Frauenverachtung in der Literaturkritik

Es gibt 30 Antworten in diesem Thema, welches 4.869 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Sagota.

  • Frauenverachtung in der Literaturkritik: @nachtundtagblog hat mit Autorinnen gesprochen und auf @54blog einen interessanten Beitrag dazu geschrieben. Da kann einem doch nur der Hut hochgehen.


    Was mir Angst macht, ist ja: Solche Sätze kommen nicht aus privaten Nischenecken. Es sind bekannte Leute, die für bekannte Sendungen und Zeitungen arbeiten. Die können sich nicht dahinter verstecken, dass diese Beiträge nicht deren Meinung widerspiegelt.


    https://www.54books.de/schweig…e-in-der-literaturkritik/

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


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  • Sehr starker Artikel. Solche Aussagen von Scheck und Co kann ich einfach nicht verstehen. Die Hoheit zu haben über "das hätte nicht mal veröffentlicht werden dürfen". Solche Aussagen machen mich nur wütend. Wenn die Prominenz des Kritikers über die des Schriftstellers wächst und zur Waffe wird.


    Dieses Zitat klingt sehr in mir nach:

    Zitat

    Der Literaturwissenschaftler und Kanonforscher Todd McGowan hat sich mit der Frage beschäftigt, warum bestimmte Werke, die inzwischen zum Kanon der amerikanischen Literatur gehören, lange Zeit über nicht einbezogen wurden. Seine Antwort: Weil die in den Werken von Frauen und Schwarzen, von BIPoC und LGBTQIA beschriebenen Traumata sich mit der Weltsicht derjenigen, die den öffentlichen Diskurs beherrschten, nicht vereinbaren ließen.

    Man könnte meinen dass solche Kritiker in der Lage wären zu erkennen, dass ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen eben nicht der hoheitliche Standard der gesamten Weltbevölkerung darstellen.


    Danke für's Teilen.

  • Wenn ich mir anschaue, wer eigentlich in Deutschland bekannt ist für Literaturkritik, dann sehe ich z.B. weiße Männer, kaum Frauen und schon gar keine POC oder überhaupt Diversität. Und das spiegelt sich ja auch in den Verlagsprogrammen wieder. Denn diese Menschen haben ja auch Einfluss darauf...


    Gebe zu Scheck, den ich früher immer gefeiert habe, hat es sich bei mir spätestens mit seinem Black Facing sowieso verscherzt. Das war so dermaßen... ich kann nicht richtig ausdrücken wie rassistisch und abwertend das war.


    djoo

    Naja, Selbstreflektion bedeutet ja nicht automatisch, das man dann zu dem Ergebnis kommt, das man etwas falsch gemacht hat.

  • Ja, da sprichst du was an. Diversität bei Buchkritikern (die jenigen die für Magazine, Zeitungen, etc. schreiben) steht wahrscheinlich gaaaaanz weit unten auf der Agenda. Davor erstmal Diversität bei veröffentlichten SchriftstellerInnen, usw.

    Alles auf einmal würde wahrscheinlich das System zerstören.^^

  • Gebe zu Scheck, den ich früher immer gefeiert habe, hat es sich bei mir spätestens mit seinem Black Facing sowieso verscherzt. Das war so dermaßen... ich kann nicht richtig ausdrücken wie rassistisch und abwertend das war.

    Oh. Das hatte ich damals nicht mitbekommen. <X


    Den Artikel zur Literaturkritik habe ich diese Woche auch gelesen. (Leider nicht) völlig absurd, dass so ein sexistischer Quatsch tatsächlich heute noch geschrieben wird. Das scheint ja wirklich ein großes Problem in der "Branche" zu sein.

  • Zank

    Scheck hat damit auf die Debatte reagiert, als es darum ging, rassistische Begriffe aus "Die kleine Hexe" und anderen Kinderbüchern zu entfernen.


    Ich denke das Spiegelt einfach auch wieder, wie unsere Gesellschaft nach wie vor aufgebaut ist und wie durchdrungen wir von Sexismus nach wie vor sind. Diese Generationen sind ja noch präsent. Die alten weißen Herren sind diejenigen, die dann weitere Journalist*innen fördern. Die Zeitungen sind ja auch schon nicht besonders Divers besetzt... Das betrifft also mehr, als nur die Literaturkritik. Das ist ein Problem, das gesamtgesellschaftlich nach wie vor nicht richtig diskutiert wird.
    Es muss immer erst etwas eskalieren, das überhaupt über ein Problem wirklich diskutiert wird. Das konnte man ja bei Black Lives Matter letztes Jahr sehr gut beobachten.


    Wenn ich mir anschaue, das die Frau immer als das Andere, Fremde konstruiert wird, statt sie als die Hälfte der Weltbevölkerung zu betrachten. Wenn ich sehe, das Frauen nach wie vor vorgeworfen wird, sie seien ja so emotional, hysterisch usw. usw. usw. dann wundert es mich nicht, das Literatur von Frauen nach wie vor als das Andere, Fremde konstruiert wird.

    Wenn ich mir anschaue, wie viele Autorinnen z.B. den Literaturnobelpreis bekommen haben in den letzten Jahren und ich von fast keiner vorher je etwas gehört hatte... Das sagt finde ich auch sehr viel darüber aus, wie auch Global über Frauen als Autor*Innen gedacht wird...

    Wenn ich an diese ganzen Kanon-Literaturen denke, die ja sogenannte Nationalliteratur oft ist...
    Im Unterricht werden Frauen so oft nur am Rande gelesen, fürs Abitur ... ich kenne jedenfalls niemanden der schon mal zu Christa Wolf seinen Abituraufsatz geschrieben hat... (ja das ist anekdotisch).

    Wenn ich an Autorinnen des 19. Jahrhunderts denke, fallen mir fast nur Engländerinnen ein.

    Karoline von Günderrode, eine Dichterin der Romantik, wird so oft nur im Kontext ihres Selbstmordes behandelt oder weil sie Kontakt zu den von Arnims und Goethe hatte, nicht aber als eigenständige Dichterin.

    Und so würden mir jetzt noch viele Beispiele einfallen. Literatur von Frauen, das wird ja auch im Studium oft als Randerscheinung behandelt, wenn man nicht gezielt Seminare dazu besucht. Und dort hat man dann wenigstens die Chance überhaupt mal etwa zu erfahren. Aber abseits von Universitäten
    Fehlanzeige...
    Und dann auch diese Abwertung von Kinder und Jugendbüchern, die auch damit einhergeht. Das regt mich so oder so zusätzlich auf.

  • Ich kenne jedenfalls niemanden der schon mal zu Christa Wolf seinen Abituraufsatz geschrieben hat... (ja das ist anekdotisch).

    Wir haben Christa Wolf sehr ausführlich im Unterricht besprochen (u.a. auch in Bezug auf das Frauenbild in ihrem Roman "Medea" im Vergleich zum Originalmythos), ein Theaterstück dazu besucht, und es gab auch einige mündliche Abiturprüfungen dazu; und auch die anderen Prüfungen hatten mehrheitlich Texte von Frauen zum Thema (meine z.B. von Birgit Vanderbeke) - Ich hatte aber auch eine tolle Deutschlehrerin, der das sehr wichtig war. <3

  • Beim Deutschunterricht in meiner Schule wurde über eine einzige Autorin gesprochen. Das war Annette von Droste-Hülshoff, ansonsten habe wir nur Schriftsteller und ihre Werke durchgenommen.


    Wobei mein Deutschprofessor auch gefühlt aus dem vorigen Jahrhundert stammte. Bei ihm hörte zeitgenössische Literatur in den frühen 50er Jahren des 19ten Jahrhunderts auf...

  • Zank

    Hach "Medea". Ich hatte mal eine ziemlich coole Vorlesung zu Medea und Rezeption in der Literaturgeschichte, und auch dem Bezug zum Theater. Das war total interessant.

    Finde super das deine Lehrerin da auch selbst den Schwerpunkt gesetzt hat.


    dodo

    Es kommt auf jedenfall auch extrem auf die Lehrer*innen an. Ich weiß von Deutschland das man eben sehr wohl Spielräume hat, welche Bücher besprochen werden und welche Autor*innen. Bei uns ist es so, das man neben der Abiturpflichtlektüre auch noch weitere Bücher lesen soll, die dann aber frei von der jeweiligen Lehrperson ausgesucht werden können. Da kann man im Prinzip alles mögliche unterbringen, wenn man es denn möchte...

  • Schön geschrieben, Holden.


