01 - Prolog, Teil 1 und Teil 2

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  • Denn wenn man an persönlichen Schicksalen Anteil nimmt, dann versteht man Situationen wesentlich besser, als wenn man nur "1000ende auf der Flucht" liest.

    Das empfinde ich auch so. deshalb ist es für mich bei meinen Recherchen übrigens auch so unglaublich wichtig, mit Zeitzeugen zu sprechen bzw. Interviews mit ihnen anzusehen und Briefe und Tagebücher aus diesen Zeiten zu lesen.

    Die Nazis mochte er GsD überhaupt nicht - und es kursiert die Geschichte (er hat seine Ausbildung zum Gärtner in Berlin absolviert, als Hitler an die Macht kam), dass er NICHT den Hitlergruß machte - was damals unter Strafe stand. Solch einen Mann zu grüßen, war unter der Würde meines Vaters (was ich ihm noch heute hoch anrechne, auch wenn er nicht viel aus der Zeit des 2. WK - er wurde spät eingezogen, war in Norwegen) erzählte... wie so viele....

    Hut ab vor Deinem Vater. Dafür zolle ich ihm wirklich Respekt!

    Es gibt so Unerträgliches, was Menschen erleben mussten, dass sie diese Erlebnisse für immer in ein Kästchen sperren, um es möglichst nie mehr aufzumachen

    Ich habe mal einen Bericht eines Neurologen/Psychiaters gelesen, der auch beschreibt, dass sich ein Trauma auch medizinisch als ein abgekapselter Bereich im Gehirn darstellt. Das fand ich sehr interessant. So wie das "gebrochene Herz" eben auch nicht nur ein psychologisches Phänomen ist.

  • Hallo ihr Lieben,


    wie schon im Anmeldethread geschrieben, habe ich wieder sehr gut in das Buch gefunden. Glücklicherweise hat mich Besuch etwas ausgebremst, ansonsten wäre es sehr schwierig gewesen, einfach weiterzulesen ^^


    Erstmal zu dem Prolog, der 1961 spielt und natürlich schon einige Spannung aufbaut: bei der Frau, die der Unbekannte in Wien sucht, weil er sie dafür verantwortlich macht, sein Leben und seine Existenz zerstört zu haben, handelt es sich bestimmt um Emma oder Alice, nachdem wir wissen, dass die beiden eine natürliche Begabung für Fremdsprachen haben. Aber was sich tatsächlich hinter den Vorwürfen verbirgt, wissen wir noch nicht. Und vor allem, wie die Szene in dem Hotel ausehen wird =O

    Könnte es sich bei dem Unbekannten vielleicht um Griegorjew Markov handeln?


    Dann springen wir in der Handlung 16 Jahre zurück zu den letzten Kriegsmonaten: dieses Verbot, Ostpreußen bzw. seine Heimat zu verlassen, um geschlossen gegen den Feind zu stehen, ist absolut menschenverachtend und zeigt, wie wenig auch die "eigenen Deutschen" einen Wert für Hitler hatten. Aber das ist ein anderes Thema, über das man sich lang und breit auslassen könnte.


    Dass Menschen wie Rosa, die auch für zwei Kinder verantwortlich ist, über dieses Verbot hinwegsetzen und ihre Familie in Sicherheit bringen will, ist wohl mehr als verständlich. Umso unfassbarer waren dann diese weiterhin verblendeten Nazis, die dieses Verbot mit Nachdruck durchsetzen wollten.


    Im Falle von Rosas Familie kommt es zu einer Reihe unglücklicher Zufälle: die Flucht im Schnee, dann Alices hohes Fieber und der Umstand, dass Rosa und Emma nach Lebensmitteln in dem aufgegebenen Haus suchen, in der Hoffnung, dass die Frontlinie noch weit genug entfernt ist ... all das führt dazu, dass das Schicksal seinen traurigen Lauf nimmt und die Familie auseinandergerissen wird. Und in dem Glauben weiterlebt, dass die jeweils Anderen nicht mehr leben.


    Wie hätte Rosa auch ahnen können, dass Alice Sergejs Herz erweicht hat, da sie ihn an seine verstorbene Tochter erinnert, und sie mitgenommen hat, vor allem nachdem ihr die wenigen Überlebenden versichert haben, dass Alice nicht unter denjenigen war, die von den Russen weggebracht wurden.

