Marina Lewycka - Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch

Es gibt 18 Antworten in diesem Thema, welches 6.316 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von HoldenCaulfield.

  • Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch von Marina Lewycka


    Vornweg, die Gestaltung des Covers und der Titel des Buch haben mich direkt angezogen und ich wurde nicht enttäuscht !


    Hier geht es um eine Familiengeschichte die genau so irgendwo in diesem Moment ihren Lauf nehmen könnte. Nadesha bekommt einen Anruf von ihrem 84-jährigen Vater. Dieser teilt ihr mit, er wolle heiraten. Valentina heißt die Auserwählte, sie kommt aus der Ukraine, ist 36 Jahre alt und sie hat einen Sohn der unbedingt auf eine Schule für Hochbegabte gehen müsse. Aber Valentina hat doch kein Geld und ihr gehe es so schlecht in der Ukraine, außerdem sei sie wunderschön, eine Venus...


    Nadesha, ihre Schwester Vera und der besagte Vater leben in England. Die Mutter starb 2 Jahre zuvor. Die Familie kam damals nach dem Krieg, über den wir auch einiges erfahren, nach England und hat sich dort ein schönes kleines Haus mit Garten erarbeitet.


    Aber nun gefährdet diese Valentine alles. Den Seelenfrieden der Töchter, das Vermögen des Vaters und sie besudelt dass Andenken der Mutter. Als sie dann in England eintifft, bestätigen sich die schlimmsten Befürchtungen der Schwestern. Sie ist eine vollbusige blonde Schlange, die ganz offensichtilich nur eines will: Eine Aufenthaltsgenehmigung und Geld.


    So beginnt der Kampf um den Vater. Auf der einen Seite die beiden Töchter die seit Jahrzehnten schon untereinander verfeindet sind und sich nun notgedrungen zusammentun müssen, auf der anderen Seite Valentina. Eine rabiate Amazone die nicht so leicht ihre Pläne für ein besseres Leben aufgeben will. Und sie zieht dabei alle Register...


    Herrlich komisch und trotzdem todernst (kann man dass so sagen ?) beschreibt die Autorin die Streitereien, Versöhnungsaktionen und den verzweifelten Kampf des alten Mannes der Einsamkeit zu entgehen. Man erfährt beim Lesen wie es in der Ukraine wärend dem Krieg zuging, welche Grausamkeiten die Menschen erfahren mussten, was für ein Mensch Nadeshas und Veras Mutter war und wie die Familie nach England kam.


    Und so ganz nebenher schreibt der alte Herr ein Buch. Es heisst Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch und er beschreibt darin mit viel Liebe: die Geschichte des Traktors !


    Ich habe jede Seite genossen und war sehr traurig als das Buch ausgelesen war. Für mich ein absoluter Buchtipp ! :tipp:


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  • Valentina heiratet Nikolaj, weil sie glaubt, mit ihm (pensionierter Ingenieur) eine gute Partie zu machen. Als sich herausstellt, dass er nicht über die finanziellen Mittel verfügt, die sie erwartet hat, verzichtet sie darauf, ihm gegenüber bezaubernd, liebend und bewundernd aufzutreten. Statt dessen begegnet sie ihm mit Hohn, Verachtung sowie verbaler und körperlicher Aggression. Der alte Mann wird immer dünner, flüchtet sich in ein kleines Zimmer im Erdgeschoss und verwahrlost zunehmend - ebenso wie das Haus.


    Mich hat das Buch vor allem so berührt, weil es so geschehen könnte. Anfangs hatte ich gedacht, es sei lustig, aber häufig blieb mir das Lachen doch im Hals stecken. Es erging mir ähnlich wie der Tochter Nadeshda, der man anmerkt, dass sie ihren alten Vater liebt, der ihr in seiner sexuellen Lust auf Valentina aber auch auf den Geist geht! Sie versteht nicht ganz, wieso sich ihr Vater bei dem Anblick "seiner" Frau zu einem instinkgesteuerten Menschen verwandelt und von einem Moment zum anderen einfach vergisst, was sie ihm angetan hat und wieviel Angst er mitunter Minuten vorher noch vor der jungen Frau hatte. Andererseits versucht Nadeshda anfangs, Valentina nicht mit ihren Vorurteilen zu begegnen. Durch sie wird im Roman verdeutlicht, dass jede Geschichte mehrere Seiten hat.


