Raymond Queneau - Stilübungen

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 3.105 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Saltanah.

  • Ich habe die schwedische Übersetzung von Lars Hagström unter dem Titel Stilövningar gelesen.


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    Der Inhalt ist schnell erzählt: Paris, mittags um 12 in einem S-Bus auf der hinteren Plattform: Ein junger Mann mit auffallend langem Hals und einer Schnur statt einem Hutband um den Hut beklagt sich darüber, dass ein Mitpassagier ihm immer auf die Zehen tritt, wenn andere ein- oder aussteigen. Dann setzt er sich auf einen freigewordenen Platz. 2 Stunden später wird er an einer anderen Haltestelle beobachtet, als ihm ein Freund den Rat gibt, den obersten Knopf an seinem Mantel zu versetzten.
    Das war's.


    Diese "Geschichte", 1947 von Queneau erstmals veröffentlicht, wird 99 mal erzählt, in den verschiedensten Stilvarianten. Als Traum, voller Überraschung, als Sonett oder Haiku, als Drama in 3 Akten, geometrisch, farblich, in Küchenlatein, als Syn- und Apokope, animistisch, zoologisch, medizinisch, als Lipogramm, als Ode, und in vielen weiteren Varianten. Köstlich!
    Natürlich hängt bei einem solchen Buch noch mehr als üblicherweise von dem Können des Übersetzers ab. Daher kann ich über die deutsche Ausgabe kein Urteil abgeben, wenn sie aber ebenso gelungen wie die schwedische Übersetzung ist, dann empfehle ich euch die Lektüre ohne Einschränkung.
    Ich vergebe
    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo Saltanah,


    wie konnte ich Deine Würdigung dieses oulipistischen Meisterwerks übersehen? Aber jetzt kann ich diesen Hinweis ja nachschieben: OuLiPo, das ouvroir de littérature potentielle (Werkstatt für potentielle Literatur) ist eine Künstlergruppe, die in Queneau und Georges Perec ihre vielleicht profiliertesten Vertreter gefunden hat. Ziel dieser Gruppe ist die spielerische Auferlegung von bestimmten formalen Regeln beim Schreiben (etwa das Weglassen aller es in Perecs Roman La disparition oder eben eine solche Variation eines eigentlich völlig inhaltslosen Textes), was zusammen tatsächlich eine völlig neue Form des Lektüregenusses ergibt.
    Ich frage mich übrigens wie solche Späßchen wie die "homonyme" Variante in Übersetzungen übernommen werden...
    Und dann gibt es Varianten, die machen einem schon auf Französisch zu schaffen, die Übersetzungen wären hier wirklich mal interessant.


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    Oulipistische Grüße,


    B.

    Einmal editiert, zuletzt von Bartlebooth ()

  • Hallo Bartlebooth,


    ich wusste doch, dass du das Buch kennst, und hatte mich schon darüber gewundert, dass du nichts dazu schriebst :smile: .
    Ich bedauere es wirklich, dass ich kein Französisch, und somit das Buch nicht im Original lesen kann. Der Übersetzer schrieb im Nachwort, dass es verständlicherweise unmöglich ist, gewisse Übungen in eine andere Sprache zu übersetzen; diese musste er "nachdichten". So wurde aus dem "Französischen Bauern des 19. Jahrhunderts" ein "17. Jahrhundert-Schwedisch", übrigens ein Höhepunkt des gesamten Buches.
    Ich würde dir ja gerne die homonyme Variante auf schwedisch zitieren - übrigens auch gelungen; an ihr habe ich eine Weile geknabbert, um alle Wortspielereien zu entziffern - aber das ist ja wohl eher sinnlos.
    Bei meinem nächsten Deutschlandurlaub werde ich mir das Buch auch auf deutsch besorgen und es mit meiner schwedischen Übersetzung vergleichen.

    Wir sind irre, also lesen wir!

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    Jetzt habe ich diese Variationen auch in englischer Übersetzung gelesen. Auch sie hat mich amüsiert, allerdings waren mir einige der Stilübungen zu ähnlich, und die große Überraschung, die mir die schwedische Übersetzung bot, war nicht mehr gegeben. Trotzdem hat mir auch diesmal der junge Mann mit dem langen Hals wieder ein paar unterhaltsame Stunden beschert.


    4ratten

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