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"Dafuq" von Kira Jarmysch
Handlung:
Anja Romanowa, 28, muss wegen Teilnahme an einer nicht genehmigten Demo für 10 Tage ins Gefängnis. In der Frauenzelle Nr. 3 lernt sie fünf Frauen und deren Geschichten kennen, hat viel Zeit, um über ihr Leben und die Welt nachzudenken. Außerdem bekommt sie gleich am ersten Tag Halluzinationen.
Meine Meinung:
Normalerweise lese ich keine Bücher, die im Gefängnis spielen. Aber als Kira Jarmysch verkündete, sie habe ein Buch geschrieben, konnte ich nicht widerstehen. Ja, es geht um das öde Gefängnisleben. Das ist allerdings nur eine Ebene des Romans. In erster Linie geht es um Schicksale.
Anja sitzt mit fünf sehr unterschiedlichen Frauen ein: Natascha, die schon wegen Diebstahls in einem richtigen Straflager war und einen Sprachfehler hat, Diana, dunkelhäutig und sehr selbstbewusst, hat schon den 3. Ehemann, Irina, genannt Irka, ständig auf Drogen und wegen nicht gezahlter Alimente eingesperrt , Maja, die ihren Körper chirurgisch optimiert hat und sich von Männern aushalten lässt, und Katja, die lesbisch ist und sich nichts gefallen lässt, schlägt auch mal zurück. Und Anja selbst, die einzige "politische" Insassin, hat eine Dreiecksbeziehung hinter sich und lässt keine politische Demo aus.
Jarmysch hat ihre Figuren so gut beschrieben, dass man jede von ihnen in einem Dialog sofort erkennen kann. Jede hat ihre eigene Art zu sprechen, zu denken und zu handeln. Sie wirken allesamt sehr echt.
Im Laufe der Geschichte erfährt man über die eine mehr, über die andere etwas weniger, trotzdem sind alle gleich präsent. Sobald eine von ihnen die Zelle verlässt, weil die Zeit um ist, merkt man, dass etwas fehlt.
Über Anja erfährt man vieles, aber nicht alles. Ihre Vergangenheit wird nach und nach erzählt. Die Gegenwart bleibt, abgesehen vom derzeitigen Aufenthalt im Gefängnis, im Dunkeln. Die Rückblenden werden durch ein Ereignis oder einen Satz ausgelöst. Das wirkt wie ein Schneeball - erst geht es um ein Erlebnis aus Anjas Leben, das unmittelbar mit dem aktuellen Ereignis zu tun hat, dann verliert sie sich in Abzweigungen, die im Nichts enden. Beispiel: sie hat keine Zigaretten mehr und erinnert sich daran, wie sie mit dem Rauchen aufgehört hat. Das war auf einem Ausflug mit ihren beiden Freunden, dann geht sie über zu der Beziehung zu den beiden, schwenkt dann gedanklich um zur Untreue und den Folgen. Ich musste oft an einen Baum denken, bei dem der Stamm das aktuelle Gefängnisgeschehen ist und die Rückblenden die Äste.
Neben den Zelleninsassinnen lernt Anja noch weitere Menschen kennen, die alle eine eigene Geschichte haben. Jarmysch schafft es, auch diese kleinen Begegnungen mit Leben zu füllen.
Anjas Halluzinationen sind zum Teil recht gruselig. Sie rätselt über die Ursache und kommt schließlich zu einem - sehr phantastischen - Ergebnis. Die Autorin überlässt es allerdings dem Leser, über die Glaubwürdigkeit dieses Ergebnisses zu entscheiden. Das Genre des Buches könnte magischer Realismus sein, oder eben auch nicht.
Was das Buch aber auf jeden Fall ist: lesenswert.
Ich war vom Schreibstil von Kira Jarmysch sehr angetan. Sie hat eine Art, die Atmosphäre einer Szene so zu beschreiben, dass man sich mittendrin fühlt. Den Aufenthalt in der Zelle, der mal aufregend, mal unheimlich und mal furchtbar lang(weilig) ist, kann man buchstäblich miterleben. Jarmysch hat hier ihre eigenen Erfahrungen verarbeitet, sie wurde bereits des öfteren zu mehrtägigen Haftstrafen verurteilt.
Hoffentlich schreibt sie weiter und viel.
Der Titel der deutschen Ausgabe ist bekloppt, finde ich. Wörtlich übersetzt lautet der Originaltitel "Unglaubliche Ereignisse in der Frauenzelle Nr. 3". Für den deutschen Markt zu lang, oder wie? Andere Ideen gab es nicht?
Ich habe das Original gelesen bzw. gehört. Wie die deutsche Übersetzung ist, kann nicht nicht sagen.
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Aeria