    Würden sich seine Töchter nicht in sein Leben einmischen und bestimmt gegen Valentina vorgehen, würde sich die Handlung sehr von der unterscheiden, die hier beschrieben wird. Aber gerade dadurch erlebt der Leser eine spannende Lektüre - viele Fragen stellen sich:
    Ist Valentina wirkich so eine Gefahr für den Vater von Valentina und Nadeshda? Werden die beiden sie los? Kann man die Ehe annulieren lassen? Wie ist es mit Ausweisung? Scheidung? Und wer sind die anderen Männer in Valentinas Leben? etc. etc.


    Ich fand das Buch sehr gelungen und mochte insbesondere das Ende sehr gerne (gerade die letzten 2 Seiten). Auch der zweite Handlungsstrang (die Vergangenheit der Familie) ist interessant zu lesen und erklärt so einiges über ihre Gegenwart.
    Was die Traktorausführungen angeht, muss ich gestehen, dass ich sie zwar las, aber wenn man mich jetzt nach Angaben zu der Geschichte fragen würde, müsste ich mit den Schultern zucken - zum einen Auge rein, zum andern raus... :schulterzuck:
    Aber gerade im letzten Kapitel von Nikolajs "Buch" erfährt man nochmal sehr viel über seine Einstellung zu Politik und Wissenschaft, sowie wissenschaftlichem Fortschritt und der Verantwortung gegenüber der Natur und dem Menschen an sich. Das las ich genauer.


    Ich empfehle das Buch gerne weiter!





    4ratten

    Ich werde kein&nbsp;Geld hinterlassen. Ich werde keinen Aufwand und Luxus hinterlassen. Aber ich möchte ein engagiertes Leben hinterlassen.<br />(Martin Luther King)

  • So, hier ist meine erste Rezension für den Lesewettbewerb '07.
    Da es schon zwei tolle Rezis gibt, halte ich mich hier etwas kürzer:


    Rückseite des Buches:
    Zwei Jahre nach dem Tod meiner Mutter verliebte sich mein Vater in eine berückende blonde Frau aus der Ukraine. Er war vierundachtzig, sie sechsunddreißig. Wie eine flauschige rosa Granate schoss sie in unser Leben, wirbelte trübes Wasser auf, brachte den ganzen Morast längst versunkener Erinnerungen wieder an die Oberfläche und trat unseren Familiengespenstern kräftig in den Hintern.


    Autorin:
    Marina Lewycka wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Kind ukrainischer Eltern in einem Flüchtlingslager in Kiel geboren und wuchs in England auf. Sie ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter, lebt in Sheffield und unterrichtet an der Sheffield Hallam University. Dies ist ihr erster Roman, der in England zu einem Riesenerfolg wurde und die Bestsellerliste im Sturm nahm.


    Meinung:
    Angezogen von dem ungewöhnlichen Cover und dem oben genannten witzig-spritzigem Text auf der Rückseite des Buches habe ich ein lustiges und kurzweiliges Buch erwartet. Dem war aber nicht ganz so.
    Zwar hat das Buch durchaus seine humorvollen Passagen, gerade wenn es um die Bemühungen der 36-jährigen "ukrainischen Schlampe" geht, sich durch die Hochzeit mit dem 84-jährigen skurilen Witwer das Aufenthaltsrecht in England, die Schulausbildung ihres Sohnes und die finanzielle Versorgung zu sichern. Aber ebenso handelt es sich um die Aufarbeitung der Familiengeschichte des Witwers, wodurch zeitweise eine bedrückende, teilweise trostlos wirkende Stimmung verbreitet wird, die sich allerdings zum Positiven ändert, da sich seine beiden Töchter durch das gemeinsame Ziel, die neue Frau los zu werden, wieder annähern und vor allem die Jüngere mehr Verständnis für die Ältere entwickelt. (Man fragt sich, ob die Autorin eine ältere Schwester hat, da alle anderen Informationen über sie mit denen der Protagonistin des Buches übereinstimmen.)
    Das Buch ließ sich leicht und flüssig in einem Rutsch lesen und man war durchgehend gespannt darauf, wie es weitergehen wird. Die zwischendurch eingeschobenen Passagen über die "Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch" waren kurz gehalten und dadurch empfand ich sie nicht als störend, wobei ich sie aber auch nicht für besonders interessant hielt.
    Ich bereue es nicht, dieses Buch gelesen zu haben, es war allemal gut für ein verregnetes Wochenende, aber ich finde es auch nicht besonders genug, um es weiterzuempfehlen.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Ich fand das buch weder besonders gut noch besonders schlecht. Es las sich gut und bediente sich an vielen Vorurteilen - und das meine ich definitiv NICHT im bösen Sinn! Einige davon wurden aufgeklärt. Allerdings fehlte mir der "Oh man, ich will unbedingt wissen, wie es weiter geht"-Thrill. (Anm.: Vielleicht hatte ich auch gerade Prüfungsphase, welche meine Meinung verzerrte)


