Beiträge von Rebekka


    Dass man psychoanalytische Deutungen von Märchen den Kindern mitteile / mitteilen soll, lese ich allerdings zum ersten Mal ...


    Ums Mitteieln geht es gar nicht, vielmehr wird unterstellt, dass die Kinder das selbst merken würden, also sozusagen instinktiv wüssten. Wenn ich mich recht entsinne ist das eine Theorie von Bruno Bettelheim in "Kinder brauchen Märchen"... Ja, da seh ich es doch gerade:
    Ich zitiere hieraus z.B. zum Thema "Blaubart": „Ich glaube, daß das Kind auf vorbewußter Ebene versteht, daß das nicht mehr abzuwaschende Blut am Schlüssel und andere Details bedeuten, daß Blaubarts Frau diesen mit einem anderen Mann betrogen hat.“ [S. 355] (Das ist seine Theorie. Seiner Meinung nach bedeutet uns das Märchen: „Ihr Frauen, gebt eurer sexuellen Neugier nicht nach; ihr Männer, laßt euch nicht von eurem Zorn hinreißen, wenn ihr von eurer Frau betrogen werdet.“ [S.356])


    Mit dem Beruf hast Du natürlich Recht. :redface:

    Ja, wie gesagt, diese Interpratationen... :rollen: So was findet man aber nicht nur im Märchen, die literaturwissenschaft hat es sich halt zum Steckenpferd gemacht alles was lesbar ist zu sezieren. (Ist an anderer Stelle sicher ganz schön und viele Autoren machen sich das dann auch zunutze, aber im Märchen ist es dann in dem Fall, meines Erachtens nach, doch übertrieben)


    Kann man dem eigentlich so ganz entkommen? Märchen tauchen ja eigentlich überall auf: Im Kindergarten, im Fernsehen, liebende vorlesende Omas etc...


    Das stimmt tatsächlich, daran hab ich noch gar nicht gedacht, aber deshalb gehören diese Märchen ja auch zum Kulturgut. Das heißt so oder so werden es die Kinder ohnehin mitbekommen und einen früher oder später vielleicht drauf ansprechen.


    @ Weratundrina: Was würdest Du dann machen, angenommen Dein Kind kommt mit diesen Geschichten in Berührung und möchte mehr davon hören? Würdest Du dem Drängen nachgeben?


    Es stimmt natürlich, dass es viele hochwertige Kinderbücher gibt, keine Frage. Ich habe als Kind auch allerlei Zeug vorgelesen bekommen, und da war sicherlich kein Ramsch dabei. Mir geht es dennoch so, dass mir von meinen Kindheitsgeschichten nur noch sehr wenige in Erinnerung sind. Von den langen Geschichten / Büchern weiß ich kaum noch etwas, viel mehr bleiben da die kurzen im Gedächtnis. Dazu gehören also auch die Märchen. (Wahrscheinlich haben sie sich unter anderem auch deshalb so lange gehalten: weil man sie sich einfach gut merken kann. :zwinker:)


    Na ja, ich bin jedenfalls zu dem Schluss gekommen, dass ich meinem Kind zehn Mal lieber ein Märchen vorlesen werde als diesen Lillifee-Quatsch oder Vergleichbares, was gerade auf dem Markt zu finden ist.


    Jemand hat in dem anderen Thread ein gutes Beispiel gebracht: Wenn z.B. dem bösen Wolf der Bauch aufgeschnitten wird stellt sich kein Kind vor, dass dort Gedärme, etc. raushängen


    Stimmt, das war von mir im Horror-Thread :zwinker:


    Das ist generell was ich meine und was mir auch hier jetzt wieder aufgefallen ist: Kinder kriegen erst dann Angst, wenn die Illustrationen sehen (zB. Angst vor der bösen Hexe aus Disneys Schneewittchen), aber die Vorstellungskraft für so brutale Dinge haben sie einfach noch nicht.


    Was ich immer ganz witzig finde, das sind diese literaturwissenschaftlichen Abhandlungen über Märchen, in denen dann überall Symbole und Metaphern entdeckt werden und man unterstellt, dass die Kinder das auch alles verstehen würden. ZB. In "Frau Holle", da hieß es, der Stich mit der Nadel sei ein Zeichen für die erste Menstruation, das Brot im Ofen symbolisiere die Geschlechtsreife usw. Ich hätte als Kind NIE an so was gedacht und finde es auch jetzt noch abstrus. Was ich allerdings nachvollziehen kann ist die Deutung von "Hans mein Igel", wer das kennt: da rollt der Igel am Ende über die Prinzessin und sticht sie überall mit seinen Nadeln, so dass sie entehrt ist für den Rest ihres Lebens, da kann man natürlich durchaus eine Vergewaltigung drin sehen.


    Oh, ich muss los... demnächst mehr :smile:

    Hallöchen :winken:


    Ich hoffe mal, dass das Thema in dieser Kategorie richtig ist. Ansonsten: einfach verschieben :smile:


    Angeregt durch den Horror-Literatur-Thread in dem ja auch (von mir, das geb ich zu :zwinker:) die Märchen angesprochen wurden, machen wir hier doch gleich mal einen neuen Fred auf und fragen in die Runde:


    Sind die grimm'schen Märchen wirklich zu brutal für Kinder?


    Neulich in der Buchhandliung war ich auch dabei, wie eine Frau beraten wurde, und die Händlerin riet ihr ganz entschieden davon ab, empfahl stattdessen Andersen.
    Meine Oma, lustigerweise, ist jetzt auch auf diesen Trichter gekommen und liest meiner kleinen Cousine (3 Jahre) selbst-zensierte Versionen von Rotkäppchen vor ("warum hast Du denn so ein großes Maul?" "Damit ich dich besser... hören kann!!" ...?!?!) !


    Ich persönlich finde das übertrieben. Ich habe als Kind auch diese Märchen vorgelesen bekommen, aber psychisch krank bin ich davon jedenfalls nicht geworden (hoffentlich :zwinker:), einen Hang zur Gewalt hab ich nicht entwickelt (wie es die Briten nach dem 2. Weltkrieg glaubten. Man wollte Märchen tatsächlich verbieten, weil man dachte, die Deutschen wären dadurch auf solche kranken Ideen gekommen...) und ich hab mich vielleicht mal gegruselt, aber solche Angst, dass ich nicht mehr schlafen konnte hatte ich auch nie.


    Was meint ihr? Sind diese Märchen etwa nicht mehr mit unseren heutigen Moralvorstellungen vertretbar oder woher kommt dieser Hype plötzlich all diese Geschichten als zu brutal anzusehen?

    Ich könnte mir vorstellen, dass es damit zu tun hat, dass der Mensch eben doch einen Hang dazu hat sich an ekligen Dingen zu ergötzen. Nicht umsonst gibt es bei jeden Autounfall Voyeure... :sauer:
    Ein Horrorfilm ist da nur recht und billig, es kommt niemand wirklich zu Schaden und man kann seine "Perversion" ausleben.


    Als ich so 14 war habe ich mir auch hin und wieder solche Filme angesehen, allerdings bald gemerkt, dass es nicht mein Ding ist. Ich habe versucht, das Dargestellte ins Lächerliche zu ziehen um nicht zu berührt zu sein und fragte mich dann nach einer Weile natürlich, warum ich mir das überhaupt antue, wo ich doch nur "Arbeit" damit habe und sonst nichts. Wahrscheinlich um vor den Jungs anzugeben (mitreden können über "coole" Sachen...), eine andere Erklärung konnte ich nicht finden. Welch Glück, dass ich das nun nicht mehr als nötig erachte... :zwinker:


