Henrik Ibsen - Nora (Ein Puppenheim)

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  • Henrik Ibsen - Nora (Ein Puppenheim)
    (1879)


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    Ich bin mir nicht sicher, ob wir hier generell von einem Klassiker sprechen können, aber es ist sicher ein Klassiker der Emanzipationsliteratur und außerdem ein Drama. Dennoch weiß ich nicht, ob es besser hier oder bei "Frauenliteratur" aufgehoben ist. Im Notfall bitte verschieben.


    Inhalt:
    Das Drama in drei Akten spielt im Wohnzimmer der Familie Helmer während der Weihnachtstage (Heiliger Abend bis 2. Weihnachtstag) irgendwo in Norwegen. Torvald Helmer, ein Emporkömmling, der ab Januar des folgenden Jahres die Stelle als Direktor einer Aktienbank innehaben wird, und seine Frau Nora wohnen dort gemeinsam mit ihren drei kleinen Kindern Ivar, Bob und Emmy sowie den Hausangestellten, der Amme Anne-Marie und einem Hausmädchen. Gleich zu Beginn platzt eine alte Freundin der Nora, Christine Linde, in die Weihnachtsvorbereitungen und bittet Nora um den Gefallen, sie möge doch bei ihrem Ehemann ein gutes Wort für sie einlegen, damit sie eine Anstellung an der Bank bekäme, da sie nach dem Tod ihres Mannes keinerlei Aufgabe und kein Geld mehr habe. Nora eröffnet ihrer alten Freundin, nachdem diese ihr vorwirft, in ihrem Leben nichts wichtiges getan zu haben, ein folgenschweres Geheimnis: Vor 8 Jahren, kurz vor der Geburt ihres ersten Sohnes, hatte Nora gegen den entschiedenen Willen ihren schwerkranken Mannes Geld geliehen, um ihrem Mann einen Kuraufenthalt im Süden zu finanzieren. Da es zur damaligen Zeit in Norwegen Frauen ohne Zustimmung ihres Ehemannes oder Vaters nicht gestattet war, Geld zu leihen, fälschte Nora die Unterschrift ihres bereits verstorbenen Vaters auf dem Schuldschein und rettete ihrem geliebten Mann somit das Leben. Zufällig verhält es sich aber so, dass eben jener Schuldner, Rechtsanwalt Krogstad, mit der ersten Amtshandlung des neuen Bankdirektors Helmer entlassen wird, weil sich Krogstad in der Vergangenheit unmoralische Dinge hatte zu schulden kommen lassen. Krogstad versucht nun, Nora mit dem gefälschten Schuldschein zu erpressen und so seine Stellung nicht nur zu halten, sondern auszubauen…


    Meine Meinung:
    Den Inhalt konnte ich hier nur knapp wiedergeben, da die Wendung in der Sache, wie bei einem Drama ja nicht unüblich, erst in den letzten Szenen passiert. Soviel sei gesagt: Es geht vordergründig um die Frage, welche Rechte eine Frau in der bürgerlichen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat: ob sie Eigentum des Mannes ist oder ob sie ein Recht darauf hat als Mensch behandelt zu werden. Nora zieht aus ihren Erfahrungen ihr persönliches Fazit und geht einen drastischen Weg. So muss man wohl in einem Drama schocken.
    Ansonsten stellt Ibsen die gesellschaftlichen Probleme seiner Zeit gewohnt offen dar. Dabei benutzt er einerseits eine klare Sprache (besonders am Höhepunkt des Dramas), andererseits arbeitet er auch mit Anspielungen und Metaphern (z.B. findet ein Maskenball statt, dessen Bedeutung einem nach den Ausführungen des Doktor Rank schnell klar wird). Alles in allem ein mutiger Emanzipationsdrama, dessen Originaltitel „Et dukkehjem“ (Ein Puppenheim) viel sprechender ist als der im deutschsprachigen gebräuchliche Titel „Nora“. Wenn es sich mal anbietet, werde ich es mir auf einer Bühne anschauen, weil es da doch irgendwie immer besser rüber kommt.