    Aber für die Allgemeinbildung ist es nicht schlecht. Die kleinen Zusatzinfos waren schon nett. Ich hab mir einige Bemerkungen auf meine Postits gemacht (auch dies mach ich nur wegen dem Studium nebenbei, wenn ich denke, dass mir das mal weiter hilft).


    4ratten

  • Beinahe fiel ich auch darauf hinein - auf das, mit dem die Autorin wohl insgeheim spekulierte. Dass dieses Buch ein Abklatsch von herkömmlichen KLischees und Vorurteilen ist.
    Nach den ersten Seiten wollte ich es entnervt zur Seite legen, doch ich las zum Glück weiter denn das Buch verbirgt mehr Tiefgang, als der Klappentext zu erkennen gibt.


    Mir kam es zwar phasenweise auch sehr konstruiert und übertrieben vor, aber ich denke, das war so gewollt. Ein bisschen hält es einem den Spiegel vor, sie man selber umgeht mit den Menschen aus dem Osten und wie selbstgerecht wie hier im goldenen Westen sind.
    Ein nettes Buch für zwischendurch, bei dem man aber jedenfalls auch auf die Zwischentöne achten soll!


    3ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • "Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch" ist mir auch als erstes wegen dem Cover aufgefallen.
    Beim Lesen des Klappentextes klang der Inhalt recht interessant. Dabei habe auch ich eine Geschichte erwartet, die bestehende Vorurteile / Klischees aufgreift und gnadenlos ausschlachtet. Ich meine das nicht im negativen Sinn, ich habe einfach ein lustiges Buch erwartet, das die Beziehung Oststaaten und westliche Welt ein bisschen auf die Schippe nimmt.


    Ein lustiges Buch habe ich auch bekommen. Natürlich werden auch viele Klischees in der Geschichte verarbeitet. Aber trotzdem hat mich das Buch zum Nachdenken angeregt. Über die Vorstellung, die diese Leute vom "goldenen Westen" haben, die Erwartungen, die sie an das neue Leben stellen und die Enttäuschungen, die sich daraus ergeben. Und was sie bereit sind, dafür zu tun, um in die westliche Welt zu gelangen und dort Fuß zu fassen.


    Also ein unterhaltsames und lustiges Buch, das aber auch zum Nachdenken anregen kann, wenn man sich nicht gänzlich von den witzigen Darstellungen gefangen nehmen lässt, sondern sich auch mal mit den Personen und ihrer Situation ernsthaft auseinendersetzt.


    Die Ausführungen über die Traktoren haben mich allerdings gelangweilt.


    4ratten

  • Hallo,
    nach der Lektüre bin ich ebenso zwiespältig wie ihr: Ich habe ein lustiges Buch erwartet und ein sehr ernstes, zum Teil bedrückendes Buch gelesen.
    Es ist zum Teil ein grausliches Gemisch aus Vorurteilen und tieferen Einsichten, aber genau das soll es wohl sein und uns auch damit den Spiegel vorhalten, denn unsere Ressentiments hinter unser auf Hochglanz gebürsteten intellektuellen Aufgeklärtheit werden hier ganz gut aufs Korn genommen.
    Dennoch hat mich das Buch nicht wirklich berührt, nur der alte Nikolaj mit seiner großen Seele und seinem Mut zur Selbstentblößung wird wohl einen Platz in meinem literarischen Gedächtnis behalten.


