Ich vermisse, dass Quilûn einen Prozess des Transfers der Macht einleitet.
Ich erinnere mich aus meinem Geschichtsunterricht an das Konzept der "Entwicklungsdiktatur". Die zugrundeliegende These ist, dass eine Demokratie, wie wir sie kennen, einige Grundlagen braucht: eine gewisse Bildung in der Bevölkerung (lesen, rechnen ...), eine stabile und signifikant große Mittelschicht (also Leute, die nicht mehr jeden Tag ums Überleben kämpfen müssen, sondern sich "luftigere Gedanken" leisten können), inneren Frieden, eine durchsetzungsfähige Exekutive ... Diese Voraussetzungen aufzubauen, kann eine oder zwei Generationen dauern. Nun ist die Frage, wie man mit Diktatoren umgehen soll, die genau das versuchen. Generell heißt man keine Diktaturen gut, aber wenn sie die (notwendige) Vorstufe zu einer Demokratie sind - was dann?
Quilun ist kein guter Führer, er war es nie und macht nun, was er denkt, gelernt zu haben.
Ein guter Mensch ist nicht immer auch ein guter Anführer. Übrigens auch eine Kernbotschaft aus George R. R. Martins "Ein Lied von Eis und Feuer".
Es ist ein negatives Menschenbild.
Er hat im Zuge der Romanreihe, vor allem in diesem dritten Band, einige Dinge erlebt und damit auch über die "einfachen Menschen" gelernt. Denkt an diejenigen, die den Baron gekocht haben. Oder die Frau mit der Holzhand, die die Glasfiguren zerstört hat. Sicher fußt sein Menschenbild zu einem erheblichen Teil auf diesen Erfahrungen.
Hat schon mal einer eine verbotene Tür nicht aufgemacht?
Auf jeden Fall: Das hängt von der Straferwartung ab (für wie wahrscheinlich halte ich es, erwischt zu werden? Wie gravierend ist die Strafe, die mir droht?) und von der individuellen Abenteuerlust.
Wenn an jeder Fußgängerampel eine Überwachungskamera hinge und man 100 Euro Strafe für das Überqueren bei Rot zahlen müsste, würde es niemand mehr machen ...
Aber hat er jemals wirkliche Milde erlebt außer vom toten Grafen?
Diese Art von Freiheit hat sich Graf Golar ganz sicher nicht gewünscht.
Ich finde, die Frage, ob Graf Golar seine Revolution in Gang gesetzt hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, was daraus wird, ist durchaus überlegenswert ... Vieles von dem, was er wollte, wurde erreicht - insbesondere die Entmachtung des Adels. Aber ist die Alternative besser?
Dass Quilûn nur vom Grafen Milde erfahren hätte, glaube ich aber nicht: Da sind ja noch seine Tante und auch Menschen wie Alita Blitzdorn.
Ich finde sie fast schlimmer als die vorherige.
Auch hier ist die entscheidende Frage: für wen? Es wird ja auch ausgesagt, dass niemand mehr hungern muss ...
Es ist alles geregelt und wird kontrolliert. Sogar wieviele Bauern, Zimmerleute usw. es geben darf.
Planwirtschaft in Perfektion.
Da erreicht man nur das Gegenteil von dem was man möchte.
Ist das so?
Der Adel ist entmachtet. Die Fehden sind zum Ende gekommen. Es mag eine Friedhofsruhe sein - aber die Menschen in den heutigen Bürgerkriegsgebieten hätten solch einen Zustand vielleicht gern im Vergleich zu der Gefahr, in der sie gegenwärtig leben ...
Ein ewiger Kreis um Macht.
Wir haben in dieser Leserunde schon diskutiert, dass Machtlosigkeit letztlich unbefriedigend ist: Man kann das Richtige erkennen und wollen, aber wenn man es nicht durchsetzen kann, ist man zum traurigen Beobachten verdammt. Macht ist die Voraussetzung, um gestalten zu können.
Aber in welcher Richtung möchte man gestalten? Da ist man schnell beim grundsätzlichen Gegensatz von Sicherheit und Freiheit ...
Elryk hat nie nach Macht gestrebt und ist eigentlich immer sich selbst treu geblieben.
In den Anarchisten Syndikaten rund um Michail Bakunin gab es die Ansicht, man müsse die gegenwärtige Gesellschaft vollkommen zerstören, das sei die Aufgabe der Revolutionäre. Sie könnten aber keinesfalls eine bessere Gesellschaft aufbauen, weil sie selbst durch das verdorbene System geprägt waren, in dem sie aufgewachsen waren. Eine neue Generation müsste aus den Trümmern wachsen und unbelastet von allem Vergangenen etwas Besseres aufbauen.
Vielleicht ist Erlyk diese neue Generation?
Er könnte eventuell überlegen, wie man eine Gesellschaft demokratisch aufbaut.
Eine vielleicht nicht unmögliche, aber schwierige Aufgabe. Nicht nur fehlen ihm selbst die Vorlagen dafür - er müsste auch jeden, den er von seinem Modell überzeugen wollte, bei Null abholen.
Aber wer weiß? Vielleicht hat er das Zeug dazu.
mir gefallen auch alle seine Bücher.
Insgesamt bin ich von der Trilogie begeistert. Sie gefällt mir sehr gut.
Ich finde dieses Ende genial