    Ich gebe dem kleinen gelben Reclam-Heftchen alle fünf Ratten, weil es ein zur Erscheinungszeit wichtiges Thema offen anspricht (ja, auch heute ist dieses Thema noch sehr wichtig) und v.a. weil eben dieses Thema von einem Mann (!) angesprochen wurde :) Außerdem hat es eine eingängige, authentische Sprache, die zur Zeit und zur Gesellschaftsituation passt. Das Ende fand ich zwar sehr drastisch, aber wie gesagt, so einen kleinen Schocker muss man ja auf seiner Seite haben :zwinker:


    5ratten

    Einmal editiert, zuletzt von fairy ()

  • Danke für die Rezi ! Nach diesem Buch wurde meine Schwester benannt, meine Mutter staubte wärend der Schwangerschaft das Bücherbord ab und da fiel ihr der Name ins Auge - also das Buch muss ich dann wohl mal lesen... :smile:

  • Bisher hab ich Nora nur als Theaterstück gesehen - damals in der Schule. Es war so ziemlich das einzige Stück, das wir uns angesehen haben, das wirklich breiten Anklang fand. Wir mussten dann auch etliche Arbeiten darüber schreiben - und trotzdem hat mich die Geschichte so fasziniert, dass ich mir das Buch vor kurzem auch gekauft hab. Unbedingt lesen (oder sehen)

  • @Lidscha
    Deine Meinung zu Ibsens Nora kann ich nur unterschreiben - und würde gerne noch einen Aspekt hinzufügen: Nora eignet sich prima für Frauen mit Liebeskummer, ist Balsam für die, die noch heute neben dem Telefon sitzen und warten, zu sehr im Gegenüber hängen, sich zu sehr aus der Hand geben und nicht zu dem stehen, was sie wollen. Eine wunderbare Schocktherapie. Dieses Stück öffnet einem die Augen - irgendwie erinnert mich die Botschaft, auf moderne Weise gesehen, an Ildiko von Kürthy.
    Und wunderbar, wie er aufzeigt, wie gern man in seine eigenen Fallen rennt: Nora, die alles ignoriert und wirklich nur ein lustiges Püppchen ist oder eine trällernde Lärche, ganz Eigentum des Mannes und im Gegenzug ihre alte Jugendfreundin Christine, die "sich nie wieder an einen Mann verkaufen würde" und im gleichen Augenblick genau dies wieder tut. Ihre Vorstellungen von dem Verhalten der Frauen und ihren Aufgaben sind einfach zu tief und zeigen schön auf, daß man nie den eigenen Horizont so weit verlassen kann, um alle Fallen zu vermeiden.

    Ein wunderbares Stück, schon etliche Male gelesen, immer wieder empfohlen und, in zweierlei Hinsicht hochmodern.

    Viele Worte sind lange zu Fuß gegangen, ehe sie zu geflügelten Worten wurden<br />(Marie von Ebner - Eschenbach)<br /><br />http://www.zwergerlhausen.de<br /><br />SUB: 241&nbsp; :-)<br />&nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; - 1 (In Swanns Welt v. Marcel Proust)

    Einmal editiert, zuletzt von zwergerl ()

  • Kann dem nur zustimmen. Dennoch habe ich as als nicht ganz nachvollziehbar empfunden, dass Nora am Ende geht.
    Dass sie die Beziehung zu ihrem Mann klären muss ist klar, aber sie hat immerhin auch drei Kinder - also, das war mir denn doch nicht ganz eingängig.


    Das Ganze Drama atmet eine wunderbare Atmosphäre, sehr norwegisch, finde ich.
    Der Mann kommt allerdings arg schlecht weg, ein Wicht.

  • Du hast Recht - ich finde das Ende auch etwas überspitzt (und Noras Wandel um 180 Grad innerhalb ein paar Zeilen auch). Aber, seltsamerweise, sonst bin ich hier sehr streng, würde ich es dennoch gelten lassen - mir scheint, daß hier eine Art Zeitraffer wirkt. Denn dass Nora geht ist die einzige logische Konsequenz (zumindest innerlich geht, das äußere braucht es halt für das Drama und ihr Mann hätte sich und seine lerchenhafte Einstellung zu seiner Frau wohl nie geändert, das wäre ein ständiger Kampf geworden), nur dauern solche Prozesse in der Regel sehr lange, vom Erkennen bis zur Durchführung. Das Zurücklassen der Kinder ist mir auch nicht ganz klar, das kann ich mir nur so erklären, daß Nora sich bewußt ist, daß sie gegen alle gesellschaftlichen Regeln verstößt und da ihre Kinder nicht mit reinziehen will. Ich weiß nicht genau, wie eine Frau in dieser Zeit in der Gesellschaft ge- oder verachtet wurde, die ihren Mann sitzen läßt.


