Hanny Lightfoot-Klein - Das grausame Ritual

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    Autorin: Hanny Lightfoot-Klein

    Titel: Das grausame Ritual

    Untertitel: Sexuelle Verstümmelung afrikanischer Frauen

    Verlag: Fischer


    Klappentext laut Amazon:

    'Ich werde versuchen, meine Töchter davor zu beschützen, daß sie ihnen das auch antun', sagt die Sudanesin Fahtma, Mutter von fünf Kindern. 'Das' ist die pharaonische Beschneidung, der fast alle Mädchen im Sudan unterzogen werden. Dabei werden den Mädchen - meist ohne jegliche Betäubung - die Klitoris, die inneren Schamlippen und der größte Teil der äußeren Schamlippen abgeschnitten. Die verbliebene Haut wird dann über die Wunde gezogen und bis auf eine stecknadelkopfgroße Öffnung zugenäht. Mit entsetzlichen Folgen für die Gesundheit der Frauen: Bis zu einer halben Stunde dauert es, bis sie ihre Blase geleert haben, die Menstruation ist mit grausamen Schmerzen verbunden, da das Blut kaum abfließen kann, die erste Penetration bedeutet ein wochen-, monate- oder sogar jahrelanges Martyrium, zur Entbindung muß jede Frau chirurgisch 'geöffnet' werden - und die meisten werden danach wieder genauso eng zugenäht.Warum dies so ist und welche Konsequenzen die Beschneidung für das Alltagsleben afrikanischer Männer und Frauen hat, beschreibt die Anthropologin in diesem Buch, das weit mehr ist als eine wissenschaftliche Studie.

  • Da ich mir fest vorgenommen habe, im Juni nicht nur meine angemeldeten Bücher auch tatsächlich zu lesen, sondern auch etwas dazu zu schreiben, mache ich schonmal diesen Thread auf und habe in die ersten Seiten bereits reingeblättert.


    Das Buch hat 335 Seiten plus Quellenangaben und ist sicher keine leichte Kost. Die Autorin erzählt von ihren Reisen nach Afrika und hat zu dem Thema FGM (weibliche Genitalverstümmelung - "Female Genital Mutilation") über 400 Interviews geführt, insbesondere mit Menschen im Sudan, die sie als sehr gastfreundlich und auskunftfreudig beschreibt.


    Meine Ausgabe ist von 2001, die amerikanische Originalausgabe erschien jedoch bereits 1989 und soweit ich an Vorwort und Quellenangaben sehen kann, wurde das Buch nicht aktualisiert. Ich kenne (natürlich) die späteren Bücher von Waris Dirie zu dem Thema, mich reizt hier bei Lightfoot-Klein aber auch der Blick von außen und die vielen verschiedenen Stimmen und Einblicke durch die Interviews.

  • Mich schaudert es jedes Mal, wenn ich über diese Praktik höre oder lese. Ich glaube, keine leicht Kost ist noch untertrieben.

  • Ich habe einmal zu dem Thema einen Artikel gelesen. Mir sind dabei die Tränen gekommen und ich war dem Schicksal extrem dankbar in meiner Familie und in meinem Ort auf die Welt gekommen zu sein.

    Nicht begreiflich ist mir, das Frauen das anderen Frauen antun.

  • Ja, es sind ja vor allem die Frauen, die das auch weitertragen und daran festhalten, wenn ich es richtig im Kopf habe. Die Autorin spricht ganz zu Anfang des Buches mit einem Mann, der absolut gegen diese Praktiken ist - seine drei Töchter sind aber alle beschnitten, denn "man könne gegen den Bauch nichts tun. [...] Niemand könnte sich gegen die Bräuche stellen."

  • Was für ein Quatsch. Wir machen ja auch keine Hexenprobe mehr.

    Aber ich hoffe, durch solche Bücher werden diese Missstände in regelmäßigen Abständen aufgezeigt und irgendwann eingestellt. Verbote bringen ja leider nicht...

  • Ich finde das so schrecklich! Ich habe zwei Bücher von Waris Dirie gelesen und wurde so erstmals mit dem Thema konfrontiert als Kind/Jugendliche (evtl. war ich ein wenig zu jung, was natürlich eine privilegierte Aussage ist, aber sie ist wahr).


