Beiträge von Desdemona

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Über den Autor:


    Jenny Erpenbeck wurde 1967 in eine Berliner Schriftstellerdynastie geboren. Ihre Großmutter Hedda Zinna schrieb Romane, ihr Großvater Fritz Erpenbeck war Krimiautor und gründete die Zeitschrift `Theater der Zeit`. Ihr Vater John Erpenbeck ist ein bekannter Physiker, Philosoph, Psychologe und Romanautor, und ihre Mutter Doris Kilias arbeitet als Übersetzerin. Nach einer Buchbinderlehre und Tätigkeiten als Requisiteuse und Ankleiderin an der Staatsoper Berlin studierte Jenny Erpenbeck in Berlin Theaterwissenschaften und Musiktheaterregie, u.a. bei Peter Konwitschny, Ruth Berghaus, Werner Herzog und Heiner Müller. Seit 1991 arbeitete sie zunächst als Regieassistentin und inszenierte danach Aufführungen für Oper und Musiktheater in Berlin und Graz. Sie lebt als freie Autorin und Regisseurin in Berlin.


    Weitere Informationen:
    Jenny Erpenbeck - Eintrag in der Wikipedia
    Jenny Erpenbeck - Eintrag bei perlentaucher.de
    Jenny Erpenbeck - Eintrag im Literaturport Berlin / Brandenburg



    Klappentext:


    Ein Stück Land und ein Haus an einem märkischen See: Zwölf Lebensgeschichten, durch den Ort miteinander verwoben und aneinander gespiegelt. Alle zusammen bilden eine Art kollektives literarisches Gedächtnis des letzten Jahrhunderts.


    "Jenny Erpenbeck hat einen Roman von enormer
    poetischer Kraft geschrieben. Sie erzählt von den kleinen
    Geschichten eines unscheinbares Ortes und spiegelt
    darin - ergreifend und faßbar - die große Geschichte."

    (Neue Zürcher Zeitung)



    Eigene Meinung:


    "Wo der neue Mensch anfangen soll, kann er nur aus dem alten wachsen."


    Ein Haus, errichtet in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, ist der Schauplatz von Erpenbecks Jahrhundert-Gemälde. Wir verfolgen und erleben die wenigen Besitzer dieses Hauses, lesen von Freude, von kindlichen Wünschen, von natürlicher Schönheit, aber auch von Trauer, Verfolgung, Tod. Der Gärtner, stumm und ohne viel Charakter, ist die einzige Konstante in dem Roman und im Leben des Hauses; er pflegt und bewässert das Stück Land, den Garten, kümmert sich um Arbeiten am und im Haus, je nach den Wünschen des Besitzers. Er besitzt keine Meinung, keine Gefühle, seine Gedanken und Ansichten werden nur bzw. mit Hilfe der Pflanzen und Tiere beschrieben; er wird geradezu charakterlos, blutleer, wie ein Gegenstand der zum Haus dazu gehört, egal zu welcher Zeit. Das Haus ist seine Heimat. Wie auch das der anderen elf Personen, Familien, Lebewesen. Unwichtig, ob sie sich auf der Durchreise, als Besetzer, als Inhaber, als kurzzeitige Nutzer betrachten, die Geschichte des Hauses ist immer mit ihnen verwoben, egal ob durch Geheimnisse, die erste gemeinsame Liebesnacht, eine geführte Ehe oder aber als Ort von Tod, Trauer, Besetzung und Angst.


    Das Haus ist gemütlich und schön, schrecklich und hässlich zugleich. Es ist Heimat, bzw. dient als Ort der "Heimsuchung", als Station auf vielen Lebenswegen, wo sie auch enden mögen. Egal, ob diese in der Gaskammer in Auschwitz enden oder aber im Altersheim. Egal, ob es als Selbstmord endet oder aber in dem Verlust einer geliebten Freundin. Dieses seltsame Haus mit den farbigen Fensterläden aus Milchglas im ersten Stock, mit dem Geheimversteck im hinteren Teil des Schranks, mit dem Bootshaus und den dazugehörigen linoleumgrünen Handtüchern bleibt immer der Rahmen der Handlung, wenn auch nicht immer präsent. Wie ein stiller Beobachter verfolgt man die Geschichten der Familie. Die des Architekten, der das Grundstück seiner Nachbarn kauft, die dieses finanzielle Hilfe benötigen, um auszuwandern. Die der kleinen Doris, ein Kind, gerade noch versteckt in einer Wohnung, die schließlich als "Untermensch" erschossen wird. Die der Zurückgekehrten, die schweigt, wenn Unrecht geschieht, aus Depression und Angst noch einmal Verachtung und Schmerz erfahren zu müssen.


    Trotz fast durchgängiger Namenslosigkeit der Figuren sind diese fassbar, ja geradezu offen und persönlich zu entdecken für den Leser. Man hat das Gefühl bei ihnen zu sein in den schwierigsten Stunden, in den schönsten Stunden genauso wie in den bedrückensten Stunden. Dieses Haus und somit auch der Roman entwickeln eine Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann. Dabei bleibt der Roman nicht bei einer Abfolge der Geschichten. Erpenbeck verwebt, dröselt auf, verbindet, überschichtet und stapelt sogar über- und nebeneinander die Geschichten der Figuren; somit erscheint dieser doch episodenhaft wirkende Roman als ein Porträt, ein Puzzle, welches nicht nur eine Abbildung der Verhältnisse, sondern auch der Perspektiven ist. Der Rotarmist, stationiert in Berlin, noch jung, unerfahren, gerade erst aufgestiegen, der die hilflos wirkende, etwas verrückte Hausbesitzerin in den Kriegszeiten des Jahres 1945 vergewaltigt; und daneben eben diese Frau, die nie wieder von diesem Erlebnis loskommen wird - beide sprechen über das Geschehen, dröseln es auf, werten ab und fühlen sich beide als Schuldige und Unschuldige einer Generation und der zeitlichen Umstände.


    Jenny Erpenbeck bleibt dabei in Sprache immer dicht am Geschehen, beinahe tiefenpsychologisch analysiert sie die Figuren, spielt mit ihnen, lässt sie sprechen und das mit einer poetischen Kraft, mit einem epischen Fluss, der einen nicht loslässt. Nicht nur mit den Figuren, auch mit der Sprach spielt sie. Mehrmals werden Sprach- und Stilebenen gewechselt - Szenenähnliche Elemente des Theaters eingeführt, Regieanweisungen wie in einem Drama eingearbeitet, genauso wie Gesprächsfetzen und Briefsegmente.


    Kritisierbar wäre, dass die Haltung der Autorin zu ihren Figuren sehr unterkühlt ist, schließlich verschwinden diese meist nach kurzer Zeit wieder, ohne Rücksicht auf deren "Leben" werden sie entsorgt, so sie denn ihre Rolle erfüllt haben. Doch wenn man bedenkt, dass dies die Geschichte eines Hauses, verwoben mit den Familien, nicht unbedingt immer um die Familien, sich handelt, wirkt diese "Versuchsanordnung" künstlerisch sehr stark, sehr lebendig und vor allem auch authentisch. Scheitern tut Erpenbeck nur, wenn sich um die Beschreibung intimster Momente handelt - die Vergewaltigung der Hausbesitzerin im Zweiten Weltkrieg wirkt geradezu plump, abstoßend, geradezu sprachlich ordinär. Die Liebe an sich scheint ihr nur Mittel zum Zweck, selten geht sie auf das Gefühl der Personen in diesen Momenten ein. Sie beschreibt sehr emotional das Innenleben der Figuren, wagt sich dabei aber nicht an Szenen heran, die auch für den Leser unangenehm sein können - vielleicht ist es eine starke Distanz, die sie mit der sprachlichen Veränderung in diesen Szenen erreichen möchte, allerdings wirkt das zu kalt, mit zu viel Distanz, mit zu viel Härte. Im entscheidenden Augenblick fühlen diese Figuren meistens nichts, bleiben Konstrukte in der Handlung, weniger handelnde Charaktere.


    Und doch bleibt von diesem Roman sehr viel Positives: Erpenbecks Sprache erweist sich als poetisch stark, kraftvoll und einfach wunderschön zu lesen. Sie weiß es, Geschichten miteinander zu verweben, Geschichten überhaupt zu erzählen und ihren Figuren einen Hintergrund zu geben, der den Leser dazu bringt mit ihm zu leben, zu lachen, zu weinen, zu trauern. Die meiste Zeit sind diese Figuren Begleiter, keine reinen Konstrukte der menschlichen Phantasie trotz ihrer Flüchtigkeit innerhalb der Handlung. Filigran arbeitet die Autorin Zeitebenen mit ein, ohne auf zeitliche Zusammenhänge direkt hinzuweisen. Es liest sich nicht wie ein Abfolge historischer Daten und der damit verbundenen Figuren, sondern wie eine Figur bzw. ein Lebewesen in dem Umfeld, zeitlich und lokal, agiert, wie es reagiert und denkt. Mittelpunkt dabei bleibt das Haus an einem märkischen See in Mecklemburg-Vorpommern.
    Ein sehr angenehm zu lesender, stilistisch sehr starker Roman.



    Bewertung:


    4ratten

    Eigene Meinung:


    Gottfried Kellers Novelle „Kleider machen Leute“ spiegelt eine heute noch moderne Art des Umgangs miteinander wieder. Alles besteht nur aus Schein und Sein, Macht und Schwäche, Geld und Schulden. Wer will nicht heute wie ein Popstar behandelt werden, der in großen Autos unterwegs ist, mit goldenen Gliedern behangen wird und nebenher mit der schönsten Frau liiert ist? Wer will nicht auch einmal in den Genuss dessen kommen, was unsere heutige Konsumgesellschaft demjenigen verspricht, der den finanziellen Hintergrund hat?


    „Dir wird alles gegeben, alles aufgetragen, nur entlohne uns auch brav dafür. Wenn du dies tust, ist dir unsere Freundschaft sicher!“ So oder ähnlich kann das Verhältnis zwischen Wenzel Strapinski, einem armen Schneider, umherziehend um eine neue Anstellung zu finden, und dessen neuen Kumpanen, angesehenen Geschäftsleuten aus Goldach und Seldwyla beschrieben werden. Sie sonnen sich in seinem Glanz, bereut ihm Treue zu schwören, um ihn genau dann diese Treue zu entsagen, wenn er sie nötig hat. Es geht nur um das, was man in der Hand halten kann, Geld z.B., und nicht um Gefühle. Auch Nettchen, die „betrogene Braut“ wendet sich, wenn auch nur kurz, ab nach der „verhängnisvollen Offenbarung“, um ihn nachzureisen, ihn zu beleben und zu heiraten.


    Und so ist die Thematik der 1866 erstmals erschienen Novelle des Schweizer Autors Gottfried Keller aktueller und moderner denn je. Und doch, die Aufbereitung dieses Stoffes bleibt dröge, bleibt starr, nur oberflächlich emotional und ohne jede Form von Tiefe. Die Charaktere wirken allesamt blutleer, Strapinski in seinem Handeln moralisch fragwürdig, aber Identifikationsmöglichkeiten bietet er denn noch nicht, ist doch dem Leser nicht immer klar, warum er trotz seiner so groß empfundenen Schande nicht das Weite sucht. Ausgeschaltet wird der vermeintliche Graf von seinem Nebenbuhler, seine Braut haben wollend, die ihm jedoch trotz seiner „persönlichen Schande“ folgt und trotz des androhenden sozialen Abstiegs bei ihm bleibt. Kein Klischee lässt Keller aus, oder vielleicht bildet die Geschichte sogar den neuen Stoff, den sich heute zahlreiche Nackenbeißer und Groschenromane gewidmet haben – Die Geschichte eines Paares, welches nur durch Zufall zusammen findet, trotz ständischer, sozialer und finanzieller Unterschiede, sogar den eigentlich besseren Kandidaten als Heiratspartner ablehnend und somit sogar eine soziale Ächtung in Kauf nehmend.