    Und die Männer: ja, Helmer kommt auf jeden Fall schlecht weg. Der ist aber auch eine "laare Hosn" wie wir sagen :lol:. Der Krogstedt ist wohl eher ein Schurke aus Mangel an Liebe - diese Figur find ich am wenigsten spannend. Aber Rank, der gefällt mir sehr gut, das ist ein Mann mit Biss, geradlinig und treu zu sich und seiner Umwelt - eigentlich der Spiegel zu Nora. Eigentlich auch ihr Vertrauter, er kennt sie wohl am besten.... und sie geht am Ende ja auch in seine Richtung.

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    Einmal editiert, zuletzt von zwergerl ()

  • Ich hab mal im ZDF-Theaterkanal einen Mitschnitt von der Theateraufführung des Stücks gesehen. Kennt die zufällig jemand? Die hat mir auch sehr gut gefallen.
    Das Ende war, wie ihr sagt, überspitzt, aber das mag ich am Theater gerade. Shakespeare hat ja auch nicht gerade an Dramatik gespart. :breitgrins:
    Fasziniert hat mich, dass das Stück, obwohl die Thematik heute nicht mehr aktuell ist, auf mich so interessant und spannend gewirkt hat. Vielleicht macht ja gerade das die richtig guten Dramen aus.


    LG,
    Polkadot

    Liest:<br />Matt Ruff - Bad Monkeys

  • An "Nora" habe ich leider keine guten Erinnerungen. In meinen ersten Wochen in einer deutschen Schule wurde in der Klasse dieses Buch gelesen. Ich konnte kaum Deutsch und hatte alle Mühe, die Handlung zu verstehen. Vor einigen Jahren habe ich aber meiner Schwester ihre "Nora"-Ausgabe abgeluchst, die bis heute irgendwo in den Tiefen meiner Regale herumsubbt. Nach den Rezis hier im Thread ist mein Interesse wieder erwacht, muss mal sehen, ob ich das Büchlein finde.


    ***
    Aeria

  • zwergerl


    Danke, das ist ein Ansatz, mit dem ich etwas anfangen kann. Der Gedanke, dass es positiv für die Kinder sein kann,
    nicht hineingezogen zu werden, war mir nicht gekommen.
    Dann hat Nora in ihrer Konsequenz fast etwas Märtyrerhaftes, lässt ihre Kinder los -
    na ja, außerordentlich stark ist sie ja beim Abgehen; nicht einmal Hilfe nimmt sie von Helmer noch an.


    "Die Kleinen will ich nicht erst sehen. Ich weiß, sie sind in besseren Händen als den meinen."


    Mir persönlich ist das inhaltlich nachvollziehbar, aber wesensfremd. Fast schon ein bisschen unheimlich.
    Dabei mag ich starke Frauen ganz außerordentlich.


  • Ja, genau über diesen Satz, den Du hier hingeschrieben hast, denke ich immer noch nach und bin mir gar nicht so sicher, ob meine Interpretation von oben da so stimmig ist. Mir scheint eher nein. Würde sonst dieser Satz fallen? Aber ich habe mir überlegt, daß sie vielleicht tatsächlich der Meinung ist, daß sie als emanzipierte Frau nicht wirklich in die Gesellschaft paßt und sie denkt vielleicht tatsächlich, daß sie, so wie sie grad spinnt, sozusagen, kein Anrecht auf die Kinder hat....


    Was meinst Du? Klingt für mich logischer...

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  • Übrigens heißt sowohl Buch als auch Stück "Ein Puppenheim". "Nora" als Titel kommt von einer nicht genehmigten Umarbeitung des Stücks mit einem anderen Ende. Aber genug der Korinthenk......i: hier meine Meinung:


    Eigentlich könnte man ja meinen, Nora Helmer hat alles, was sie sich wünscht. Sie hat eine schöne Wohnung, ein Kindermädchen, einen Dienstboten, drei wunderbare Kinder (um die sich das Kindermädchen kümmert) und einen Mann, der sie verehrt und auf Händen trägt. Doch etwas ist faul im Hause Helmer.