    Für Alice war es ein mehr als glücklicher Zufall, dass Sergej im richtigen Moment das Haus betreten und seine Kameraden von der Vergewaltigung abbringen konnte - und sie mit sich genommen hat, obwohl er sich dabei selbst in Gefahr gebracht hat. Sergej scheint zwar tatsächlich eine recht hohe Position innezuhaben, aber unter Stalin konnte sich das Schicksal ganz schnell gegen einen wenden und plötzlich fand man sich tot oder in einem Arbeitslager wieder. Es wird nicht umsonst so sein, dass Sergej in Markovs Anwesenheit sehr angespannt ist.

    Ich könnte mir vorstellen, dass es für Alice und uns Leser ernüchternd sein könnte, wenn wir genaueres über seine Arbeit wissen würden, aber die Beschreibung des Verhältnisses der beiden ist einfach nur herzerwärmend.


    Sergej scheint wirklich an das Gute zu glauben, für das der Kampf des Kommunismus steht ... er und auch Alice können nicht ahnen, dass es mit der Freiheit für jeden Einzelnen nicht weit her sein wird, dass es an der Umsetzung stark hapern wird.


    Emmas Freundschaft mit Max gefällt mir auch sehr gut, wobei ich befürchte, dass er noch Ärger bekommen wird mit seiner neuen "Tätigkeit". Brixmann hat mir aber auch auf Anhieb gut gefallen, der hat das Herz auf dem rechten Fleck. Süß war, wie Max Emma dazu überredet, wenigstens an ihrem Geburtstag doch mal etwas Spaß zuzulassen.


    Bei Max' folgendem Satz kam ich ins Grübeln: "Und eigentlich leben wir in einer guten Zeit, finde ich. Es wird und kann doch nur alles besser werden ...". Immerhin machen die letzten 5 Jahre seit Kriegsende, in denen es langsam aufwärts geht, beinahe 1/3 der bisherigen Lebenszeit von Emma und Max aus. Das können wir uns überhaupt nicht vorstellen - glücklicherweise muss ich dazu sagen.


    Rosas hartnäckiger Husten hat mir Sorgen gemacht, aber nun scheint sie glücklicherweise auf dem Weg der Besserung zu sein.


    Die Begegnung mit dem unbekannten Russen hätte mir auch Angst eingejagt - inzwischen wissen wir, dass dieser Markov auch Sergej kennt, aber garantiert die Nachforschungen über Emma erstmal für sich behält. Emma aber zieht die richtigen Schlüsse daraus und klammert sich direkt an den Strohhalm der Hoffnung, obwohl sie sich nicht sicher sein kann, ob ihre Schwester ihr nach 5 Jahren wirklich noch so ähnlich sehen würde.


    Ich kann aber auch Rosas vehemente Weigerung, eine Suchmeldung nach Alice beim Roten Kreuz zu starten, verstehen, obwohl mir der Gedanke auch zwischendurch kam, warum sie keine solche Suchmeldung aufgibt. Aber das reißt alte Wunden auf und schürt Hoffnungen, von denen Rosa überzeugt ist, dass sie am Ende wieder gründlich zerstört würden. Und es deutet ja auch schließlich alles daraufhin, dass Alice bei dem Überfall damals in Bertas Haus umbekommen und verbrannt ist.


    Neben der spannenden Geschichte um Emma und Alice gefallen mir aber auch wieder die Beschreibungen der damaligen Zeit, wie z.B. die Tatsache, dass viele Westdeutsche regelmäßig nach Ostberlin fuhren, weil man dort mehr für die Westmark bekommen hat usw. Oder aber auch die düsteren Nachkriegsfolgen, wie die Rückkehr von Kais Vater nach jahrelanger Gefangenschaft und den daraus erfolgenden Konflikten.

    Oder auch Alices Werdegang in den Heimen und dem Beschluss von oben, dass sie weiterhin die Schule besuchen soll oder Irmas Schicksal, über das wir hoffentlich auch noch mehr erfahren werden, ebenso über Irmas familiären Hintergrund, der irgendetwas damit zu tun haben scheint, dass sie nun in diesem Speziallager gelandet ist. Ich will mir lieber nicht vorstellen, was sie dort mit dem armen Mädchen machen werden.


    Wenn Emma und Alice sich begegnen werden, begegnen sich dann auch unterschiedliche Lebensweisen und Gesellschaftsauffassungen - wie die beiden damit umgehen werden, darauf bin ich gespannt, auch im Hinblick auf Max, der Menschen unterstützt, die gegen das ostdeutsche Regime handeln.

    Liebe Grüße

    Karin

  • Ihre Dienste wurden nach dem Kriegs als ein Teil der "Reparationszahlungen" angesehen und viele durften erst Mitte der 50er Jahre wieder zurückkehren

    Das ist ja eigentlich Sklavenhandel. Weißt Du, was aus diesen Menschen geworden ist? Kann man dann noch ein eigenes Leben aufbauen?

    Vernunft, Vernunft...

  • Ich mochte außerdem, dass wir den Krieg nicht nur aus der Sicht von Rosa und den Mädchen, also den Deutschen erleben, sondern die Erlebnisse der Russen uns über Sergej vermittelt werden. Manche Romane sind da eher einseitig in ihrer Beleuchtung der Geschehnisse, hier zum Glück nicht.

    Ja, das fand ich auch gut. Der Krieg hat auf beiden Seiten das Schlechteste im Menschen (mal wieder) hervorgebracht und es gab genügend Wut, Schmerz und Leid, das sich auf der russischen Seite aufgestaut hatte. Meine Mutter kommt aus Schlesien und sie schimpft auch nur auf die Russen, sie sieht das nur aus ihrem Blickwinkel als 10-jähriges Kind damals, das, was zuvor die Deutschen den Russen angetan hat, wird immer ausgeblendet.


    Die Bevölkerung hatte dadurch keine Chance, während die Führungsriege der Nazis in Ostpreußen heimlich Pläne geschmiedet hatte, um noch rechtzeitig zu entkommen, was ihnen dann auch erst einmal gelungen ist.

    Das war eine schallende Ohrfeige gegenüber der eigenen Bevölkerung und zeigte die Geringschätzung. Sie sollten einfach als Kanonenfutter dienen, die den Lauf der Geschichte so lange wie möglich aufhalten sollten.


    und finde, dass Max ein guter Freund ist: In was er sich allerdings noch verstricken wird (in Sachen Agenten und Spione in Berlin, denn davon wimmelte es in der Zeit des Kalten Krieges nur so...), ist derzeit noch unklar. Ich hoffe, er ist vorsichtig -

    Die Befürchtung habe ich auch, zumal er nicht genau weiß, bei was er da eigentlich mitmacht.


    Ja, dass Sergej Alice rettet bringt sie beide in Gefahr - denn es war natürlich nicht erlaubt, einer Deutschen oder einem Deutschen zu helfen. Ohne dass ich hier zu viel verraten will, hat das langfristig auch Konsequenzen ...

    Das habe ich schon beinahe befürchtet ...


    Rosa tat mir in dem Moment der Entscheidung, als die Häuser schon brannten, unendlich leid. Abwägen zu müssen, welches Kind zu retten realistisch ist, einfach grausam.

    Das ist wirklich einfach nur grausam und wünscht man niemanden. Es ist kein Wunder, dass das Narben hinterlässt, die niemals richtig verheilen werden.


    Die damalige politische Situation zwischen Ost und West ist ja bekannt, aber Clair hat viele interessante Fakten mit eingebracht, die ich so noch nicht kannte.

    Operation Ossawakim, war mir zum Beispiel nicht bekannt. Da kam das erste mal der Physiker ins Spiel. Und von der Kampftruppe, in der Max ist, wusste ich auch noch nichts.

    Das ging mir genauso, ich erfahre hier wieder einiges Neues.


    Was mich immer wieder erschreckt, wie die Flüchtlinge noch nach dem Krieg beschimpft worden sind, wo doch alle so viel Leid erlebt haben.

    Davon erzählt meine Mutter auch immer. Unglaublich, dass viele Deutschen scheinbar immer noch auf so einem hohen Ross sitzen konnten, um auf die Flüchtlinge zu schimpfen. Viel gelernt hatten sie zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch nicht.


    Auf die anderen Beiträge gehe ich später ein, ich muss jetzt leider arbeiten.

    Liebe Grüße

    Karin

  • Im Falle von Rosas Familie kommt es zu einer Reihe unglücklicher Zufälle: die Flucht im Schnee, dann Alices hohes Fieber und der Umstand, dass Rosa und Emma nach Lebensmitteln in dem aufgegebenen Haus suchen, in der Hoffnung, dass die Frontlinie noch weit genug entfernt ist ... all das führt dazu, dass das Schicksal seinen traurigen Lauf nimmt und die Familie auseinandergerissen wird. Und in dem Glauben weiterlebt, dass die jeweils Anderen nicht mehr leben.