    Die Frage nach dem Realitätsgehalt dieser Geschichte stellt meiner einer nicht, ist Literatur doch nicht immer ein Abbild der Wirklichkeit, sondern nur eine Imagination einer scheinbaren Wirklichkeit und doch bleibt die Geschichte, auch in ihrer sprachlichen Ausführung, zweifelhaft. Keller umschreibt die Welt der Natur, lässt uns teilhaben an dem Leben in der kleinen Stadt Goldach, an dem Leben der Bauers- und Handwerksleute, aber er lässt uns nicht teilhaben an den Intentionen, den Emotionen, den Gedanken seiner Figuren, die Ausgangspunkt wären für eine „logische“ Handlung. Er bietet Naturbilder, Städtebilder, aber keine Menschenbilder, die für die Handlung wichtig wären. Wie Pappkameraden wirken seine Figuren – jederzeit umwerfbar, jederzeit austauschbar. Identifikationsmöglichkeiten oder auch nur das Gefühl die Figur zu verstehen sind nicht gegeben.


    Und so bleibt am Ende eine Novelle, die einen gute Diskussionsmöglichkeit bieten würde, wäre nicht die Umsetzung dieses Stoffes zweifelhaft, unlogisch, kurzum nicht den ästhetischen Maßstäben meiner Wenigkeit entsprechend. Es bleibt eine brave, leicht überromantische Geschichte ohne viel Form und Gehalt.



    Bewertung:


    2ratten

    Eigene Meinung:


    Bahnwärter Thiel ist ein gewissenhafter, wortkarger, arbeitsamer Mensch. Er ernährt seine kleine Familie, seine neue Frau Helene, deren Neugeborenes und seinen Sohn aus erster Ehe, Tobias, in dem er Schranken bedient; die meiste Zeit verbringt er dennoch allein, abgeschieden in einem Forst in seinem Wärterhäuschen. Dort baut er sich, mit Gebet- und Gesangsbuch eine Traumwelt auf, in der er seiner ersten Frau Minna begegnet, ein kleines, eher zurückhaltendes Fräulein, gestorben im Kindbett, ihren Sohn zurücklassend mit dem Versprechen ihn gut zu versorgen und immer auf ihn Acht zu geben. Seine neue Ehefrau ist herrisch, egoistisch und verdiene in den Augen der anderen Männer eine „ständige Prügel“. Lene lässt ihn schuften, misshandelt ihn, demütigt ihn – und Herr Thiel reagiert nicht darauf, selbst als er mit der Gewalt konfrontiert wird. Er geht in dem entscheidenden Moment; er wird es schwer bereuen.


    Im Anbetracht der Fülle an Medienberichten über Familiendramen bekommt die 1887 erstmals erschiene novellistische Studie von Gerhard Hauptmann eine ganz andere Möglichkeit hinzu, wie man dieses Werk interpretieren kann.


    Thiel wird als ruhiger, kräftiger, aber nicht sonderlich intelligenter Protagonist beschrieben; er lebt in einer Traumwelt, er vernimmt Halluzinationen seiner verstorbenen Frau, mit der er eine „geistige Liebe“ verbindet. Seine neue Frau, weniger kränklich, kräftig, herrisch ist die Inkarnation einer auf Triebe ausgerichteten Sexualität. Er ist nicht Herr seines Schicksals, immer abhängig von anderen Gegebenheiten, immer passiv in seiner Rolle versteht er sich niemals mehr als der Ernährer seiner Familie, auch nicht als Retter von Tobias. Er ist gefangen in seinem Schema aus Arbeit, aus Vererbung, seiner sozialen Rolle, seinem Können, seiner begrenzten psychischen Leistung. Und so ist seine Rolle als `Beender´ des Ganzen von vornherein programmiert.


    In dieser als Novelle angelegten Handlung lassen sich die Merkmale des Naturalismus gut herausarbeiten. Der Protagonist ist ein Antiheld, in einer sozial niedrigen Stellung arbeitend. Das Elend tritt dabei immer wieder in den Vordergrund, Lene erinnert ihn immer wieder daran, dass sie „teure Kartoffeln“ kaufen müssen, mit der Intention, dass das Geld nicht ausreicht, um ein Stück Land zu kaufen. Auch wird Lene als besonders „gute Wirtschafterin“ beschrieben, eine ihrer wenigen guten Eigenschaften. Sie repräsentiert das Proletariat –arbeitsam, aber auch zänkisch und primitiv. Hauptmann wertet wenig, er stellt den Menschen als ein Produkt seiner eigenen Biografie dar, als Produkt seines Standes, seiner Erziehung und seiner gesellschaftlichen Möglichkeiten. Nicht nur die psychologischen, auch die lokalen Gegebenheiten, die zeitlichen Gegebenheiten und auch die modalen Gegebenheiten werden bis ins kleinste Detail, wenn auch nur auf wesentliche Szenen beschränkt geschildert. Als bestes Beispiel kann hier der Einstieg gewertet werden, der die Geschichte lokal zwischen Neu-Schornstein und Neu-Zittau in einem Forst eingrenzt.


    Anti-naturalistisch nennt es Wikipedia, ich nenne es eine Studie, die noch nicht formvollendet naturalistisch ist. Sie beinhaltet viele Metaphoriken, viele Symbole (Zug ist ein Symbol z.B., sowohl für die Arbeitsstelle Thiels als auch als Austragungsort des Schrecklichen); auch verwendet er keine dialektalen Einflüsse, die Sprache wirkt zum Spätwerk „Der Biberpelz“ eher glatt, noch sehr konstruiert und künstlich.


    Als Novelle ist diese Geschichte klassisch aufgebaut – Sie endet mit einer „unerhörten Begebenheit“ und weißt einen ähnlich stark ansteigenden Spannungsbogen wie ein Drama auf. Man spürt das Ansteigen der Geschichte; man merkt, diese „Idylle“ (Es war keine Idylle, aber im Gegensatz zum Ende der Geschichte wirkt das Vorherige wie Geplänkel) kann nicht halten, wird irgendwann aufbrechen und es tut sie auch und zwar so grausam, dass meiner einer erheblich schlucken musste nach der Beendigung der Lektüre.


    Der Autor hat eine sehr schön lesbare, flüssige Sprache. Er unterstreicht das Geschehen mit vielen Gedanken, vielen Stilelementen auf verschiedenen Ebenen. Die Geschichte des Bahnwärter Thiel könnte einen Auftakt bilden zu einem Diskurs darüber, was Familiendramen für einen Hintergrund haben, wodurch sie ausgelöst werden, auch eine Täterperspektive abbilden, auch wenn eine Diskussion möglich wäre, wer hier Opfer und wer Täter ist. Alles ist mehr Schein und Sein, alles hat zwei Seiten und eine oberflächliche Betrachtung dieses Werkes als „bloßes Buch“ würde aufgrund der Thematik nicht standhalten.


    Natürlich kann man es auch als Unterhaltungsliteratur betrachten, oder aber als psychologische Studie, auf jeden Fall lohnt sich ein Blick in diese gerade einmal 40 Seiten lange novellistische Studie; mich hat sie nicht mehr losgelassen.



    Bewertung:


    5ratten

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Über den Autor:


    Michael Köhlmeier, geboren 1949, wuchs in Hohenems/Vorarlberg auf, wo er auch heute lebt. Für sein Werk wurde der österreichische Bestsellerautor unter anderem mit dem Manes-Sperber-Preis, dem Anton-Wildgans-Preis und dem Grimmelshausen-Preis ausgezeichnet.


    Mehr Informationen:
    Michael Köhlmeier - Eintrag in der Wikipedia
    Michael Köhlmeier - Eintrag bei perlentaucher.de
    Michael Köhlmeier - Interview zu "Abendland" mit der FAZ



    Klappentext:


    "Ich befand mich in einer Situation, in der alles
    wesentlich war, weil ich alles um mich herum
    wahrnahm, als wäre es zum letzten Mal."


    Michael Köhlmeier kann, was viele nicht können: in einer ganz kleinen Geschichte eine ganz große erzählen.



    Meine Meinung:


    Zwei Männer gehen am Rhein spazieren. Der eine Schriftsteller, der andere Lektor.
    Sie sehen einen Hund, der im Eis einbricht; der Lektor, Dr. Beer, versucht die Feuerwehr zu verständigen, während der Schriftsteller sich aufs Eis wagt, den Hund festhält, ihn zum Leben ermutigt.
    Diese scheinbare "alltägliche" Beschreibung eines Wochenendausfluges, eines Spaziergangs im kalten Winter eines unbenannten Jahres, wird zum Dialog des Autors. Nicht zuletzt über die Literatur, über Musik und Philosophie wird die eigentliche Thematik angesprochen: den Verlust der Tochter des Protagonisten, nämlich Köhlmeier selbst. Paula ist gestorben bei einem Spaziergang; ihre Freundin erlitt nur leichte Verletzungen, sie starb. Und doch, nach wie vor ist sie ein präsenter Teil dieser Familie; weder Monika, die Frau und Mutter, noch Michael, Vater und Ehemann, können sie gehen lassen. Ihr Zimmer, nach wie vor ihr Refugium, ihre Bilder, Erinnerungen an sie werden lebendig gehalten, wiederholt, geradezu akribisch eingearbeitet. Köhlmeier sieht sich nicht in Stande über den Tod seines Kindes hinweg zu kommen; er versucht über sie zu sprechen, direkt und persönlich mit Dr. Beer, schafft es aber nicht die schrecklichen Ereignisse wiederzubeleben. Sein Weg führt immer über die Literatur, in der er fiktive Gesprächssituationen skizziert:


    "Wie kann ich über den Tod unserer Tochter schreiben?"
    "Willst du denn darüber schreiben?"
    "Das möchte ich, ja."
    "Ich denke, ich weiß, wo das Problem liegt. Du bist dir nicht sicher, ob du Literatur machen willst oder bloße Erinnerung, hab ich recht?"
    "Ich will, dass sie bei mir ist. Und ich habe die Hoffnung, dass sie näher bei mir ist, wenn ich über sie schreibe."


    Köhlmeier bewahrt bei aller Nähe zur eigenen Erinnerung, zur eigenen Historie immer wieder eine reflektierende Distanz zum Leser. Er will nicht sentimentalisieren, dramatisieren, schon gar kein Mitleid erzeugen. Seine einzige Möglichkeit der Verarbeitung der Themata sieht er in der Literatur, in der Musik, nicht in der Ruhe des Schlafes oder der Entspannung. Gefühle werden nicht oder nur selten direkt angesprochen und ausgedrückt, mehr wird über Autoren und Romane als Symbole dieser Emotionen gesprochen. So z.B. zieht er einen Vergleich zum Protagonisten des Grillparzer'schen Romans "Der Traum ein Leben" Rustan, der vom Sklaven Zanga dazu verleitet wird, in seiner Naivität, seine Träume von Abenteuer und Ferne zu verwirklichen; Köhlmeier erkennt die Aussichtslosigkeit seiner Träume, so er sich doch danach sehnt von seiner Tochter zu träumen, um ihre Nähe noch einmal genießen zu können. Die Literatur ist für ihn Lebenselixier, Mittel für Distanz und näher zum Thema zugleich. So sinniert er:


    "Ich glaube an die Literatur, (...), sonst hätte ich mein Leben verfehlt..."