    Noch bevor Torvald seine jetzige Stelle als gutverdienender Bankdirektor angetreten hat, riet ihm der Arzt zu einer Reise in den Süden. Weil aber nicht genügend Geld vorhanden war und Torvald zu stolz war, einen seiner Freunde um einen Kredit zu bitten, sah sich Nora gezwungen, das Geld ohne dem Wissen von Torvald aufzutreiben. Leider hat sich Nora das Geld ausgerechnet von Rechtsanwalt Krogstadt geborgt. Dieser steht nun, kurz vor Weihnachten vor der Tür der Helmers um mit Nora zu sprechen. Weil er nämlich dem Bankdirektor scheinbar nicht mehr zu Gesicht steht, will dieser ihn kündigen. Er bittet Nora, Torvald umzustimmen, da er sich andernfalls gezwungen sähe, Torvald vom Kredit an Nora zu erzählen.


    Diese will unbedingt vermeiden, dass ihr Mann von dieser unehrenhaften Tat erfährt und versucht deshalb, Torvald umzustimmen. Leider gelingt ihr das nicht, hat sie doch vor kurzem erst für Frau Linde, ihre frühere Freundin in der Schule, vorgesprochen und ihr eine Anstellung verschafft. Allerdings ausgerechnet jene, die früher Krogstadt bekleidete. Als Krogstadt schließlich von seiner endgültigen Kündigung erfährt, schreibt er Torvald einen Brief, in dem er ihm erklärt, dass er Nora eine große Summe Geld geborgt hat, allerdings nur, weil jene die Unterschrift ihres Vaters gefälscht hatte. Für Nora ist dies der Alptraum. Sie fürchtet sich davor, was geschehen wird, wenn ihr Mann, der Parademann schlechthin, von dieser unehrenhaften Tat erfährt.


    Und er erfährt schließlich auch davon. Es geschieht das Erwartete: Er will vor allem sich selbst davor schützen, dass diese Schmach öffentlich wird, er macht sich hauptsächlich Sorgen um sich selbst. Und in einem zweiten Schritt auch noch um seine drei Kinder. Er geht sogar so weit, Nora zu verbieten, sich um die Kinder zu kümmern. Um sie vor Schlechtigkeit zu bewahren, wie er meint. Nora jedoch fasst einen für sie ganz untypischen Entschluss. Sie beschließt, ihren Mann und ihre Kinder zu verlassen, um sich erst einmal auf die Suche nach ihr selbst zu begeben.


    Das wohl bekannteste Theaterstück von Henrik Ibsen hat schon für viel Aufsehen und viel Kontroverse gesorgt. Nora lebt in einer Ehe, die so typisch für viele ist. Sie und ihr Mann leben nebeneinander her, beide spielen ihre Rollen perfekt. Torvald steht für „den“ Mann, er bevormundet Nora, sagt ihr, was sie zu denken und tun hat und behandelt sie wie seine Puppe. Doch an der Situation ist Nora nicht ganz unschuldig. Sie lässt sich bevormunden, weil sie sich nicht die Mühe macht, selbst zu denken. Sie spielt lieber das kapriziöse Dummchen und lässt sich von ihrem Mann auf Händen tragen.


    Nach und nach wird klar, dass Torvald vor allem eines liebt: Den Mann, als den er sich geben kann, indem er vorgibt, Nora zu lieben. Oft wurde versucht, Ibsen anzuhängen, er würde sich für die Sache der Frauen einsetzen. Doch er selbst hat diese Ansicht mehrmals heftig bestritten. Mit den Worten „ Ich… muss aber die Ehre von mir weisen, bewusst für die Sache der Frau gewirkt zu haben […]. Für mich hat sie sich als eine Sache des Menschen dargestellt...“ (siehe Nachwort zu „Ein Puppenheim“, Insel Verlag S. 150) wies er den Gedanken entschieden von sich.