    Das waren alles traurige Zufälle, die Claire hier perfekt und glaubwürdig konstruiert hat. Ich war wirklich neugierig, wie diese Trennung stattfinden kann. So erzählt, ist sie völlig logisch. Und leider muss ich da auch annehmen, dass es solche Zufälle tatsächlich gab... wie traurig!


    Ich kann aber auch Rosas vehemente Weigerung, eine Suchmeldung nach Alice beim Roten Kreuz zu starten, verstehen, obwohl mir der Gedanke auch zwischendurch kam, warum sie keine solche Suchmeldung aufgibt

    Einerseits verstehe ich die Weigerung, denn sie hat den Schmerz schon tief vergraben (auch wenn ein kleiner Trigger reicht, um ihn wieder lebendig zu machen), aber andererseits finde ich ihre Reaktion, nämlich den Brief vom RK zu zerreißen, zu grob. Wenn sie schon selbst nicht suchen kann, dann sollte doch Emma die Chance dazu haben. Außerdem schöpft sie aus der Ungewissheit ja nicht die allerkleinste Hoffnung. Für sie ist ihre Tochter tot.

    Ich bin neugierig, wie Emma jetzt weitersuchen wird, ob sie sich dem Verbot der Mutter widersetzt oder ob ein Zufall hier wieder Regie übernehmen kann.


    Spannend finde ich auch die Geschichte von Max Vater, der ja wieder nach Berlin zurückgekommen ist. Gab es eigentlich viele, die wieder zurückkamen? Darüber weiß ich so gar nichts. :confused:

    Vernunft, Vernunft...

  • Was mir auch hierbei aufgefallen ist, dass über das Vergangene nie gesprochen wird. Das war in so vielen Familien so, wie auch bei meinen Großeltern, die aus dem Sudetenland geflohen sind. So auch bei Rosa und Emma, zu schrecklich sind die Erinnerungen.

    Ich weiß über meine Großeltern auch nur sehr wenig, weil die einfach nicht darüber gesprochen haben. Meine Oma muss wohl als Baby mit ihrer Familie geflohen sein, aber nach Ende des ersten Weltkrieges, aber woher sie kamen, dazu weiß ich nichts. Und nach 45 wurde ein Bruder meines Opas von den Russen einfach erschossen und liegen gelassen, aber warum und wieso, dazu weiß keiner aus der Familie genau etwas. Wurde und wird alles tot geschwiegen, na ja und leider sind ja auch meine Großeltern schon lange tot.


    Jetzt bin ich aktuell dabei meine Eltern zu bearbeiten, dass sie mir aus dem Alltag in der DDr erzählen. Die sind zum Glück im Alter jetzt auch aussagefreudiger geworden.


    Irma ihr Schicksal ist auch tragisch und noch dazu so ungerecht. Diese speziellen Einrichtungen, wo sie vielleicht hingekommen ist sind nicht tragbar. Ich bin ja in der DDR groß geworden und die Jugendwerkhöfe gab es auch zu meiner Zeit ( eigentlich bis 1989) noch. Ich hatte zwei Jungen an meiner Schule, die dort hin gekommen sind und habe sie viele Jahre später einmal wieder getroffen. Die wurden dort gebrochen und waren psychische Frak's. Schlimm was sie dort erleben mussten, dass kommt der Hölle gleich.

    Ja so eine Einrichtung muss furchtbar gewesen sein. Danke, dass du uns an deinen Erfahrungen teilhaben lässt. Ich habe von der DDR nur wenig mitbekommen, war ja 5 Jahre alt als die Wende war, aber an meiner Erziehung merke ich schon, dass ich doch geprägt wurde dadurch.



    Meine alte Chefin damals wurde von den Russen , als diese Rache nehmend über Deutschland rollten, in Gefangenschaft genommen und in ein russisches Arbeitslager gebracht. Aber bis sie dort ankam wurde sie täglich vergewaltigt. Bei uns in der DDR gab es ein monatlichen Beitrag, den jeder Arbeitnehmer zahlen musste. Das war für die " deutsch sowjetische Freundschaft" und sie wollte diesen Beitrag natürlich für das was man ihr angetan hat, nicht bezahlen.

    Ich hatte gerade eine richtige Gänsehaut als ich deinen Text gelesen habe. Da bin ich immer froh, dass wir im hier und jetzt leben.