    HG
    finsbury

  • Ich kann mich den teilweise begeisternden Rezensionen nicht anschließen.


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    Zum Inhalt:
    Als Nadias verwitweter Vater ihr mitteilt, dass er wieder heiraten will, löst das eine Familienkrise aus. Nadia und ihre Schwester sind sich ausnahmsweise einig: Sie müssen den Vater aus den Klauen der blonden Glücksritterin befreien! Doch der alte Mann arbeitet zielstrebig an der Erfüllung seiner Träume.



    Meine Meinung:

    Wieder so ein gehyptes Buch, bei dem mich interessiert hat, was dahinter steckt und worum es eigentlich geht. Nun, meine Neugier hat mir ein Buch beschert, mit dem ich so gut wie gar nichts anfangen konnte.
    Einerseits weil ich etwas anderes erwartet hatte. Nämlich wie es ist, wenn sich der Vater plötzlich in eine viel jüngere Frau verliebt und mit ihr zusammen lebt. Aber hier, ich konnte einfach mit den Charakteren überhaupt nichts anfangen, mit Valentina dieser derben, unverschämten Person. Mit Nadjas Vater, der sich das Ganze auch noch freiwillig antut. Mit den zwei zerstrittenen Schwestern, die diese Krise auf einmal zusammenschweißt.
    Und dann wird die Geschichte auch immer wieder unterbrochen, einerseits durch Erinnerungen an früher, bzw. wie die Eltern der Schwestern in der Ukraine aufgewachsen sind und gelebt haben, andererseits durch das Buch an dem der Vater schreibt, nämlich besagte „Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“, ich muss zugeben, nach den ersten paar Kapitel, habe ich diese Kapitel des Buches nur noch überflogen.


    Auf meinem Klappentext schreibt die Süddeutsche: […]ein kluger Kommentar über die Grenzen der Integrationsbereitschaft[…] Das was hier in der Geschichte geschildert wird, hat mit Integrationsbereitschaft aber nichts mehr zu tun. Da hört sich die Freundschaft schon viel früher auf, aber nicht wegen Intertoleranz, sondern weil „dieser Fall“ einfach unmöglich im Sinne von furchtbar ist.


    Am liebsten hätte ich einfach zu lesen aufgehört und gesagt: „Macht was ihr wollt.“ Ich glaube ich habe selten ein Buch gelesen wo mir die Figuren so was von egal waren.


    Allerdings ist es nicht so dass mir gar nichts gefallen hat, manche der Einstreuungen über die Geschichte der Ukraine und die Flucht der Eltern waren vom Ansatz her interessant zu lesen, aber leider kam, immer wenn ich dazu mehr lesen wollte, wieder die „Hauptgeschichte“ ins Spiel. Was an dem Buch so toll ist, bleibt mir wohl ein Rätsel.
    Sollte das „Thema“ sein, wie Menschen im Osten den Westen erleben und was sie sich erhoffen und erwarten davon, dann war mir das in dem Buch viel zu wenig ausgearbeitet. Bzw. gebe ich auf Valentinas Sicht in der Hinsicht nicht viel. Und von Nadjas Eltern erfährt man diesbezüglich nichts, die waren nur froh in „Sicherheit“ zu sein, schätze ich mal.
    Um das Buch witzig zu finden, scheint mir der Humor zu fehlen, die einzige wirklich witzige Passage, war auf der letzten Seite des Buches.




    1ratten für den Titel, der mir nach wie vor gefällt und manche der „historischen“ Passagen.

    Das Leben besteht aus vielen kleinen Münzen, und wer sie aufzuheben versteht, hat ein Vermögen.<br />Jean Anouilh

  • Die Schwestern Nadia und Vera sind sich seit Jahren schon nicht sonderlich grün, seit dem Tod der Mutter und dem Streit ums Erbe ist der Ofen zwischen den beiden völlig aus. In einem Punkt sind sie sich jedoch einig: es ist ein Unding, was ihr Vater da zwei Jahre nach dem Tod der Mutter, mit der er 60 Jahre lang verheiratet war, geleistet hat, nämlich eine Hochzeit mit einer sechsunddreißigjährigen Ukrainerin namens Valentina, die außer einer äußerst üppigen Figur wenig zu bieten hat, sich aber frech und anmaßend nimmt, was sie für ihr gutes Recht hält und offenbar nur der Aufenthaltsgenehmigung wegen die Ehe mit dem über achtzig Jahre alten Nikolai eingegangen ist. Von ehelicher Treue hält sie ebensowenig wie von Sauberkeit und Ordnung im Haus, spioniert Nikolai aber auf Schritt und Tritt aus und schreckt auch nicht vor gewalttätigen Ausbrüchen zurück.