    Widersprüchlich dazu ist, dass er sich sehr oft wohl bewusst doch für die „Sache der Frau“ eingesetzt hatte, zum Beispiel, als er sich dafür einsetzte, dass auch Frauen im Skandinavischen Verein, in dem er Mitglied war, zu den Generalversammlungen und Ämtern zugelassen wurden (womit er aber keinen Erfolg hatte). Ibsen selbst hat das Stück übrigens immer nur „Ein Puppenheim“ genannt. Der vermeintliche Titel „Nora“ stammt nicht von ihm, sondern vom Herausgeber des Taschenbuchs zum Stück.


    Die Rezeption des Werkes hat sich von der Uraufführung 1879 bis heute drastisch geändert. Weil viele Theaterintendanten das Ende zu unbefriedigend empfanden, wurden zahlreiche „andere Schlüsse“ geschrieben und aufgeführt, doch eines ist geblieben: Damals wie heute möchte man beide Protagonisten am liebsten an den Schultern packen und kräftig durchschütteln. Man möchte ihnen zurufen, doch endlich vernünftig zu werden. Ein „sapere aude“ aus dem Publikum rufen. Doch es ist zwecklos. Nora geht, wohin werden wir nie erfahren. Als „aktuell“ könnte man das Stück auch in unserer Zeit noch nennen. Denn oft genug sind viele Ehescheidungen genau das, was Nora getan hat: eine Flucht vor der Realität, Verantwortung und der Aufgabe „miteinander“ zu leben.


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    Taschenbuch: 159 Seiten
    Verlag: Insel, Frankfurt; Auflage: 11., Aufl. (Oktober 2002)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3458320237

  • Ja, dass man beiden Protagonisten raten möchte, jetzt mal kräftig durchzuatmen und dann gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten, die dem Ehepaar, den einzelnen Personen und (vor allem) auch den Kindern nützt, ist etwas, was ich auch schon gedacht habe.


    Mir scheint es übrigens durchaus kein Widerspruch zu sein, sich für die Sache der Frauen einzusetzen, wenn man in erster Linie die Sache des Menschen schlechthin im Auge hat. Geht es nicht gerade darum, Menschen und Bürgerrechte für alle durchzusetzen, wenn man Missstände für die Frauen beklagt? Das soll ja gerade nicht heißen, dann im Gegenzug Männer zu benachteiligen - gut, das ist ein weites Feld, ich glaube, ich möchte gerade nicht einen neunen Graben aufreißen damit.


    zwergerl, ich glaube, deine erste Deutung scheint mir doch stimmiger. Es ist schon ein großer Schritt, sein Puppenheim zu verlassen, sein soziales Ansehen, Geld, Wärme (brrr, im kalten Norwegen), klare Zukunftsperspektive und eben vor allem die Kinder. Dass sich hier jemand einen Ruck gibt, über sich hinauswächst und aus der Einsicht heraus, dass es sein muss eben geht und es sich dann nicht schwerer macht, indem er/sie sich sagt, dass es den Kindern in geordneten Verhältnissen besser geht und es nicht schafft, sie noch einmal zu sehen - das scheint mir nicht unlogisch, wenn ich auch wie gesagt den Schritt nicht für sinnvoll halte. Da kann ich chil nur Recht geben.


    Sie sieht sich hier glaub ich auch gar nicht als "emanzipierte Frau", sie ist bzw. wird es nur faktisch, indem sie aus einer Einsicht und auch aus einer Überzeugung heraus (nämlich darüber, wie Ehe sein sollte) handelt und somit selbstbestimmt ist und nicht fremdbestimmt.


    Ich wollte euch noch sagen, wie sehr ich es genieße, hier mit klugen und nachdenklichen Leuten über Literatur ssprechen zu dürfen, denen es erkennbar um die Sache geht und nicht um Selbstdarstellung oder Ähnliches...


