Hallo,
zugegebenermaßen hat mich der Titel dieses Buches im ersten Moment abgeschreckt... Aber glücklicherweise ist es mir dann doch noch in die Hände gefallen!
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Chris Cleave, Lieber Osama
Rowohlt Verlag 2006, 3-498-00932-X, € 19,90
Chris Cleave hat mit seinem Debut hier einen total ungewöhnlichen Roman vorgelegt: es ist die Geschichte einer jungen Frau, die bei einem fiktiven Anschlag auf ein Fußballstadion ihren Mann und ihren kleinen Sohn verliert.
Die Ich-Erzählerin ist gerade beim Seitensprung auf der Couch vor dem heimischen Fernseher und erlebt so live mit wie beim Fußball-Lokalderby Arsenal gegen Chelsea beim Stand von 2:0 eine gewaltige Explosion die gesamte Heimtribüne mitsamt ihrer Familie wegreißt. Im kompletten Schockzustand vergisst sie sich selbst und eilt zum Ort des Anschlags und erlebt grausame Szenen auf der völlig illusorischen Suche nach ihrer Familie. Schließlich landet sie selbst im Krankenhaus und erlebt von dort all die Anti-Terror-Akte der Regierung, die beginnende und extrem ansteigende Paranoia der Londoner und die sofort (offensichtlich) einsetzenden Vorurteile und Repressalien gegen bestimmte Minderheiten mit.
Gleichzeitig versucht sie ihren ganz persönlichen Schicksalsschlag mit viel Alkohol, Tabletten und eben auch einem Brief an Osama bin Laden zu verarbeiten...
In schnoddrigem Stil und aus einer völlig naiven Perspektive heraus schildert sie in diesem Brief, was der Anschlag ganz persönlich mit ihr angestellt hat und wie sehr sich London im Zuge der allgegenwärtigen Panik, durch schnell verabschiedete (Schutz-) Gesetze, wie Ausgangssperren, und sonstige Anti-Terror-Aktionen verändert.
Aber sie zeigt durch alle Tiefen hindurch – und mit all ihren Schwächen und Macken – dass sie diesem neuen Leben und all den Menschen um sie herum trotzig die Stirn bieten will: "Ich bin eine Frau, die sich auf ihren Trümmern immer neu erschafft... es war Zeit, sich wieder ins Leben zu stürzen."
Keine Frage, das Buch von Chris Cleave ist ein Balanceakt zwischen bitterböse, provokant und auf der anderen Seite anrührend, mutig und hoffnungsvoll – es ist ein Buch von hohem Unterhaltungswert, das uns trotzdem zeigen will, was mit einer offenen Gesellschaft, die im Herzen getroffen wird, passieren kann.
Besonders bemerkenswert fand ich übrigens, dass sich Cleave so wunderbar in die Erzählerin und deren Gefühlschaos hineinversetzten kann - anfangs war ich deshalb sogar noch ziemlich skeptisch, frei nach dem Motto "wie kann eigentlich ein so junger Typ in seinem Debut aus der Sicht einer Frau schreiben, die gerade solches durchmacht?"
Von Chris Cleave hätte ich definitiv gerne mehr zu lesen!
Übrigens ist dem Ersterscheinungsdatum des Buches der tatsächliche Anschlag auf U-Bahnen und einen Bus in London zuvorgekommen – deshalb ist Lieber Osama in der Auslieferung gestoppt worden und erst dieses Jahr dann erschienen.