Ich habe im Studium ein Märchenseminar belegt, in dem auch "die Verwandlung" behandelt wurde. Ich kann ja mal erzählen, was ich davon behalten habe (und von meinen eigenen Eindrücken):
Des fehlenden Happy Ends wegen wird das Buch auch oft als "Antimärchen" bezeichnet. Es hat märchenhafte Züge, gerade was die Verwandlung selbst angeht, allerdings sucht man hier vergeblich nach der Fee oder dem bösen Zauberer der daran Schuld ist. Die Quelle, so wird angenommen, ist Gregor selbst.
Er regt sich ja auch in keinem Moment wirklich darüber auf, dass er zum Käfer wurde. Man lese noch einmal die ersten Seiten: Er überlegt sich, ob er den Zug noch kiriegt, er wundert sich kein bisschen (was wiederum Märchencharakter hat: keine Verwunderung über das Wunder).
Nur die Verwandlung am Anfang ist also märchenhaft, alles was danach kommt findet sich mit dieser Tatsache zurecht und ist darin in höchstem Maße realistisch. Das Ganze ist aufgebaut, wie ein "was wäre wenn". D.h. Ich sage: Wenn eines morgens jemand aufwachte und feststellte, dass er sich in einen Käfer verwandelt habe, dann würde dies und das so weiter geschehen.
Dass es nicht gut ausgeht ist in der Tat deprimierend, aber genau das was Kafka damit wollte. Ich kenne viele Bücher, die mir nicht oder kaum im Gedächtnis geblieben wären, wenn sie glücklich ausgegangen wären (ich nenne jetzt keine Beispiele, da ich sonst womöglich noch was verrate, was jemand (noch) nicht wissen wollte...), ich wäre danach nicht so geschockt vor dem Buch gesessen und hätte es noch zehn Minuten lang angeglotzt. Und ich hätte auch nicht darüber nachgedacht, warum es so kommen musste.
In der Wahl des Käfers sehen viele einen Vergleich: Gregor ist ja zu Menschzeiten Vertreter von Beruf, er ordnet sich seinem Chef unter, begehrt nie auf, kriecht sozusagen allen in den Arsch, sowohl dem Chef als auch den Kunden.
Dann wiederum lässt er sich von seiner Familie regelrecht ausbeuten: wie sich nach der Verwandlung zeigt, können sie nämlich alle arbeiten und sind überhaupt nicht so unfähig, wie es zu Anfang schien. Früher waren SIE die Parasiten, jetzt ist es Gregor. Aber im Gegenteil zu ihm, der alles tat um sie am Leben zu halten richten sie ihn zugrunde.
In dem Sohn - Vater Verhältnis ist das Kafkas selbst wieder zu erkennen. Die beiden hatten ja nie einen guten Draht zueinander. In der Verwandlung ist der Vater der Unbarmherzigste von allen. Er bewirft seinen Sohn an einer Stelle mit Äpfeln, was ihn schwer verletzt, er nimmt keine Rücksicht darauf, dass Gregor ja gerade wieder in sein Zimmer kriechen will, aber nunmal nicht rückwärts gehen kann und deshalb so lange braucht.
Das mit dem Mann für die Tochter hat meine Prof so erklärt, dass sich die Familie zwar keinen nächsten Sohn sucht, aber wieder einen Mann für die Familie, den sie ausbeuten können, er soll also schon in gewisser Weise die Funktion Gregors übernehmen. Aber als einen Sohn werden sie ihn natürlich nie ansehen, so wie sie an sich auch Gregor nie als Sohn in dem Sinne angesehen haben, dass sie ihm Achtung entgegengebracht hätten oder ihn einfach nur geliebt hätten. Deshalb heißt es übrigens auch "einen braven Mann" (eine Formulierung, die mich zuerst vollkommen verwirrt hat, die sich so aber erklärt).
Wir haben in diesem Seminar noch viel mit Symboldeutung einzelner Gegenstände angefangen, was ich allerdings zum Großteil nicht mehr weiß, vor allem auch deshalb, weil das meiner Meinung nach so nicht stimmen kann. Man kann ja meinetwegen in der Violine der Schwester eine weibliche Form wiedererkennen und dann behaupten, Gregor fühle sich sexuell zu ihr hingezogen, man kann ja in den Äpflen die der Vater schmeißt die Frucht aus dem Garten Eden wiedererkennen und irgendwas von Sünde damit in Verbindung bringen. In meinen Augen ist das zu weit hergeholt. Zudem hat Kafka selbst einmal gesagt, dass er diese Art von Interpretation unsinnig findet. Wenn es so ist, dann wird er auch nicht mit dieser Hintergedanken geschrieben haben, somit erübrigt sich das.
Vielleicht sind ja jetzt einiges Sachen ein bisschen klarer geworden