    Schönes Wochenende! :smile:

  • Zum Schluss:


    Ich sehe das so, dass Nora die Kinder verlassen muss, da sie nun erwachsen ist. Sie hat ja vorher nicht wirklich als Mutter agiert, sondern war eine Art (nur um Weniges) ältere Schwester, die mit den Kindern eigentlich immer nur gespielt hat. Nun merkt sie, dass sie, im Gegensatz zu ihrer Freundin, eben nicht den Drang hat, Mutter zu sein. Da ist es nur konsequent, wenn sie die Kinder ihrem Mann überlässt.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Die junge Frau Nora führt mit ihrem Mann Helmer und ihren drei Kindern ein gemütliches Leben, in dem die Beförderung von Helmer zum Bankdirektor die Familie von zeitweiligen Geldsorgen endgültig befreien wird. Stolz erzählt Nora ihrer Freundin Frau Linde, welche sie kurz vor dem Weihnachtsfest besuchen kommt, wie es ihr in den letzten Jahren ergangen ist und dass sie mit kleineren Handwerksarbeiten, wie beispielsweise Stickereien, selbst etwas zum Haushalt der Familie beigetragen hat. Frau Linde, die sich nach dem Tod ihres Mannes mit harter Arbeit durchschlagen musste, erkennt zwar Noras Leistungen an, aber macht ihr zugleich deutlich, welch behütetes Leben sie bisher geführt hat. Daraufhin offenbart ihr Nora ein Geheimnis: als ihr Mann schwerkrank war und das Geld für eine Erholungsreise nach Italien gefehlt hat, hat sie selbst die benötigte Summe aufgetrieben. Wie Frau Linde richtig vermutet, hat sie sich das Geld geliehen – von Krogstad. Ausgerechnet Krogstad, der in der gleichen Bank wie Noras Ehemann Helmer arbeitet, soll nun gekündigt werden. Heimlich wendet er sich an Nora und setzt sie unter Druck: entweder sie verhilft ihm dazu, dass er seinen Arbeitsplatz behält, oder er macht öffentlich, dass sie sich von ihm Geld geliehen hat und dabei die Unterschrift ihres Vaters fälschte.


    In dieser gespannten Situation verbringt Nora nun die Feiertage – immer hin- und hergerissen zwischen überzogen guter Laune in Gegenwart ihrer Familie und düsteren Zukunftsängsten und Ahnungen bezüglich Krogstads Drohung. Schließlich bedeutet die Bloßstellung ihres Straftat, die Nora anfangs gar nicht als solche wahrnimmt, den gesellschaftlichen Ruin für ihre Familie – insbesondere ihren Mann, der seine Stellung als Bankdirektor sofort verlieren würde – und Nora selbst würde einem Gerichtsprozess ins Auge sehen müssen.


    Die anfangs sehr verspielt wirkende Nora, die mir zu leichtlebig und lebensfremd erschien um sie ernst zu nehmen, zeigt in den insgesamt 3 Akten dieses Schauspiels, dass sie durchaus auch andere, ernsthaftere Charakterzüge hat, die sie mir gleich viel sympathischer machten. Neben ihr als unbestreitbarer Hauptperson agieren nur noch eine 4 weitere Charaktere sowie einige untergeordnete Hilfspersonen im Stück, wodurch man leicht den Überblick über die Handelnden und ihre Beziehungen untereinander behalten konnte. Diese anderen Protagonisten waren ebenso wie Nora durchweg sehr anschaulich gestaltet, so dass ich mir schnell ein Bild von ihnen machen konnte, welches sich bei einigen jedoch im Laufe des Lesens durchaus wandelte.


    Auch vom Handlungsort, der Wohnung von Nora und ihrer Familie, konnte ich mir aus der halbseitigen Regieanweisung zu Beginn des ersten Akts ein genaues Bild machen und sah förmlich vor meinen Auge, was sich in diesen Räumen abspielte. Zu verdanken ist dies auch Ibsens Sprachstil, der keineswegs abgehoben wirkte, sondern die Äußerungen der Personen so niederschrieb, wie sie wirklich gesprochen haben könnten.


    4ratten


  • [...] obwohl die Thematik heute nicht mehr aktuell ist [...]


    Diese Thematik ist doch immer aktuell :zwinker:.


    Mir gefiel diese Entwicklung, die Nora, wenn auch in sehr kurzer Zeit, durchlebt. Vielleicht war die Erkenntnis, dass sie keine normale Ehe führt, sondern eher die Fortsetzung eines Vater-Kind-Verhältnisses, unbewusst schon so weit ausgereift, dass es nur eines Anstoßes bedurfte, der ihr die Augen öffnete.