    Die Töchter ergreifen die Initiative und schmieden Pläne, wie sie diesen Orkan namens Valentina, der das Leben ihres Vaters so durcheinanderfegt, loswerden können, zumal der Vater sich zunächst nicht einsichtig zeigt...


    Mit dieser originellen Variation des Themas "ungeliebte Stiefmutter" habe ich mich wunderbar unterhalten. Valentina ist derart unmöglich, dass man förmlich mit den beiden Schwestern leidet. Klar ist sie ein wandelndes Klischee, aber in diesem Roman passt das schon.


    Das Eheleben von Nadias und Veras Eltern war stark von deren Erfahrungen im Krieg geprägt, was sich nicht nur in einem übermäßigen Konservierungsdrang bei Lebensmitteln niederschlug, sondern auch darin, dass vieles unausgesprochen im Raum stand. Während Nadia sich ihrer Schwester im Kampf gegen Valentina wieder annähert, erfährt sie einige Bruchstücke der traurigen Geschichte ihrer Familie, ebenso von ihrem Vater, wenn sie ihn denn einmal von seinem Lieblingsthema ablenken kann, seiner "Kurzen Geschichte des Traktors auf Ukrainisch", an der er, ehemals ein erfolgreicher Ingenieur, gerade schreibt.


    Das Buch besteht aus einer ausgewogenen Mischung von eher witzigen, teils schon slapstickartigen Szenen und sich überschlagenden Ereignissen rund um die chaotische Valentina in der Gegenwart und der Ernsthaftigkeit bei den Gesprächen über die Vergangenheit, Krieg, Flucht und Lager, wie auch in den kurzen Abschnitten über Traktoren, die Nikolai aus seinem Werk zitiert. Es wird auch klar, warum Vera und Nadia sich so extrem unterschiedlich entwickelt haben.


    Nach einigen nicht sehr positiven Meinungen hatte ich das Buch im Hinterkopf schon abgeschrieben, doch jetzt bin ich froh, dass es mir kürzlich in die Hände gefallen ist. Ich fand weder den Humor zu platt noch die Traktorpassagen zu lang und hatte ein paar amüsante und auch nachdenkliche Lesestunden mit diesem Roman.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • “A Short History of Tractors in Ukrainian” von Marina Lewycka handelt von der neuen Lieben eines 84-jährigen Mannes, der in England lebt, aber ursprünglich aus der Ukraine stammt. Er möchte eine 36-jährige Frau aus der Ukraine heiraten, um ihr und ihrem Sohn ein Leben in England zu ermöglichen. Die Autorin erzählt auf lustige Weise, welche Schwierigkeiten das mit sich bringt.


    Der Titel des Buches sollte einen auf keinen Fall abschrecken, denn es geht hier nicht um die Geschichte des Traktors, wie vielleicht einige vermuten würden. Nein, die Traktoren spielen nur eine kleine Nebenrolle und ich muss leider gestehen, dass ich die Passagen (es waren aber wirklich sehr wenige und auch sehr kurze), die sich mit Traktoren beschäftigen einfach ausgelassen haben.


    Wir erleben die Geschichte aus der Sicht der Tochter Nadia, die natürlich sehr besorgt um ihren Vater ist. Sie will nicht, dass er jemanden heiratet, der ihn vielleicht nur ausnützt. Andererseits ist sie sich aber auch nicht sicher, ob eine neue Liebe ihren Vater nicht wieder ein bisschen aufmuntert.


