Lionel Shriver - Wir müssen über Kevin reden

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    Eva Khatchadourians Leben hat sich von einem Tag auf den anderen brutal verändert. Sie ist eine dieser Mütter, über die man überall spricht: ihr Sohn Kevin hat an seiner Schule mehrere Mitschüler getötet oder schwer verletzt. Sie zieht sich vor den gaffenden Blicken und den betroffenen Konversationsversuchen ihrer Mitmenschen zurück, lebt alleine, ohne den Ehemann und die Tochter und natürlich ohne Kevin. In Briefen an ihren Mann rekapituliert sie das Geschehene.


    Einst hat sie sich quasi aus dem Nichts einen Verlag für alternative Reiseführer aufgebaut, ihr Mann Franklin ist Location Scout für die Werbe- und Eventbranche. Eva jettet für ihre Recherchen um die Welt, sie und Franklin treffen Freunde, gehen aus, genießen das Leben. Doch eines Tages spürt Eva wider jedes Erwarten ihre biologische Uhr ticken und möchte doch noch schwanger werden. Was auch klappt. Doch von Anfang an empfindet sie ihre Schwangerschaft als beschwerlich und unangenehm, kommt mit den körperlichen und seelischen Veränderungen nicht zurecht.


    Und dann, am 11. April 1983, wird Kevin geboren. Ein seltsames Baby – ständig brüllt es wütend, lehnt seine Mutter ab, trinkt nicht an der Brust. Als er größer wird, hockt er apathisch auf dem Boden, statt zu spielen, zerstört liebgewonnene Dinge, ist nach wie vor kalt und abweisend zu seiner Mutter, kann nicht mit anderen Kindern umgehen und hat nur zu seinem Vater einen gewissen Draht. Eva ist entsetzt und weiß nicht, wie sie sich verhalten soll. Franklin glaubt ihr nicht, wenn sie ihm die schlimmsten Episoden des Tages erzählt, weil Kevin anders ist, wenn sein Vater in der Nähe ist – worunter die Beziehung zwischen den Eltern natürlich leidet.


    Acht Jahre nach Kevin kommt Celia zur Welt, ein süßes, anhängliches Baby, all das, was Kevin niemals war. Auch zu seiner Schwester findet er keine Beziehung. In der Schule bleibt er ein Außenseiter und hat nur wenige, schwache Freunde. Und eines Tages kommt es zu der schrecklichen Tat, die keiner kommen sah.


    Das Buch ist wirklich keine leichte Kost. Schonungslos gewähren uns die Briefe Einblick in Evas Leben und lassen sie dabei wahrlich nicht immer sympathisch erscheinen. Diese unglaubliche Negativität während der Schwangerschaft, die drastischen Beschreibungen, wie sie ihren Körper hasst und auch das „Ding“, das die Veränderungen hervorruft, machten mir schwer zu schaffen, ich war sogar nahe daran, das Buch wegzulegen.


    So wenig ich Evas ablehnende Haltung in ihrer Schwangerschaft begreifen konnte, so sehr habe ich mit ihr unter Kevins Wesensart gelitten. Dieses Kind war nie ein knuddeliges, süßes, liebes, lustiges Kerlchen, sondern ein zorniges, abweisendes, berechnendes Wesen, ein Alptraum von einem Jungen, der genau zu wissen scheint, wie er anderen Leid zufügen kann.


    Das Buch entwickelt einen unheimlichen erzählerischen Sog. Die Geschichte schlägt unerwartete Haken, erzählt von Brutalität, Ablehnung, Ängsten, Sehnsüchten, ohne pathetisch oder gar schmalzig zu werden. Abgesehen von Kevins Bluttat gibt es einige schlimme Ereignisse in dem Buch, aber die sachliche, scharf beobachtende Erzählweise ließ es nie zuviel werden, wie es oft bei schicksalsgebeutelten Tränendrüsenbüchern passiert.