    Abgesehen von den offensichtlichen literarischen Beispielen, veranschaulicht er dieses gewählte literarische Leben durch zahlreiche Metaphoriken und Symbole: Der schwarze Hund, altes mythisches Symbol für den Tod (Man denke an den Höllenhund Cerberus); Dantes Inferno, der Zöllner, der den Weg bereitet (Dante Aligheris "Commedia"), Lears Narr, als welcher sich Dr. Beer sieht (Shakespeares "König Lear").


    Köhlmeier nährt sich auf vielen Wegen dem Thema Tod, der Verarbeitung und Verdrängung dieses Themas. Natürlich könnte er den Hund loslassen, weder kann er den Tod, dem Sterben dieses Tieres zusehen noch kann er verarbeiten, warum er diesem armen, vielleicht sogar undankbar wirkenden Tier helfen. Er schafft eine reflektierende Distanz zum Leser, arbeitet nur sehr indirekt dieses Thema aus und setzt die Pointe erst kurz vor Tore Schluss. Auf mich wirkt das zu distanziert, zu unpersönlich. Mehrmals wechselt er die Perspektive, sieht sich selbst nicht im Stande klar über Paula zu sprechen und schafft so eine unüberwindbare Distanz zum Leser. Das Alltägliche nimmt stark Überhand, Unwesentliches wird nicht vom Wesentlichen getrennt. Man verliert sich in Details, in den Gedanken Köhlmeiers; sein Anliegen mit diesen Werk begründet er nicht, stellt er nicht dar, veranschaulicht er nicht. Er zieht sich am Ende zurück vom Leser, lässt ihn alleine, versteht nicht ganz worauf er hinaus will. Zu viele Fragen bleiben ungeklärt, zu viele Gedanken und Gefühle unausgesprochen.


    "Eigentlich entzieht sich dieses Buch jeder Bewertung. Doch viele Leser dürften es desinteressiert zur Seite legen, bevor sich der tragische Hintergrund enthüllt.", mit diesen Worten hat die BÜCHER in ihrer vorletzten Ausgabe die Bewertung von zwei (von fünf) Sternen begründet. Ich möchte mich zu einem gewissen Teil dieser Meinung anschließen, wenn auch mit der Einschränkung, dass der Autor sehr wohl einen Stil hat, der einen fesselt. Schnörkellos, mit vielen gedanklichen Ideen, vielen interessanten Gesprächssituationen, auch ein paar ironischen Bemerkungen hält er das Interesse des Lesers, erst ab Seite 50, spätestens 60 fragt man sich, auf was er eigentlich hinaus will.
    Sprachlich bleibt das Buch sehr ruhig, sehr flüssig, unaufdringlich und erhaben. Er belässt sehr viel (zu viel) Platz für offene Gedanken und Gefühle, nimmt sich aber sehr stark raus aus der Geschichte. Das Ganze wirkt so fast ein wenig unemotional emotional - Man spürt die starke Melancholie, die große Traurigkeit, weiß sie aber nicht einzuordnen. Man spürt sehr viel Trauer, sehr viel Anspannung im Protagonisten Köhlmeier, weiß dies aber bis zur letzten Seite nicht einzuordnen; er bezieht zu selten Stellung, zu selten sieht man den Menschen Köhlmeier, nicht das Konstrukt Köhlmeier als Protagonisten eines Romans.


    Der Roman, vielleicht sogar eher Novelle, bleibt er ruhig, unaufgeregt, im festen Rahmen.
    "Ganz nett" war mein Kommentar nach der Lektüre, dabei ist es im Zuge des Diskutierens und Rezensierens des Romans auch geblieben.




    Bewertung


    3ratten

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Über den Autor:


    Mitchell David Albom (* 23. Mai 1958 in Trenton, New Jersey, USA) ist ein US-amerikanischer Autor, Sportjournalist für die Detroit Free Press, Radiomoderator und Fernsehkommentator.


    Albom schrieb den in Amerika sehr erfolgreichen Roman Dienstags bei Morrie (1998). Das Buch verkaufte sich außergewöhnlich gut, nachdem es von Oprah Winfrey in Oprah's Book Club vorgestellt worden war. Die Fernsehverfilmung mit Hank Azaria und Jack Lemmon war der meistgesehene Fernsehfilm 1999 in den USA und erhielt vier Emmies.


    Sein Roman Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen (2005) war ebenfalls ein New York Times Bestseller, den die Kritiker allerdings als zu sentimental verrissen haben. Auch dieser Roman wurde für das US-Fernsehen verfilmt mit Jon Voight, Ellen Burstyn, Michael Imperioli und Jeff Daniels. Sein neuer Roman heißt Nur einen Tag noch (2006).


    Nach seinen Erfahrungen mit Morrie Schwartz startete er eine Hilfsorganisation mit dem Namen "A Time to Help". Jeden Monat führt die Gruppe ein Projekt durch, welches der Detroiter Bevölkerung hilft. Es wurden bisher Hilfsprojekte für Obdachlosenunterkünfte, Suppenküchen, Altenheimen und Waisenheime durchgeführt. Albom und sein Radiokomoderator Ken Brown führen die Projekte an und versuchen "A Time to Help" als Katalysator für mehr freiwilliges Engagement zu nutzen.


    Weitere Informationen:
    Mitch Albom - Eintrag bei Wikipedia.de
    Mitch Albom - Homepage (Englisch)



    Klappentext:


    An seinem 83. Geburtstag kommt Eddie bei einem Unfall ums Leben. Es scheint das tragische Ende eines bedeutungslosen Daseins. Doch im Jenseits begegnet er fünf Menschen, die in seinem Leben eine entscheidende Rolle gespielt haben. Anhand ihrer Erzählungen offenbaren sie Eddie Zusammenhänge in seinem Schicksal, die ihm bislang verborgen waren. Sie lehren ihn, sich mit seiner Vergangenheit zu versöhnen und zeigen ihm den verborgenen Sinn in einem nur scheinbar bedeutungslosen Sein.


    Ein philosophischer, poetischer Roman voller Wärme
    über die Magie des Lebens und der Liebe.


    "Effektvoll, gefühlvoll und ohne Scheu vor Pathos."
    (Brigitte)


    "Dieses Buch ist ein Geschenk für die Seele!"
    (Amy Tan)



    Eigene Meinung:


    Geradezu tröstlich sei seine Vorstellung eines Himmels, in dem der Delinquent auf fünf Personen trifft, die ihn Lektionen erteilen, Aufgaben und Fragen mitgeben, damit er durch Selbsterkenntnis, Buße und Gebet den Seelenfrieden findet, so erläuterten mehrere Rezensenten des 2003 erschienen Romans. Seelenfrieden, Gebet und Reue, Ruhe und Stille, Frieden nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit seiner Vergangenheit, seiner Familie, mit Gott. Der Protagonist Eddie, 83-jährig bei einem Unfall verstorben, hat eine bewegte Vergangenheit - Kriegsheimkehrer, Probleme mit dem Status gegenüber dem Vater und dem eigenen Bruder, Ehemann einer später todkranken Frau. Wiedergutmachung will er leisten in seinem Leben, und so arbeitet er in der Position, in der auch schon sein Vater gearbeitet hat. Was er sich gewünscht hätte?
    Nicht in dem Vergnügungspark arbeiten zu müssen, in dem sein Vater gearbeitet hat. Einen Sohn. Keine Vergangenheit wie die seine zu haben. Und doch scheint das die Lektion zu sein, die er im Himmel lernen soll, dirigiert durch fünf Personen, mit deren Leben er unweigerlich verbunden ist. Kennen muss er diese Personen nicht, eine Verknüpfung besteht dennoch mit ihnen. Warum? Der Autor formuliert es so: Nur im Kollektiv ist der Mensch ein überlebensfähiges, glückliches Wesen. Ergo, nur in der Gemeinschaft anderer Menschen fühlen wir uns geborgen und glücklich. Unsere Entscheidungen, egal ob alleine getroffen oder in der Gruppe, sind der Grundstein für Entscheidungen der kommenden Generationen. So schließt sich der (Teufels-)Kreis.


    Dieser Gedanke soll tröstlich wirken und doch... bleibt es eine Frage der Ideologie, der eigenen Werte und Ideale das Albom'sche Bild des Himmels anzuerkennen. Opferbereitschaft, Selbstlosigkeit und gemeinsames Gebet, gemeinsamer Glaube sind die Schlagworte, an die der Autor als Werte einer Gemeinschaft appelliert. Vielleicht zu unchristlich, vielleicht aber auch zu egoistisch schätze ich mich ein dieses Bild anzuerkennen. Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit fordert der Autor für ein höheres Ziel - nur welches soll das sein? Ist es ein Ideal wert alles aufzugeben? Ist es eine Gemeinschaft wert den eigenen Individualismus aufzugeben, eigene Wünsche und Ideen abzulegen, wenn sie nicht mit den Leitideen einer Gruppe kombinierbar sind? Was geschieht mit Menschen, die nicht bereit sind Opfer zu bringen?
    Das Buch wirkt wie ein beliebiger Ratgeber oder aber ein Katechismus - Finde eine Aufgabe im Leben, damit du zur Gesellschaft etwas beiträgst! Du musst vergeben können, um Frieden zu finden! Es gibt nur zwei passende Arten der Liebe auf Erden, und dass ist die Liebe zu einer Frau und zu Gott!
    Was ist mit Menschen, die an ihnen begangenes Leid (Misshandlung, Missbrauch, psychische Gewalt) nicht vergeben können? Was ist mit Menschen, die keine Aufgabe im Leben finden oder vielleicht eine haben, die nicht als solche von der Gesellschaft anerkannt ist? Was ist mit Menschen, die nicht glauben können oder wollen?


    Ein ganzer Fragenkatalog hat sich für mich bei der Lektüre ergeben und vor allem die Frage nach dem Sinn einer Belehrung nach dem Tod? Welchen Erfolg bringt es dem bereits verstorbenen Protagonisten die wahren Hintergründe zu kennen? Zu verstehen, warum "sein Gestern" so und nicht anders verlaufen ist? Er hat kaum eine Chance der Veränderung, es sei denn der geneigte Leser glaubt an die Reinkarnation. Und von daher hat für mich dieser Himmel nicht etwas tröstliches, sondern eher hoffnungsloses. Ich kann das Geschehene nicht verändern, werde aber noch einmal mit den vielleicht besten Situationen meines Lebens konfrontiert, die ich so nicht mehr verändern, verbessern oder neu konzeptionieren kann. Dieser Lernprozess der Wahrheit mag zwar hilfreich für das eigene Seelenheil mancher Menschen sein, für mich hat er etwas sehr Grausames, sehr Hartes, sehr Boshaftes.


    Allerdings habe ich nicht nur ein ideologisches Problem mit diesem Roman, sondern auch ein stilistisches. Beim Einstieg dachte ich, der Autor bzw. der Protagonist redet mit einem Kind, dem er die Welt erklären will. Der Ton wirkt geradezu belehrend, schulmeisterlich und man fühlt sich permanent Gedanken ausgesetzt, die weder vom Protagonisten noch vom Leser hinterfragt noch beschrieben werden wollen bzw. dürfen bzw. können. Die Atmosphäre ist geradezu starr und dicht; wenige Beschreibungen finden sich in der Geschichte. Wir befinden uns auf fremden Terrain und werden vom Autor eigentlich eiskalt stehen gelassen - ein paar Farbspiele, ein paar kurze Umschreibungen und mehr wird hier nicht geboten, was noch einmal den Eindruck verstärkt, dass hier eine Ideenlehre vertreten werden soll, bei der die Geschichte um Eddie nur den dürftigen Rahmen geben soll.


    Der Roman wirkt auf mich sehr hart, sehr belehrend, der Protagonist dazu geradezu blutleer und kalt, so als wären die Figuren an sich nur Spielfiguren, um die Ideologie um Glauben und Selbsterkenntnis zur Findung des Seelenheils des Autoren zu verdeutlichen. Hat sich zwar flüssig und schnell lesen lassen, allerdings wirken die Ideen zum einen fragwürdig, zum anderen ist die schriftstellerische Aufbereitung insgesamt wenig überzeugend. Bei Phrasendrescherei ist es geblieben.



    Bewertung:


    1ratten

    Über den Autor:


    Alan Bennett, 1934 in Leeds geboren, wurde bekannt durch seine TV Comedy-Revue "Beyond the Fringe" sowie durch die 1987 unter dem Titel "Talking Heads" von der BBC gesendeten Monologe. Neben zahlreichen Theaterstücken - unter anderem eine Theaterfassung des englischen Kinderbuchklassikers "Der Wind in den Weiden" - und seinen Arbeiten für Fernsehen und Rundfunk schreibt Bennett seit Mitte der neunziger Jahre auch Prosa.


    Weitere Informationen:
    Alan Bennett - Eintrag bei Wikipedia
    Alan Bennett - Eintrag bei perlentaucher.de
    Alan Bennett - Steckbrief bei "Museum of Broadcast Communications" (Englisch)



    Klappentext:


    Wer hätte gedacht, dass eine Liebeserklärung an die Queen und die Literatur so gut zusammenpassen? Die Hunde sind schuld. Beim Spaziergang mit der Queen rennen sie los, um den allwöchentlich in einem der Palasthöfe parkenden Bücherbus der Bezirksbibliothek anzukläffen. Ma'am ist zu gut erzogen, um sich nicht bei dem Bibliothekar zu entschuldigen, leiht sich ebenfalls aus Höflichkeit ein Buch aus - und kommt auf den Geschmack.


    Die Auswirkungen der majestätischen Leselust sind unvorhersehbar, die Grundfeste des Buckingham Palace werden jedenfalls gehörig durcheinander gewirbelt und für den Leser bleibt kein Auge trocken.


    (entnommen von Amazon.de)



    Meine Meinung:


    Die Hunde haben die Schuld. Beim Spaziergang durch den Park des Buckingham Palace entdeckt die Queen einen "Bücherwagen" der örtlichen Bibliothek. Pflichtbewusst wie sie ist, ohne den Bibliothekar beschämen zu wollen, leiht sie sich ein Buch aus. Queen Elizabeth stellt sehr schnell fest, dass sie es mit sehr zäher, trockener Kost zu tun hat, bringt das Buch zwar gelesen, aber nicht genossen, zurück. So geschehen auch mit der zweiten und dritten Lektüre. Bis Norman, ein Küchenjunge, Fan von Autoren der homosexuellen Szene, sie langsam an das "richtige", nämlich unterhaltende, spannungsreiche und neue "Lesen" heranbringt. Die Erfahrung, dass Bücher einen vollkommen andere Welten eröffnen, vollkommen neue Charaktere erschließen lassen, macht sie bei der Lektüre von Kilvert und Carol, genauso wie bei Wilde und McEwan. Langsam entwickelt sie Empathie für ihre Mitmenschen, entwickelt eigene Gedanken zu dem Gelesenen, notiert sich Szenen, Sequenzen, Zitate, versieht sie mit eigenen Notizen, Kommentaren und Fragen. Geradezu obsessiv beschäftigt sie sich mit ihrem neuen Hobby - Die Paradekutsche verspätet sich regelmäßig, ihre Kleidung gebraucht sie mehrmals, auf Spaziergängen mit den Hunden ist sie kaum mehr anzutreffen und wenn nur mit Buch in der Handtasche oder in den Händen. Gespräche mit Ministern anderer Länder laufen nicht mehr nach geltenden Konventionen ab; nicht mehr das Wetter oder die Anfahrt ist das Thema zwanglosen Smalltalks, sondern Lieblingslektüren, Skandalautoren und Buch-Neuerscheinungen. Logischerweise bleibt diese Obsession, dieses Hobby nicht ohne Befürworter oder Feinde. Gerade im engsten Beraterkreis brodelt es, bricht die Queen doch palastinterne Regeln und Maßnahmen, die nicht nur ihr sondern auch ihren Mitmenschen das Leben erleichtern sollen. Und auch ihr neuer Lesegehilfe, Norman, ist kein gern gesehener Gast. Und doch setzt sie sich durch, über alle Schranken hinweg, bricht aus gegebenen Regeln aus, auf ihre Art und Weise, ohne Aufsehen zu erregen. Dies tut sie erst, als in ihr ein Plan reift nicht nur zu lesen, sondern durch dieses Lesen auch etwas voranzutreiben, fortzuschreiten, etwas zu verändern.


    "Ein großes Lesevergnügen" prophezeite Frau Heidenreich und das war es auch wirklich. Mit viel schwarzem Humor, immer einen Augenzwinkern beim Schreiben, liest sich diese kleine Hommage an das Lesen sehr flüssig, sehr locker und vor allem sehr witzig. Man kommt nicht umhin zu lachen, wenn Frau Königin den französischen Präsidenten nicht wie vorgesehen nach der Anreise fragt, sondern was er von einem Skandalautor des 19.Jahrhunderts weiß. Man fiebert mit, wenn Norman aus dem Umfeld der Queen "entfernt" wird, ausgestoßen aus dem Kreis der Dienerschaft, die alles andere als Vorteile in der Lektüre ihrer Königlichen Hoheit sehen. Und hält schließlich den Atem an, wenn sie am Ende das verkündet, was aus ihrem Lesen und Schaffen resultiert.


    Eine spannende, viel zu kurze Lektüre eines so guten, humorvollen Buches, welches einen mit viel Vergnügen einen Nachmittag lang begleitet. Witzig, kurzweilig, einfach eine kleine, wunderbare Geschichte aus dem Hause der Windsors.



    Bewertung:


    5ratten und somit ein :tipp:

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links



    Über den Autor:


    Jay Basu ist der Sohn eines indischen Vaters und einer polnischen Mutter mit russischen und deutschen Vorfahren. Er hat in Cambridge studiert und lebt in London. Sein erster Roman "Die Sterne können warten" wurde (nach Verlagsangaben) ein internationaler Bucherfolg.


    Weitere Informationen:
    Buchwurm.info
    Random House (Englisch)



    Klappentext:


    Nachts schleicht Gracian sich auf eine Lichtung im Wald, um die Sterne zu beobachten, und riskiert damit täglich sein Leben. In einer wunderschönen, zugleich klaren und lyrischen Sprache erzählt Jay Basu vom Überlebenskampf einer Familie.


    "Poetisch und Kraftvoll"
    (Allegra)


    "Jay Basu schreibt mit einer Wahrhaftigkeit,
    die zu Herzen geht."

    (Publishers Weekly)


    "Danke, Jay Basu. Endlich ein Roman, der
    tiefsinnig, aber nicht hochgestochen ist.
    Ein Buch, das man bis zur letzten Zeile nicht
    mehr aus der Hand legt."

    (AMICA)



    Meine Meinung:


    Gracian liebt die Sterne. Heimlich schleicht er sich bei Nacht und Nebel aus dem haus, um von einer einsamen kleinen Waldlichtung aus, nach einem alten Lexikon, Sternbilder zu finden, sie zuzuordnen, sie zu zählen, sie zu betrachten. Sie sind für ihn ferne Objekte; streifen vorbei, gehen vorbei, werden nicht in ihren Handlungen gestört, behindert oder verraten. Sie leben nicht gefährlich, Gracian tut es. Er verstößt gegen jede Vorsichtsmaßnahme in diesen unruhigen Zeiten. Malénkovize, ein fiktives Dorf in Oberschlesien, steht unter deutscher Besatzung. Wir schreiben das Jahr 1940. Irgendwie wird man schon durch die Besatzungszeit kommen, sagen sich Mutter, Schwester und deren Ehemann. Sie alle stehen hilflos den Entwicklungen gegenüber, halten sich zurück, stehen hilflos daneben und agieren doch nicht als blinde Mitläufer eines falschen Systems.
    Der Vater - tot. Die Mutter - das Bindeglied dieser Familie, immer besorgt, immer dabei ihre Familie zu versorgen und zu ernähren, mit absoluter Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft lebt sie für ihre Familie. Ihre Kinder - Francziska, die zu ihren Geschwistern hält, selbst zu Pawel. Pawel, der große Bruder, ein ewiger Rebell, der sich den Partisanen anschließt, und dafür wird bezahlen müssen. Und Gracian. Gracian, der mit 15 in den Minen des Ortes arbeitet, um den Unterhalt der Familie zu sichern, dessen einziges Hobby die Sterne sind.


    Wie ein kleines Panorama fokussiert der Autor die Geschichte des besetzten Oberschlesiens um diese Familie. Hin und her gerissen zwischen den Kulturen, zwischen den Traditionen und Bräuchen. Weder sind sie Polen, schon gar keine Deutschen aber auch keine Schlesier - Schlesien existiert nicht mehr. In diesem Zeitraum der Identitätssuche steht die Brüder-Beziehung zwischen Pawel und Gracian für den unterschiedlichen Entscheidungsgang eines Volkes. Rebellion oder Fatalismus? Aufstehen oder Buckeln, um die Familie zu erhalten? Eine starke Dramatik, eine Melancholie und Düsternis liegt von Anfang an über dieser Familie und dieser Geschichte, die atmosphärisch sehr beklemmend auf den Leser wirkt. Eine große Traurigkeit, viel Pessimismus und Fatalismus liegt in dieser Geschichte, genauso wie wenig Hoffnung auf Veränderung, Optimismus oder Freude. Es sind nur kleine Momente, die einen Lichtblick (im wahrsten Sinne des Wortes darstellen), nämlich wenn Gracian die Sterne anblickt, die Sternbilder erkennt, und damit auch die Ruhe und Trauer des Waldes, der an sein Elternhaus grenzt.


