Antibiotikum über mehrere Tage, um den Infekt zu überstehen. Doch Jessie flieht mit dem Baby aus dem Krankenhaus, fest davon überzeugt, dass man dort ihr Kind töten will. Ihre Halbschwester Iris ist Journalistin und macht sich auf eigene Faust auf die Suche nach Jessie. Sie bittet ihre Mutter Rebecca um Hilfe und so kommt sie einer unglaublichen und erschütternden Geschichte auf die Spur. Die Schatten der Vergangenheit überrollen alle Beteiligten nun auf dramatische Weise …



    Es hat eine Weile gebraucht, bis ich wirklich tief ins Buch gefunden habe. Die unterschiedlichen Erzählstränge sind auch aus unterschiedlichen Sichtweisen erzählt, zusätzlich gibt es unterschiedliche Zeiten. Der Strang in der Ich-Form hat mich anfangs absolut aus dem Fluss gebracht und ich konnte nicht einordnen, um wen es sich handelt. Durchhalten lohnt sich aber absolut! Am besten lässt man sich einfach auf die Story ein und lässt sie sich entwickeln.



    Emily Gunnis hat einen sehr gefälligen Stil. Ihre Ideen für Wendungen und Entwicklungen sind grandios. Die Charaktere zeichnet sie mit wenigen Pinselstrichen so lebendig, dass man sie quasi vor sich sieht. Selbst die „Bösen“ sind nicht stereotyp und wecken im Leser Emotionen, die weit über „okay, mag ich nicht“ hinausgehen. Die Verzweiflung der Frauen ist greifbar und das Ende bietet einen echten Knaller, den ich so nicht erwartet habe.



    Die verworrenen und nicht alltäglichen Familienbande mögen zunächst ein wenig nervig sein, ermöglichen aber gewisse dramatische Momente besonders gut. Verloren sind in diesem Buch und der Geschichte im Grunde viele Personen, sodass man am Ende unweigerlich ein Gefühl von Trauer empfindet. Die Anmerkungen der Autorin am Ende des Buches fand ich sehr aufschlussreich und interessant.



    Stellenweise wurde ich auf den einen oder anderen Charakter echt wütend. Auch in den 1950er und 1960er Jahren hätte man Wege finden können und besonders Jessie und Iris beziehungsweise ihre Mutter Rebecca hätten viel an ihrer Situation ändern können. Doch insgesamt ergibt alles am Ende ein durchaus realistisches und schlüssiges Bild und geht tief unter die Haut. Ganz so begeistert, wie vom Erstling der Autorin, bin ich nicht, aber ich habe das Buch sehr gern gelesen. Es hat starke Emotionen ausgelöst. Deshalb gebe ich vier Sterne und warte gespannt auf das nächste Werk der Autorin.


    4ratten

  • Gebundene Ausgabe: 384 Seiten

    Verlag: Heyne Verlag (11. Mai 2020)

    ISBN-13: 978-3453272897

    Originaltitel: The Lost Child

    Übersetzung: Carola Fischer

    Preis: 20,00 €

    auch als E-Book erhältlich


    Fesselndes Familiendrama


    Inhalt:

    In einer stürmischen Nacht 1960 kommen die Eltern der dreizehnjährigen Rebecca ums Leben. Es scheint, als hätte der gewalttätige Vater zuerst seine Frau misshandelt und dann sich selbst erschossen. Rebecca leidet zeitlebens unter den Erinnerungen an dieses schreckliche Ereignis.


    54 Jahre später kommt Rebeccas Enkelin auf die Welt. Das Kind ist schwer krank und braucht dringend Medikamente. Doch Jessie, Rebeccas Tochter, hat Wahnvorstellungen und flieht mit dem Neugeborenen aus der Klinik. Eine hektische Suche nach den beiden beginnt. Um Jessie und ihr Baby zu finden, führt der Weg auch weit in die Vergangenheit.