    Das Buch ist sehr witzig geschrieben. Immer wieder gibt es Passagen, bei denen man am liebsten laut auflachen möchte, zB finde ich es sehr amüsant wie Nikolai, der Vater mit deiner Tochter spricht. So sagt er zu ihr, Valentina (die 36-jährige Frau) lasse ihn dafür mit ihren Brüsten spielen. Nadia wird fast schlecht bei dieser Vorstellung. Nikolai ist einfach ein älterer Mann, der vielleicht auch schon etwas naiv geworden ist. Vielleicht will er aber auch nur seine letzten Jahre genieße. Sein Charakter wurde sehr gut gezeichnet, wie überhaupt alle in diesem Buch. Nikolai ist ein typischer alter Mann, der sich über alles aufregen kann und dem gleichzeitig alles egal ist. Nadia ist eine besorgte Tochter, die nur das Beste will, aber nicht weiß, was das Beste ist. Und dann gibt es da noch Vera, die zweite Tochter, die immer alles besser weiß, obwohl ihr doch bewusst ist, dass sie nicht alles weiß.


    Es handelt sich um ein Buch, das man zwischendurch lesen kann. Einerseits geht es um Liebe und Familie, andererseits um das Älter werden. Zwischendurch erfährt man auch immer etwas über die ukrainische Geschichte oder generell über die Geschichte der Oststaaten, aber auch über die aktuelle Situation. Ich finde diesen Mix aus Information und Chick-Lit sehr interessant.


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Ich belebe diesen Thread hier mal wieder. :smile:


    Bei mir hat es etwas gedauert, bis ich mit dem Buch warm geworden bin. Dank des Klappentextes dachte ich nämlich, dass es sich um ein lustiges, unbeschwertes Buch handelt ... meiner Meinung nach war das nicht so. Ich finde die Handlung ziemlich tragisch. Ein alter Mann, geprägt durch den 2. Weltkrieg, klammert sich an eine letzte Liebe vor dem Tod: eine "junge" (36) Ukrainerin soll ihm seinen Lebensabend versüßen, dafür ist er auch bereit, einiges zu blechen. Die Frau wächst ihm aber bald über den Kopf, sie verlangt sein ganzes Geld, schlägt und beschimpft ihn und geht fremd.


    Obwohl die Autorin viele Klischees mit einarbeitet und einiges sehr übertrieben ist, fand ich das Ganze nicht besonders lustig. Besonders schlimm fand ich es, wenn Valentina sich über ihren Mann lustig gemacht hat. Ich stelle mir dann immer vor, dass es solche Beziehungen wirklich gibt und kann dann über die "Übertreibungen" nicht lachen.


    Irgendwann habe ich mich aber dann damit abgefunden, dass das Buch für mich eben nicht lustig, sondern eher tragisch ist und dann hat es mir auch ganz gut gefallen. Ich habe tatsächlich etwas mitgezittert und gehofft, dass dieses Miststück endlich verschwindet.


    Die Abschnitte über die Traktoren fand ich ziemlich langweilig und meiner Meinung nach hätte man sich die auch sparen können. Gut, sie spiegelten meistens die Gefühlslage von Nikolai wieder, aber ehrlich gesagt habe ich sie meistens nur überflogen.


    Ich vergebe gute 3ratten für etwas zu spät einsetzenden Lesespaß.

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

    Einmal editiert, zuletzt von mondy ()

  • Nadeshda und ihre Schwester Vera mögen sich nicht und der Familienfrieden brach nach dem Tod der Mutter völlig zusammen. Nun, nur wenige Jahre danach, will ihr über 80jähriger Vater erneut heiraten, eine Mittdreißigerin aus seiner alten Heimat, der Ukraine, die ziemlich offen nur nach einem Versorger und einen guten Schulbildung für ihren Sohn sucht. Im Kampf gegen „die Schlampe“, die ihren Vater nur ausnehmen will, vereinen sich die Schwestern und Nadeshda erfährt auch endlich mehr über die Herkunft und Geschichte ihrer Eltern.


    Das Buch steht auf meiner Liste des “Prize for Comic Fiction” und sollte demnach ganz amüsant zu lesen sein. Mit dieser Prämisse bin ich an die Geschichte herangegangen und wurde enttäuscht.


    Die Verwandlung der Erzählerin von einer liberalen, positiven, offenen Person zu einer verhärteten, misstrauischen, jede ausländerfeindliche Möglichkeit des Systems ausnutzenden Figur, lässt sich sicherlich als Spiegel interpretieren, den die Autorin den Lesern vorhalten möchte, um zu zeigen, dass sich, bei persönlicher Betroffenheit, ganz schnell alle gesellschaftspolitischen Einstellungen ins Gegenteil verwandeln können und hier kann man, wenn die Autorin alle Klischees ausnutzt sicher auch ab und zu schmunzeln. Mich machte allerdings der währenddessen immer mehr verwahrlosende Vater betroffen, da ich zu seiner Verfassung einen etwas persönlicheren Bezug habe und darüber absolut nicht lachen kann. Wenn man in der eigenen Umgebung eine Entwicklung in diese Richtung (nicht mehr fähig, den Alltag zu bestreiten, dies aber nicht wahrnehmen können oder wollen) kennt, findet man das einfach nicht lustig.


    Obwohl es sich gut lesen ließ, gefiel mir das Buch einfach nicht.


    3ratten

  • Das Buch:
    Mit einem Anruf beginnt das Unheil für Nadia und ihre Familie: Ihr verwitweter Vater, immerhin stolze 84 Jahre alt, möchte wieder heiraten. Seine Auserwählte heißt Valentina, stammt wie er aus der Ukraine und ist die Verkörperung aller gängigen Vorurteile über stark geschminkte, freizügig gekleidete Osteuropäerinnen, die sich einen reichen Mann zum Heiraten angeln wollen.
    Wenigstens sorgt die gemeinsame Abneigung gegen Valentina dafür, dass sich Nadia und ihre ältere Schwester Vera einander langsam annähern. Sie sind sich einig: Die "Schlampe" muss weg, koste es, was es wolle. Doch Valentina lässt sich nicht kampflos abnehmen, was sie einmal in den rotlackierten Fingernägeln hält...


    Meine Meinung:
    Die doch sehr unterschiedlichen Meinungen über dieses Buch haben dazu geführt, dass ich erst mal lange einen Bogen darum gemacht habe, bis ich es von einer Kollegin ausgeliehen bekam. Danach lag es noch monatelang auf meinem Bücherstapel hier, bevor ich es endlich begonnen habe - zum Glück!
    Der Klappentext lässt eine Art Bauernschwank befürchten, in dem sämtliche Klischees vom senilen Lustgreis bis hin zur geldgierigen, vollbusigen (dank OP) Ukrainerin ohne Aufenthaltsgenehmigung verbraten werden.
    Tatsächlich aber entwickelt sich Marina Lewyckas Buch (wie auch ihre Protagonistin Nadia stammt die Autorin aus einer ukrainisch-stämmigen Familie und lebt in England) in eine gänzlich andere Richtung und schlägt neben der derben Zurschaustellung von Valentinas und Nikolais privatem Schmierentheater durchaus auch ernste und leise Töne an.


    Neben der aktuellen Beschreibung der "Beziehungsfront" erhält man durch Nadias Rückblicke immer wieder auch Einsicht in die Lebensumstände ihrer Eltern in der Ukraine, das von Armut, Stalins Terrorherrschaft, Misstrauen und Angst geprägt ist, aber auch von der Liebe zu Natur und Geschichte der Ukraine.
    Im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester Vera weiß Nadia von dieser Zeit nur Bruchstücke aus den Erzählungen ihrer Eltern, da nie offen über diesen Teil der Familiengeschichte gesprochen wurde.
    Erst nach und nach, als sich die beiden so unterschiedlichen Schwestern im gemeinsamen Feldzug gegen Valentina wieder etwas näher kommen, erfährt Nadia mehr von den Erfahrungen ihrer Eltern und Schwester in den Kriegszeiten, die ihr selbst als "Friedenskind" völlig fremd sind.
    Obwohl Veras und Nadias Mutter Ludmilla in der Gegenwartshandlung der Geschichte schon seit zwei Jahren tot ist, hat der Leser die Gelegenheit, diese warmherzige und fürsorgliche Frau durch die Erinnerungen der Geschwister kennenzulernen.


    Auch Vater Nikolai ist stets präsent in Nadias Rückblick, hat sie ihn doch als Kind lange als Genie verehrt und fühlt sich immer noch hin und hergerissen zwischen ihrer früheren Bewunderung für den ehemaligen Ingenieur, der in seiner Freizeit an einer Abhandlung mit dem Titel "Eine kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch" schreibt und ihrem Abscheu gegen die mitunter unappetitlichen Details der Beziehung zwischen ihrem Vater und Valentina, in die sie unfreiwillig mit hineingezogen wird.
    Schon in den Rückblicken wird deutlich, dass sich auch der jüngere Nikolai eher verhält wie ein großes, verzogenes Kind, das unbedingt den eigenen Trotzkopf durchsetzen will und dann jammernd zu Frau oder Töchtern laufen muss, wenn er sich mal wieder in Schwierigkeiten manövriert hat. Teilweise benimmt er sich im Umgang mit Valentina so herzerschütternd dumm, dass man ihn am liebsten in seinem selbstverschuldeten Elend sitzen lassen möchte, wenigstens mal einen Moment lang. Besonderes Mitgefühl hatte ich mit Nadia, deren frühere Heldenverehrung für ihren Vater durch seine hormonellen Verwirrungen im Fall Valentina schwer erschüttert wird.


    Durch Nikolais unberechenbares Verhalten - mal scheint er einsichtig geworden zu sein und berät sich mit seinen Anwälten, mal lässt er sich wieder von Valentina verbal und körperlich misshandeln - kann der Leser bis zum Ende nicht einschätzen, wie die Geschichte ausgehen wird; alles könnte möglich sein.
    Mit der Lösung der Autorin bin ich sehr zufrieden, weil sie sich realistisch anfühlt. Auch wenn amerikanische Gerichtsfilme es uns anders weismachen wollen - in solchen Geschichten gibt es keine klaren Gewinner und Verlierer.
    Am Ende von "Kurze Geschichte des Traktors..." haben die Protagonisten einiges mitgemacht. Sie haben Sicherheiten und feste Überzeugungen verloren, aber auch Illusionen und Vorureile. Schließlich kann Nadia ihre engstirnige Schwester sogar davon überzeugen, dass es immer mehrere Sichtweisen auf eine Sache gibt. Was will man mehr?
    Ich vergebe
    4ratten
    und bemängele nur, dass sich im Anhang kein Rezept für den ukrainischen Pflaumenwein von Mutter Ludmilla findet, dem sich Nadias diplomatischer Ehemann Mike so gerne ergibt, wenn er mal wieder als Streitschlichter mitkommen muss. :breitgrins:

  • Meine Meinung

    Ein alter Mann will eine viel jüngere Frau heiraten. Nicht aus Liebe, denn ihm isr klar dass er für sie Mittel zum Zweck ist. Sie will in den goldenen Westen um für sich und ihren Sohn eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Warum will Nikolai Valentina dann heiraten? Vielleicht, weil er insgeheim doch hofft, dass sie ihn ein kleines bisschen gern hat? Fühlt er sich einsam nach dem Tod seiner Frau? Den beiden Töchtern ist es egal. Sie fürchten hauptsächlich um ihr Erbe, denn natürlich läßt sich Valentina die Ehe mit dem alten Mann vergolden.


    So weit, so viele Klischees. Aber in dem Buch steckt viel mehr. Da ist die Vergangenheit Nikolais, das schwierige Verhältnis seiner beiden Töchter zueinander und die Beziehung zu Valentina, die zunehmend aus dem Ruder läuft. Dieser Teil war teilweise so überzogen, dass er fast schon komisch wirkte. Dabei ist es die Geschichte ganz und gar nicht. Es ist schlimm, wie Valentina den alten Mann behandelt und auch, dass es weder Nadia noch ihre Schwestern wirklich schaffen, ihrem Vater zu helfen. Natürlich macht es ihnen ihre Stiefmutter schwer, aber echtes Engagement zur Hilfe kann ich bei keiner der Beiden feststellen.


    Letztendlich bin ich in meiner Meinung so zwiespältig wie die meisten meiner Vorredner.

    3ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Guter Tip. Ich mochte auch die Traktoren, aber "Das Leben kleben" hat mir noch besser gefallen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich habe mir die Inhaltsangabe durchgelesen und bin noch nicht ganz überzeugt, dass das Buch etwas für mich ist.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Die Inhaltsangabe klingt etwas komisch (rein deshalb hätte ich wohl auch nicht dazu gegriffen), aber das Buch hat mir gut gefallen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen