Aminata Sow Fall - Der Streik der Bettler

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  • Dieses Buch ist mein Beitrag zu Senegal in unserem Projekt Wir lesen uns rund um die Welt. Ich habe es in schwedischer Übersetzung unter dem Titel "Tiggarnas strejk" gelesen.

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    Ein afrikanisches Land Ende der 70er Jahre: Bei dem Versuch, westliche Touristen und damit Devisen ins Land zu holen, stellen die vielen Bettler der Hauptstadt ein Hindernis dar. So nimmt man in den oberen Regierungsetagen jedenfalls an und beschließt, der Bettelei ein Ende zu bereiten. Gnadenlos werden sie Bettler verfolgt, verprügelt, hunderte von Kilometer weit aufs Land verfrachtet oder eingesperrt. Alles dies erweist sich anfangs erfolglos, trotz immer härterer Verfolgung, bis es den Bettlern eines Tages reicht: sie treten in Streik! Denn ist es nicht so, dass sie ihre Almosen weniger dem Mitleid besser gestellter Mitmenschen verdanken, als vielmehr deren Glaube daran, durch Gaben an Arme Allah gnädig zu stimmen? Wird ihnen nicht immer wieder von Marabuts befohlen, Opfergaben an die Bettler zu verteilen, um im Leben Erfolg zu haben? Ist es nicht etwa so, dass die reichen Leute so auf die Bettler angewiesen sind?
    Die Wahrheit dieser Überlegungen muss der Chef der Behörde für Gesundheit und Hygiene, eben jener Behörde, die für die "Säuberung" der Stadt verantwortlich war, am eigenen Leib erfahren, als ihm, der so gerne Vizepräsident werden will, von einem heiligen Mann befohlen wird, einen Ochsen zu schlachten und das Fleisch sowie einige andere Gaben an die Bettler der gesamten Stadt zu verteilen. Wie aber soll er dies tun, wenn doch keine Bettler unterwegs sind?


    Aminata Sow Fall schreibt nicht nur über Scheinheiligkeit und religiösen Dogmatismus, sondern auch über die Unterdrückung der Frauen in der traditionellen senegalesischen Gesellschaft. Denn besagter Behördenleiter untersteht es sich nicht, nach vielen Ehejahren seiner ihm bis dahin trotz aller seiner Eskapaden treu ergebenen Frau eine 17-jährige Nebenfrau vor die Nase zu setzen. Zwar ist das islamische Recht, das einem Mann erlaubte, seine Frau ohne weiteres zu verstoßen, außer Kraft gesetzt worden, aber die Vielehe ist weiterhin erlaubt - natürlich nur den Männern! Seine Frau akzeptiert schließlich die zweite Frau, aber diese lässt sich nicht in das Schema der unterwürfigen Gattin drücken.


    Von der Themenwahl her gefällt mir dieses Buch außerordentlich, mit der Durchführung habe ich allerdings meine Probleme. Es ist eine Art Märchen, in dem die kleinen, schwachen Leute über ihre "Herren" gewinnen, ein Traum, wie Unterdrückte Gutmachung bekommen. Dies bedeutet aber, dass man keine "wirklichen" Personen erwarten darf, sondern nur typische Vertreter bestimmter "Gattungen". Eine realistische Lösung der angesprochenen, wirklichen Probleme darf man ebenso wenig erwarten, und gerade das ist es, was mich eigentlich interessiert. Ich möchte von wirklichen Menschen in wirklichen Situationen lesen, auch wenn dies bedeuten sollte, dass das Buch dadurch dunkler, hoffnungsloser wird.
    Auch sprachlich hat es mich nicht recht überzeugen können. Mir war es zu "kantig", zu wenig elegant geschrieben, was aber auch an der schwedischen Übersetzung liegen kann. Auch der immer wieder vorkommende Wechsel in das erzählerische Präsens hat mich gestört, was aber an meiner persönlichen Abneigung gegen diese Erzählzeit liegt. Dass das Buch in meiner Bewertung trotzdem recht gut abschneidet, liegt an der gelungenen Themenwahl und daran, dass es mich doch gut unterhalten hat. (Und natürlich daran, dass ich mich eben doch über den Sieg der Bettler gefreut habe, Realismus hin oder her :zwinker: .)
    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Gelesen habe ich das Buch bereits vor einigen Wochen, dennoch möchte ich meine Meinung teilen, schließlich gehört es nicht gerade zu den meistdiskutierten Büchern.


    Die wichtigsten Schlagwörter hat Saltanah ja bereits genannt: Wertewandel, Scheinheiligkeit, die Rolle der Frauen. Besonders der Wertewandel ist zentrales Thema, da die beiden anderen als Folgen gesehen werden können. Aufgrund der Orientierung in Richtung der Industriestaaten verlieren nämlich die Traditionen und Bräuche, egal aus welchem Lebensbereich, rapide an Wert. Das bedeutet aber auch, dass die Stellung der Frau gefestigt wird. Dabei fand ich den feministischen Aspekt des Buches zwar deutlich vorhanden, aber nicht zentral. Im deutschen Nachwort ist er der Mittelpunkt der Betrachtung, da steht für mich aber das persönlich Dilemma des ambitionierten Politikers.


    Alles in allem ist Der Streik der Bettler ein Paradebeispiel für die beiden Seiten einer Medaille, das Sow Fall uns hier vor Augen führt. Und da es vordergründig um das Vorführen von Mißständen geht, wird auch keine Lösung geliefert; der Moral eines Märchens gleich wird lediglich der Unterdrücker des kleinen Mannes bestraft. Wobei wir bei den Figuren wären, und die fand ich ebenfalls tendenziell durchaus stereotyp.


    Auch im nächsten Punkt, der Sprache, muss ich Saltanah leider zustimmen. Auch wenn die Geschichte relativ schnell erzählt war, fand ich die Erzählweise eher unspannend, ermüdend; "kantig" trifft es ganz gut. Besonders störend fand ich in der deutschen Übersetzung die immer wieder eingestreuten afrikanischen Begriffe, die in Fußnoten erklärt werden. Vielleicht wollte der Übersetzer etwas zur afrikanischen Stimmung beitragen, mich hat's einfach nur genervt.


    Nun hätte ich fast die Geschichte selbst vergessen... Die war durchaus lesenswert und gut aufgebaut, kann aber die Schwachpunkte der Erzählweise und der flachen Figuren nur unzureichend aufwiegen. Aber alleine die Idee, dass die Bettler streiken, finde ich wirklich gelungen.


    Insgesamt komme ich auf:
    3ratten

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges