Ja und ich hatte das große Glück, mit Dostojevski in der Schule überhaupt nicht belästigt zu werden und deshalb war er auch mein absoluter Lieblingsschriftsteller.
Er hat so besondere Fähigkeiten: Er kann gedankliche Dinge wunderbar dramatisieren. Und dann hat er so eine besondere Fähigkeiten, Szenen so zu gestalten, daß Personen in ihnen auf die merkwürdigste Weise reagieren und Du weißt gar nicht warum eigentlich, aber das ist alles höchst spannend.
Der Umfang der Werke hat mir überhaupt nichts ausgemacht, ich habe diese 800 bis 1000 seiten Klopfer verschlungen, oft in die Nächte hinein.
Eine Ausnahme ist für mich der Jüngling, der unpopulärste der 5 großen Romane. Der beginnt fulminant, aber dann wird er langweilig. Ich habe mich einmal durch dieses Buch durchgequält, weil ich dachte, einmal mußt Du es doch gelesen haben, aber mir hats nicht gefallen.
Berühmt ist aus den Brüdern Karamasov die Legende vom Großinquisitor. Das wirft dann auch ein Licht auf die Haltung, die Dostojevski dem Christentum gegenüber hatte.
Die kürzeren Erzählungen sind oft sehr gut: Das Kellerloch, der lächerliche Mensch, Bobok, das Krokodil.
Manche Haltungen von Dostojewski wie etwa sein Slawophilentum mögen auch sehr fragwürdig sein. Trotzdem war Dostojewski ganz sicher kein dummer Mann. Ich will von Unschuld und Sühne nicht zu viel verraten, aber ich zumindetens kann da nicht alles für bare Münze nehmen. Ist das, was als Abkehr vom Zynismus und Nihilismus erscheint, nicht vielleicht doch eher die Fortsetzung desselben auf höherer Ebene?
Man muß bei Dostojewski dreierlei unterscheiden: Den vordergründigen Parteigänger, den gebildeteren Menschen, dem Parolen eigentlich zuwider sind, und den Intellektuellen, der immer im Hintergrund spukt und der vielleicht in Wahrheit an gar nichts glaubt, auch wenn er sich das vielleicht nicht eingestehen mag.
Jedenfalls kann Dostojewski das, was er angreift: Den Nihilismus, den Immoralismus und die "moderenen Ideen" großartig gestalten und das ist es dann, was einen auch skeptisch macht, wenn er die "Gegenmächte" aufbaut, mit denen in Einklang zu stehen er vorgibt. Ich finde das alles sehr vielschichtig und das genau macht die Faszination von Dostojewsi für mich aus.
Gruß Martin