    Mein Vater kam aus Schlesien mit Bruder und Mutter und er hat sehr viel davon erzählt. Das fand ich toll. Wie auch mein bayerischer Großvater, der so einiges aus dem Krieg zu berichten wusste. Leider haben tatsächlich mehr Menschen versucht mit Schweigen zu Vergessen oder sogar Ungeschehen zu machen. Und die psychischen Probleme haben ihr übriges getan.

    Da hast du dann wirklich Glück gehabt, dass deine Familie damit so offen umgegangen ist.

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)

  • Auf alle Fälle gab es sicher genug Wissenschaftler, die in Moskaus Diensten standen - mehr oder minder freiwillig.

    Das hatte ich hingegen gar nicht so auf dem Schirm, dass auch Russland viele Wissenschaftler "in ihren Dienst stellte" - dass so einige in den USA an atomaren Programmen weiterforschen "durften", ist mir irgendwie eher im Gedächtnis.

    Die Siegermächte - vor allem die Amerikaner und die Russen - haben sich in Deutschland bedient. Nicht nur an Kunstschätzen u.ä. sondern auch an menschlichem Material.

    :lesen:





  • Ich habe mal einen Bericht eines Neurologen/Psychiaters gelesen, der auch beschreibt, dass sich ein Trauma auch medizinisch als ein abgekapselter Bereich im Gehirn darstellt. Das fand ich sehr interessant. So wie das "gebrochene Herz" eben auch nicht nur ein psychologisches Phänomen ist.

    :thumbup: Beides lässt sich medizinisch durchaus nachweisen.

    :lesen:





  • Es wird nicht umsonst so sein, dass Sergej in Markovs Anwesenheit sehr angespannt ist.

    Ich könnte mir vorstellen, dass es für Alice und uns Leser ernüchternd sein könnte, wenn wir genaueres über seine Arbeit wissen würden, aber die Beschreibung des Verhältnisses der beiden ist einfach nur herzerwärmend.

    Stimmt, von Sergej erfährt man ja wenig. Mich beschäftigt auch, was er wirklich tut und auch wenn er für Alice ja von Anfang an als "der Gute" dasteht fürchte ich, dass da noch etwas Dunkles ans Licht kommt, was Alice später noch traurig machen könnte.

    :lesen:





  • Bei Max' folgendem Satz kam ich ins Grübeln: "Und eigentlich leben wir in einer guten Zeit, finde ich. Es wird und kann doch nur alles besser werden ...". Immerhin machen die letzten 5 Jahre seit Kriegsende, in denen es langsam aufwärts geht, beinahe 1/3 der bisherigen Lebenszeit von Emma und Max aus. Das können wir uns überhaupt nicht vorstellen - glücklicherweise muss ich dazu sagen.

    Nach diesem Krieg ist alles besser, stimmt. Und auch heute noch werden das ja Jahres des Aufschwungs genannt. Aber mal ehrlich, eigentlich ist es nur der Versuch, alles irgendwie wieder aufzubauen und die Trümmer zu beseitigen. Faszinierend, wie ein Volk nach so einem Zusammenbruch doppelt und dreifach durchstartet. Das Unglück setzt ungeahnte Kräfte in den Menschen frei. Das ist eine menschliche Stärke. Trotz ihrer Traumata machen sie weiter und haben Erfolg.

    :lesen:





  • Das war eine schallende Ohrfeige gegenüber der eigenen Bevölkerung und zeigte die Geringschätzung. Sie sollten einfach als Kanonenfutter dienen, die den Lauf der Geschichte so lange wie möglich aufhalten sollten.

    Es wollte ja auch keiner, dass man am Endsieg zweifelte. Auch in den Medien wurde alles schön geredet. Sich einzugestehen - vor aller Welt - dass alles verloren war, dass wollten die Nazis bis zum Schluss nicht. Es wurde ja dauern gemunkelt, Hitler würde in seinem Bunker an einer neuen Waffe bauen lassen, die bald käme und das Blatt wenden würde. Bis zum Schluss wurden solche Gerüchte gestreut um am Schluss Rentner und Kinder zur Waffe zu holen. Perfides System.

    :lesen:





  • Dann springen wir in der Handlung 16 Jahre zurück zu den letzten Kriegsmonaten: dieses Verbot, Ostpreußen bzw. seine Heimat zu verlassen, um geschlossen gegen den Feind zu stehen, ist absolut menschenverachtend und zeigt, wie wenig auch die "eigenen Deutschen" einen Wert für Hitler hatten. Aber das ist ein anderes Thema, über das man sich lang und breit auslassen könnte.