    Atmosphärisch sehr dicht, handwerklich geschliffen und klar ist dieser Roman nach meiner Auffassung nicht. Zu sehr verliert sich der Autor in Beschreibungen, zu sehr erscheint er mit Nebensächlichkeiten, Alltagsgeschichten beschäftigt. Er kommt nicht zum Punkt, setzt wenige Akzente. Zumal die Auswahl der Situationen, die er detailgetreu darstellt, sehr wahllos und willkürlich erscheint. Er beschreibt das Schließen eines Fensters, das Schälen eines Apfels, aber nicht die (wahrscheinlich) sehr erdrückenden, dunklen Erfahrungen des Minenarbeiters Gracian. Er dokumentiert das Stillen eines Kindes, beschreibt das Haus der Familie, aber nicht die Schönheit und Traurigkeit des Waldes. Szenen, die für den Fortgang der Geschichte so wichtig wären, werden in einem Satz abgehandelt, während unwichtige Situationen wahllos, lang und vor allem langatmig geschildert werden. Die Geschichte tritt so auf der Stelle, kommt nicht richtig voran und erst auf Seite 120 von 190 kommt so etwas wie Spannung auf. Das wirkt zäh, langsam, langatmig, geradezu langweilig auf den Leser.


    Allerdings wohnt diesem Buch auch eine Schönheit inne; die Geschichte an sich weiß zu begeistern und es gelingt dem Autor, diesen Endkonflikt in Gracian so fühlbar zu machen, dass kaum einer sich dieser Magie des Momentes entziehen kann. Man fiebert mit, man findet sogar ein Lächeln am Ende des Werkes in seinem Gesicht, weil die Lösung und somit das Ende des Werkes wirklich gut umschrieben wurde, und so verständlich, dass einem die Nackenhaare aufstellt.


    Und dennoch braucht der Autor zu lang für den Einstieg, zu lange verliert er sich in unwichtigen Details. Nur dem Leser, der nicht nach 30/40 Seiten aufgibt, wird sich schluss endlich eine schöne, magische Welt erschließen.


    Bewertung:


    3ratten

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links



    Über den Autor:


    Xiaolu Guo wurde 1971 in einer kleinen Stadt am chinesischen Meer geboren. Mit achtzehn ging sie nach Beijing, studierte dort an der Filmhochschule. und schrieb fünf Romane. Im Jahr 2002 zog sie nach London. Sowohl in China als auch in ihrer britischen Wahlheimat machte sie sich als Filmemacherin und Schriftstellerin einen Namen. Mit "Kleines Wörterbuch für Liebende" gelang ihr der internationale Durchbruch. Im Knaus Verlag erschien 2005 von Xiaolu Guo bereits der Roman "Stadt der Steine".


    Weitere Informationen:
    Xiaolu Guo - Porträt bei Random House
    Xiaolu Guo bei perlentaucher.de
    Xiaolu Guo - Homepage (Englisch)




    Klappentext:


    Lost in Translation zwischen Peking und London


    Die junge Chinesin Zhuang reist zum ersten Mal in den Westen und taucht in eine fremde Welt ein. Sprache und Umgangsformen, Essen und Trinken, Liebe und Sex - alles ist befremdlich, überraschend und manchmal unbegreiflich. Ebenso amüsante wie erhellende Missverständnisse verbinden sich zu einem rasanten Verwirrspiel zwischen Ost und West und Mann und Frau. Ein außergewöhnliches Lesevergnügen!


    Als Zhuang in London ankommt, fühlt sie sich vollkommen verloren. Ihre Eltern haben sie in den Westen geschickt, damit sie Englisch lernt. Doch es ist nicht nur die fremde Sprache, die ihr Mühe macht. Sie sieht sich mit unfreundlichen Taxifahrern, ungenießbarem Essen und seltsamen Umgangsformen konfrontiert. Unbekannte Wörter, ungewöhnliche Begebenheiten und verblüffende Beobachtungen hält sie in einem kleinen Notizbuch fest, das zum Rettungsanker im Meer der Missverständnisse wird. Geborgen fühlt sich Zhuang nur im Kino - dort begegnet sie schließlich auch der Liebe. Doch im Westen erweist sich diese als ebenso kompliziert wie der Alltag. Xiaolu Guo inszeniert den Kulturschock erhellend und voller Witz. "Kleines Wörterbuch für Liebende" ist ein kluges, unterhaltsames Verwirrspiel um kulturelle Unterschiede und nicht miteinander zu vereinbarende Lebensformen. Zugleich ist es eine zärtliche, bittersüße Liebesgeschichte. Ein außergewöhnliches Lesevergnügen!


    "Dieser Roman ist so unterhaltsam
    wie die "Kurze Geschichte des
    Traktors auf Ukrainisch" -
    er ist nur viel besser!"
    (The Independent on Sunday)




    Eigene Meinung:


    "Ich bin auch keine Intellektuelle. In diese Land in Westen ich bin Barbarin, ungebildete Bauernmädchen, ein Gesicht aus Dritte Welt und unberechnungsfähige Fremde. Ein Alien von andere Planet."


    Zhuang, kurz Z, fühlt sich verloren. Von den chinesischen Eltern nach London geschickt, um Englisch zu lernen, ergo eine bessere Ausbildung zu machen, neue Chancen zu erschließen, als die eigenen Verwandten es jemals tun könnten, fühlt sie sich sehr bald verloren, allein, einsam in dieser großen Stadt, in diesem Land, welches so viel anders ist als zu Hause. Kohlensäurehaltiges Mineralwasser, Vegetarismus, Anarchismus, Individualismus, das eigene "Ich" - Inner Self - alles ist fremd, alles wirkt bedrohlich, misstrauen erweckend. Und dann trifft sie einen Mann; einen Mann, der in ihr Gefühle der Leidenschaft hervorruft, der erste Sex, die erste Verbalisierung von Sexualität, aber auch von Liebe, von Beziehung, von Alltagstätigkeiten, von Beziehung. Diese vollkommen neuen Eindrücke schildert Zhuang in einem "Wörterbuch", eher Tagebuch, in dem sie neue Gedanken, Ausdrücke, Worte und Wortgruppen notiert, so eindringlich und authentisch formuliert, dass einem die Protagonistin bald ans Herz wächst. Mit viel Naivität, Neugierde und Lebenswillen läuft sie durch das trübe London, an der Seite dieses Mannes, der so ganz anders ist in ihrer Beziehung als sie es kennt.
    Er plädiert für das "Ich", sie für das "Wir". Er plädiert für "Freiheit" und "Unabhängigkeit", sie für "Familie" und "Ordnung". Er will ein Leben führen, ohne gebunden, ohne gefesselt zu sein. Sie will eine häusliche Fessel, will die Heirat.


    Guo lässt hier nicht nur zwei unterschiedliche Kulturen, sondern auch zwei vollkommen unterschiedliche Lebenskonzepte sich konfrontieren, diskutieren, kontrastieren. Die chinesische Leitkultur des Kollektivismus versus die vollkommen individualisierte, geradezu a-soziale Leitkultur des Westens. Die Autorin scheut nicht Klischees zu benennen, die auf beiden Seiten zu bestehen scheinen, sie aufzubrechen, sie zu parodieren, zu karikieren, aber sie auch zu untermauern, wenn nicht sogar zu übertreiben. Es ist ein Spiel mit Ansichten, nicht nur welche politischer Natur, selbst ein Pornoheft wird als Anlass dazu genommen, inwiefern die "Freizügigkeit" der westlichen Kultur bestimmend ist für ein gemeinsames Liebesleben.


    Erotik, aber nicht zuletzt die Liebe ist bei beiden Protagonisten, keine Diskussionsfrage. Sie streiten sich nicht darüber, ob sie sich lieben, sondern ob dieses Ausleben der Liebe richtig ist, in den richtigen Bahnen verläuft und ob nicht eine Fehlentscheidung dahinter stand, dass sich ein 20-Jahre-älterer Herr mit einer jungen, eher "wortlosen" Chinesin einlässt.
    Diese "wortlose" Chinesin blüht immer mehr auf, je mehr sie die englische Sprache erlernt, je mehr Begriffe sie erkennt, nachschlägt und wiederkennen kann. Die anfänglichen Grammatikschwierigkeiten finden genauso Einfluss in den Stil, wie verschiedene Wortbedeutungen, kulturelle und religiöse Unterschiede. Guo benutzt in diesem Werk eine sehr authentische Sprache, die niemals überbordernd, niemals übertrieben schön oder verschnörkelt ist. Das Vokabular Zhuangs ist eingeschränkt, so auch das Vokabular des Stils. Und doch wirkt der Stil realitätsnah, sehr flüssig, teilweise sehr abstrakt durch unterschiedliche Bilder und Gleichnisse, die Zhuang benutzt um ihre Lebenswelt verständlich zu machen.


    Ob die Geschichte an sich authentisch ist oder nicht, möchte ich nicht bewerten. Allerdings - in der Lesart eines Textes, welcher sich mit den Problemen der Integration bei Problemen mit der Fremdsprache und kulturellen Unterschieden - wirkt die Textdarstellung sehr gelungen. In der Lesart einer Liebesgeschichte habe ich Probleme eine Paarbeziehung beider Protagonisten zu akzeptieren, fühle mich teilweise sogar vom männlichen Part sehr abgestoßen.


    Und dennoch... nach meiner Ansicht ein schöner, flüssig lesbarer, trotz sprachlicher Eingeschränktheit wunderschöner literarischer Text.


    Bewertung:


    5ratten

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links



    Über den Autor:


    Maria Barbal (* 1949 in Tremp) ist eine spanische Schriftstellerin. Sie gilt als eine der wichtigsten und erfolgreichsten zeitgenössischen Autorinnen katalanischer Sprache.


    Barbal verbrachte ihre Kindheit in der bergigen Region der spanischen Pyrenäen. 1964 kam sie nach Barcelona, um an der dortigen Universität spanische Philologie zu studieren, und arbeitete im Anschluss als Lehrerin.


    In den 1980er Jahren erschienen ihre ersten Bücher, die weitgehend im archaisch-ländlichen Kontext ihrer Heimat angesiedelt waren. Ihr Buch "Wie ein Stein im Geröll" (1985) ist in ihrer Heimat in fünfzig Auflagen erschienen und inzwischen in mehrere Sprachen übersetzt.


    Mehr Informationen:
    Maria Barbal - Eintrag bei Wikipedia
    Maria Barbal - Eintrag bei perlentaucher.de
    Maria Barbal - Eintrag bei "Generalitat de Catalunya"




    Klappentext:


    "Ein Roman, der zeigt,
    was wirklich wichtig ist:
    lieben und geliebt werden."


    Conxa ist gerade dreizehn, als ihre Eltern, arme Bauern in den katalanischen Pyrenäen, sie zu einer kinderlosen Tante bringen. An Arbeit mangelt es auch hier nicht, und für Gefühle kennt die Tante keine Worte, aber das Mädchen ist zumindest versorgt. Als sie einige Jahre später ihre große Liebe Jaume heiratet, erlebt Conxa sogar ein bescheidenes Glück. Doch der hereinbrechende Bürgerkrieg macht auch vor dem abgelegensten Gebirgsdorf nicht Halt - und verändert Conxas Leben für immer...


    "So ein schmales, ruhiges Buch und - es enthält
    nicht nur ein ganzes Leben, es enthält eine ganze
    verschwindende Welt." (Elke Heidenreich)




    Eigene Meinung:


    "Ich fühle mich wie ein Stein im Geröll. Wenn irgend jemand oder irgend etwas mich anstößt, werde ich mit den anderen fallen und herunterrollen; wenn mir aber niemand einen Stoß versetzt, werde ich einfach hier bleiben, ohne mich zu rühren, einen Tag um den anderen..."


