Pascal Mercier - Nachtzug nach Lissabon (Teil 1 Kapitel 1 - 5)

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    Nachtzug nach Lissabon


    Plötzlich war Schluss. Raimund Gregorius, von seinen Schülern liebevoll „Mundus“ genannt, Lateinlehrer und Altsprachengenie an einem Berner Gymnasium, war unzweifelhaft aus dem Tritt geraten. Er war sich nicht einmal sicher, ob die Frau, die heute Morgen auf der Brücke im strömenden Regen einen Brief zerknüllt hatte, wirklich hatte springen wollen. Gregorius, auf das Schlimmste gefasst, war zu Hilfe geeilt. „Português“, hatte sie zerstreut auf seine Frage nach ihrer Muttersprache geantwortet und dem Verblüfften eine Telefonnummer auf die Stirn gekritzelt. Die Fremde verschwand so schnell, wie sie in sein Leben getreten war. Eine Idee blieb zurück. Wenig später war Mundus, die „museale Gestalt“, dieser in Ehren ergraute Ausbund an Korrektheit und Tüchtigkeit, für immer aus dem Klassenzimmer geflohen.
    „Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist -- was geschieht mit dem Rest?“ Die Worte des portugiesischen Arztes und Poeten Amadeu de Prado, gefunden in einem Antiquariat, hatten Gregorius wie einen Schlag getroffen. Erneut wies die Spur nach Portugal. Der Nachtzug nach Lissabon sollte ins Licht führen. Fortan würde Gregorius die Gedankenwelt des Arztes und Widerstandskämpfers gegen das Regime Salazars nachempfinden. Lebenserfahrungen und unbequeme Fragen, die wie an Gregorius persönlich gerichtet klangen. Tiefer und tiefer geht die Reise -- und führt schließlich in die gefährlich eisigen Grenzregionen der Persönlichkeitsspaltung.


    [hr]


    Teilnehmer


    wolves
    Flor
    tina
    Miramis
    aquacat


    [hr]


    In diesem Bereich könnt ihr zu Teil 1 Kapitel 1 - 5 schreiben.


    Viel Spaß!


    Liebe Grüße
    wolves

    Einmal editiert, zuletzt von wolves ()

  • Hallo Ihr Lieben,


    na dann will ich doch mal den Anfang machen :smile:.
    Erstmal bin ich natürlich ganz begeistert wie genau sich der Autor oder natürlich besser Mundus mit dem "Purtugesch" :breitgrins: beschäftigt. Das lässt bei mir natürlich die Ohren klingeln.
    Ich muss immer lächeln wenn ich Portugiesen höre und was sie für ungewöhnliche Laute aus ihrem Mund pressen können. Die Brasilianer tun das übrigens nicht. Diese ganzen Zischlaute, die übertriebenen "schs" und das nasalierte des Portugiesischen hat sich hier nicht durchgesetzt. Worüber ich nicht unglücklich bin :zwinker:.


    Ich habe gestern mal ein bisschen gegoogelt. Also Portugiesisch kann der Autor nicht, sondern hat sich die Textzeilen von einem Dolmetscher übersetzen lassen. Und diesen Amadeo Inácio De Almeida Prado gibt es auch nicht. Endlich gibt es aber mal ein Buch in dem eine Figur, zumindest einen Teil, meines (Nach)namens hat :smile:.


    So, ansonsten zur Geschichte bisher. Ich bin jetzt im 3. Kapitel. Dieser Raimund Gregorius tut mir jetzt schon leid, was für ein schlecklich langweiliges und eintöniges Leben der führt oder besser, wohl geführt hat, weil jetzt will er ja alles ändern.
    Die Stelle als er sich nicht die Nummer von der Stirn wischen wollte, weil er auch mal etwas "aufregendes" etwas anderes machen wollte. Eigentlich sehr traurig.
    Ich kann mir die Gesichter der Schüler lebhaft vorstellen. Und dann bringt der auch noch eine fremde, nasse Frau mit in die Klasse. :entsetzt:


    Ich hoffe allerdings, dass sich die Zitate aus dem Prado Buch etwas in Grenzen halten, da mir die doch zu philosophisch sind und damit kann ich nicht unbedingt so viel anfangen. Zumnidest nicht in so gepallter, langer Form. Einzelne Textzeilen sind gut.


    So, das wars erst mal, mal lesen was ihr so meint.


    Grüße
    Flor

  • Hallo ihr Lieben,


    ich habe jetzt bis Ende Kapitel 5 gelesen. Ich muss sagen, bis jetzt gefällt mir das Buch ausgezeichnet gut. Hier mal meine ersten Eindrücke:


    Gregorius scheint ein Leben geführt zu haben, dass eingefahren, vorhersehbar war. Bis zu dem Moment als er die Frau getroffen hatte, schien er soweit ganz zufrieden damit gewesen zu sein. Nun ja, ganz zufrieden kann man ja nie sein, aber soweit war er es scheinbar. Er hatte ja ganz gerne am „alten“ gehangen zu haben. Wie z.B. den Schwarzweiß-Fernseher oder das altmodische Telefon. Ich glaube, so hatte er sich dann irgendwie wohl gefühlt, in sich geborgen.
    Die Begegnung mit der Frau hat allerdings seinem Leben eine ganz neue Wendung gegeben. Da schien doch unter all dieser „mit-sich-und-seinem-Leben-zufriedene-Oberfläche“ mehr gewesen zu sein. Ich meine, sonst hätte er doch nicht von heut auf morgen so reagiert. Da hat es scheinbar nur eines Auslösers gebraucht.
    Mir kam er wie "gestempelt" vor, als die Frau ihm diese Telefonnummer auf die Stirn geschrieben hat. Irgendwie kann ich nicht erklären, wie ich das meine. Aber das war mein erster Gedanke, als ich diese Szene gelesen hatte.


    Und dann findet er in einer Buchhandlung ein Buch, das wieder etwas in ihm verändert. Er liebte Latein. Die Sätze gaben ihm Ruhe und Gelassenheit und jetzt wollte er portugiesisch lernen.
    Es ist für ihn wie eine

    Zitat

    (...) Befreiung von einer selbstauferlegten Beschränkung, von einer Langsamkeit und Schwerfälligkeit (...), die Befreiung von einem Bildnis seiner selbst.


    Mal ganz nebenbei, irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand, selbst wenn er Latein kann, so schnell portugiesisch lernen kann, dass er ein Buch in dieser Sprache lesen kann. Wie habt ihr das denn empfunden? Ich fand das irgendwie etwas unglaubwürdig.


    Gregorius geht noch einen Schritt weiter, er fährt nach Portugal. Er nimmt während dieser Fahrt Abschied von seinem früheren Leben.


    Mir gefallen die Abschnitte aus dem Buch von de Prado sehr gut. Sie lassen mich nachdenklich werden.


    Flor: Danke für deine Recherchen über Prado. Ich wollte schon googeln gehen, ob es ihn wirklich gibt.


    Bin schon sehr auf die Eindrücke der anderen gespannt :smile:


    Liebe Grüße
    wolves

    Einmal editiert, zuletzt von wolves ()

  • Hallo, ich bin mit diesem Abschnitt auch schon in die Leserunde eingestiegen.


    Der Einstieg fiel mir sehr leicht, die Person des Raimund Gregorius hat mich von Anfang an gefesselt.


    Er scheint ein Mensch zu sein, der seine eingefahrenen Bahnen niemals verlassen hat - allerdings tut er mir nicht leid, so wie dir, Flor. Ich habe das Gefühl, er ist mit seinem Leben ganz zufrieden; er geht auf in seinem Beruf und stellt keine großen Ansprüche an das Leben.


    Umso bemerkenswerter, dass er plötzlich aufgrund der Begegnung mit der Portugiesin sein Leben komplett ändern will. Diese Entwicklung finde ich total aufregend, zumal alles ja auch rasend schnell geht. Der Roman enthält ja nicht unbedingt seitenweise Vorgeplänkel und Vorgeschichten, sondern kommt sofort zur Sache. Das finde ich sehr gelungen.


    Die Abschnitte aus dem Werk des Amadeu Inácia de Almeida Prado gefallen mir sehr gut, "Goldschmied der Worte", wie genial! Manche Sätze musste ich allerdings zweimal durchlesen, um sie halbwegs erfassen zu können. Stoff zum Nachdenken sind sie auf jeden Fall. Und, da gebe ich Flor recht, viel länger sollten sie auch nicht werden, sonst habe ich das Gefühl, nicht mehr richtig in die Geschichte zurückzufinden.


    Das spezielle "Portugiesische" Sprachgefühl kann ich nicht nachempfinden, da ich noch nie jemanden Portugiesisch habe reden hören. Flor, da bist du eindeutig im Vorteil :zwinker:. Auch ohne Zischlaute.


    Zum Schluss muss ich noch gestehen, dass ich auch googeln musste, und zwar betreffend der "Bundesterrasse". Ich dachte zunächst an einen Rechtschreibfehler und sah das Ganze als "Bundesstraße" an, aber Google hat mich eines besseren belehrt; es gibt sie wirklich, die Bundesterrasse und sie ist eine Straße oder ein Weg in Bern. Ok, wieder etwas dazugelernt.


    Übrigens, die Sprache gefällt mir sehr gut; ziemlich schnörkellos und flüssig zu lesen.


    Viele liebe Grüße
    Miramis

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • @wolves: da haben wir uns ja fast überschnitten! :zwinker:



    Mir kam er wie "gestempelt" vor, als die Frau ihm diese Telefonnummer auf die Stirn geschrieben hat. Irgendwie kann ich nicht erklären, wie ich das meine. Aber das war mein erster Gedanke, als ich diese Szene gelesen hatte.


    Ja, ich verstehe was du meinst. Ein äußeres, sichtbares Zeichen der Veränderung, die innerlich in ihm vorgegangen ist. Und er will sie auch erstmal nicht rückgängig machen (und die Nummer abwaschen).



    Mal ganz nebenbei, irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand, selbst wenn er Latein kann, so schnell portugiesisch lernen kann, dass er ein Buch in dieser Sprache lesen kann. Wie habt ihr das denn empfunden? Ich fand das irgendwie etwas unglaubwürdig.


    Ich habe ihm das abgenommen, Sprachengenie wie er eines ist. Er liest das Buch ja nicht in Portugiesisch, sondern er hat ja das Wörterbuch, aus dem er Wort für Wort heraussucht; und leicht fällt es ihm gerade nicht - das Wort "Marathonlauf" (S. 36) spricht da Bände...



    Mir gefallen die Abschnitte aus dem Buch von de Prado sehr gut. Sie lassen mich nachdenklich werden.


    Da stimmen wir überein... :smile:

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Ja, ich verstehe was du meinst. Ein äußeres, sichtbares Zeichen der Veränderung, die innerlich in ihm vorgegangen ist. Und er will sie auch erstmal nicht rückgängig machen (und die Nummer abwaschen).


    :pling: Das ist es. Ich konnte es einfach nicht in Worte fassen.

  • Hallo,


    ja, "gestempelt" ist gut. Und die Erklärung dazu von Miramis um so besser. Schön wenn andere in Worte fassen können was man meint.


    Ich habe ihm das abgenommen, Sprachengenie wie er eines ist. Er liest das Buch ja nicht in Portugiesisch, sondern er hat ja das Wörterbuch, aus dem er Wort für Wort heraussucht; und leicht fällt es ihm gerade nicht - das Wort "Marathonlauf" (S. 36) spricht da Bände...


    Darüber habe ich mir auch Gedanken gemacht. Und ich konnte mir noch keine wirkliche Meinung dazu bilden. Erst dachte ich so wie wolves. Unglaubwürdig, dass jemand einen Text von einer Sprache übersetzten kann, trotz Wörterbuch, die er nicht spricht. portugiesisch ist nicht so leicht, finde ich zumindest. Allerdings habe ich mir dann auch gedacht bei so einem Sprachgenie geht das vielleicht.
    Ach....keine Ahnung, mir fällt es sehr schwer fremde Sprachen zu lernen, da fällt mir echt nichts in den Schoß.
    Aber eine Bekannte von mir, die französich und latein kann, hat portugiesisch im Rekorttempo gelernt, also geht es vielleicht doch.
    Was solls, ich nehme das jetzt mal so hin.



    - allerdings tut er mir nicht leid, so wie dir, Flor.Übrigens,


    Interessant wie unterschiedlich wir das sehen. Natürlich habt ihr recht wenn ihr sagt er ist ein Mensch der an "altbewährtem" festhält, aber ich habe dem gar nicht so viel Gewicht eingeräumt.
    Auf mich wirkt das alles so sehr traurig,
    Solche Sätze wie Denn ein Leben nur, ein einziges, hat jeder. Es aber ist für dich fast abgelaufen, und du hast in ihm keine Rücksicht auf dich selbst genommen, sondern hast getan, als ginge es bei deinem Glück um die anderen Seelen
    Dann die Stelle wo er seine Schüler betrachtet und feststellt wie viel Zeit sie noch vor sich haben, Zeit die er nicht mehr hat...er hat seine Zeit- sein Leben?- einfach verschenkt, es nicht gelebt. Das ist für mich persönlich eine ganz große Tragödie. Irgendwann zu merken man hat sein leben nicht gelebt, und nun ist es zu spät.


    Auch der Anfang vom 4. Kapitel wieder über die Schüler ....daß die veränderten Gesichter vom unaufhaltsamen Verrinnen der Zeit und dem unbamherzigen Verfall alles Lebendigen zeugten. :sauer:


    Grüße
    Flor


    Noch etwas was mir aufgefallen ist zum Namen Amadeu Inácio De Almeida Prado.
    Wieso redet Gregorius immer von dem "Adligen". Das "De" also "Von" hat hier doch fast jeder im Namen,(ich rede hier natürlich von Brasilien, aber ich denke so anders kann es in Portugal nicht sein) und keiner ist deshalb gleich adelig, das fand ich sehr merkwürdig. Mercier sagt dazu, dass er den Dolmetscher, der ihm die Textzeilen ins portugiesische übersetzt hat, nach einem typischen portugiesischen Adelsnamen gefragt hat und dann wurde ihm eben dieser Namen genannt.
    Wollte ich nur sagen, vielleicht interessiert es ja jemanden, ich fand es nämlich schon etwas komisch.

    Einmal editiert, zuletzt von Flor ()

  • Hallo Flor :winken:


    Noch etwas was mir aufgefallen ist zum Namen Amadeu Inácio De Almeida Prado.
    Wieso redet Gregorius immer von dem "Adligen". Das "De" also "Von" hat hier doch fast jeder im Namen,(ich rede hier natürlich von Brasilien, aber ich denke so anders kann es in Portugal nicht sein) und keiner ist deshalb gleich adelig, das fand ich sehr merkwürdig. Mercier sagt dazu, dass er den Dolmetscher, der ihm die Textzeilen ins portugiesische übersetzt hat, nach einem typischen portugiesischen Adelsnamen gefragt hat und dann wurde ihm eben dieser Namen genannt.
    Wollte ich nur sagen, vielleicht interessiert es ja jemanden, ich fand es nämlich schon etwas komisch.


    Ohne deinen Hinweis wäre mir das gar nicht aufgefallen! Natürlich interessieren mich solche Hinweise, vielen Dank dafür :knuddel:


    Liebe Grüße
    wolves

  • Ich bin für diese Leserunde nicht 'angemeldet' und möchte auch in sonst keiner Hinsicht 'stören' - nur ist es so, dass ich das Buch, das ihr im Moment entedeckt gleich beim Erscheinen damals gelesen habe und es ist bis heute eines meiner Highlights und deshalb 'verfolge' ich eure Diskussion gerne mit - und ich würde gerne einen Punkt was die Sprachkünste vom Protagonisten angeht erläutern: ich selber kann auch kein Portugiesisch (habe den Klang allerdings tagtäglich in den Ohren da diese Nationalität den grössten Teil unserer 38% Ausländeranteil in Luxemburg ausmacht) - allerdings kann ich ohne Probleme durch meine Französischkenntnisse einen portugiesischen Text zu 70% verstehen/übersetzen - wenn man nun von Latein ausgeht und mit einem Wörterbuch.. das ist in der Tat möglich :smile:


    Wünsche euch allen gutes Weiterlesen :zwinker:


    Kenavo

  • Hallo


    @Kenavo: Du "störst" doch nicht, ganz im Gegenteil, mich interessieren immer alle Eindrücke über dieses Buch. :smile:
    Ich bin ja leider hoffnungslos sprachunbegabt, deshalb kam mir das ganze so unwahrscheinlich vor, aber was du schreibst leuchtet mir ein.


    Ich wollte noch auf den Brief von Gregorius an den Rektor Kägi eingehen. Die Stelle mit dem Zitat von Marc Aurel aus seinen Selbstbetrachtungen habe ich mir unterstrichen, weil ich sie einfach richtig finde.
    Kurz ein Zitat: "Diejenigen aber, die die Regungen der eigenen Seele nicht aufmerksam verfolgen, sind zwangsläufig unglücklich." Das kann ich nur unterstreichen! Das ist doch eigentlich das schwierige, zu spüren was einem selbst gut tut und das ganze dann in seinem Leben umzusetzen. Nimmt man nur Rücksicht auf andere, verbiegt sich, vernachläßigt man seine eigenen Bedürfnisse, dann geht es einem irgendwann mal ziemlich schlecht.


    Liebe Grüße
    wolves

    Einmal editiert, zuletzt von wolves ()


  • Interessant wie unterschiedlich wir das sehen. Natürlich habt ihr recht wenn ihr sagt er ist ein Mensch der an "altbewährtem" festhält, aber ich habe dem gar nicht so viel Gewicht eingeräumt.
    Auf mich wirkt das alles so sehr traurig,
    Solche Sätze wie Denn ein Leben nur, ein einziges, hat jeder. Es aber ist für dich fast abgelaufen, und du hast in ihm keine Rücksicht auf dich selbst genommen, sondern hast getan, als ginge es bei deinem Glück um die anderen Seelen
    Dann die Stelle wo er seine Schüler betrachtet und feststellt wie viel Zeit sie noch vor sich haben, Zeit die er nicht mehr hat...er hat seine Zeit- sein Leben?- einfach verschenkt, es nicht gelebt. Das ist für mich persönlich eine ganz große Tragödie. Irgendwann zu merken man hat sein leben nicht gelebt, und nun ist es zu spät.


    Ja, wenn du das so darstellst, muss ich dir natürlich auch zustimmen; das ist schon betrüblich, diese Erkenntnis. Nur: er macht sie erst in dem Moment, wo er schon dabei ist, etwas daran zu verändern. Bis dahin denke ich, war er recht zufrieden mit seinem Leben.