    Aber es zeigt eben auch, wessen Geistes Kind dieses System und ihre Führungselite wirklich war. Hätte die Nazis sich damals anders verhalten, als klar war, dass der Krieg verloren war, hätte sie der Bevölkerung viel Leid ersparen können. In Städten wie in Berlin haben sie zum Beispiel noch in den letzten Augenblicken einen wichtigen Teil der Infrastruktur zerstört.

    Sergej scheint zwar tatsächlich eine recht hohe Position innezuhaben, aber unter Stalin konnte sich das Schicksal ganz schnell gegen einen wenden und plötzlich fand man sich tot oder in einem Arbeitslager wieder. Es wird nicht umsonst so sein, dass Sergej in Markovs Anwesenheit sehr angespannt ist.

    Ja, niemand war davor sicher - die politischen Säuberungen Stalins waren mehr als berüchtigt - und es war den Sowjets direkt nach Kriegsende auch verboten, den Deutschen in irgendeiner Weise zu helfen. Deshalb behauptet Sergej auch, Alice sei die Tochter einer Zwangsarbeiterin, bis Markov hinter ihrer Herkunft kommt ...

    Bei Max' folgendem Satz kam ich ins Grübeln:"Und eigentlich leben wir in einer guten Zeit, finde ich. Es wird und kann doch nur alles besser werden ...". Immerhin machen die letzten 5 Jahre seit Kriegsende, in denen es langsam aufwärts geht, beinahe 1/3 der bisherigen Lebenszeit von Emma und Max aus.

    Und man darf zusätzlich nicht vergessen, wie schwierig diese ersten Nachkriegsjahre waren, besonders in Berlin, wo die Blockade 1948/49 der Sowjets West-Berlin erneut in eine sehr bedrohliche Situation gebracht hat und mit großen Entbehrungen einherging. Erst ab 1950 hat sich die Situation in West-Berlin - die Stadt lag im Aufschwung lange hinter der BRD zurück - wirklich angefangen zu verbessern.

    Neben der spannenden Geschichte um Emma und Alice gefallen mir aber auch wieder die Beschreibungen der damaligen Zeit, wie z.B. die Tatsache, dass viele Westdeutsche regelmäßig nach Ostberlin fuhren, weil man dort mehr für die Westmark bekommen hat usw.

    Das freut mich. Ich finde diese Zeit in Berlin, gerade auch in diesen Alltagsdingen, wie ich oben schon mal erwähnt habe, auch so faszinierend und spannend!

  • Das ist ja eigentlich Sklavenhandel. Weißt Du, was aus diesen Menschen geworden ist? Kann man dann noch ein eigenes Leben aufbauen?

    Ja, das hat schon etwas von Leibeigenschaft. Diese Wissenschaftler und Techniker, die man in die Sowjetunion verschleppte, haben dort zwar ein Gehalt bekommen und konnten zum Teil auch ihre Familien mitnehmen, aber sie waren nicht frei. Die meisten von ihnen durften wie gesagt Mitte der 50er Jahre zurückkehren. Man versuchte sie natürlich dazu zu bewegen, in der DDR zu bleiben, aber viele sind in den Westen gegangen. Verständlicherweise ... Dieser historisch-politische Hintergrund wird im Roman auch noch eine Rolle spielen.

  • Die Nazis mochte er GsD überhaupt nicht - und es kursiert die Geschichte (er hat seine Ausbildung zum Gärtner in Berlin absolviert, als Hitler an die Macht kam), dass er NICHT den Hitlergruß machte - was damals unter Strafe stand. Solch einen Mann zu grüßen, war unter der Würde meines Vaters (was ich ihm noch heute hoch anrechne, auch wenn er nicht viel aus der Zeit des 2. WK - er wurde spät eingezogen, war in Norwegen) erzählte... wie so viele....

    Hut ab vor Deinem Vater. Dafür zolle ich ihm wirklich Respekt!

    Ja Hut ab, dass hätte auch ganz anders ausgehen können. Das erforderte schon viel Mut.