    Bei Büchern ist es, glaube ich, noch mal einen Tick anders, weil da durch die Buchstaben alles eben doch ein wenig abstrakter ist. Der Leser kann sich zu einem gewissen Grad selbst aussuchen, was er sich unter der Beschreibung sehen will - es kommt natürlich auch auf die Genauigkeit der Beschreibung an, klar.
    Man vergleiche an dieser Stelle mit dem Märchen: die ganzen Grimm'schen Märchen strotzen vor Gewalt und Grausamkeit, aber wir empfinden sie nicht so, habe das als Kind auch meist nicht so gesehen, sondern verbinden mit einer Märchenstunde ein heimeliches Gefühl und schöne Erinnerungen.
    Wenn z.B. dem Wolf der Bauch aufgeschnitten wird, dann stellt sich da doch keiner Gedärme oder sonst was vor, sondern eher so... so wie bei dieser Schwangerschafts-Barbie, wo man den Bauch aufmacht und das Kind rausnimmt. :breitgrins: Sobald aber ein Bild im Märchenbuch vorkommt, das besonders schrecklich ist, brennt sich das ein und man bekommt Angst. Das ist zumindest meine Erfahrung. (Ich habe zB furchtbar Angst vor dem Schneider im Struwwel-Peter gehabt, des Bilder wegen, weil der Kerl so schrecklich spinnenhaft ausschaut)


    Na ja, um zu Film-Buch zurück zu kommen: Ich pflege immer zusagen: meine Vorstellungskraft ist nicht so brutal, wie es die heutigen Filme sind. Von dem her: wenn schon Horror, dann in Buchform. Und das dann hauptsächlich wegen der Spannung / Unterhaltung.

    @ tronic: Natürlich ist es ein Sinnbild, aber eben nicht NUR. Wie ich ja schon geschrieben habe... Die Familie und die gesamte Umwelt nehmen ihn ja auch als Insekt wahr, nicht nur er selbst, das beweißt ja schon, dass es nicht nur ein Bild ist, sondern er in der Geschichte real als ein Rieseninsekt existiert.


    sandhofer: Ich glaube kaum, dass es einen großen Unterschied macht, ob es sich um einen Käfer handelt oder eine Spinne oder sonst was, ich gehe mal davon aus, dass kein einziges Insekt in dieser Größe leben könnte. Aber das ist ja auch gar nicht der Punkt. Schon alleine die Verwandlung zu einem solch riesigen Insekt ist irreal, der Anfang der Geschichte ist einfach irreal, der Rest scheint aber umso realer.

    Ich erinnere mich daran, dass die Haushälterin, die später hinzukommt, ihn an einer Stelle "Mistkäfer" nennt. Das lässt schon auf eine Käferart schließen, denn wäre er eine Spinne o.ä. würde sie das ja nicht sagen. Ich glaube auch noch woanders eine ähnliche Benennung entdeckt zu haben, aber da ich das Buch gerade nicht zur Hand habe, kann ich das leider nicht belegen.

    Ich habe im Studium ein Märchenseminar belegt, in dem auch "die Verwandlung" behandelt wurde. Ich kann ja mal erzählen, was ich davon behalten habe (und von meinen eigenen Eindrücken):


