Gabriel García Márquez - Der Herbst des Patriarchen

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 3.115 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Aldawen.

  • Hallo!


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    Eines morgens, als bereits die Geier über dem Palast kreisen, finden die Menschen den Patriarchen auf dem Boden liegend, gestorben irgendwo zwischen seinem 107. und 232. Lebensjahr. Sein Körper ist bereits mit Tiefseetieren, Seetang und Flechten überzogen, das Fleisch teilweise von Aasgeiern zerfressen. Trotzdem glauben die Menschen nicht an diesen Tod, denn bereits einmal war er gestorben, um nach drei Tagen wieder aufzustehen und noch grausamer und brutaler zu herrschen als je zuvor.


    Von diesem phantastischen Bild aus entspinnt García Márquez das Leben dieses Mannes und seiner Umgebung. Das Geschehene wird nicht linear erzählt, sonder zyklisch. Die Erzählzeit und die Erzählperspektive wechseln ständig, sodass man sich beim Lesen stark konzentrieren muss. Manche Sätze erstrecken sich über mehrere Seiten hinweg. Das letzte Kapitel ist zum Beispiel ein über 50 Seiten (!) langer Satz. Trotzdem war ich überrascht, dass mir das Lesen nicht schwer gefallen war. Vielmehr hatte ich das Gefühl, von dieser gewaltigen Bildsprache ständig vorwärts getrieben zu werden.


    Außerdem liefert uns García Márquez hier eine köstlich zu lesende, fast karikaturhafte Parabel über die Macht, die unerschöpfliche Gier danach und die daraus resultierende Einsamkeit des Diktators. In diesem Buch handelt es sich um einen fiktiven Diktators eines karibischen Inselstaates, der aber alle Diktatoren Lateinamerikas in sich vereinigt und stellvertretend für diese stehen kann. Der Diktator ist ein grausamer, skrupelloser, einerseits gefühlskalter, andererseits ein sich nach Liebe sehnender, in seiner unglaublichen Einsamkeit dahinsiechender, nur für seine Mutter fürsorglicher alter Mann. Denn er misstraut allen seinen Freunden, das Volk liebt ihn öffentlich, verachtet ihn aber privat. Er liebt niemanden, hat zahlreiche Konkubinen, die ihn beim mechanischen Liebesspiel eher auslachen. Einzig und allein ist es die Mutter, der er sich anvertraut und die alle seine Geheimnisse kennt. Um den göttlichen Status des Diktators zu legitimieren bedient sich García Márquez auch christlicher Religion, wie zum Beispiel der Auferstehung nach drei Tagen oder auch der jungfräulichen Geburt des Diktators.


    Alles in allem ist es ein bildgewaltiges Buch, mit manchmal überbordernder Verwendung von Metaphern und sehr, sehr langen Sätzen.


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Übrigens feiert García Márquez am 06.03. seinen 80en Geburtstag.

    Ich lese gerade:<br />Lion Feuchtwanger - Der jüdische Krieg

  • Hallo nikki,


    vielen Dank für die schöne Rezension. Dieses Buch habe ich auch noch in deutlicher Erinnerung. Die Bandwurmsätze und die ständigen Wiederholungen (ich weiß nicht, wie oft beschrieben wurde, dass er auf dem Boden schläft und seine Mutter Hähne angemalt hat :rollen: ) fand ich ziemlich anstrengend, aber andererseits hat das Buch auch etwas Fesselndes (fast schon Hypnotisches), so dass ich es nicht aus der Hand legen konnte. Zum Glück hatte ich es im Urlaub dabei, wo ich lange am Stück lesen konnte - daheim hätte ich es wahrscheinlich irgendwann frustriert abgebrochen. Und das hat es nicht verdient.


    Liebe Grüße
    Manjula

  • Wie nikki schon sagte, entfaltet García Márquez das Leben des (namenlosen) Diktators nicht in einer chronologisch-linearen Form. Daher ist eine Wiedergabe des Inhalts als Zusammenfassung von Handlung auch praktisch nicht möglich, denn eine solche gibt es in dem Sinne nicht. Stattdessen kreist man um zentrale Punkte in des Diktators Leben (wie die Verehrung seiner Mutter, seine eigenen auf Sexualität reduzierten Liebschaften, das Mißtrauen gegenüber allen, die seiner Macht gefährlich werden könnten, die ablehnende Haltung gegen Kirche und Ausland, wenn sie den eigenen Interessen nicht dienstbar gemacht werden können), die in immer wieder neuen Zusammenhängen und Aspekten auftauchen. Dadurch ergibt sich über den gesamten Roman hinweg ein erstaunlich vollständiges Bild des „Patriarchen“ als eines Archetyp lateinamerikanischer Diktatoren, sowohl was seinen Charakter als auch seinen Lebensweg angeht. Nicht umsonst werden so viele Menschen die jeweiligen Machthaber ihrer Länder darin wiedererkannt haben.


    Neben dieser zyklischen Erzählform mag die Satzlänge abschreckend wirken. Das relativiert sich allerdings beim Lesen, denn die Sätze folgen durchaus einem inneren Rhythmus, dem ich mich recht automatisch angepaßt habe und der es auch ohne weiteres erlaubt, sie in kleinere Einheiten zu teilen. Mindestens zwei Drittel der Kommata ließen sich problemlos durch Punkte ersetzen und schon wäre es weit weniger dramatisch. Allerdings ginge dabei auch etwas verloren, was sich vor allem durch diese Form – nur ein halbes Dutzend „Kapitel“ ohne weitere Absätze und eben diese mäandernden Sätze, von denen man am Anfang nie weiß, wo sie einen am Ende hinführen und in denen zudem die Erzählperspektive zwischen erster, zweiter und dritter Person auch mehrfach hin- und herschwankt – aufbaut: nämlich ein geradezu suggestiver Sog, der mich zwar nicht gerade atemlos gemacht hat, aber doch dazu veranlaßte, immer noch einen und noch einen „Satz“ innerhalb des Satzes zu lesen. Wer aber schon mit „lesbareren“ Romanen des Autors seine Schwierigkeiten hatte, dem würde ich diesen hier nicht unbedingt empfehlen, obwohl es ein faszinierendes Werk ist.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß
    Aldawen