    Das gab es bei uns zu DDR Zeiten auch so ähnlich. Ich habe als Köchin, als Zivilangestellte bei der NVA, in der Offiziersküche gearbeitet. Als ein hoher Offizier aus Berlin ( den Namen vergessen ich mein Leben lang nicht " Oberst Pawlivzok) bei uns in der Kaserne zu Besuch war, sagte ich im Vorbeigehen ganz normal guten Tag zu ihm. Er hielt mich sofort an und fragte mich ob ich ihn nicht richt grüßen könnte, ich sollte salutieren. Ich sagte ihm dann, das ich Zivilangestellte bin und ein normaler Gruß da wohl reiche. Er war richtig angepisst, entschuldigt den Ausdruck. Als ich später meinen Meister machen wollte, wurde mir ans Herz gelegt für drei Jahre als Unteroffizier die Uniform anzuziehen und in die Partei einzutreten. Das lehnte ich dankend ab. Damit war das Urteil gefallen, Oberst Pawlivzok hat dafür gesorgt, dass ich nicht meinen Meister machen konnte.

    &quot; Bücher lesen heißt, wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben , über die Sterne&quot;<br />- Thomas Carlyle

  • Das waren alles traurige Zufälle, die Claire hier perfekt und glaubwürdig konstruiert hat. Ich war wirklich neugierig, wie diese Trennung stattfinden kann. So erzählt, ist sie völlig logisch. Und leider muss ich da auch annehmen, dass es solche Zufälle tatsächlich gab... wie traurig!

    Vielen Dank für das Kompliment! :)

    Es sind ist Ostpreußen in dem Chaos der Flucht übrigens tausende von Kindern unfreiwillig von ihren Eltern und Familien getrennt worden. Um zu überleben, mussten sie oft ihre deutsche Herkunft verleugnen und irrten ganz allein auf sich gestellt in der eisigen Kälte durch das Land. Manche lebten oft Wochen oder Monate versteckt in den Wäldern und schlugen sich auf der Suche nach etwas zu Essen bis nach Litauen durch (Sie gingen später als "Wolfskinder" in die Geschichte ein.) Es ist einfach unvorstellbar, was es damals für Schicksale gab. Mich hat das bei meinen Recherchen sehr, sehr berührt.

    Spannend finde ich auch die Geschichte von Max Vater, der ja wieder nach Berlin zurückgekommen ist. Gab es eigentlich viele, die wieder zurückkamen? Darüber weiß ich so gar nichts

    Ja, es gab ja um die zwei Millionen Kriegsgefangene, die aus der Sowjetunion zurückkehrten, etwa eine Million sind umgekommen oder galten als vermisst. Der größte Teil der Kriegsgefangenen kam bis Ende der 40er Jahre zurück, aber die letzten Spätheimkehrer kehrten erst Mitte der 50er Jahre wieder nach Deutschland zurück.

    Ich weiß über meine Großeltern auch nur sehr wenig, weil die einfach nicht darüber gesprochen haben.

    Das war bei mir auch ähnlich, aber der Großvater meines Manns, der auch lange in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war, hat viel von der dieser Zeit erzählt. Allerdings auch nur, wenn er mit uns alleine war.

    Jetzt bin ich aktuell dabei meine Eltern zu bearbeiten, dass sie mir aus dem Alltag in der DDr erzählen. Die sind zum Glück im Alter jetzt auch aussagefreudiger geworden.

    Das ist bestimmt interessant und sehr spannend, was sie zu erzählen haben!:thumbup::)

    Nach diesem Krieg ist alles besser, stimmt. Und auch heute noch werden das ja Jahres des Aufschwungs genannt. Aber mal ehrlich, eigentlich ist es nur der Versuch, alles irgendwie wieder aufzubauen und die Trümmer zu beseitigen. Faszinierend, wie ein Volk nach so einem Zusammenbruch doppelt und dreifach durchstartet. Das Unglück setzt ungeahnte Kräfte in den Menschen frei. Das ist eine menschliche Stärke. Trotz ihrer Traumata machen sie weiter und haben Erfolg.

    Ich finde das auch unglaublich, woher die Menschen nach diesem Leid und schrecklichen Erlebnissen, die Kraft genommen haben, mit so viel Energie wieder etwas aufzubauen und neu anzufangen. Alle, die diese Zeit miterlebten, haben mir aber auch erzählt, wie sehr sie sich über die kleinsten Kleinigkeiten freuen konnten. Es war eben nichts selbstverständlich.

