Grimm's Märchen - zu brutal für Kinder?

Es gibt 76 Antworten in diesem Thema, welches 22.433 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von BigBen.


  • Einem Kind, das Märchen liebt, sollte man die Möglichkeit geben, Märchen zu hören und zu lesen.
    Ein Kind, das Märchen distanziert gegenübersteht, diesen Willen sollte man respektieren.
    Aber nie von vornherein a priori sagen, was für das Kind gut und schlecht ist.


    Das habe ich eigentlich vorausgesetzt. Zumindest dachte ich nicht daran, ein widerspenstiges Kind an den Stuhl zu ketten und dann ein nettes Märchen vorzulesen :breitgrins:.


    Meine Tochter hat zwar bei manchen Geschichten auch ein wenig Angst (z.B. vor dem Eiskobold bei Prinzessin Lillifee), möchte sie aber trotzdem immer wieder hören. Offenbar gruselt sie sich gerne ein bißchen. Mein Mann wollte das Buch schon wegpacken, aber so lange sie das nicht möchte, haben wir es gelassen.


    Gruss
    Bianca

  • Maurice der Kater, von Terry Pratchett setzt sich sehr intensiv mit dem Thema auseinander.

  • Wenn die allermeisten Kinderbücher an der Oberfläche bleiben, warum gehen dann bei vielen Kindern die Märchen so tief in die unbewussten Empfindungen hinein, dass man sich noch Jahrzehnte später mühelos daran erinnert?


    Wahrscheinlich, weil sie die Geschichten x-mal vorgelesen bzw. erzählt bekommen. Was erzählt man einem Kind, wenn man auf die Schnelle kein Buch zur Hand hat? Mit großer Wahrscheinlichkeit ein Märchen, das man als Kind selbst oft genug gehört hat. Gerade bei Omas ist das sehr beliebt.


    Ich kann mich nicht nur an "unsere" Märchen sehr gut erinnern, sondern z. B. auch an die Geschichten vom kleinen Maulwurf, die wir ebenso oft hörten. Daher glaube ich nicht, dass nur Märchen tief in die unbewussten Empfindungen eingehen.


    Gruß
    Doris

  • du kannst eine Geschichte x-mal vorlesen, wenn sie keine Wurzeln im Unbewussten schlägt, wird sich das Kind die Geschichte nicht merken.


    In das Unbewusste Empfinden gehen Märchen, wenn sie Strukturen des Unbewussten berühren.


    Und da muss an Märchen etwas dran sein, was normale Geschichten nicht haben.


    Jung nennt das die Energie der Archetypen, die das individuelle Unbewusste ansprechen.


    Aber eine genaue Erklärung für dieses Phänomen habe ich auch noch nicht.


    Ralf


  • du kannst eine Geschichte x-mal vorlesen, wenn sie keine Wurzeln im Unbewussten schlägt, wird sich das Kind die Geschichte nicht merken.


    Das glaub ich ehrlich gesagt nicht! Wenn man mir z.B. jeden Tag aufs Neue ein längeres Gedicht vorträgt, dann kann ich das mit der Zeit auch auswendig, auch wenn mich das Gedicht nicht die Spur interessiert...
    Und bei Märchen glaube ich ist das das selbe...schließlich werden wir nicht nur von den Großmüttern und Eltern mit Märchen konfrontiert (falls diese sie zulassen), sondern auch in Filmen, Zeichentricks, Kindergärten, Werbungen,...etc.

    :leserin: [color=#CC0077]<br />Leo Tolstoi - Anna Karenina<br />Geneva Lee - Royal Passion<br />Frank Schätzing - Tod und Teufel<br />Patrick Rothfuss - The Name of the Wind<br />Maggie Stiefvater - The Raven Boys

  • aber auswendig heisst doch nicht "im UNBEWUSSTEN".


    Auswendig bezieht sich auf ein kognitives System, aber nicht auf das Unbewusste.


    Das Unbewusste wird durch Empfindungen geprägt, nicht durch Kognitionen.


    Ralf


  • aber auswendig heisst doch nicht "im UNBEWUSSTEN".


    Lieber Psychologe Ralf, wir reden aber nicht vom Unbewussten, sondern von der Erinnerung. Es wäre seltsam, wenn sich jeder bewusst an das Unbewusste erinnern könnte.

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.


  • Das glaub ich ehrlich gesagt nicht! Wenn man mir z.B. jeden Tag aufs Neue ein längeres Gedicht vorträgt, dann kann ich das mit der Zeit auch auswendig, auch wenn mich das Gedicht nicht die Spur interessiert...


    Ich gehöre noch zu jener Generation, die für die Schule Gedichte auswendig lernen mussten. Jeder Woche ein neues. Ich könnte Dir heute keines mehr ganz und nur von ein paar Balladen noch Bruchstücke rezitieren. :zwinker:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Man kann sich nicht bewusst an das Unbewusste erinnern.


    Aber aus dem Unbewussten können Erinnerungen an vergangene Empfindungen aufsteigen, die erlebt wurden und mit bestimmten Kognitionen verbunden waren.


    Man erinnert sich dann an die Kognitionen, aber nur, weil damit unbewusste Empfindungen und Emotionen verknüpft waren.


    Deshalb erinnert man sich an manche Märchen sehr gut und an andere überhaupt nicht.


    Die Märchen, an die man sich gut erinnert, lösten damals massive Emotionen und Empfindungen aus, weil sie an bestimmte psychosoziale Situationen geknüpft waren.


    So ging es mir mit dem Märchen" Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern" Meine Emotionen waren damals so stark, dass ich mich noch fast an den Wortlaut des Märchens erinnern konnte. Bei anderen Märchen weiss ich nur noch den Inhalt,aber nicht mehr den konkreten Wortlaut.


    Aber der konkrete Wortlaut zusammen mit den starken Gefühlen sank in das Unterbewusstsein und kommt in manchen Situationen wieder zum Bewusstsein.


    Wenn Sandhofer das Phänomen beschreibt, dass er die Gedichte wieder vergessen hat, dann waren das reine Kognitionen, die an der Oberfläche des Bewusstseins blieben.


    Ich habe mit 6 Jahren ein Gedicht in der Schule gelernt, vielleicht kennen es einige:


    "Der Mond der scheint, das Kindlein weint"


    Als 6jähriger habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, warum das Kind weint. Ich kann mich noch heute in die Trauer hineinversetzen, die ich damals empfunden hatte, warum das Kind weinen muss.


    Und dieses Gedicht kann ich heute noch auswendig.


    Ralf

  • Wobei das Phänomen wohl noch komplizierter ist. Das einzige Gedicht aus meiner Kinderzeit, an das ich mich noch so einigermassen in Gänze erinnere, ist Claudius' Abendlied ("Der Mond ist aufgegangen ..."). Das hat aber mit dem Lied nichts zu tun, sondern mit der Situation, in der ich es kennengelernt habe: Bei meiner ersten weihnachtlichen Schulaufführung als einer der drei Weisen vom Morgenland ... Mann, was war ich aufgeregt ... Und vielleicht stammt sogar meine Liebe zur Lyrik von jenem Moment ... :smile:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)


  • Ich gehöre noch zu jener Generation, die für die Schule Gedichte auswendig lernen mussten. Jeder Woche ein neues. Ich könnte Dir heute keines mehr ganz und nur von ein paar Balladen noch Bruchstücke rezitieren. :zwinker:


    Ich glaub das fällt eher in die Kategorie "Verdrängung"! :breitgrins: *hihi*


    Wir mussten auch noch Gedichte auswendig lernen und von "Der Zauberlehrling" kann ich noch immer die ersten 2 Strophen... :breitgrins: warum auch immer... *gg*

    :leserin: [color=#CC0077]<br />Leo Tolstoi - Anna Karenina<br />Geneva Lee - Royal Passion<br />Frank Schätzing - Tod und Teufel<br />Patrick Rothfuss - The Name of the Wind<br />Maggie Stiefvater - The Raven Boys

  • Den Anfang kann ich auch noch.


    Und, weil meine Schwester das auswendig lernen musste, einen Brocken von Schillers Bürgschaft:


    "Ich lasse den Freund dir, den Jürgen,
    ihn magst du, entrinn ich, erwürgen."


    (Ja, ich weiß, es heißt nicht "den Jürgen", sondern "als Bürgen" :breitgrins: )

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Zu der Frage, wieso wir uns so gut an bestimmte Märchen erinnern, habe ich eine weitere Teilantwort: im Gegensatz zu anderen Kindergeschichten werden wir mit Märchen immer wieder konfrontiert und so wird die Erinnerung immer wieder aufgefrischt. Damit will ich nicht gesagt haben, dass die Märchen tiefere Bewusstseinsstrukturen in den Kindern ansprechen. Sie tun es sicher, aber das tun auch andere Kindergeschichten (nicht alle, aber einige.)
    Wie tief mich manche meiner Kinderbücher beeindruckt haben, wurde mir in meiner Rolle als Tante klar, die pflichtbewusst (und voller Vergnügen) ihren Neffen und Nichten die alten Bilderbücher aus ihrer Kindheit vorlas. Bei vielen wusste ich noch genau, welches Bild auf der nächsten Doppelseite kam, was als nächstes passieren würde. Andere waren mir eher fremd, wohl solche, die mir als Kind weniger gut gefallen hatten und die mir so weniger oft vorgelesen wurden.

    Wir sind irre, also lesen wir!


  • Dazu fällt mir ein: "Sieh da, sieh da, Tomatentheo" (Ossis können damit was anfangen :breitgrins:)

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001


  • Zu der Frage, wieso wir uns so gut an bestimmte Märchen erinnern, habe ich eine weitere Teilantwort: im Gegensatz zu anderen Kindergeschichten werden wir mit Märchen immer wieder konfrontiert und so wird die Erinnerung immer wieder aufgefrischt. Damit will ich nicht gesagt haben, dass die Märchen tiefere Bewusstseinsstrukturen in den Kindern ansprechen. Sie tun es sicher, aber das tun auch andere Kindergeschichten (nicht alle, aber einige.)


    Ganz deiner Meinung! :breitgrins:

    :leserin: [color=#CC0077]<br />Leo Tolstoi - Anna Karenina<br />Geneva Lee - Royal Passion<br />Frank Schätzing - Tod und Teufel<br />Patrick Rothfuss - The Name of the Wind<br />Maggie Stiefvater - The Raven Boys

  • Klärst Du ne Wessine bitte noch auf? :breitgrins:


    Ist aus einem Sketch von Herricht und Preil. Viele Sprüche aus den Sketchen sind legendär geworden.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001