    Man fragt sich mit der Protagonistin, ob man das hätte verhindern oder voraussehen können. Woher kommt Kevins Wesen? Ist es angeboren, anerzogen, hat er die negativen „Schwingungen“ in der Schwangerschaft gespürt? Eine Horrorvorstellung, ein solches Kind zu bekommen, das mich teilweise an Ben aus „Das fünfte Kind“ von Doris Lessing erinnert hat.


    Das einzige, was mich gelegentlich wirklich gestört hat, waren Fäkalausdrücke, die nicht immer hätten sein müssen. Ansonsten lautet mein Fazit: Kein schönes, aber ein gutes und lesenswertes Buch, das mir an die Nieren ging und das ich so schnell sicher nicht vergessen werde.


    5ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Vielen Dank für die tolle Rezi.


    Das Buch habe ich auch auf meiner Wunschliste stehen und wandert nun wohl auf eine aktuellere Warteposition :winken:

    Ich mach&#39; mir die Welt<br />widdewidde wie sie mir gefällt ....

  • Ich bin sehr gespannt auf Deinen Eindruck, ich finde, das Buch eignet sich hervorragend als Diskussionsgrundlage, nicht nur über Schulmassaker, sondern auch über Erziehung und Beziehungskisten im allgemeinen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo!


    Habe das Buch ebenfalls gelesen und war sehr angetan. Für eine Rezi war ich bisher zu faul. :redface:


    Möchte aber allen, die das Buch mögen ein weiteres ans Herz legen, welches im März erscheint. Hatte das Glück es schon als Leseprobe zu bekommen.



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    Es geht auch hier um ein Schulattentat, doch wird bei diesem Buch der Focus nicht ganz so stark auf die "Schuld" der Mutter gelegt sondern auf die gesamte Umwelt, d.h. Mitschüler, Lehrer etc. Wenn es erschienen ist, werde ich vielleicht da die Muße haben eine Rezi zu schreiben. Fällt mir meistens leichter, wenn ich noch keine anderen gelesen habe.


    MfG,
    Liadan

  • Ich habe das Buch nun auch beendet und stehe dem Gelesenen fast fassungslos gegenüber.


    Ich hatte extreme Probleme mit Eva, der Mutter von Kevin. Unter diesen Voraussetzungen eine Mutterschaft einzugehen halte ich für fast fahrlässig, wäre es wohl besser gewesen, sie wäre kinderlos geblieben. Ihr Verhalten fand ich auf weite Strecken hin ebenfalls unverständlich, wie kann ein erwachsener Mensch nur so egoistisch, egozentrisch, unnachgiebig und eigensinnig sein. Für eine Mutterschaft die denkbar schlechtesten Voraussetzungen! Dass nun Kevin ein so schwieriges Kind ist, schreibe ich schon dem Verhalten und der Einstellung von Eva zu, ich kann eigentlich nicht glauben, dass ein Kind von Grund auf böse ist.


    Dieses Buch wirft sehr viele kritische Fragen auf. Inwieweit ist die Erziehung schuld? Kann man als Eltern so etwas verhindern? - Ich bin normalerweise seeeehr vorsichtig damit, den Eltern die Schuld zu geben, wenn ein Kind auf die falsche Bahn gerät, so viele Einflüsse entziehen sich der elterlichen Aufsicht. Doch in diesem Fall bin ich fast schon geneigt zu sagen, dass Eva und auch Franklin zumindest eine Teilschuld trifft. Aber im Nachhinein ist man immer klüger.


    Das Buch ist sehr realistisch geschrieben, es hätte sich in der Tat so zutragen können. Mir gefällt, dass sich die Schriftstellerin nicht der gängigen Klischees bedient sondern sogar mit diesen "aufräumt". So distanziert sie sich davon, dass gewalttätige Filme und Computerspiele die Wurzeln allen Übels sind oder dass der Privatbesitz von Waffen solche Taten fördert. Es sind vielmehr die Langeweile, die Übersättigung an Dingen, das Fehlen von Herausforderungen, was Kevin zu dieser Tat schreiten ließ.


    Insgesamt habe ich das Buch recht gerne gelesen, wenn es auch für mich ein bisschen "zu amerikanisch" - sprich "fast hysterisch" war. Manche Wiederholungen (v.a. die Schilderung der vielen Amokläufen in div. Schulen) hätte man sich vielleicht sparen können, das Buch wäre dadurch etwas straffer, aber es ist ansonsten durchaus sehr lesenswert!


    3ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Hallo,


    ich habe das Buch gerade beendet und weiß nicht recht, was ich sagen soll...


    Bis ich etwa 3/4 Viertel des Buches gelesen hatte,störten mich die vielen Aufzählungen der Amokläufe und die Ignoranz des Vaters gegenüber Evas Schilderungen von Kevins Verhalten konnte ich einfach nicht fassen.
    Für mich waren die ein oder anderen Charakterzüge der Personen ziemlich auf die Spitze getrieben und manchmal hatte ich das Gefühl, dass krampfhaft versucht wurde bestimmte Klischeés zu bedienen,ohne dass es so aussehen sollte und ich war immer wieder kurz davor das Buch abzubrechen.


    Am Ende war die Einfachheit, mit der Eva die Tat selbst und ihre Entdeckung danach schilderte, das, was mich am meisten 'schockiert' hat.

  • Ich bin gestern mit dem Buch fertig geworden und denke immer noch intensiv über die geschilderten Ereignisse nach. Für die Mutter bringe ich einerseits Mitgefühl, vor allem aber Bewunderung dafür auf, wie sie mit der ganzen Situation umgeht und dass sie zu ihrem Sohn steht, trotz allem, was er getan hat. Während des größten Teil des Buches fragte ich mich aber unentwegt, warum sie nicht rechtzeitig etwas getan hat, um der Entwicklung ihres Sohnes entgegenzuwirken. Natürlich ist es schwierig, wenn ausgerechnet ihr Mann der Gegenpart ist, der für jede Handlung seines Sohnes eine Entschuldigung findet bzw. alles schön redet. Spätestens nach dem Vorfall mit dem Abflussreiniger,

    hätte sie etwas tun müssen, um zu verhindern, dass die Situation eskaliert, was sie insgeheim schon befürchtet.


    Anfangs fand ich das Buch nicht wirklich bemerkenswert, bis sich nach etwa 60 - 80 Seiten dieser Sog einstellte, von dem Valentine oben schon geschrieben hat. Wahrscheinlich liegt das zu einem guten Teil daran, dass man praktisch als Voyeur eine Entwicklung beobachten konnte, deren Ende bekannt ist und man sich immer fragt, warum sich die Mutter nicht endlich ihren Befürchtungen nachgibt und professionelle Hilfe in Anspruch nimmt. Es ist kein Buch, das man mit einer positiven Empfindung liest, im Gegenteil, die Bestürzung wächst von Seite zu Seite.


    Etwas gestört haben mich die Aufzählungen der diversen Amokläufe und auch die ausführliche Schilderung von Kevins Tat.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Circa 2 Jahre ist es her, dass ich dieses Buch gelesen habe. Daher wird meine Kritik recht dürftig ausfallen, es ist nur der Eindruck hängen geblieben, dass es enttäuschend war. "Unecht" ist das Wort, das diesen Roman für mich am besten beschreibt. Alles zielt darauf ab, dass dieses Kind gar keine andere Möglichkeit hatte,als böse zu werden.


    Ich würde das Buch weder weiterempfehlen, noch mir ein nochmal ein Buch der Autorin kaufen.


    2ratten

  • Unbedingte Mutterliebe, ein Satansbraten und väterlicher Opportunismus



    28 Briefe schreibt Eva Katchadourian. 28 Briefe, in denen sie erklärt, rechtfertigt, argumentiert, warum ihr Sohn Kevin mehrere Menschen in einem Schulmassaker tötete.