    Wo du alte, weiße Journalisten ansprichst. Ich hatte 2019 ein Praktikum bei einem Fernsehsender. Und ich hatte sehr viel mit einem Chefredakteur zu tun, der auch selbsternannt "alte Schule" ist. Er hatte in meiner Gegenwart schon zwei mal ganz selbstverständlich das N-Wort benutzt, wo ich die Chance hatte beim zweiten Mal ausdrücklich etwas dagegen zu sagen. Den einen Tag musste er einen Unterricht geben und ich saß neben ihm um den Computer zu bedienen. In der ersten Reihe saß eine schwarze, sehr junge Dame. Jedenfalls hatte er gerade einen Beitrag als Beispiel abspielen lassen, wo es um Asylheime und deren Zustände ging. Beitrag vorbei und er hat sogar was fürsprechendes gesagt für die Asylbewerber, aber diese eben mit dem N-Wort angesprochen. Aber diesmal sagte er direkt daraufhin, "oh, ich weiß gar nicht ob man das heutzutage noch sagen darf, ich bin da nicht mehr auf dem neuesten Stand." - so hinterhältig einfach, weil er sich die zwei mal vorher wo zufällig keine PoC zugegen waren, nicht dafür gerechtfertigt hat. Auf der Autofahrt zurück war er auch ewig angepisst, dass ich ihn vor der Klasse lächerlich gemacht habe und das ich lernen muss, dass in der Branche nun mal einen anderer Ton herrscht.:rolleyes: Was irgendwie die Generalaussage ist für alles was geändert werden kann in jeder Branche. "Das ist halt nun mal so im Theater/Fernsehen/Radio/Fotografie/Fashion/etc. pp." - Nein, ist es nun mal nicht mehr!

    Sie hat seinen Rassismus übrigens nicht mitbekommen. Sie war auf Instagram die ganze Zeit.

  • djoo

    Naja wenn ich schaue, das erst grade im WDR die Diskussionsrunde wiederholt wurde, in der weiße, privilegierte Menschen sich darüber aufgeregt haben, das sie nicht mehr Z*Schnitzel sagen dürfen... X(:rolleyes:

    Ich hoffe ehrlich gesagt schon auch sehr stark auf die jetzige Generation, die ja wenigstens einen schönen Shitstorm auf dem WDR ausgeleert hat und ich sehe ja schon, das es zum Glück auch so viele gibt, die vieles kritisieren und auch hinterfragen. Und zum Glück gibt es immer mehr Menschen, die auch kapieren, das sie sich selbst hinterfragen müssen, damit andere nicht mehr verletzt werden. Es gibt zwar viel zu tun, aber es gibt wenigstens immer mehr Menschen, die auch bereit sind, das mit anzugehen.

  • Ich freue mich gerade sehr zurück in dieses Forum gefunden zu haben. Auch wegen solchen Threads und Gesprächsverläufen.

  • djoo

    Naja wenn ich schaue, das erst grade im WDR die Diskussionsrunde wiederholt wurde, in der weiße, privilegierte Menschen sich darüber aufgeregt haben, das sie nicht mehr Z*Schnitzel sagen dürfen... X(:rolleyes:

    Ich habe mir die Sendung in der Mediathek nach dem Shitstorm angeschaut. Wirklich widerlich!!! (Ich spreche nicht oft mit meinem Fernseher, aber da schon!)

    Wie sie dann auch noch abwertend reagiert haben, als der Moderator einmal versuchte, darauf hinzuweisen, dass der Zentralrat der Sinti und Roma darum bittet, den Begriff nicht zu verwenden.

    Und Gottschalk, der wisse, wie sich ein Schwarzer fühlt, weil er sich mal als einer verkleidet hat. Öhm, nein!

  • Wenn ich mir anschaue, wer eigentlich in Deutschland bekannt ist für Literaturkritik, dann sehe ich z.B. weiße Männer, kaum Frauen und schon gar keine POC oder überhaupt Diversität. Und das spiegelt sich ja auch in den Verlagsprogrammen wieder.

    Ich habe mich vor einigen Jahren SEHR geärgert, wie Elke Heidenreich aus dem zdf "komplimentiert" wurde. Ihre Sendung "Lesen!" und die Art und Weise, wie sie Literaturangebote, die sie vorstellte, vermittelte, fehlt mir heute noch.

    Und dafür (bzw. für sie) gibt es keinen Ersatz!


    Auch wenn ich es noch nicht gelesen habe, ist ihr letzter Buchtitel auch bezeichnend (Männer in Kamelhaarmänteln)....

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Ich habe mich vor einigen Jahren SEHR geärgert, wie Elke Heidenreich aus dem zdf "komplimentiert" wurde. Ihre Sendung "Lesen!" und die Art und Weise, wie sie Literaturangebote, die sie vorstellte, vermittelte, fehlt mir heute noch.

    Geht mir auch so. Ich kaufe sogar ein Buch, wenn ein Satz von ihr drauf steht, auch wenn es nicht mein Beuteschema ist.

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


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    2023 - 91


    Gesamt seit März 2007: 1012

  • Zank

    Ich hab es mir nicht angeschaut. Ich hab aber auch so viel über Instagram mitbekommen, dass das dann nicht mehr nötig war. Ich fand am schlimmsten, das die Sendung ja sogar eine Wiederholung war. Also das der WDR nach der ersten Ausstrahlung sich nicht veranlasst sah, die Sendung einfach nie mehr zu zeigen... das bedeutet ja auch, das es beim ersten Mal nicht mal einen Aufschrei gab...