    Conxa ist ein junges Bauernmädchen, aufgewachsen in einem kleinen Dorf in den Pyrenäen, ohne jede Form von Bildung oder der beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten. Die Umstände ihres Leben sind vom rauen, arbeitsreichen, bäuerlichen Alltag geprägt; Gefühle und Gedanken werden in diesem geschlossenen sozialen Gefüge nicht verbalisiert noch thematisiert. Conxa kennt keine Worte für ihre Gefühle gegenüber der Tante, gegenüber ihrem späteren Mann Jaume, ihren in der Ehe geborenen drei Kindern. Und doch besteht zwischen ihnen eine Bindung, ausgelebt über Zärtlichkeiten, kurze Körperkontakte. Und doch bleibt sie in dem ihrigen Erlebnishorizont stark verwurzelt, hat weder Interesse das Spanien außerhalb ihres eigenen Horizonts kennen zu lernen. Ihre Lebensumstände kann und will sie nicht ändern. Vom Leser werden sie als stark konservativ, festgefahren, ja, als geradezu prähistorisch empfunden. Jede Veränderung, sei sie politischer oder religiöser Natur wird von der jungen Frau als bedrohlich und beängstigend empfunden. Wenn Jaume mit Feuer und Leidenschaft von "der Republik" berichtet, schwärmt, kritisiert und diskutiert, bleibt sie eher hintergründig, hinterfragt kaum, mischt sich nicht ein. Alles, was ihre Vorstellungskraft übersteigt wird nicht weiter betrachtet - aus den Augen, aus dem Sinn. Ihre Gedanken sind nur um das wenige, was sie hat, fokussiert: Familie, Haushalt, Lebensunterhalt.


    Dem Leser wird eine vollkommen andere Lebensperspektive, eine vollkommen andere Lebenssicht als es der heutigen, modernen Lebenswelt entsprechen würde. Conxa hat ein eher passives Leben, sie führt es ohne viele Fragen zu stellen. Politik, Veränderungen im Staat - diese Themen sind für sie nicht von Belang. Sie bemerkt Veränderungen, nicht zuletzt durch ihren Mann, aber sie werden nicht als Chance zur Veränderung oder Verbesserung betrachtet, sondern nur misstrauisch als etwas Neues, Modernes, Anderes interpretiert. Erst, als Jaume von vorrückenden Francotruppen ermordet und in einem Massengrab verscharrt wird, kommt der Bruch in der bis dahin sehr stark von natürlichen Leitmotiven getragenen Handlung. Conxa erlebt Trauer, nicht nur aufgrund des Todes ihres Mannes, sondern auch weil man ihr jede Möglichkeit nahm von ihm Abschied zu nehmen, ihm die letzte Ehre zu erweisen, ihn zu begraben. Eine starke Melancholie umgibt jetzt diese alternde Frau, die hin und her gerissen zwischen der aufbrechenden Moderne und der alten, bekannten bäuerlichen Welt eine Entscheidung treffen muss, wie sie ihr Leben leben will.


    "Pedra de tartera" erschien erstmals 1985, zehn Jahre, nachdem der spanische General Francisco Franco verstorben war. Er gilt als katalanischer Klassiker, als Werk, welches den vielen Menschen Namen und Ehre wiedergab, die durch das totalitäre, diktatorische Regime Land, Familie, Stand, vielleicht sogar Ehre und Charakter genommen wurde. Melancholisch, traurig, ja geradezu dramatisch erscheinen die Entwicklung für ein ganzes - katalanisches - Volk, dem man nicht zuletzt die Möglichkeit der Sprache nahm. Ein ganz außergewöhnliches Schicksal wird beschrieben - und Conxa und Jaume stehen als Paar beispiellos dafür. Mit äußerster Genauigkeit beschreibt Maria Barbal einen für heutige Verhältnisse sehr unbekannten Lebensstil, im Wechsel der Jahreszeiten, im Wechsel von Licht und Finsternis. Sehr authentisch wirkt dieses Schicksal, sprachlich schön gestaltet, geradezu poetisch trotz des starken Realismus. Naturaufnahmen finden genauso Einfluss, wie die Gestaltung eines Arbeitstages, aber auch Conxas Gedanken über bevorstehende Ereignisse. Gebildet mag sie nicht sein, dumm ist sie deswegen noch lange nicht. Sie gewinnt an Sprache, an Worthülsen, um ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen; manchmal sehr abstrakte Begriffe und Vergleiche, die mit ihrer eigenen Welt zu tun haben. Und die bereiten dem Leser das größte Vergnügen, wirken sie doch wie eine frische Sommerbrise beim Lesen.


    Poetisch, geradezu wunderschön und melancholisch mutet dieser gerade einmal 150-Seiten lange Roman an. Man findet sich sehr schnell in die Handlung ein, die Zeit verfliegt nur so. Und doch ist es Zeit die sich lohnt. Dieses Buch ist ein kleiner Schatz - noch lange hat mich das Schicksal Conxas nach der Lektüre begleitet, noch lange war ich verzaubert von dieser doch eher rauen, eher reizlosen, harten Gebirgswelt. Ein wirklich feines, schmales Buch.


    Bewertung:


    5ratten und somit mein :tipp:

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links



    Über den Autor:


    Tomek Tryzna (* 15. März 1948 im niederschlesischen Ostroszowice) ist ein polnischer Schriftsteller und Filmregisseur. Schon zu seiner Schulzeit in Świdnica fing er an, Amateurfilme zu drehen, und machte daraus später seinen Beruf. Außerdem verfasste er mehrere Drehbücher und Romane. Gegenwärtig lebt er in Warschau.


    Quellen:
    Tomek Tryzna - Eintrag bei Wikipedia
    Tomek Tryzna bei perlentaucher.de




    Klappentext:


    Kurz nur hat Romek Stratos seine Spielzeugarmee im Stich gelassen, um ein paar Runden mit Lalas Tretauto zu fahren. Aber dieser kurze Augenblick hat den Einbrechern genügt, um alles auszuräumen, was der Familie Stratos gehörte.
    Romek will seine Schuld am Ruin seiner Familie wieder gutmachen, und so beginnt eine abenteuerliche Reise voll Phantastik und Ernüchterung durch das kommunistische Polen: Noch oft wird Romek alles verlieren, aber ebenso oft wird er sein Glück machen und der profanen Wirklichkeit eins auswischen.


    "Selten wurde mitreißender und anrührender
    über den Mut, die Chuzpe und
    die Verzweiflung eines Kindes geschrieben
    als in diesem Buch."

    NRC Handelblad


    "Ein hervorragender Roman."
    Brigitte zu "Fräulein Niemand"



    Quelle:
    Bucheintrag bei Amazon.de




    Meine Meinung:


    "Ich hielt durch, weil ich einen Grund hatte, zu leben.
    Ich konnte meine Familie nicht ihrem Schicksal überlassen. Ich hatte einen hervorragenden Rettungsplan. Ich musste leben."
    *


    Romek Stratos, ein Kind noch, sollte auf die Wohnung seiner Eltern Acht geben, während diese arbeiteten - als Schneider in einem Atelier. Nur kurz hat er die ihm zugewiesene Aufgabe verlassen, um mit dem Tretauto von Lala zu fahren. Noch keinen Überblick über die Gefahren habend und somit schwer erschüttert über das Ergebnis der räuberischen Diebestour, erholt sich die Familie nicht von dem Schlag alles auf einmal zu verlieren. Nicht nur die Einrichtung und Bargeld, privat genähte Pelzmäntel oder ähnliche materiellen Gegenstände. Das "gute" Leben der Stratos hat ein Ende gefunden, nur mühsam halten sie sich mit ihren Schneiderarbeiten mehr über Wasser, immer im Begriff obdachlos zu werden oder so stark zu verarmen, dass man nicht mehr für die Grundversorgung aller aufkommen kann. Der Vater wird zum Trinker, verzweifelt an der Situation und die Mutter an ihm. Depressiv, verzweifelt, suizidgefährdet. So ist die Wahrnehmung Romeks von seiner Mutter; nur er kann sie beruhigen, nur weiß die richtigen Worte für sie zu finden, sie aufzubauen, ihr Hoffnung zu geben für ein besseres Leben.
    Und Romek? Er zieht sich immer mehr in seine Fantasiewelt zurück, nimmt das Leben nur noch teilweise und real wahr. Er kann schöne Geschichten erzählen, ist ein brillanter Redner, ein talentierter Schauspieler und Herr und Regisseur in seinem Stück der Lebensrealität.
    Stehen wir auf der Bühne von Romek Stratos oder erleben wir wirklich den Niedergang der Familie als reales Abbild? Ist dies eine Romeks erdachten Geschichten oder wandern wir wirklich durch das kommunistische Polen, durch Warschau?


    Mit solchen Fragen konfrontiert sich der Leser, sieht sich gefangen in Romeks Lügennetz, aber folgt ihm weiterhin gespannt auf seinem Weg die Familie zu retten. Schauspieler will er werden, dem Theaterdirektor vorsprechen, auf das er genug Geld für sich und seine Familie einnehmen kann. Es misslingt, privat wie beruflich wird der Aufenthalt Romeks, mit seiner Mutter, zu einem Desaster. Und doch sieht er Hoffnung, sieht eine Verbesserung. Dieser Optimismus ist geradezu ansteckend.
    Man hofft, man fiebert mit. Und das trotz einer sehr unaufgeregten Sprache.


    Die Perspektive eines zehnjährigen Kindes hat der Autor gewählt, der Verfall einer Familie wird somit sehr stark emotional fokussiert und wirkt so etwas behäbig, ja, geradezu langsam, langatmig, langwierig. Die Sprache wirkt fast stoisch, das Ende der Geschichte dagegen hektisch, schnell, unpassend, abbrechend. Soll hier ein Bruch in den Gedanken Romeks gesteigert werden? Seine Unlösbarkeit, Schuldigkeit und Hilflosigkeit gegenüber der eigenen Familie?
    Wie es auch interpretiert werden kann, für mich als Leser war der Bruch zu schnell, zu stark, zu unlogisch. Und dennoch... die Figuren bleiben selbst in dieser starken, schnellen Entwicklung sehr liebevoll gezeichnet; Tryzna nimmt sich sehr viel Zeit seine Figuren als vollständige Charaktere zu zeichnen. Eine sanfte Melancholie umgibt seine Figuren, eine fast lethargische Ruhe, welche sich auch auf den Leser überträgt. Nur Romek ist das optimistische Bindeglied zwischen zwei Welten - der realen und der ihm eigenen Fantasiewelt.


    Als ein "gelungenes Lehrstück über das Erwachsenwerden" bezeichnet es Andreas Neuhaus in der FAZ, als "romantischen Ritterroman" charakterisiert es Samuel Moser in der NZZ. Welches Genre Tomek Tryzna auch immer mit diesem Roman erreichen wollte - Gesellschaftsroman über das kommunistische Polen, ein Roadmovie durch Warschau in den 50er Jahren, oder aber skurriler, jugendlicher Abenteuerroman - man hat seine Freude mit diesem Werk. Der Roman beginnt schnell, rasant, entfaltet aber nach und nach seine Ruhe und somit auch seinen Charme. Eine vollkommen unaufgeregte Sprache, liebevoll gezeichnete Figuren, eine starke Poesie innerhalb der Geschichte gegenüber einem für mich zu starken Bruch im Ende. Und trotzdem: Der Roman weiß zu unterhalten, zu erfreuen, zu hinterfragen.