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Hallo Ihr Lieben,


    nein, ich habe die Leserunde nicht vergessen, aber mich hoffnungslos in Leserunden verzettelt, die ich alle nicht missen wollte. Momentan lese ich 4 Bücher zeitgleich :entsetzt: und das ist sogar für mich Bookjunkie zuviel des Guten. :redface:
    Eigentlich wollte ich zuerst die anderen Bücher zumindest teilweise beenden, konnte dann aber meine Neugier doch nicht zügeln und habe mit diesem Buch heute Abend angefangen. :rollen: Das war's dann mit dem guten Vorsatz. Ich konnte eben nicht mehr aufhören zu lesen.


    Kennt Ihr das Gefühl, daß Ihr zu einem bestimmten Zeitpunkt Eures Lebens, in dem ganz bestimmte Dinge auch sehr nahe gehen, Ihr ein Buch lest und das Gefühl habt: "Das passt so sehr, als wäre es gerade für mich ausgesucht worden."?


    Der Entschluss von Gregorius von heute auf morgen sein Leben zu verändern, hat sich exakt gestern bei mir eingestellt und ich habe das getan, vor dem ich seit langer Zeit gezögert hatte, weil ich Angst vor dem Ungewissen und den Konsequenzen hatte. Gestern ist etwas passiert, was alle meine Zweifel auf einemal über Bord geworfen hat und ich wußte ich muss etwas ändern.


    Ich liebe an diesem Buch die Abschnitte von Prado, denn sie sprechen mir aus der Seele. Ich habe schon unzählige Klebezettel in meinem Buch stecken, weil ich all' die wunderbaren Worte direkt wiederfinden möchte. Ich kann nicht anders, als jetzt einfach mal wild drauflos zu zitieren was mich am meisten bewegt hat:



    Gerade das letzte Zitat konnte ich geradezu fühlen. Versteht Ihr was ich meine.


    Aus all diesen Gründen tut mir Gregorius auch nicht leid. Er ist zwar schon ein älteres Semester, aber immerhin... Er wagt das im Leben, was manch einer nie tut. Er hat es getan und besser spät als nie. Wie sagt Meir Shalev in seinem Buch "Judiths Liebe". Es gibt nicht's schlimmeres als die Brüder Wenn, Hätte und Wäre. Manchmal kommt der Punkt im Leben, wo man sich sagt: "O.K. Du bist unzufrieden, Du bist unglücklich, aber Du tust auch nichts um es zu ändern!" Das ist der Moment, wo man weiß, jetzt oder nie. Es gibt Begebenheiten im Leben, die einen geradzu auf diese krasse und heftige Wendung hinzuzwingen scheinen, so nach dem Motto "Was für einen Wink kann ich Dir noch geben, damit Du Dir endlich selbst hilfst." Ich kann aber auch ganz besonders die Unsicherheit und die Angst von Gregorius nachvollziehen. Wenn man sich für einen Weg entscheidet, auf dem es vielleicht kein Zurück mehr gibt, dann ist diese Entscheidung entgültig. Man weiß nicht was kommt und es erfordert einen unermesslichen Mut, Vertrautes, was ja gleich bedeutend mit Sicherheit ist, weil man es kennt und einschätzen kann, trotz aller Mängel, hinter sich zu lassen.


    Ich weiß jetzt schon, daß ich dieses Buch nicht vergessen werde und das es momentan keine passenderere Lektüre für mich gegeben hätte. Dementsprechend bin ich extrem gespannt, wie sich der neue Weg von Gregorius entwickeln wird.


    An der Stelle, an der Gregorius als Schüler, sich fragt warum sein Griechischlehrer, so gebildet wie er auch ist, nichts vom Griechisch versteht, kam mir der Gedanke "Weil er es nicht fühlt und keine Sehnsucht dannach hat".


    So, ich werde jetzt wieder weiterlesen und wir werden dann in den nächsten Threads von einander hören und lesen.


    Tina :winken:

  • Hallo Tina,


    da hast du sehr viel aus meiner Seele gesprochen! Es ist nicht leicht seinem Leben eine neue Wendung zu geben. Da ist man sich noch seeehr unsicher, würde am liebsten doch vielleicht am alten und vertrauten hängen bleiben, aber irgendwie weiß man, jetzt geht es auf einem ganz neuen Weg weiter. Die ersten Schritte sind noch unsicher, manchmal zögerlich, aber dann wird der Schritt so fest und sicher, wie er in einem Leben sein kann.
    Von der Hinsicht kann ich auch Gregorius zögern sehr gut nachvollziehen. Bin ich selbst denn auch nicht die mutigste, aber es gibt im Leben Dinge, die alles in einem neuen Licht erscheinen läßt, die einem dazu bringt, sein Leben zu überdenken und eine neue Richtung zu geben.
    Und diese Momente kommen meist nicht mit einem Paukenschlag. :smile:


    Ganz liebe Grüße
    wolves

  • Hi Tina,


    das ist ja fast schon unheimlich. Ich hatte mir nämlich schon gleich am Anfang des Buches gedacht, was passiert wohl, wenn das Buch jemand in die Finger bekommt, der schon den Gedanken an eine Lebensveränderung in sich trägt? Diese Zeilen könnten so manches Verborgene zutage fördern.... und offenbar ist genau dies bei dir passiert.


    Zitat

    In Wahrheit ist die Dramatik einer lebensbestimmenden Erfahrung oft von unglaublich leiser Art. Sie ist dem Knall, der Stichflamme und dem Vulkanausbruch so wenig verwandt, daß die Erfahrung im Augenblick, wo sie gemacht wird, oft gar nicht bemerkt wird. Wenn sie ihre revolutionäre Wirkung entfaltet und dafür sorgt, daß ein Leben in ein ganz neues Licht getaucht wird und eine vollkommen neue Melodie bekommt, so tut sie das lautlos und in dieser wundervollen Lautlosigkeit liegt ihr besonderer Adel.


    Dieses Zitat von Prado hat mich übrigens auch ganz schön beschäftigt; erstens, weil es so schön und eindringlich geschrieben ist, andererseits, weil es etwas Tröstliches an sich hat. Jeder Mensch geht Veränderungen gerne aus dem Weg, und weiss doch, dass sich die Welt und das Leben eigentlich ständig ändern. Wäre das jedesmal mit einem Knall verbunden, fände ich es furchtbar.
    Übrigens reden wir in unserer Familie seit zwei Wochen mehr und offener als sonst über solche Themen (Auslöser ist ein Todesfall), und da sind überraschenderweise ganz ähnliche Sätze gefallen, nur halt nicht so elegant. :zwinker:


    Tina, toll dass dieses Buch dich zum passenden Zeitpunkt gefunden hat und ich kann mir vorstellen, dass dies deiner Lektüre und unserer ganzen Leserunde eine besondere Intensität geben wird.


    Viele liebe Grüße
    Miramis

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Hallo,
    leider bin ich am Wochenende zu Hause mal wieder nicht ins Internet gekommen, noch habe ich nur ein Modem :redface: , aber DSL ist schon bestellt :smile:
    Deswegen erst jetzt meine Eindrücke.
    Das Mundus den Text doch recht schnell übersetzen konnte hat mich auch ein wenig irriteirt, aber er hatte ja auch Konjugationstabellen, wenn ich mich recht entsinne. Zudem sind die romanischen Sprachen einander doch ziemlich ähnlich. Ich fand zum Beispiel, nachdem ich in Französisch und Spanisch reingeschnuppert hatte, Italienisch sehr zugänglich. Nicht, dass ich alle diese Sprachen könnte, ich hatte nur in allen dreien mal Bildungsurlaub.
    Das mit dem "gestempelt" habe ich nicht so gesehen, ich dachte nur, wie kommt die Frau nur auf die Idee ihm die Nummer auf die Stirn zu schreiben, aber was Ihr dazu geschrieben habt, fand ich sehr passend.
    Die Texte von Prado finde ich auch eher schwierig und ich muss immer einige Zeilen mehrfach lesen, aber sie beinhalten tolle Denkanstöße.
    Was anderes, Mundus Angst vor der Blindheit ist doch eine irrationale, oder ? Ich kenne zumindest niemanden, der kurzsichtig ist und befürchtet zu erblinden.
    Bis später aquacat

    &quot;Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt.&quot; Jorge Luis Borges<br /><br />:leserin: <br />Cryptonomicon - Neal Stephenson


  • Was anderes, Mundus Angst vor der Blindheit ist doch eine irrationale, oder ? Ich kenne zumindest niemanden, der kurzsichtig ist und befürchtet zu erblinden.