    "Alles hängt davon ab, wie sehr Menschen es mögen, hier zu sein, einfach am Leben zu sein. Ich glaube, Kevin haßte es."*


    Gedanken werden wach, an Luke Woodham, Michael Carneal, Kip Kinkel, Dylan Klebold und Eric Harris. Und doch ist Kevin anders. Sie sieht in ihm die Inkarnation des Bösen; sie sieht in ihm ein Produkt der eigenen Verweigerung von Mutterliebe, ein Produkt der eigenen Hoffnungslosigkeit und Konfilktlosigkeit durch und vom Vater, immer darum bemüht das heile, amerikanische Familienbild zu wahren. Zeichen, Warnungen, selbst Hinweise von anderen Eltern und Lehrern werden als ‚üble Nachrede‘ abgewertet. Porträtiert wird hier nicht eine im Proletariat lebende Familie, ohne finanzielle Mittel, ohne berufliche Perspektiven. Illustriert wird kein Teenager, der Mobbing, Misshandlung oder Missbrauch ausgesetzt. Auch kein Schüler, der unbeliebt und von allen gemieden wird. Kevin gehört auch keinem Satanskult an, spielt gefährliche Computerspiele, schaut Horror-Videos oder hört Marylin Manson.
    Kevin fühlt sich nicht einsam und unverstanden. In Evas Augen ist Kevin nicht einfach nur anders, für sie ist er das reine Böse.


    „Seit der Sekunde seiner Geburt assoziierte ich Kevin mit meinen eigenen Grenzen, nicht nur mit Schmerz, sondern mit Niederlage.“*


    Eva selbst stellt sich nicht in das beste Licht. Ihr Egoismus, ihre Selbstherrlichkeit, ihre Eitelkeit, ihre unterbewusste Ablehnung Kevin gegenüber wird authentisch an einzelnen Episoden erzählt. Es wird deutlich, dass sie sich nicht emotional für die Schwangerschaft entschieden hat; mehr noch erscheint ihr Sohn als Störfaktor in der Beziehung zu ihrem Partner. Sie bemerkt mehrmals, dass sie weder in die Rolle der Hausfrau und Mutter passt noch in den späteren Jahren zu der, des Globetrotters. Sie fühlt sich beengt, nicht frei von Abhängigkeiten und Lasten. Wie Kevin.


    Die Briefe Evas sind eine quälende Selbstbefragung, man bekommt den Eindruck einer Frau, die sich unbedingt rechtfertigen möchte. Sie dementiert zunächst jede Schuld, fragt sich aber doch, ob es sich nicht hätte anders entwickeln können: Warum haben sie sich nicht therapeutische Hilfe gesucht? Warum nicht dann die professionelle Hilfe, als ihnen als Familie bewusst wurde, dass Kevin ihn in die Leidenschaftslosigkeit und Perspektivlosigkeit entgleitet?


    Es sind 28 Versuche. 28 Versuche für Donnerstag eine Erklärung, eine Rechtfertigung zu bekommen. 28 Versuche zu ergründen, warum er so und nicht anders sich entwickelte, warum er so und nicht anders handelte, warum er so und nicht anders dachte. 28 Versuche auch zu ergründen, warum die Beziehung nicht funktionierte, warum es eine Aufteilung der Liebe, einen Beschützerinstinkt für das ‚missratene Kind‘ gab, ohne Chance Hinweisen und Warnungen der eigenen Frau, Nachbarn, Freunden und Schulkameraden zu glauben.


    „Ich merkte, dass das Porträt, was ich hier zeichnete, nicht attraktiv ist“*


    Das Buch ist vor allem eines: Ehrlich.
    Eva stellt sich selbst in sehr negatives Licht, sie weiß, dass sie keinen Raum zur Identifikation bietet, keinen Raum dazu bietet Sympathie hervorzurufen. Und doch redet sie. Man hört zu, will das Geschehen begreifen. Ich verspürte nicht nur Ekel und Ablehnung, sondern auch Mitleid und Betroffenheit, nicht nur für Kevin sondern auch für Eva.