    Des fehlenden Happy Ends wegen wird das Buch auch oft als "Antimärchen" bezeichnet. Es hat märchenhafte Züge, gerade was die Verwandlung selbst angeht, allerdings sucht man hier vergeblich nach der Fee oder dem bösen Zauberer der daran Schuld ist. Die Quelle, so wird angenommen, ist Gregor selbst.
    Er regt sich ja auch in keinem Moment wirklich darüber auf, dass er zum Käfer wurde. Man lese noch einmal die ersten Seiten: Er überlegt sich, ob er den Zug noch kiriegt, er wundert sich kein bisschen (was wiederum Märchencharakter hat: keine Verwunderung über das Wunder).
    Nur die Verwandlung am Anfang ist also märchenhaft, alles was danach kommt findet sich mit dieser Tatsache zurecht und ist darin in höchstem Maße realistisch. Das Ganze ist aufgebaut, wie ein "was wäre wenn". D.h. Ich sage: Wenn eines morgens jemand aufwachte und feststellte, dass er sich in einen Käfer verwandelt habe, dann würde dies und das so weiter geschehen.
    Dass es nicht gut ausgeht ist in der Tat deprimierend, aber genau das was Kafka damit wollte. Ich kenne viele Bücher, die mir nicht oder kaum im Gedächtnis geblieben wären, wenn sie glücklich ausgegangen wären (ich nenne jetzt keine Beispiele, da ich sonst womöglich noch was verrate, was jemand (noch) nicht wissen wollte...), ich wäre danach nicht so geschockt vor dem Buch gesessen und hätte es noch zehn Minuten lang angeglotzt. Und ich hätte auch nicht darüber nachgedacht, warum es so kommen musste.


    In der Wahl des Käfers sehen viele einen Vergleich: Gregor ist ja zu Menschzeiten Vertreter von Beruf, er ordnet sich seinem Chef unter, begehrt nie auf, kriecht sozusagen allen in den Arsch, sowohl dem Chef als auch den Kunden.
    Dann wiederum lässt er sich von seiner Familie regelrecht ausbeuten: wie sich nach der Verwandlung zeigt, können sie nämlich alle arbeiten und sind überhaupt nicht so unfähig, wie es zu Anfang schien. Früher waren SIE die Parasiten, jetzt ist es Gregor. Aber im Gegenteil zu ihm, der alles tat um sie am Leben zu halten richten sie ihn zugrunde.


    In dem Sohn - Vater Verhältnis ist das Kafkas selbst wieder zu erkennen. Die beiden hatten ja nie einen guten Draht zueinander. In der Verwandlung ist der Vater der Unbarmherzigste von allen. Er bewirft seinen Sohn an einer Stelle mit Äpfeln, was ihn schwer verletzt, er nimmt keine Rücksicht darauf, dass Gregor ja gerade wieder in sein Zimmer kriechen will, aber nunmal nicht rückwärts gehen kann und deshalb so lange braucht.


    Das mit dem Mann für die Tochter hat meine Prof so erklärt, dass sich die Familie zwar keinen nächsten Sohn sucht, aber wieder einen Mann für die Familie, den sie ausbeuten können, er soll also schon in gewisser Weise die Funktion Gregors übernehmen. Aber als einen Sohn werden sie ihn natürlich nie ansehen, so wie sie an sich auch Gregor nie als Sohn in dem Sinne angesehen haben, dass sie ihm Achtung entgegengebracht hätten oder ihn einfach nur geliebt hätten. Deshalb heißt es übrigens auch "einen braven Mann" (eine Formulierung, die mich zuerst vollkommen verwirrt hat, die sich so aber erklärt).


    Wir haben in diesem Seminar noch viel mit Symboldeutung einzelner Gegenstände angefangen, was ich allerdings zum Großteil nicht mehr weiß, vor allem auch deshalb, weil das meiner Meinung nach so nicht stimmen kann. Man kann ja meinetwegen in der Violine der Schwester eine weibliche Form wiedererkennen und dann behaupten, Gregor fühle sich sexuell zu ihr hingezogen, man kann ja in den Äpflen die der Vater schmeißt die Frucht aus dem Garten Eden wiedererkennen und irgendwas von Sünde damit in Verbindung bringen. In meinen Augen ist das zu weit hergeholt. Zudem hat Kafka selbst einmal gesagt, dass er diese Art von Interpretation unsinnig findet. Wenn es so ist, dann wird er auch nicht mit dieser Hintergedanken geschrieben haben, somit erübrigt sich das.


    Vielleicht sind ja jetzt einiges Sachen ein bisschen klarer geworden :zwinker: