Zitat von "melima"Und ja, Psychologie ist nicht gleich Psychoanalyse. Und ja, Pychoanalyse wird belächelt, Verhaltenstherapie hoch gelobt. Es gab auch Zeiten, da war es anders. Und ich glaube nicht, dass die momentan verbeitete allgemeine Ansicht schon der Endzustand ist...
Das denke ich auch. Was die Psychologen im moment so treiben, weiß ich selbstverständlich nicht. Nur wenn hier von Chil die Rede ist von "Psychologie als exakter Wissenschaft", die nun angeblich die Psychoanalyse abgelöst haben soll, dann kann ich dazu nur sagen: Die Methoden haben gewechselt - die Aroganz ist geblieben, denn mit genau der Aroganz, Wissenschaft zu sein ist die Psychoanalyse auch aufgetreten.
Und wenn Chil mich fragt, was ich unter Psychologie verstehe. Ist das so wichtig? Psychologie ist zunächst einmal ein völlig ungeschützter, freier und allgemeiner Begriff und bedeutet doch wohl die Beschäftigung mit der Seele oder auch Psyche, mit Gefühlen, Gefühlsregungen und dergleichen.
Was Du unter Psychologie verstehst, weiß ich allerdings nicht. Das wird vermutlich irgendeine akademische Kiste sein. Von akademischer Psychologie verstehe ich allerdings nichts und sie interessiert mich auch nicht in dem Maße. Daß sie sich wissenschaftlicher Methoden bedient, mag schon sein, letzlich befindest Du Dich bei der Beschäftigung mit der menschlichen Psyche nicht auf dem Boden der "harten Wissenschaften" sondern der Geisteswissenschaften. Und Du kannst die menschliche Psyche wie ein wissenschaftliches Phänomen betrachten und analysieren, das ändert aber nichts daran, daß die menschliche Psyche kein wissenschaftliches Phänomen ist sondern ein geistiges, dem Geist verbundenes.
Zum Thema Kafka zitiere ich hier noch mal den Beitrag, den ich unter Kafka gepostet hatte:
ZitatAlles anzeigenMir ist es jetzt gelungen, im Internet das Zitat Kafkas wiederzufinden, das ich meinte und an das ich mich auch vage erinnerte. Ich fand es in einem Artikel von http://www.kafka.org. Es ist aus einem Brief an Milena.
Du sagst Milena daß Du es nicht verstehtst. Such es zu verstehn, indem Du es Krankheit nennst. Es ist eine der vielen Krankheitserscheinungen, welche die Psychoanalyse aufgedeckt zu haben glaubt. Ich nenne es nicht Krankheit und sehe in dem therapeutischen Teil der Psychoanalyse einen hilflosen Irrtum. Alle diese angeblichen Krankheiten, so traurig sie auch aussehn, sind Glaubenstatsachen, Verankerungen des in Not befindlichen Menschen in irgendwelchem mütterlichen Boden [...]. (KM 292)
Dieses Zitat hatte ich auch schon mal vor vielen Jahren gelesen und es hatte schon damals einen großen Eindruck auf mich gemacht. Natürlich ist dieses Zitat so auch ein bißchen aus dem Zusammenhang gerissen, der mir hier nicht bekannt ist.
Was wir daraus sehen können und was auch im Essay bei http://www.kafka.org geschrieben steht, ist, daß Kafka wohl eine ziemlich gute Kenntnis der Psychoanalyse besaß.
An dem obigen Text beeindruckt mich einiges.
Zum einen diese Art mit dem Begriff "Krankheit" umzugehen. Einerseits "Versuche zu verstehen, in dem Du es Krankheit nennst". Dann anderseits "diese angeblichen Krankheiten".
Dann die Distanzierung vom "therapeutischen Teil" der Psychoanalyse. Aus dieser Distanzierung vom therapeutischen Teil läßt sich aber andererseits doch wieder schließen, daß es möglicherweise einen anderen nichttherapeutischen Teil der Psychoanalyse gibt, dem er weniger distanziert gegenüber steht.
Schließlich die ganz erstaunliche Weigerung, die von der Psychoanalyse aufgedeckten Krankheitsphänomen Krankheitsphänomene zu nennen, sondern "Glaubenstatsachen, Verankerungen des in Not befindlichen Menschen in irgendwelchem mütterlichen Boden". Was er damit eigentlich genau meint, ist natürlich schwer verständlich, aber mich hat gerade diese Stelle immer sehr beeindruckt. In eine ähnliche Richtung ging aber meine Auffassung, wenn ich in einem vorherigen Posting von Krankheit als etwas "Heiligem" sprach.
Obwohl diese Krankheitsphänomene allerdings "traurig aussehen", auch dieses hat mich sehr beeindruckt, Kafka redet nicht von krank, abnorm, pervers etc., er stellt halt - wunderbar über jeder inhumanen Denunziation des "Krankhaften" stehend - fest, daß manche Krankheitsphänomen ( demgegenüber er aber nicht von Krankheit reden will), daß diese eben "traurig aussehen".
Eine sehr souveräne und tiefgründige Art mit der Psychoanalyse umzugehen.
Gruß Martin
In Bezug auf unser Thema hier: Ich glaube nun wirklich nicht, daß Kafka jede noch so weit her geholte psychoanalytische Deutung seiner oder anderer unterschrieben hätte. Aber er stand ihr vermutlich auch weniger fern, als mancher hier denkt. Nur zog er sicher aus der Psychoanalyse andere Konsequenzen als die Analytiker.
Gruß Martin