    Das Buch ist sehr differenziert; durch den Briefstil hat man nur die Perspektive der 55-jährigen alte Eva, nicht die des Mannes oder außenstehender Personen, aber dennoch wechselt sie die Seiten, bietet Einblick in die Gedankenwelt Umstehender, in die Wut Mary Woolfords, die ihre Tochter verlor. In die Gedankenwelt ihres Mannes, der der glücklichen Persönlichkeit seines Sohnes glaubte ohne das Theater zu hinterfragen.


    Nicht nur differenziert ist dieses Werk und ehrlich, sondern auch wortgewaltig, stilsicher und unterhaltsam geschrieben. Es wird nichts kaschiert, Metaphern werden zur Verbildlichung nur spärlich eingesetzt. Im Vordergrund des Shriver’schen Stils steht die reine und realitätsgetreue Darstellung. Nicht ein Wort ist zu viel. Die Autorin beschreibt hier in einfachen, sehr direkten und klaren Worten eine Geschichte von Beziehungen, vom Scheitern, von falschen Perspektiven, von falschen Einschätzungen.
    Es ist kein „Betroffenheitsbuch“, es ist kein Buch, was Mitleid hervorruft. Die Geschichte ist real, sie ist wahr. Geradezu schnörkellos. Geradezu hart.


    Und spannend. Ich konnte es lange nicht aus der Hand legen. Ob dieses Werk ein Beitrag zu einer aktuellen Diskussion darstellt, weiß ich nicht. Vielleicht dahingehend, dass nicht Computerspiele und Horror-Filme für einen ‚schlechten Charakter‘ verantwortlich sind, sondern Erziehung und Sozialisation, Schule und Elternhaus. Ob es ein Thriller ist? Keine Ahnung.
    Letzt endlich finde ich die Kategorisierung des Werkes ziemlich nebensächlich: ich finde das Buch wie folgt: Spannend, unterhaltsam und zum Nachdenken anregend.



    5ratten



    [ * ] Lionel Shriver: Wir müssen über Kevin reden (3.Auflage 2007, List Taschenbuch)

  • Das Buch ist vor allem eines: Ehrlich.
    Eva stellt sich selbst in sehr negatives Licht, sie weiß, dass sie keinen Raum zur Identifikation bietet, keinen Raum dazu bietet Sympathie hervorzurufen. Und doch redet sie. Man hört zu, will das Geschehen begreifen. Ich verspürte nicht nur Ekel und Ablehnung, sondern auch Mitleid und Betroffenheit, nicht nur für Kevin sondern auch für Eva.


    Genau so erging es mir NICHT. Ich empfand das selbstgefällige, "was-hätte-ich-denn-tun-sollen"-Gehabe als arrogant und unreflektiert.


    Die Mutter schreibt, dass



    Ebenfalls konnte ich das Verhalten des Vaters nicht nachvollziehen. Wenn es so viele Anzeichen für eine Abnormalität eines Kindes gibt, muss man diesem nicht



    Und außerdem:



    Trotzdem habe ich das Buch nicht als Zeitverschwendung gesehen, sondern als anderer Blickwinkel einer schlimmen Geschichte, die jedoch insgesamt unglaubwürdig wirkt.


    3ratten

  • Ich lese auch gerade "Wir müssen über Kevin reden", gefällt mir sehr gut, obwohl in Briefform geschrieben! Habe aber erst an die 100 Seiten gelesen.
    Das bedeutet, ich bin jetzt gerade erst bei der Geschichte ihrer Schwangerschaft und Ablehnung des Kindes im Bauch kann ich natürlich nicht nachvollziehen, obwohl es das sicher gibt.
    Mich erinnert die reflektierende Schreibweise an Siri Hustvedt!

    Lesen ist Schokolade für die Seele!

  • Ebenfalls konnte ich das Verhalten des Vaters nicht nachvollziehen. Wenn es so viele Anzeichen für eine Abnormalität eines Kindes gibt, muss man diesem nicht



    Wenn es um eine Abnormalität bei der eigenen Familie geht, neigen viele Angehörigen dazu, dies nicht wahrhaben zu wollen. Als Außenstehender sieht man das ganz anders. Ich fand, dass der Vater besonders begabt darin war, die Augen vor allen Anzeichen zu verschließen. Er fand für alles eine Entschuldigung. Dass er Kevin gerade ein solches Hobby nahe legt, kann man auch so deuten, dass er dadurch sein Vertrauen zu seinem Sohn zum Ausdruck bringen möchte.


  • Mich erinnert die reflektierende Schreibweise an Siri Hustvedt!


    Ja, ich musste auch an "What I Loved" denken - dort wurden ja auch ähnliche Fragen in puncto Erziehung und Einfluss der Eltern auf die charakterliche Entwicklung des Kindes aufgeworfen. Bin gespannt auf Dein Abschlussurteil!


    Und schön, Dich mal wieder zu lesen :smile:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Also etwas länger habe ich schon gebraucht, keine leichte Kost. Doch - ich ringe jetzt mit den Worten - es ist ausgezeichnet, sprachlich, stilistisch hervorragend, vom Inhalt her natürlich bekemmend. Doch schonungslos ehrlich! Vor allem die Beziehungen der Familienmitglieder untereinander wurden so gut beschrieben.



    Die Beziehung von Kevin zu seinem Vater ist so heuchlerisch, dass es direkt weh tut.
    Die Beziehung von Eva zu Kevin : es ist so schwer, Kevin zu lieben. Kevin baut eine Mauer um sich auf, die nur wenige Lücken zeigt.
    Schuld von Eva: Ich denke mir, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist. Natürlich beeinflusst die Erziehung, das Umfeld die Charakterbildung, doch gerade im Alter, als Kevin zugeschlagen hat, ist der Einfluss der Eltern sehr gering.


    Normalerweise würde ich sagen, ein tolles Buch, unbedingt lesen. Doch angesichts des Inhalts schon auch schwer verdaulich. Es ist jedenfalls eines, das ich lange nicht vergessen werden, dessen Inhalt mich noch länger beschäftigen wird. Es gibt Bücher, da kann ich zu den einzelnen Personen überhaupt keine Beziehung aufbauen. Doch bei "Wir müssen über Kevin reden" habe ich das Gefühl, ich kenne die ganze Familie sehr, sehr gut, sogar auch Kevin!
    Es hat mich berührt, es ist eines der besten Bücher, die ich 2008 gelesen habe!



    5ratten

    Lesen ist Schokolade für die Seele!

  • "Wir muessen ueber Kevin reden" ist sicher kein Buch zum nebenher lesen. Obwohl die Charaktere ein wenig zu extrem sind, um richtig real zu wirken, hat mich das Buch sehr zum Nachdenken angeregt.
    Oft bin ich bei den Charakteren zwischen Mitgefuehl und Unverstaendnis hin und hergeschwankt. Fuer die Mutter hatte ich manches Mal Verstaendnis, wenn sie frustriert war, aber andererseits konnte ich nur den Kopf schuetteln, weil sie gar zu sehr auf sich selbst fixiert war. Kevin tat mir schon leid, obwohl er schon von Natur aus ein eher schwieriger Charakter war. Ich denke schon, dass es zu dem Unglueck nicht gekommen waere, wenn Kevin liebevollere Eltern gehabt haette, die mehr echtes Interesse an ihm gezeigt haetten.
    Anfangs hatte ich ja gehofft, dass zumindest der Vater einiges wettmachen kann, aber fuer ihn hat Kevin ja auch nur eine Rolle zu spielen gehabt.
    Durch die Briefform bekam ich einen guten Einblick in die Gedanken der Mutter und manchmal ist sie so sarkastisch, dass es schon wieder lustig war. In dem Buch geht es aber nicht nur um Kevin, sondern auch um ihre Beziehung zu ihrem Mann und ihre Mutter.
    Die Aufzaehlungen von dem Amoklaeufen haben mich dann irgendwann auch genervt, aber ansonsten fand ich das Buch recht spannend und besonders zum Ende hin hatte ich Probleme, das Buch zur Seite zu legen.