    Meine Meinung:

    Emily Gunnis versteht es, fesselnd und atmosphärisch zu erzählen. Von Anfang an konnte sie mich in den Bann dieses Familiendramas ziehen und mich auch bis zum Ende dort halten. Bereits mit dem spannenden Prolog kam bei mir das Kopfkino in Gang. Die Orte und Figuren erwachten zum Leben. Ich hatte von allen eine klare Vorstellung, da sie gut ausgebaut und tiefgründig angelegt sind.


    Die vielen Zeitsprünge und Perspektivwechsel mit vielen Personen aus zunächst undurchsichtigen Familienverhältnissen machten mir anfangs noch zu schaffen, aber bald konnte ich alle Beteiligten richtig einordnen. Gerade durch diese Vielzahl ergibt sich ein rundes und vollständiges Bild einer furchtbaren Geschichte, die mich stark berührt hat. Allerdings fand ich die Geheimnisse, die nach und nach aufgedeckt werden, ziemlich vorhersehbar. Trotzdem hat mich Emily Gunnis sehr gut unterhalten. Außerdem liefert die Autorin sehr viele Informationen zum Beispiel zur psychiatrischen Behandlung in der Mitte des vorigen Jahrhunderts oder zum Scheidungsrecht zu dieser Zeit. So erfährt man wirklich haarsträubende Dinge.


    ACHTUNG TRIGGERWARNUNG (bei Bedarf bitte rückwärts lesen):


    ESOHCYSP ELATRAPTSOP, SBTP, SBERK, DIZIUS


    ★★★★☆

  • Eine sehr berührende Familiengeschichte


    Rebecca Waterhouse ist 5 Jahre alt, als ihr vom Krieg traumatisierter Vater aus der psychatrischen Klinik, in der er die letzten Jahre verbracht hat, nachhause kommt. Nachhause, das ist die Seaview Farm an der Wittering Bay im Bezirk Chichetser in West Sussex, England. Hier hat sie mit ihrer Mutter Harriet die letzten Jahre gelebt. Nun ist ihr Vater wieder da, leider immer noch jähzornig und gewalttätig. Bis zu dem einen Abend, 8 Jahre später, als Rebecca, aufgeweckt durch einen heftigen Streit, nach unten kommt und ihre Mutter blutend am Boden findet. Ihr Vater hat sich selbst mit einer Pistole, die neben ihm liegt gerichtet.

    Jahre später verschwindet Jessie, die Tochter von Rebecca, mit ihrer kleinen neugeborenen Tochter Elisabeth aus dem St. Dunstan´s Krankenhaus. Vorerst spurlos. Das Fatale: die kleine Elisabeth ist schwer krank und braucht dringend Medikamente.


    Im Jahr 1945 lerne ich Harriet kennen, die auf ihren Mann Josef wartet, der aus dem Krieg in der Normandie zurückkommen soll. Zusammen mit ihm findet sie eine Anstellung in einem herrschaftlichen Haus in der Nähe von London. Harriet beschreibt die Erlebnisse aus dieser Zeit in ihrem Tagebuch.

    Im Jahr 1960 bin ich dabei, wie die 13-jährige Rebecca, nachdem sie ihre toten Eltern gefunden hat, von einem Polizisten stundenlang verhört wird.

    Im Jahr 2014 ist Rebecca von ihrem Kinder- und Jugendfreund Harvey Roberts geschieden. Ihre Tochter Jessie, zu der Rebecca nur einen sehr losen Kontakt hat und die jetzt schwanger ist, lebt bei ihrem Vater. Ihre jüngere Tochter Iris, die sie mit ihrem zweiten Mann John bekommen hat, steckt gerade mitten in der Scheidung von ihrem Mann James.


    In immer wieder wechselnden Zeiten, mit immer wieder wechselnden Protagonisten erfahre ich im Laufe der Geschichte immer mehr von Rebecca, Harvey, Jessica und Iris. Und von einer Frau, die in der Ich-Form immer mal wieder auftritt. Ihrer aller Leben ist etwas verworren, jeder hat mit sich zu tun und versuchen mit der ihrer eigenen Vergangenheit umzugehen. Besonders hat es mir hier Jessie angetan, die schon vor der Geburt ihrer Tochter Elisabeth, die sie nach ihrer Stiefmutter Liz benannt hat, Probleme hat. Ihr Mann James ist mal wieder auf Geschäftsreise im Ausland und kann so bei der Geburt nicht dabei sein. Dann plagt die junge Mutter eine schwere Wochenbettdeprssion und ihre kleine Tochter benötigt dringend ihre regelmäßigen Medikamente. Vor allem hindert sie dann niemand daran, in einem unbeobachteten Augenblick das Krankenhaus zu verlassen und zu verschwinden. Während der Suche nach der jungen Frau hatte ich die allerschlimmsten Befürchtungen, für sie aber vor allem auch für Elisabeth.


    Aber auch die Kapitel, die in die Vergangenheit zurück gehen sind sehr spannend und ich habe mich immer wieder gefragt, wie das alles wohl zusammenhängen mag. Nicht nur die Sichtweise von Rebecca hat mich gefesselt. Auch wenn Harriet erzählt finde ich das sehr berührend. Ich bewundere diese Frau, die, auch wenn ihr Mann sich so stark verändert hat, nicht von ihrer Liebe abweicht.


    Emily Gunnis hat hier Personen geschaffen, die sehr vielschichtig sind, die ich mir gut vorstellen kann, mit denen ich mitfiebern und mit leiden kann. Je näher ich jeden Einzelnen kennenlerne, desto mehr falle ich in die Geschichte hinein.

    Auch die vielfältigen Themen, die hier angeschnitten werden, wie ungewollte Kinderlosigkeit, Wochenbettdepression, Kriegsneurosen, Vergewaltigung, häusliche Gewalt und das anhängliche Verhalten von Reportern, tragen dazu bei, dass ich unbedingt wissen wollte, wie die Geschichte endet.


    So sehr ich das Ende auch herbei gesehnt habe, das schlüssig alle losen Fäden verbindet, so traurig war ich, als ich es erreicht hatte.


    Sehr schön finde ich zu erfahren, wie Emily Gunnis auf dieses so tiefgreifende Thema gekommen ist. Das verrät sie uns am Schluss der Geschichte.


    „Die verlorene Frau“ ist eine einerseits warmherzige, berührende, andererseits anrührende, traurige und manchmal schockierende Geschichte. Mir hat sie einige bewegende Lesestunden geschenkt. Ich verschenke eine Leseempfehlung und 5 glänzende Sterne.

    5ratten

  • Das verlorene Kind (Originaltitel The Lost Child)


    1960, Seaview Cottage, Sussex, England:


    Rebecca Waterhouse wächst auf Seaview Cottage bei ihrer Mutter Harriet auf. Der Vater, der an Kriegstraumata leidet und ein gewalttätiger Trinker ist, prügelt seine Frau nach seiner Heimkehr (er verbrachte einige Jahre in der Psychiatrie) jeden Abend. Rebecca flüchtet dann regelmäßig zu Harvey, einem Nachbarjungen und Freund, in dem Wissen, dass sie ihrer Mutter nicht helfen kann. Als Harriet eines Nachts von Rebecca blutend und mit schwersten Verletzungen im Vorzimmer liegt, findet man die Leiche des Vaters in der Nähe; er hat sich mit seiner Pistole selbst gerichtet...


    2014, Chichester:


    Jessica, eine der zwei Töchter von Rebecca, schwanger und durchleidet eine schlimme Schwangerschaft: Sie glaubt, dass man ihr Baby stehlen, ihr fortnehmen wird und flieht mit der neugeborenen Elisabeth aus dem St. Dunston's Hospital.

    Iris, die Schwester von Jessie, wird von Rebecca gebeten, Jessica und das Baby zu finden und Rebecca muss sich erstmals seit Jahrzehnten der Frage stellen und ihren Töchtern erzählen, was sich in der schicksalhaften Nacht auf Seaview Cottage ereignet hat, denn das Auffinden von Jessica ist eng mit dieser Frage verwoben.....