  • Er war richtig angepisst, entschuldigt den Ausdruck. Als ich später meinen Meister machen wollte, wurde mir ans Herz gelegt für drei Jahre als Unteroffizier die Uniform anzuziehen und in die Partei einzutreten. Das lehnte ich dankend ab. Damit war das Urteil gefallen, Oberst Pawlivzok hat dafür gesorgt, dass ich nicht meinen Meister machen konnte.

    Das ist ja unglaublich! Aber ich finde es beeindruckend, dass Du abgelehnt und Dich nicht verbogen hast. Wie Du schon sagst, dass erfordert Mut. Respekt!:thumbup::thumbup:

  • Und als ich mir meine Notizen noch einmal durchgelesen habe, ist mir noch etwas aufgefallen. Der Vergleich zwischen den sowjetischen Lagern und den Konzentrationslagern. Ist gar nicht so weit hergeholt wenn ich nur an das Buch " So weit die Füße tragen" denke. Da gibt es ja einige in dieser Art, wo von den Zuständen in russischen Arbeitslagern berichtet wird.

    Schaut mal, was mir heute von Google vorgeschlagen wurde, das passt ja gerade zu den Lagern: https://www.faz.net/aktuell/fe…ocket-newtab-global-de-DE


    Aber es zeigt eben auch, wessen Geistes Kind dieses System und ihre Führungselite wirklich war. Hätte die Nazis sich damals anders verhalten, als klar war, dass der Krieg verloren war, hätte sie der Bevölkerung viel Leid ersparen können. In Städten wie in Berlin haben sie zum Beispiel noch in den letzten Augenblicken einen wichtigen Teil der Infrastruktur zerstört.

    Das ist leider wahr, dass die Nazis ihre Menschenverachtung bis zum letzten Moment ausgelebt haben - und zwar in allen Bereichen.


    Das gab es bei uns zu DDR Zeiten auch so ähnlich. Ich habe als Köchin, als Zivilangestellte bei der NVA, in der Offiziersküche gearbeitet. Als ein hoher Offizier aus Berlin ( den Namen vergessen ich mein Leben lang nicht " Oberst Pawlivzok) bei uns in der Kaserne zu Besuch war, sagte ich im Vorbeigehen ganz normal guten Tag zu ihm. Er hielt mich sofort an und fragte mich ob ich ihn nicht richt grüßen könnte, ich sollte salutieren. Ich sagte ihm dann, das ich Zivilangestellte bin und ein normaler Gruß da wohl reiche. Er war richtig angepisst, entschuldigt den Ausdruck. Als ich später meinen Meister machen wollte, wurde mir ans Herz gelegt für drei Jahre als Unteroffizier die Uniform anzuziehen und in die Partei einzutreten. Das lehnte ich dankend ab. Damit war das Urteil gefallen, Oberst Pawlivzok hat dafür gesorgt, dass ich nicht meinen Meister machen konnte.

    Respekt, dass du abgelehnt hast.

    Liebe Grüße

    Karin

  • odenwaldcollies , danke für den Link. Das wäre auch ein Buch für mich, wenn es denn auf deutsch erscheint. Interessanter Artikel.

    &quot; Bücher lesen heißt, wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben , über die Sterne&quot;<br />- Thomas Carlyle

  • Das gab es bei uns zu DDR Zeiten auch so ähnlich. Ich habe als Köchin, als Zivilangestellte bei der NVA, in der Offiziersküche gearbeitet. Als ein hoher Offizier aus Berlin ( den Namen vergessen ich mein Leben lang nicht " Oberst Pawlivzok) bei uns in der Kaserne zu Besuch war, sagte ich im Vorbeigehen ganz normal guten Tag zu ihm. Er hielt mich sofort an und fragte mich ob ich ihn nicht richt grüßen könnte, ich sollte salutieren. Ich sagte ihm dann, das ich Zivilangestellte bin und ein normaler Gruß da wohl reiche. Er war richtig angepisst, entschuldigt den Ausdruck. Als ich später meinen Meister machen wollte, wurde mir ans Herz gelegt für drei Jahre als Unteroffizier die Uniform anzuziehen und in die Partei einzutreten. Das lehnte ich dankend ab. Damit war das Urteil gefallen, Oberst Pawlivzok hat dafür gesorgt, dass ich nicht meinen Meister machen konnte.

    Wenn ich so etwas lese, kann ich (innerlich) sehr sehr wütend werden - ich hasse Ungerechtigkeit - und Missbrauch von Macht: Und das ist ein trauriges Beispiel. Finde es auch toll, dass Du Dich nicht hast verbiegen lassen, chapeau!

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)