    4ratten

  • Ich habe dieses Buch auch gelesen und konnte es gar nicht mehr aus der Hand legen.


    Es hat mich lange danach noch beschäftigt und ich war ständig am Grübeln darüber, was hätte anders laufen müssen. Eigentlich sehe ich tatsächlich die Hauptschuld bei der Mutter. Irgendwie kam es mir so vor, als wenn sie keine klaren Linien gezogen hätte und auch nie das frontale Gespräch suchte.


    Mir hat Buch wirklich gut gefallen, so schockierend der Schluss auch war.


    5ratten

  • Ich bin jetzt auf Seite 350 (von 560) und mich hat das Buch trotz seines heftigen Themas wegen der Erzählweise sehr in seinen Bann gezogen.
    Meine bisherigen Gedanken dazu:


    Eva, Kevins Mutter, die in Briefen an ihren Mann Franklin ihre Geschichte erzählt, hat mein vollstes Mitgefühl, mit so einem Kind wie Kevin geschlagen zu sein. In einer Szene, als Eva im Wartesaal des Gefängnisses sitzt und auf ihren Besuch bei Kevin wartet, spricht sie mit einer anderen Mutter, die ihr sagt, wie armselig es eigentlich ist, dass immer die Schuld nur bei der Mutter gesucht wird. Das ist auch meine Meinung.


    Normalerweise denke ich, dass Sozialisation (viel) mehr Einfluss als die Gene darauf hat, wie sich ein Kind entwickelt. Kevin allerdings stellt für mich eine Ausnahme dar; ich glaube Eva, dass Kevin sozusagen schon "böse" (wütend, narzisstisch...) auf die Welt gekommen ist.


    Franklin, Kevins Vater, finde ich seit Kevins Geburt unausstehlich: Wie er seine eigene Frau im Stich lässt, ihr nicht glaubt und seine Augen vor Kevins wahrem Wesen verschließt. In seinem Kopf hat er das Idealbild einer "heilen amerikanischen Familie" und Eva gibt er die Schuld, dass sein Idealbild nicht der Wirklichkeit entspricht.


    Momentan verstehe ich (noch?) nicht ganz, wieso Eva Kevin überhaupt im Gefängnis besucht: will sie verstehen, was unverständlich ist? Liebt sie ihn trotz allem doch auf irgendeine Art und Weise oder fühlt sie sich ihrem Kind verpflichtet?

    Einmal editiert, zuletzt von Anja ()

  • Ups, bin schon einige Zeit fertig mit dem Buch und hätte beinah vergessen, hier weiterzuschreiben:


    Als gegen Ende des Buches herauskam, dass Kevin auch

    war ich noch mehr geschockt als durch Kevins bisherige Taten sowieso schon.
    Einerseits hat sich dadurch mein Unverständnis als Außenstehende noch verstärkt:



    Momentan verstehe ich (noch?) nicht ganz, wieso Eva Kevin überhaupt im Gefängnis besucht: will sie verstehen, was unverständlich ist? Liebt sie ihn trotz allem doch auf irgendeine Art und Weise oder fühlt sie sich ihrem Kind verpflichtet?


    Andererseits erklärt Eva auf der letzten Seite des Buches, wieso sie Kevin trotz allem besucht, und aus ihrer Sicht ist das wohl nachvollziehbar.


    Eines noch: Kevins

    , die in einer Szene angedeutet wird, traue ich nicht, und ich beneide auch Eva nicht, da sie sich dazu entschlossen hat,

    .


    Gern hätte ich erfahren, wie es Eva weiterhin ergeht und ob sie eines Tages wieder halbwegs glücklich werden kann.


    Das Buch macht nachdenklich und hat mich sehr bewegt, deswegen:
    5ratten :tipp:

  • Meine Meinung:


    Das Thema an sich ist heftig, aber mit dem Buch kam ich nicht so ganz klar. Vieles war mir einfach zu übertrieben.