    Meine Meinung:


    Emily Gunnis gelingt es auf einzigartige Weise auch in diesem Roman (der erste hat mich so sehr begeistert, dass ich sehr gespannt auf "Die verlorene Frau" wartete), den Leser durch unterhaltsame und tiefgründige Spannung zu fesseln. Nach und nach lernt man die vielschichtigen Charaktere der Hauptpersonen dieses Romans, der tragische Ereignisse in der Nachkriegszeit Englands um ein Familiengeheimnis schildert, kennen: Da ist Harriet, die Mutter von Rebecca, die auf taube Ohren stößt, als sie sich Hilfe vor ihrem gewalttätigen Ehemann holen will und Rebecca selbst, die das Ereignis 1960 auf Seaview Cottage ihr ganzes Leben, das sie als Ärztin führt, um anderen Menschen zu helfen, begleitet und unausgesprochen ist, bis Jessica, ihre Tochter, die von Liz, deren Stiefmutter, systematisch von Rebecca getrennt wurde, schwanger ist und mit ihrer kleinen Tochter aus der Klinik flieht: Die postpartalen Depressionen scheinen in der Familie zu liegen und wiederholen sich auf schmerzhafte Weise.


    Iris, die Schwester Jessicas, macht sich auf die schwierige Suche nach Jessie und dem Baby (sie selbst glaubt, keine Kinder haben zu können und ist frisch geschieden), wohl wissend, dass "die Zeit läuft", sollte die kleine Elisabeth, die Medikamente benötigt, am Leben bleiben können....


    Die Suche nach dem Baby, aber auch Rückblicke in die Vergangenheit und das unglückliche Leben Harriets, einer sehr sympathischen Figur, die wie viele andere Frauen damals keine Möglichkeiten hatte, sich von einem gewalttätigen Ehemann zu trennen, sind die Kernzentren dieses unter die Haut gehenden Romans. Harvey, der Vater von Jessica, geht dabei stets den "Weg des geringsten Widerstandes" und erkennt dies am Ende des Romans, dennoch ist auch er ein Sympathieträger.


    Die Themen dieses emotionalen, aufwühlenden, tragischen und zuweilen schmerzhaft-schockierenden, aber auch sehr berührenden Romans sind jedoch vielschichtiger Natur: Er beschäftigt sich mit den Traumata des 2. Weltkrieges, die teils gewalttätige, jedoch oft psychisch gestörte Männer in ihre Familien zurückbrachte, die damals keinerlei Therapie oder Hilfe bekamen (im Gegensatz zu heute); mit ungewollter Kinderlosigkeit und postpartaler Depression, häuslicher Gewalt, Vergewaltigung, aber auch Liebe und Vertrauen in der Familie. Dramatik kommt durch die Geschichte Harriets ins Spiel, die für mich eine der stärksten Charaktere des Romans und die eigentlich "verlorene Frau" ist: Sie opfert sich in gewisser Weise, um Rebecca zu retten.


    Fazit:


    Trotz aller Tragik, Familiengeheimnissen und der Verschleierung von Wahrheiten, die familiäre Dramen wie diese am Leben halten - sie sich manchmal sogar wiederholen lassen, steht dieser Roman für mich für Offenheit, Klarheit und Ehrlichkeit in der Familie. Auch dafür, sich nicht an eine unglückliche Vergangenheit zu klammern, sondern loslassen zu können, frei zu sein - zu leben! Zugleich ist es für mich ein literarisches "Denkmal" für all die Frauen (hier personifiziert durch Harriet Waterhouse), die Gewalt von kriegstraumatisierten Männern nach dem 2. Weltkrieg (und auch davor) erleben mussten - und ihr nicht entkommen konnten. Ein starker Roman mit authentischen, sympathischen Figuren (besonders Harriet, Rebecca und Iris), den ich gerne weiterempfehle und selbst gelesen habe! 4*


    4ratten

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

    Einmal editiert, zuletzt von Sagota ()