    Bewertung:


    4ratten

    Ein Dorf am Ende der Welt. Stille, Schweigen, beredetes Schweigen.
    Kein einziger Laut eines nicht menschlichen Wesens dringt durch diese Stille. Keinen Vogel sieht man kreisen, keine Kuh wiederkäuen; man hört kein Pferd wiehern, keinen Hund bellen. Auf dem Feld sieht man keinen Ochsen vor dem Pflug, keine milchgebende Kuh im Stall; nicht einmal Ameisen oder anderes Ungeziefer kreucht und fleucht durch Ställe, Scheunen und Haushalte.
    In diesem Dorf lebt kein einziges Tier. Nur die Menschen, die sich ihrem Schicksal ergeben haben und darüber schweigen, wie es dazu kam. Sie erzählen nicht, und wenn sie es wollen, werden sie zum Schweigen gebracht. Dass diese Lebewesen existieren, wissen die Kinder nur die Lehrerin Emanuela, die ihnen Tierlaute beibringt oder aber vom (ehemaligen) Fischer Almon, der gut und gerne und mit viel Traurigkeit von seinem getreuen Hund Sito erzählt, der zusammen mit allen anderen Tieren in einer Novembernacht verschwand.
    Nur Mati und Maya, sie haben ein Geheimnis. Sie haben einen Fisch gesehen. Vielleicht nur ein Sonnenstrahl, der sich auf dem Fluss spiegelte? Was auch immer zutrifft, sie beide zieht es in den Wald, um das Schweigen der Dorfbewohner zu brechen, um herauszufinden, warum selbst Reisende diesen Ort meiden, warum die Tiere einfach so verschwanden.


    Dieses Buch ist eine Reise. Eine Reise, von Vergangenheit zur Gegenwart in die Zukunft, die von diesen beiden Kindern getragen wird. Erinnern und Vergessen sind ihre ständigen Begleiter. Die Bewohner des Dorfes verweigern sich beharrlich die Wahrheit zu sagen, ja, überhaupt darüber zu sprechen. Sie verweigern sich der Realität bzw. irgendeiner Form der Aufarbeitung von Traumata aus der Vergangenheit. Veränderungen sind ihnen zuwider, sie leben ihr Leben, sie sterben, wissend oder unwissend. Amos Oz hat diese Verdrängungsmechanismen in diesem Märchen gut herausgearbeitet in einer leichten, sehr direkten und verständlichen Sprache. Schnörkellos, ohne viel zu beschreiben agieren seine Figuren, die er leider nur unzureichend beschreibt. Maya und Mati werden auf den ca. hundert Seiten eher als emotionslose, denn als emotionale, liebende, hassende Figuren dargestellt.


    Das Geheimnis, und die damit verbundene Botschaft, die letztendlich hinter dieser Geschichte stehen, werden in mehreren Szenen beleuchtet, ohne wertend zu sein, ohne zu verurteilen. Und doch mit einem Unterton, der immer wieder fragt: „Warum ist es so gelaufen? Wäre es anders verlaufen, wenn…“ usw. Umso unverständlicher ist das letzte Kapitel dieses Werkes. Ist das Märchen bisher ohne den erhobenen Zeigefinger durch eindringliche Bilder zur Botschaft gekommen, wird sie dem Leser noch einmal recht schulmeisterlich auf dem Weg gegeben (Man solle keine anderen Menschen hänseln, weil er anders ist..), in dem man den Zeigefinger hebt und, ich übertreibe, sagt: „Lieber Kinder, macht das nicht…“, was im übrigen vollkommen unnötig ist bzw. war.


    Und doch, trotz dieser Schönheitsfehler, war dies ein interessantes, sehr nachdenklich machendes Büchlein, was mich noch sehr lange nach der Lektüre verfolgt hat.


    Was bleibt?
    Ein Märchen, eine Parabel, mit einer guten, verständlichen Botschaft, die in einer geradlinigen, direkten, schnörkellosen Sprache vermittelt wird. Einziger Fehler: Ein Leser braucht keinen Schulmeister, keinen Moralprediger, um die Nachricht dieses Werkes zu verstehen, will sagen: Das letzte Kapitel ist vollkommen deplatziert und somit unnötig.


    Bewertung:
    3ratten

    Zitat

    Schon mal Angst gehabt, dass sich in eine sehr private E-Mail ein klitzekleiner Fehler einschleicht - und plötzlich ein völlig Fremder die Nachricht bekommt? Emmi Rothner passiert das genaue Gegenteil. Eigentlich will sie nur ein Zeitschriftenabo kündigen. Doch durch einen Tippfehler landet die E-Mail bei Leo Leike, und zwischen den beiden entflammt ein zunächst zaghafter, mit der Zeit immer leidenschaftlicher Onlineflirt.


    Quelle: kulturnews.de


    Dieser Klappentext liest sich wie ein Geheimrezept für einen guten Roman, der alles enthält, was frau/mann sich wünscht: Spannung, Unterhaltung, eine innovative Liebesgeschichte, ganz modern im E-Mail-Format. Es klingt nach einem gemütlichen Lesenachmittag mit einer Tasse Tee und Keksen; danach, sein Herz für einige Stunden zu verlieren und es zufrieden gestellt nach der Lektüre wieder zu finden. Voll Erwartung schlug ich das Buch auf, freute mich auf den in vielen Rezensionen beschworenen „liebevoll gezeichneten, authentischen Figuren“… und hatte am Ende das Gefühl das Buch nicht lieben, sondern verbrennen zu müssen.


    Diese so liebevoll gezeichneten Charaktere sind das, was ich als hohl bezeichnen würde. Nicht nur von der Art des Beschreibens her, allein für ihren Intelligenzquotienten wäre das das passende Adjektiv.
    Emmi Rothner, eine Frau, die offensichtlich unter starken Minderwertigkeitskomplexen leidet, unter dem Drang immer wieder in ihrer Schönheit von anderen Männern bestätigt zu werden, versucht sich von einem aufgezwungenen Abo zu befreien und verschickt eine mehr als unfreundliche und unhöfliche Mail an den Kundenservice. Realistischerweise landet genau diese E-Mail bei einem Mann, Leo Leike, gerade von der Partnerin verlassen, hoch intellektuell und offensichtlich beziehungsunfähig,was sich im Laufe der Handlung als absolut nachvollziehbar erweist.
    Auf 300 Seiten spielen die beiden Charaktere „Mensch-ärger-dich-nicht“. Zwei erwachsene Menschen, die sich mögen, aber sich nicht treffen. Zwei erwachsene Menschen, die sich mögen, verlieben, sich belügen bleiben nicht nachvollziehbarer weise immer bei der Höflichkeitsformel „Sie“. Sie wollen sich spüren, lieben, sogar miteinander schlafen… ohne sich zu kennen, sich gesehen zu haben, sich gespürt zu haben.
    Und so bleibt der Inhalt von 300 Seiten ziemlich leer. Es ist ein Kreiselspiel – Immer wieder zum Ausgangspunkt zurück. An dieser gähnenden Langeweile kann auch die Reaktion des Ehemannes von Emmi nichts ändern, kommt sie doch einigermaßen konstruiert vor, einigermaßen unrealistisch. Es erscheint dem Leser, als wäre dem armen Autor nicht eingefallen, wie er die „spannungsgeladene Atmosphäre“ in einen Höhepunkt verwandeln kann… so entschied er sich für eine typische Szene aus den „Bergarzt“-Romanen, die schon dort eher in den Bereich des klischeehaften gehören und hier als neue, innovative Idee ein Revivel feiern.


    Meine Frage ist, ob der Autor solch hohle Figuren geplant hatte oder aber die Figuren einfach nur so wirken, weil die Handlung auch eher arm ist? Man erfährt nichts über die Figuren, über ihr Innenleben, ihr Denken. Sie erfahren keine Weiterentwicklung, keine offensive Veränderung. Sie drehen sich im Kreis, um es mal zusammenzufassen: Emmi zickt ihn ähnlich eines pubertierenden Teenagers an, er antwortet nicht wie ein Freund oder Bekannter, sondern wie ein Lehrer, ein älterer Herr - „Benehmen sie sich nicht so!“ und schon hat man wiederum das Gefühl, dass entweder die Charaktere extrem dämlich sind, um es salopp zu formulieren, oder aber der Autor sie in eine schnelle Aktion-Reaktion-Spirale bringen wollte, um Spannung aufzubauen, was meiner Ansicht nicht nur ziemlich misslang, sondern auch der Geschichte die gesamte Ernsthaftigkeit, den gesamten Realismus nimmt.


    Was bleibt?


    Ein Frauenroman, ähnlich einem Nackenbeißer mit klischeehafter Handlung, steifen, emotionslosen Charakteren und einer blutleeren Geschichte, die sich neben dem „Bergdoktor“ einreihen kann. Nichts ist übrig geblieben von einem „schönen Lesenachmittag“…


    Bewertung:


    1ratten

    >>Menschliches, allzu Menschliches...<<



    Friedrich Wilhelm Nietzsche, Philosoph, Misanthrop, Verächter des weiblichen Geschlechtes.


    Aphorismen wie „Der Mann macht sich das Bild des Weibes, und das Weib bildet sich nach diesem Bilde“ [1] sowie „Hoffnung ist das Übel allen Übels“[2] werden referiert, wiedergekäut, um nur noch ein Abziehbild darzustellen. Abziehbild von einer Philosophie, die durch das dritte Reich und nicht zuletzt durch seine Schwester oftmals einer Fehlinterpretation aufgesessen ist. Nur wenige beschäftigen sich mit dem Hintergrund seiner Werke, bezeichnen ihn ohne jemals in die Komplexität seiner Werke eingetaucht zu sein, als Anti-Feministen, der dem weiblichen Geschlecht sprichwörtlich die Pest an den Hals wünscht. Als Anti-Christen, der in christlicher Nächstenliebe und Toleranz das eigentliche Böse erkannte. Als Anti-Utilitaristen, der Altruismus und Sozialismus als „pöbelhafte Instinkte und Nativitäten“ [3].


    “Mein wahres Selbst muss ich verbergen, denn hat viele verabscheuungswürdige Seiten.“*


    Doch, wer war Nietzsche? Die Negativität des Bildes bzw. die starke Idealisierung seiner Persönlichkeit kann für mich kein ausreichendes Charakteristikum seiner Figur sein. Kein Mensch ist „nur“ gut und „nur“ schlecht. Dieser Meinung schließt sich der amerikanische emeritierte Professor für Psychiatrie der Univertät Stanford in seinem 1992 erschienen Roman „Und Nietzsche weinte“ an.