    Ich hatte extreme Probleme mit Eva, der Mutter von Kevin. Unter diesen Voraussetzungen eine Mutterschaft einzugehen halte ich für fast fahrlässig, wäre es wohl besser gewesen, sie wäre kinderlos geblieben. Ihr Verhalten fand ich auf weite Strecken hin ebenfalls unverständlich, wie kann ein erwachsener Mensch nur so egoistisch, egozentrisch, unnachgiebig und eigensinnig sein. Für eine Mutterschaft die denkbar schlechtesten Voraussetzungen! Dass nun Kevin ein so schwieriges Kind ist, schreibe ich schon dem Verhalten und der Einstellung von Eva zu, ich kann eigentlich nicht glauben, dass ein Kind von Grund auf böse ist.


    Hier kann ich mich anschließen. Ein Kind ist nicht von Anfang an böse, das war etwas was mich extrem an diesem Buch gestört hat: Dass Eva es so hinstellen möchte. Vielen Gedankengängen und Handlungen konnte ich gar nicht folgen, weil sie für mich so unverständlich waren. Auch bin ich mit niemandem im Buch wirklich warm geworden. Für mich blieben alle Personen so blass. Die Geschichte an sich ist total schrecklich, es hat mich aber beim Lesen nicht berührt. Hm, ja... vielleicht war es die Briefform. Ich weiß es nicht.


    Dann kamen noch die viel zu vielen Aufzählungen der Schulmassaker hinzu. :rollen:


    Bei mir kam das Buch nicht ganz so gut an. 2ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Pessimisten stehen im Regen, Optimisten duschen unter den Wolken.

  • Meine Meinung

    Einer meiner ersten Gedanken war: warum haben die beiden dieses Kind bekommen? Schon vor der Schwangerschaft kam mir Eva in der Beziehung nicht glücklich vor. Franklin hat immer versucht, sie zu Entscheidungen zu drängen, die sie eigentlich nicht wollte und Eva war nie stark genug, nein zu sagen. Später hat er sie bei seinen Entscheidungen sogar übergangen.


    Dieses Verhalten zieht sich durch die ganze Geschichte. Franklin redet alles schön, Eva erkennt die Probleme, ist aber viel zu passiv um etwas dagegen zu unternehmen. Vielleicht liegt es daran, dass Franklin sie von Anfang an mit Kevin im Stich gelassen hat. Er hat immer nur das gesehen, was er sehen wollte. Wie er schon ganz am Anfang gesagt hat: es war zwei gegen eins und die eine war immer Eva. Da ist es kein Wunder, dass sie manchmal frustriert war und die falschen Entscheidungen getroffen hat. Ich halte sie nicht für eine schlechte, aber für eine hilflose Mutter ohne Unterstützung.


    Blinde Liebe zu seinem Kind hin oder her: wie kann man so die Augen verschließen? Je älter Kevin wurde, desto schlimmer wurden seine Streiche. Aber immer war er der Unschuldige und Eva diejenige, die alles fasch gesehen hat. Einmal rät Franklin ihr sogar, dass sie einen Psychologen aufsuchen soll weil sie solche schlimmen Vorurteile gegen ihr eigenes Kind hat.


    Da stellt sich natürlich die Frage, warum sie nicht irgendwann gegangen ist. Auf der einen Seite redet sie davon, dass sie und Franklin sich immer noch geliebt haben. Aber kann das Liebe sein, wenn man so eine einseitige Sichtweise hat. Vielleicht ist es aber auch der gleiche Grund, warum sie immer nachgegeben hat: Eva ist eben so, so platt das auch klingen mag.


    Ich habe mich immer gefragt, warum die Familie keine Hilfe von außen bekommen hat. Ist niemand aufgefallen, dass bei Kevin etwas schief läuft? Natürlich ist man im Nachhinein immer schlauer, aber es gab schon früh Anzeichen, dass hier etwas nicht stimmt.


    We need to talk about Kevin ist kein schönes Buch und es ist leicht, sich auf eine Seite zu stellen. Trotzdem sollte sich jeder fragen, wie er sich in dieser Situation verhalten hätte.

    5ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.