    Jetzt gebe ich auch mal unangemeldet meinen Senf dazu ;)


    Sind nicht die meisten Ängste irrational? Viele Menschen fürchten sich vor irgendetwas, das zu 99,9% niemals eintreten wird - und als Kurzsichtiger weiß Mundus, wie eingeschränkt man schon ohne Brille sein kann. Ich selbst finde die Vorstellung, blind zu werden, auch reichlich alptraumhaft...


    Dass ein sprachbegabter Mensch sich Portugiesisch zusammenreimen kann, ist durchaus vorstellbar. Geschriebenes oder langsam gesprochenes Italienisch verstehe ich auch einigermaßen, obwohl ich niemals auch nur einen Satz offiziell gelernt habe, aber ich hatte jahrelang Lateinunterricht und kann ein bisschen Französisch.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo :winken:


    ich denke viele Ängste sind irrationel, aber tatsächlich kenne ich jemand der kurzsichtig ist und der richtig begründete Angst davor hat blind werden zu können, weil die Werte von Untersuchung zu Untersuchung immer schlechter und schlechter werden.


    In dem Fall von Gregorius denke ich auch, dass es seine Art von ich-will-nicht-die-Wirklichkeit-so-sehen-wie-sie-ist. Nicht richtig sehen zu können, ist seine Art von Selbstschutz vor der Wirklichkeit. Wenn ich mir das so recht überlege, um so erstaunlicher ist doch eigentlich seine Veränderung.


    Liebe Grüße
    wolves

  • Tina: auch :knuddel: :smile:



    ich denke viele Ängste sind irrationel, aber tatsächlich kenne ich jemand der kurzsichtig ist und der richtig begründete Angst davor hat blind werden zu können, weil die Werte von Untersuchung zu Untersuchung immer schlechter und schlechter werden.


    Finde ich total schlimm, sowas :entsetzt: ich habe zu dem Thema im nächsten Thread noch etwas geschrieben.



    In dem Fall von Gregorius denke ich auch, dass es seine Art von ich-will-nicht-die-Wirklichkeit-so-sehen-wie-sie-ist. Nicht richtig sehen zu können, ist seine Art von Selbstschutz vor der Wirklichkeit. Wenn ich mir das so recht überlege, um so erstaunlicher ist doch eigentlich seine Veränderung.


    Du hast es auf den Punkt gebracht!


    Viele liebe Grüße
    Miramis


    edit: Valentine: :winken: nur hereinspaziert! :smile:

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

    Einmal editiert, zuletzt von Miramis ()

  • In dem Fall von Gregorius denke ich auch, dass es seine Art von ich-will-nicht-die-Wirklichkeit-so-sehen-wie-sie-ist. Nicht richtig sehen zu können, ist seine Art von Selbstschutz vor der Wirklichkeit. Wenn ich mir das so recht überlege, um so erstaunlicher ist doch eigentlich seine Veränderung.


    Da kann ich mich nur anschließen, besser hätte man das nicht ausdrücken können. Selbst wenn die Angst zu erblinden rational ist, so versteckt er sich auch davor.
    Doxiades sagt auf Seite 61 "Manchmal fürchtet man sich vor etwas, weil man sich vor etwas anderem fürchtet."

    &quot;Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt.&quot; Jorge Luis Borges<br /><br />:leserin: <br />Cryptonomicon - Neal Stephenson