    Ich hoffe so sehr, dass dieser "Brauch" so bald wie möglich vernichtet wird.

  • Für mich am schockierendsten war das Buch von Waris Dirie, in dem sie die Situation in verschiedenen europäischen Ländern beleuchtet. Man redet sich das ja gerne "schön", von wegen "da in Afrika auf dem Dorf machen die das eben so" - aber es passiert U.a. auch direkt hier, oder Mädchen werden in den Ferien zu Oma geschickt werden, um dort beschnitten zu werden. Ich meine, wenn ich es richtig im Kopf habe, dass Frankreich da relativ strikt gegen vorgeht, auch mal Ausreiseverbote bei einem solchen Verdacht verhängt o.Ä. Aber es ist ein harter Kampf gegen die Traditionen und Vorstellungen. Viele Frauen haben wohl auch einfach Angst, dass ihre Töchter sonst keinen Mann finden.

  • "Das war schon immer so / haben wir schon immer so gemacht!" ist halt immer wieder ein waaahnsinnig stichhaltiges Argument. :rolleyes: Genau so werden Fortschritte erzielt.

    (Auch Frauen, die gegen Frauen reden oder handeln, nachen mich immer wieder.. fertig. Wahrscheinlich reagier' ich darum so ungut auf diese Aussage: " Also, ich wollte ja immer nur Jungs/Söhne haben! Mädchen sind immer so zickig.." von Seiten werdender oder gewordener Mütter.)

    Ich hab mir inzwischen angewöhnt, zu antworten:

    "Da man ja heute weiß, dass sich Zickigkeit dominant von der Mutter auf die Tochter vererbt, kann ich Dich voll verstehen!"

    Einmal editiert, zuletzt von Alice ()

  • Menschen klammern sich oft an das, was sie kennen. Deshalb dauern Veränderungen häufig sehr lange und sind ein Prozess.

    (Siehe zB das Gendern. Es tut eigentlich niemandem weh, "Leser:innen" statt "Lesern" zu schreiben, aber es ist erstmal ungewohnt und anders. Und deshalb tun sich viele damit schwer.)

  • (Weiß gerade nicht, ob ich ein :huh: oder ein :breitgrins: setzen soll, Zank - aber ein wenig kompliziertere Gründe darfst Du mir schon unterstellen. ;))

  • Aaah, okay. Da gehen wir Off Topic ^^ War auch nur ein Beispiel von vielen, die mir da in den Kopf kommen.

    (Wobei mich deine Argumente schon interessieren würden, weil ich bei mir selbst und in meinem privaten und beruflichen Umfeld tatsächlich am Ende nur die Gewohnheit als Gegenargument ausmachen konnte. Darunter fällt auch sowas wie "sieht nicht schön aus" / "ist kompliziert zu lesen" / "unsere Vorschriften besagen, dass wir das nicht machen dürfen" / "im Duden steht es anders".)

  • Mir fällt es schwer, in einen Lesefluss zu kommen. Es ist doch eher eine wissenschaftliche Arbeit; die Autorin erläutert zunächst ihre Methoden, wen sie wie befragt hat, wie sie vorgegangen ist usw. Das ist natürlich wichtig, aber etwas anstrengend zu lesen.


    Sie beantwortet den Frauen auch im Gegenzug Fragen zu sich selbst und ihrer Sexualität und erzählt, dass viele glauben, ihre Mutter müsse eine Prostituierte sein (denn neben geistig Behinderten sind deren Töchter im Sudan die einzigen, die nicht beschnitten werden).

  • Es ist nicht leicht, etwas zu dem Thema zu schreiben. Ich als nicht-Betroffene kann nicht im Ansatz erahnen, wie das alles sein muss, aber auch nicht, welche Traditionen usw dahinter stecken. Eine Frau erklärte Lightfoot-Klein nach einem Lachanfall, dass sie natürlich sexuelle Empfindungen habe, weil sie ein Mensch sei und man das nicht entfernen könne. Die Autorin gibt zu, dass sie das völlig aus dem Blick verloren hatte und formulierte daraufhin auch Fragen um.

    Im Buch ist auch ein Foto einer pharaonisch beschnittenen Vulva enthalten (das ist die schlimmste Form der Beschneidung, wo quasi alles entfernt und zugenäht wird). Unglaublich, dass Menschen sich so etwas antun können.

  • In den folgenden Kapiteln geht es um die geographische Verbreitung, die Gesetzgebung, das Vorgehen, die Gründe, die physischen und psychischen Folgen, die Stellung der Frau in der Gesellschaft allgemein.

    Es gibt Schätzungen, dass 10-30% der Mädchen nach einem solchen Eingriff sterben. Über 80% der Frauen haben später gesundheitliche Probleme, die sich auf die Beschneidung zurückführen lassen (die Dunkelziffer sei mutmaßlich höher).

  • Es geht dann sehr ausführlich um die Orgasmusfähigkeit und das Sexualleben. Die Zahlen dazu, wie viele beschnittene Frauen tatsächlich einen Orgasmus erreichen, variieren extrem stark zwischen etwa 25% und (in Lightfoot-Kleins Interviews sogar) 90%. Diese hohe Zahl kommt ihrer Vermutung nach daher, dass die Frauen denken, das gehöre dazu "eine gute Ehefrau" zu sein und entsprechend antworten. Trotzdem beschreiben ihr gegenüber auch viele Frauen sehr genau und plausibel ihre Orgasmen. Die erogenen Zonen verlagern sich offenbar auf andere Körperbereiche bzw nach innen.

    Das Thema Sexualität ist im Sudan quasi nicht vorhanden*. Männer erhalten keinerlei Aufklärung, müssen dann ohne geringste anatomische Kenntnisse ggf ihre Frau nach der Hochzeit aufschneiden (bis die Narben wirklich durchbrochen und die neuen Wunden komplett verheilt sind, dauert es oft Monate oder sogar Jahre), und auch innerhalb der Ehen ist es ein Tabuthema. Die Frauen dürfen kein Verlangen zeigen. Wenn eine Frau Lust auf Sex hat, gibt es eine Rauchzeremonie mit einem bestimmten Holz und anhand des Geruchs auf ihrer Haut, weiß der Mann dann, was Sache ist. Bei Sex hat eine gute Frau komplett starr dazuliegen.


    *Das Buch stammt wie gesagt aus den 80ern. Mich würde an vielen Stellen interessieren, ob es seitdem Veränderungen gab.

  • Es wäre hier tatsächlich auch interessant zu wissen, ob sich etwas verändert hat. Es gibt ja so viele Bestrebungen auch vor Ort, diese Verstümmelung endlich ab zu schaffen. Aber auch, weil sich in einigen Ländern, in denen es diese "Praxis" gibt, ja auch gesellschaftliche Veränderungen abgespielt haben.


    Irgendwie hab ich manchmal das Gefühl, das Thema wird von neueren Medien in Europa u. USA, Canada, nur noch selten aufgegriffen und es kommen seltener Veröffentlichungen nach, die es auch in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit schaffen.


    Ich finde es aber auch spannend, wie hier Sexualität eine Rolle spielt. Ich denke auch, da die Frauen es nicht anders kennen, haben sie keinen Vergleich und können daher vermutlich auch nicht zwangsläufig erkennen, wie sich ein Orgasmus anfühlt und wie nicht. Gleichzeitig kann sich Sex ja auch gut anfühlen, ohne einen zu haben. (Vermute das kommt dann auch noch mal auf den Grad der Verstümmelung an.)

    Und ich kann mir auch vorstellen, das hinter verschlossenen Türen Sexualität auch anders ausgelebt wird, als das von der Gesellschaft erwartet wird. Ist halt die Frage, in wie weit darüber wirklich gesprochen wird. Hier muss man denke ich auch immer im Blick halten, das die Frauen sicher bestimmte Dinge nicht erzählt haben, weil es ein Tabu war es anders zu betrachten, oder sie nur mit ihrem Ehemann darüber sprechen würden.