    [B]“Man muss noch Chaos um sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären.“*


    Im Milieu des Wiener Fin de siècle im Jahr 1882 trifft der an Migräne erkrankte Nietzsche auf Dr. Josef Breuer, späterer Mitbegründer der Psychoanalyse (außerdem Internist und Physiologe), allerdings nicht aus eigenen Stücken. Eine Intrige, eingeleitet durch die spätere Schriftstellerin, Essayistin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé, bringt den im mittleren Alter sich befindenden Philologen und Philosophen Nietzsche mit dem Arzt Breuer zusammen. Zunächst haben sie ein sehr distanziertes Verhältnis; später entwickeln sie ein spielerisches, fast auf Konkurrenz basierendes Verhältnis. Wie in einem Schachspiel schlagen sie Bauern (Argumente), weichen aus, gehen in die Offen- oder Defensive. Nietzsche gewinnt, sein ganzes Genie auslebend. Bis Breuer ihn ein Angebot macht – Nietzsche soll ihm aus seiner Verzweiflung erretten, ihn von seiner Obsession gegenüber Anna O. alias Bertha Pappenheimer befreien. Und Nietzsche? Breuer will ihm von seiner Migräne kurieren, an ihm neue Behandlungsmöglichkeiten ausprobieren.
    Ihr Verhältnis wandelt sich wiederum, vom Patienten zum Patienten; anfangs ist es nur ein Spiel, gedacht um Nietzsche aus seinem Versteck zu locken, um ihn das ‚Geständnis‘ seiner Melancholie zu entlocken. Und doch bleibt die Frage des Verhältnisses. Die Frage auch danach, wer an Melancholie, an Depressionen, an Problemen in seinem Leben leidet. . .


    [B]“Er möchte meinen Weg entdecken und ihn selber gehen. Noch versteht er nicht, dass es meinen und deinen Weg gibt, aber nicht DEN Weg.“*


    Yalom lässt zwei Menschen aufeinander treffen, die von ihren Emotionen und Glaubensansätzen und Haltungen gegenüber dem Leben unterschiedlicher nicht sein können. Breuer, zwar jüdischer aber nicht orthodoxer Idealist, versus Nietzsche, aufgewachsen als Sohn eines lutherischen Pastoren und Religionspessimisten.
    Breuer will als Arzt dem Patienten Hoffnung schenken, ihn vor der Wahrheit des Todes bewahren. Nietzsche verneint die Hoffnung als „Das Übel aller Übel“ und spricht vom Recht des Patienten auf „seinen Tod“.
    Breuer sieht in seiner „Rede-Kur“ eine gute Methodenbasis, um den Philosophen über Privates und Emotionales zur Lösung seiner Migräne zu veranlassen. Nietzsche empfindet diesen Eingriff in seine Privatsphäre als Versuch Breuers mit „ihm gemeinsamen bei den Schweinen im Schlamm zu wühlen“.


    In diesem gänzlich fiktiven, dialogisch angelegten Roman werden nicht nur Personen, auch Lebensperspektiven, Philosophien, Denkansätze gegenüber gestellt in einer anspruchsvollen, mit vielen redundant erläuterten Details ausgestatten sprachlichen Stil. Porträtiert werden nicht nur Nietzsche und Breuer, auch andere Größen dieser Zeit wie den Protegé und Schüler Breuers Sigmund Freud und Richard Wagner. Fast wie in einem Drama tauchen diese Figuren kurz auf und haben nur eine Funktion, nämlich das Spiel und die Intrige in ihrer Gesamtheit darzustellen, den Verrat fast allmählich als Folge mehrerer Akte gegen Nietzsche zu führen, den Verrat Breuers als unumgänglich zu zeigen aufgrund von Nietzsches Gefühlsleiden.
    Das Ende ist auch nicht als so positiv zu sehen, wie viele es empfinden. Für Breuer mag ein Neuanfang möglich sein, doch ist er das auch für Nietzsche? Und wenn ja, mit welchem Preis?


    Yalom gelingt das, was vielen anderen Romanen fehlt: Ein gelungener Spagat zwischen Fakten und Fiktion. Man lauscht gespannt den Ideen Nietzsches, man lauscht aber genauso, wenn Breuer seine Träume schildert oder aber ein Gespräch konsequent wieder gegeben wird. Filigran und unaufdringlich werden Aphorismen eingebaut. Kleine humoristische Einlagen lassen sich ebenso finden, wie ein schönes Gemälde des Wiens um 1882, fast am Übergang zur Jahrhundertwende.


    [b]„Stehen nicht auch sie hilflos da und betrauern das Leben, das Sie nie gelebt haben?“*


    Und noch etwas kann man diesem Roman positiv anrechnen: Man lernt etwas über sich selbst. Meiner einer hat sehr lange über den dargebrachten Altruismus und Sozialismus nachdenken müssen, genauso wie über die Idee nicht vom Leben gelebt zu werden, sondern sich selbst Befehle zu geben, um sein Leben selbst zu leben. Ein schönes, nachdenklicher machender Gedanke.
    Ein schönes, nachdenklich machendes Buch ebenso. Man sollte dieses Buch zuklappen und sich folgenden Satz zu Herzen nehmen, den er bildet die Quintessenz von allem: „Werde, der du bist, und liebe das Leben“


    5ratten



    [1] Aphorismen-Sammlung
    [2] Ebenda
    [3] Informationen über die Philosophie Nietzsches in Kurzform
    [ * ]Irvin D.Yalom: Und Nietzsche weinte. Roman, Verlagsgruppe Random House, 1.Wiederauflage, 2008

    Unbedingte Mutterliebe, ein Satansbraten und väterlicher Opportunismus



    28 Briefe schreibt Eva Katchadourian. 28 Briefe, in denen sie erklärt, rechtfertigt, argumentiert, warum ihr Sohn Kevin mehrere Menschen in einem Schulmassaker tötete.


    "Alles hängt davon ab, wie sehr Menschen es mögen, hier zu sein, einfach am Leben zu sein. Ich glaube, Kevin haßte es."*


    Gedanken werden wach, an Luke Woodham, Michael Carneal, Kip Kinkel, Dylan Klebold und Eric Harris. Und doch ist Kevin anders. Sie sieht in ihm die Inkarnation des Bösen; sie sieht in ihm ein Produkt der eigenen Verweigerung von Mutterliebe, ein Produkt der eigenen Hoffnungslosigkeit und Konfilktlosigkeit durch und vom Vater, immer darum bemüht das heile, amerikanische Familienbild zu wahren. Zeichen, Warnungen, selbst Hinweise von anderen Eltern und Lehrern werden als ‚üble Nachrede‘ abgewertet. Porträtiert wird hier nicht eine im Proletariat lebende Familie, ohne finanzielle Mittel, ohne berufliche Perspektiven. Illustriert wird kein Teenager, der Mobbing, Misshandlung oder Missbrauch ausgesetzt. Auch kein Schüler, der unbeliebt und von allen gemieden wird. Kevin gehört auch keinem Satanskult an, spielt gefährliche Computerspiele, schaut Horror-Videos oder hört Marylin Manson.
    Kevin fühlt sich nicht einsam und unverstanden. In Evas Augen ist Kevin nicht einfach nur anders, für sie ist er das reine Böse.


    „Seit der Sekunde seiner Geburt assoziierte ich Kevin mit meinen eigenen Grenzen, nicht nur mit Schmerz, sondern mit Niederlage.“*


    Eva selbst stellt sich nicht in das beste Licht. Ihr Egoismus, ihre Selbstherrlichkeit, ihre Eitelkeit, ihre unterbewusste Ablehnung Kevin gegenüber wird authentisch an einzelnen Episoden erzählt. Es wird deutlich, dass sie sich nicht emotional für die Schwangerschaft entschieden hat; mehr noch erscheint ihr Sohn als Störfaktor in der Beziehung zu ihrem Partner. Sie bemerkt mehrmals, dass sie weder in die Rolle der Hausfrau und Mutter passt noch in den späteren Jahren zu der, des Globetrotters. Sie fühlt sich beengt, nicht frei von Abhängigkeiten und Lasten. Wie Kevin.


    Die Briefe Evas sind eine quälende Selbstbefragung, man bekommt den Eindruck einer Frau, die sich unbedingt rechtfertigen möchte. Sie dementiert zunächst jede Schuld, fragt sich aber doch, ob es sich nicht hätte anders entwickeln können: Warum haben sie sich nicht therapeutische Hilfe gesucht? Warum nicht dann die professionelle Hilfe, als ihnen als Familie bewusst wurde, dass Kevin ihn in die Leidenschaftslosigkeit und Perspektivlosigkeit entgleitet?


    Es sind 28 Versuche. 28 Versuche für Donnerstag eine Erklärung, eine Rechtfertigung zu bekommen. 28 Versuche zu ergründen, warum er so und nicht anders sich entwickelte, warum er so und nicht anders handelte, warum er so und nicht anders dachte. 28 Versuche auch zu ergründen, warum die Beziehung nicht funktionierte, warum es eine Aufteilung der Liebe, einen Beschützerinstinkt für das ‚missratene Kind‘ gab, ohne Chance Hinweisen und Warnungen der eigenen Frau, Nachbarn, Freunden und Schulkameraden zu glauben.


    „Ich merkte, dass das Porträt, was ich hier zeichnete, nicht attraktiv ist“*


    Das Buch ist vor allem eines: Ehrlich.
    Eva stellt sich selbst in sehr negatives Licht, sie weiß, dass sie keinen Raum zur Identifikation bietet, keinen Raum dazu bietet Sympathie hervorzurufen. Und doch redet sie. Man hört zu, will das Geschehen begreifen. Ich verspürte nicht nur Ekel und Ablehnung, sondern auch Mitleid und Betroffenheit, nicht nur für Kevin sondern auch für Eva.


    Das Buch ist sehr differenziert; durch den Briefstil hat man nur die Perspektive der 55-jährigen alte Eva, nicht die des Mannes oder außenstehender Personen, aber dennoch wechselt sie die Seiten, bietet Einblick in die Gedankenwelt Umstehender, in die Wut Mary Woolfords, die ihre Tochter verlor. In die Gedankenwelt ihres Mannes, der der glücklichen Persönlichkeit seines Sohnes glaubte ohne das Theater zu hinterfragen.


    Nicht nur differenziert ist dieses Werk und ehrlich, sondern auch wortgewaltig, stilsicher und unterhaltsam geschrieben. Es wird nichts kaschiert, Metaphern werden zur Verbildlichung nur spärlich eingesetzt. Im Vordergrund des Shriver’schen Stils steht die reine und realitätsgetreue Darstellung. Nicht ein Wort ist zu viel. Die Autorin beschreibt hier in einfachen, sehr direkten und klaren Worten eine Geschichte von Beziehungen, vom Scheitern, von falschen Perspektiven, von falschen Einschätzungen.
    Es ist kein „Betroffenheitsbuch“, es ist kein Buch, was Mitleid hervorruft. Die Geschichte ist real, sie ist wahr. Geradezu schnörkellos. Geradezu hart.


    Und spannend. Ich konnte es lange nicht aus der Hand legen. Ob dieses Werk ein Beitrag zu einer aktuellen Diskussion darstellt, weiß ich nicht. Vielleicht dahingehend, dass nicht Computerspiele und Horror-Filme für einen ‚schlechten Charakter‘ verantwortlich sind, sondern Erziehung und Sozialisation, Schule und Elternhaus. Ob es ein Thriller ist? Keine Ahnung.
    Letzt endlich finde ich die Kategorisierung des Werkes ziemlich nebensächlich: ich finde das Buch wie folgt: Spannend, unterhaltsam und zum Nachdenken anregend.



    5ratten



    [ * ] Lionel Shriver: Wir müssen über Kevin reden (3.Auflage 2007, List Taschenbuch)