    Was ist eine solche Ehe wert? Ihr Mann behandelt sie nicht wie eine Erwachsene. Wenn man es nicht wüsste, könnte man anhand seiner Art und Ausdrucksweise auch annehmen, er spräche mit einem seiner Kinder. Nora hat aus Liebe zu ihm viel riskiert. Sie hat ihn belogen, was aufgrund ihrer Beweggründe noch vertretbar ist. Seine impulsive Reaktion war auch sehr ehrlich. Er erkennt nicht, was sie ihm zuliebe getan hat sondern sieht nur seinen Ruf und seine Stellung in Gefahr. Damit zeigt er ganz deutlich, was ihm wichtiger ist. Nora beweist viel Stärke, wenn sie ihn verlässt. Dass Helmer sich besser um die Kinder kümmert, hat er ja selbst schon festgestellt. Vielleicht ist auch Nora der Ansicht, dass es für die Kleinen besser ist, wenn sie unter der Obhut einer "richtigen" Frau aufwachsen, selbst wenn das ein Kindermädchen ist, wie Nora es in ihrer eigenen Kindheit erlebt hat.


    Ibsens direkte Art gefällt mir sehr gut. Er schreibt sehr bildhaft und unverblümt und kann die Charaktere förmlich zum Leben erwecken. Auch wenn er behauptet, nicht "bewusst für die Sache der Frau gewirkt zu haben", hat er mit diesem Stück doch aufgezeigt, dass Frauen damals gewisse Vorstellungen und Erwartungen an eine Ehe hatten.


    5ratten


    Das ist das zweite Stück, das ich von Ibsen gelesen habe. Ich würde mir gerne eine Sammlung seiner Werke zulegen. Kann jemand eine möglichst vollständige Ausgabe empfehlen?

  • Meine Meinung
    Man kann die Veränderungen in Nora auf beinahe jeder Seite erkennen. Am Anfang ist sie ein flatternder Zeisig, der nur vor sich hinträllert. sie wirkt oberflächlich uns scheint nichts mehr zu sein als das Schmuckstück ihres Ehemannes. Schon beim Gespräch mit ihrer Freundin
    Christine erkennt man, dass mehr in Nora steckt. Um ihren Mann zu retten, hat sie ein großes Wagnis auf sich genommen. Sie hat ihm nie davon erzählt, vielleicht weil sie genau weiß, wie er reagieren würde.


    Sie hat recht mit ihren Bedenken, die erste Reaktion Helmers ist nicht Dankbarkeit, sondern das genaue Gegenteil. Wie kann seine Frau ihm das antun? Nora versucht zunächst, sich zu rechtfertigen. Aber sie ist auch nicht mehr das kleine Mädchen, das ihr Mann am Anfang des Stücks in ihr gesehen hat. Sie ist eine erwachsene Frau geworden, die aus dem Geschehenen ihre Konsequenzen zieht.


    In der Zeit, in der das Stück spielt den Mann zu verlassen zeigt Größe. Ich denke, dass Nora mit dieser Größe auch ihren Kindern eine gute Mutter gewesen wäre. Aber ich hatte bei ihr nie das Gefühl, das sie sich wirklich wie die Mutter der Kinder gefühlt hat sondern eher wie ihre Spielgefährtin. Und weil sie erwachsen geworden ist, ist es nur konsequent dass sie die Kinder beim Vater zurückläßt.
    5ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Das kleine Büchlein liest sich ja sehr schnell und flüssig. Ich weiß aber gar nicht warum ich es so lange vor mir hergeschoben habe, denn ich fand es wirklich gut geschrieben.


    Die liebe kleine Nora wird von ihrem Mann Torvald wie eine Puppe behandelt. Torvald war mir von Anfang an unsympathisch. Dieses Gehabe von oben herab kann ich nicht leiden.
    Und es treffen ziemlich bald zwei Pole aufeinander. Nora, die Naive und Frau Linde, die Vernünftige. Dieses Zusammenspiel habe ich sehr gut gefunden.


    Krogstad mochte ich auch nicht, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er früher mal anders war. Muss er aber eigentlich. Frau Linde wird wohl kaum in einen kleinen Tyrannen verliebt gewesen sein.


    Das Ende gefiel mir ausgesprochen gut. Die Verwandlung von Nora konnte ich nur befürworten und endlich kam auch ans Licht worum es Torvald im Grunde geht: Seine Ehre, sein Ansehen und sonst nichts.