  • HoldenCaulfield: Das war bei uns eigentlich auch so. Die Nachbarklasse hat eine ganz andere Literaturliste durch genommen als wie meine Klasse. Der Professor war einfach völlig aus der Zeit gefallen. Ich kann mich noch erinnern, wie er uns freudestrahlend von Friedrich Dürrenmatt "Biedermann und die Brandstifter" zum Lesen mit dem Worten gegeben hat: "Jetzt lesen wir einmal etwas Modernes!" Das war 1995 und das gute Stück hatte zu dem Zeitpunkt fast 50 Jahre auf dem Buckel. (Nicht, dass mir das Stück nicht gefallen hätte). Ich denke, dass es für ihn neben Anette Droste-Hülshoff und Marie von Ebner-Eschenbach keine Schriftstellerinnen gegeben hat.

  • Ich habe mich vor einigen Jahren SEHR geärgert, wie Elke Heidenreich aus dem zdf "komplimentiert" wurde. Ihre Sendung "Lesen!" und die Art und Weise, wie sie Literaturangebote, die sie vorstellte, vermittelte, fehlt mir heute noch.

    Geht mir auch so. Ich kaufe sogar ein Buch, wenn ein Satz von ihr drauf steht, auch wenn es nicht mein Beuteschema ist.

    Mir ging es umgekehrt - ich mag ihre Art zu reden und fand die Sendung immer sehr interessant, die vorgestellten Bücher in der Regel aber nicht! :S


    Ich glaube, bei einem Hörbuch von Frau Heidenreich könnte ich einschlafen. Bis auf gelegentliche Gefühlsausbrüche hatte ihre Art zu reden und sich für Buchinhalte zu begeistern so etwas Beruhigendes für mich.


    Am Rauswurf damals habe ich nicht verstanden, dass mehrere Verleger um den Erhalt der Sendung mit ihr gebeten hatten und sich offenbar die empfohlenen Bücher wie warme Semmeln verkauften, das ZDF aber trotzdem hart blieb. Ich fand das immer interessant, am Tag nach der Sendung in der Buchhandlung den "Heidenreich empfiehlt"-Büchertisch zu sehen, der oft auch sehr liebevoll aufgebaut war.



    LG von

    Keshia

    Ich sammele Kochbücher, Foodfotos und Zitate.


    <3 Aktuelle Lieblingsbücher: "The good people" von Hannah Kent, "Plate to pixel" von Hélène Dujardin und "The elegance of the hedgehog" von Muriel Barbery.

  • djoo

    Und zum Glück gibt es immer mehr Menschen, die auch kapieren, das sie sich selbst hinterfragen müssen, damit andere nicht mehr verletzt werden. Es gibt zwar viel zu tun, aber es gibt wenigstens immer mehr Menschen, die auch bereit sind, das mit anzugehen.

    Leider leben wir aber ja nicht in einer Zeit, in der es gefördert wird, dass andere nicht verletzt werden, sondern in der immer mehr Menschen das regelrecht zelebrieren und dann Prank, Satire, Provokation etc. nennen. Oder auch Shitstorm. Es erschreckt mit jedes Mal, wenn ich wieder lese, wie normal es offenbar viele Menschen finden, anderen Morddrohungen oder auch "Harmloseres" zu schicken und nicht bedenken, wie das bei denen ankommen könnte. Was ist, wenn der mit "kill yourself" angesprochene ernsthaft Selbstmordabsichten hat und dies der letzte Grund war?

    So etwas scheint mir immer stärker normalisiert zu werden.


    Empathie wird eher nicht gefördert, und wenn, dann oft selektiv, jeder hat seine eigene Gruppe, für die er Empathie einfordert, andere Gruppen sind dann halt mal egal.


    Ich finde, jeder sollte heutzutage täglich daran arbeiten, jeden anderen als Menschen mit Gefühlen und eigenen Problemen zu sehen und es für sich normalisieren, niemanden zu beleidigen, provozieren, anzupöbeln.


    Leider sind offenbar immer weniger Menschen dazu bereit, alle anderen auch als Menschen zu sehen.


    LG von

    Keshia

    Ich sammele Kochbücher, Foodfotos und Zitate.


    <3 Aktuelle Lieblingsbücher: "The good people" von Hannah Kent, "Plate to pixel" von Hélène Dujardin und "The elegance of the hedgehog" von Muriel Barbery.