Beiträge von Morwen

    Ein Zufallsfund, der als willkommene Abwechslung nach hauptsächlich nautischen Romanen kam. Ich habe zwar schon ein paar Gaiman Bücher gelesen (Neverwhere, Coraline, Stardust - von denen mir Stardust am besten gefallen hat), aber bei weitem nicht alle, so dass mir viele Motive, die der Autor offensichtlich wiederverwendet hat, neu waren und ich mich trotz (oder gerade wegen) der Kürze des Buches gut unterhalten gefühlt habe.


    Zur Handlung, zu den Figuren und Monstern, und zur Tatsache, dass dies eine etwas ausgewalzte Kurzgeschichte ist (was man ihr an manchen Stellen anmerken mag) ist bereits genug gesagt. Zwei Punkte sind mir aber besonders wichtig:


    1. die Form, die ich mal als Kammer-Fantasy bezeichnen möchte. Keine Königreiche und Welten, die vor dem ultimativen Bösen gerettet werden müssen, keine Armeen an Haupt- und Nebenfiguren, sondern eine Handvoll Charaktere, im Wesentlichen zwei Schauplätze und eine (zumindest für mich) frische Plot-Idee, die (wiederum: für mich) überzeugend durchdekliniert wird. Ich finde das neben vielen überlangen und überkomplizierten Büchern sehr erfrischend.


    2. die Doppelbödigkeit des Buches. Der Protagonist ist ein siebenjähriger, nicht sehr glücklicher Einzelgänger, der sich lieber in seinen Bücherwelten verliert, als dem Wunsch seines Vaters zu folgen und ordentlich football oder was auch immer zu spielen. In die Situation der finanziellen Unsicherheit der Familie brechen dann noch zwei "Katastropen": der Selbstmord des Untermieters und die Liebesaffäre seines Vaters mit der Haushälterin. Die ganze "übernatürliche" Handlung lässt sich auch als Produkt der überhitzen Phantasie des kindlichen Protagonisten lesen, und diese Möglichkeit wird bis zum Schluß nich ganz ausgeschlossen.


    Insgesamt ein erfrischendes, kurzes Buch (immer willkommen für die Lesestatistik) mit einem interessanten rural fantasy-setting.

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    Der Klappentext:
    Seit ein mysteröses 'Ereignis' vor mehr als dreißig Jahren das Gebiet erschütterte, ist Area X von einer unsichtbaren Grenze umgeben. Niemand weiß genau, was dahinter geschieht, aber es gibt Gerüchte von einer sich verändernden und die Reste der menschlichen Zivilisation überwuchernden Natur, einer Natur, die ebenso makellos und bezaubernd wie verstörend und bedrohlich ist. Zuständig für das Gebiet ist eine geheime Regierungsorganisation, die sich 'Southern Reach' nennt und den Auftrag hat, herauszufinden, was hinter der Grenze geschieht. Aber keine der Expeditionen, die 'Southern Reach' in das Gebiet entsandte, um Erklärungen für das Unerklärbare zu finden, hatte bisher Erfolg. Die meisten der Expeditionen endeten in Katastrophen, bei denen letztlich alle Mitglieder ums Leben kamen, und die Zeit, um Antworten zu finden, wird knapp, denn Area X scheint sich immer schneller auszudehnen. "Auslöschung" ist der Bericht über die zwölfte Expedition. Sie besteht aus vier Frauen: einer Anthropologin, einer Landvermesserin, einer Psychologin und einer Biologin. Ihre Aufgabe ist es, die Geheimnisse von Area X zu entschlüsseln, das Gebiet zu kartographieren, Flora und Fauna zu katalogisieren, ihre Beobachtungen in Tagebüchern zu dokumentieren, vor allem aber sich nicht von Area X kontaminieren zu lassen. Doch es sind die Geheimnisse, die sie mit über die Grenze gebracht haben, die alles verändern werden …


    Mein Kommentar:
    Dieses Buch war ein Zufallskauf, ich hatte es überhaupt nicht auf dem Schirm, war aber sofort fasziniert von der Idee, die eine Menge Assoziationen weckte: von Tarkowskis Film "Stalker" über Wilsons "Darwinia" und Ballards "Kristallwelt" usw. Die Erwartung war also hoch - und ich habe mich lange nicht mehr so über ein Buch geärgert!


    Der wichtigste Punkt: der Erzählstil. Es muss ja nicht unbedingt eine lineare Erzählung wie vor 100 Jahren sein, aber diese Story konnte vor erzählerischen Ambitionen schon kaum noch gehen (Stichwort unreliable narrator:( das Buch ist aus Sicht der Biologin erzählt (was mir als Biologin natürlich zunächst sehr entgegenkam), aber es wird im Laufe der Geschichte immer unklarer, was davon Wahn oder Wirklichkeit ist, zumahl die Expeditionsteilnehmer offenbar (aber auch das ist nicht wirklich klar) vorher hypnotisch konditioniert wurden und die Biologin sich sehr bald eine Pilzinfektion einfängt, die weiter ihre Zurechnungsfähigkeit untergräbt. Unterbrochen wird die Story immer wieder von Rückblenden und ausgedehnten psychologisierenden Selbstbetrachtungen, so dass der eigentliche Plot kaum für ein Pixi-Buch reicht und man am Ende nicht schlauer ist, als am Anfang. Auch ist die Biologin als Biologin kaum überzeugend, ihr pseudowissenschaftliches Geschwafel spiegelt wahrscheinlich das wieder, was ein amerikanischer College-Student sich unter Biologie vorstellt (stöhn).


    Zu all diesem Elend kommt die deutsche Veröffentlichungspolitik: die Bände sind nicht sehr dick und im Original bereits vollständig erschienen. Der deutsche Verleger verlangt für diese schwachbrüstigen broschierten Büchlein 17 bis 19 Euro und bringt die zweite und dritte Folge erst im nächsten Jahr heraus. Wären die Folgebände bereits erhältlich, hätte mich der Schwung und der Drang zu erfahren, was der ganze Mumpitz eigentlich soll, vielleicht dazu verführt, alles auf einmal zu kaufen. Bis der nächste Band erscheint, dürfte mein eh schwaches Interesse vollständig erloschen sein, zumal die englischen Kommentare bei Amazon et al. nicht wirklich ermutigend sind.


    Also: Satz mit X - war wohl nix!


    Mit Mühe 1ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Und schon wieder habe ich eine marinehistorische Reihe in einem Rutsch abgeschlossen - das wird ein erfolgreiches Jahr 2014!


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    usw


    Also, nach Hornblower, Ned York und Aubrey & Maturin war jetzt GA Fox dran, sieben eher schmale Bände, bei Ullstein erschienen und nur noch antiquarisch erhältlich. Hinter den sieben Bänden verbergen sich ursprünglich 14 Folgen, die in deutscher Sprache zuerst als Heftromane in der Reihe der "Seewölfe" erschienen sind. Daran sieht man schon, dass diese Bücher in einer anderen Liga spielen, als zB Patrick O'Brians Aubrey & Maturin, und zuerst hatte ich meine Zweifel, ob mir diese Art von Groschenromanen gefallen würden - der Stil ist doch seeeeehr anders. Aber, um das vorwegzunehmen, ich hatte meinen Spaß mit dieser Reihe, und der nahm sogar mit den Bänden noch zu, vielleicht gerade weil die Reihe so anders ist als O'Brian oder Hornblower.


    Der größte Unterschied zu den "klassischen" marinehistorischen Reihen: GA Fox ist kein geborener Offizier, der gradlinig seinen Weg vom midshipman zum captain und darüber hinaus macht, er ist eine Themseratte, kommt von ganz unten, und musste sich seinen Weg vom Pulverjungen zum Offizier hart und gegen viele Widerstände erkämpfen. Dies ist auch das durchlaufende Motiv: sein Neid und sein Haß auf die adligen Nieten in Uniform, die ihm seinen verdienten Platz in der Navy nicht gönnen, und, in der Person von einigen immer wieder auftauchenden Intimfeinden, ihm das Leben immer wieder zur Hölle machen.


    Was gibt es sonst in diesen Büchern: Seegefechte, Geheimaktionen, Schiffbruch und wundersame Rettung, Gefangennahme und Flucht, und dabei viel Blut und Pulverdampf. Natürlich ist Fox ein nautisches Genie, das auch mit einem Ruderboot noch eine halbe französische Flotte erobert; so gesehen sollte man die Bücher eher mit Karl May als mit POB vergleichen - aber who cares! Die Nautik stimmt, soweit ich das beurteilen kann und die Übersetzung ist ordentlich. Dazu hat Fox ein paar "sympathische" Macken, die seinen Superheldenstatus immer wieder etwas untergraben: neben seiner niedrigen sozialen Stellung, die ihm bis zum Ende der Reihe die Beförderung zum Captain verwehrt, hat er ein Augenleiden, dass ihn immer in den ungünstigsten Momenten erblinden läßt; eine andere Schwäche beschreibt ein englischer Rezensent irgendwo so, dass Fox "vertically challenged" sei: in Gegenwart weiblicher Wesen hält ihn nichts in der Vertikalen, was zwar nicht ganz der heutigen "political correctness" entspricht, ihm aber den Ruf des schwärzesten Bastards der ganzen Navy einbringt.


    Fazit: eine action-geladene marinehistorische Reihe hart an der Groschenheft-Grenze; für Liebhaber des Genres ein Geheimtipp.

    Hallo allerseits,
    ich habe mich eine Zeit lang nicht blicken lassen, war aber keineswegs faul, sondern habe eifrig einige Reihen abgeschlossen, die schon länger bei mir rumdümpelten. Dazu gehörte auch die marinehistorische Aubrey/Maturin-Reihe von Patrick O'Brian. Ich hatte die Reihe (20 Bände) vor 5 oder 6 Jahren angefangen und jedes Jahr 1 bis 2 Bände gelesen. Jetzt wollte ich es aber wissen und habe von Juli bis jetzt die fehlenden 10 Bände gelesen. WOW, was für ein Leseerlebnis! Früher dieses Jahr hatte ich ja über die Hornblower-Reihe berichtet, die den Typus der modernen marinehistorischen Romanreihe begründet hat; Hornblower wird immer ein Klassiker bleiben, aber für mich ist O'Brian der Goldstandard jeder historischen Romanreihe!


    Für diejenigen, die POB (wie Patrick O'Brian unter seinen Verehrern genannt wird) noch nicht kennen: worum geht es? Oberflächlich betrachtet ist dies eine von mittlerweile vielen Reihen, die einen Offizier der Royal Navy zu Zeiten der napoleonischen Kriege durch seine Karriere verfolgt. Hier ist es Captain "Lucky" Jack Aubrey der im ersten Band mit dem Schiffsarzt, Naturforscher und Geheimagenten Stephen Maturin zusammentrifft; zusammen werden die beiden die sieben Weltmeere befahren und zahllose Abenteuer bestehen. Während sich aber die meisten Reihen dieser Art ganz auf die spannenden und heldenhaften Aktionen auf See konzentrieren - Seeschlachten, Verfolgungsjagten, Schiffbruch und Gefangennahme - zielt O'Brian viel höher: er entwirft ein komplettes und komplexes Gesellschaftsbild der damaligen Zeit, unglaublich detailliert und vielschichtig und im englischen Original in einer Sprache, die einer Jane Austen ebenbürtig sein soll. Auch O'Brian versteht sein Seehandwerk: manche Autoren schreiben vielleicht detailliertere Seeschlachten (wer dies braucht, mit allen seinen blutigen Einzelheiten), aber keiner schafft es wie POB, das Leben an Bord eines Segelschiffes mit allen seinen scheinbar unwichtigen Details zum Leben zu erwecken. Auch Pulverdampf gibt es nicht zu kanpp, aber hier kämpfen und sterben nicht Superhelden und Pappfiguren, sondern echte Menschen, die bis in die kleinsten Nebenrollen wunderbar charakterisiert sind. Auch hier lohnt ein näherer Vergleich mit anderen Reihen: da gibt es eine Sorte, die neben dem meist überlebensgroßen und unverwundbaren Superhelden nur gesichtslose Pappfiguren zu bieten hat; und die andere Sorte, in der der Captain mit seinem dream-team an Matrosen und Offizieren von Folge zu Folge segelt, ohne dass sich hier viel ändert. Auch das Duo Jack/Stephen ist viel mehr als das übliche Team aus Held und buddy, der nur dazu da ist, die Größe des Helden widerzuspiegeln (siehe Sherlock Holmes & Watson): zwischen den beiden entwickelt sich eine Freundschaft, die so menschlich, so tief und vielschichtig ist, wie man sie selten in der Literatur findet.


    Wie schon erwähnt, entwirft POB ein komplexes Gesellschaftsbild der damaligen Zeit; dazu gehören Betrachtungen zur Naturkunde (Stephen Maturin ist in Teilen Darwin nachempfunden), Medizin (und was man damals für Medizin gehalten hat), Musik (Jack und Stephen spielen auf ihren langen Reisen gerne Geige und Cello im Duett, und POB beweist auch hier, dass er sich in der Musik der damaligen Zeit meisterhaft auskennt), Politik und Justiz (so geschickt Jack auf See ist, so ungeschickt agiert er oft auf dem Lande und wird deshalb mehrmals in politische und juristische Händel verstrickt, die seiner Karriere überhaupt nicht zuträglich sind) und überhaupt zur conditio humana, zu Liebe und Leid, zu den Grundlagen unseres Fühlens und Handelns. Und in den späteren Bänden merkt man deutlich, dass auch der Autor älter geworden ist (POB starb nach dem 20. Band mit 85 Jahren): die action-geladenen Kampfszenen (wenn auch weiter vorhanden) treten etwas zurück, Stephen und Jack bemerken (überrascht) an sich selbst erste Zeichen des Alterns, die Stimmung der Bücher bekommt einen schwermütig-elegischen Ton und POB scheut sich am Ende auch nicht, einige Charaktere, die praktisch seit dem ersten Band dabei waren, sterben zu lassen.


    Zum Stilistischen: nach all diesen Lobpreisungen verwundert es nicht, dass POB auch in stilistischer Hinsicht ein Meister war und meilenweit über dem Durchschnitt der historischen Romane schrieb. Manchen Lesern, die eher action-geladene Bücher gewohnt sind, mag der Stil mal zu geschwätzig erscheinen, mal zu knapp, wenn POB zB mitten aus einem Gefecht plötzlich um Wochen vorspringt, aber stilistisch sehr geschickt die fehlenden Informationen in Briefen, die Jack an seine Frau schreibt, nachholt. Seine Dialoge sind geschliffen und immer on-spot, und oft von einer solchen hintergründigen Komik, dass ich oft laut losprusten musste (an einer Stelle zB nimmt Stephen ein furchtbar stinkendes Kraut für seine Apotheke an Bord und überlegt, wo er es lagern soll (auf anderen Schiffen wird es hoch am Mast gelagert, weil es sonst zu unerträglich ist); er kommt zum Schluß, dass es im Fähnrichs-Logis, das von pubertären Jungsbewohnt wird, kaum auffallen sollte, während Jack beim Betreten des Raumes fragt, ob dort irgendetwas verwesen würde)


    Manche meinen, die Aubrey/Maturin Reihe wäre keine Folge von 20 Büchern, sondern ein einziges, 7000 Seiten langes Buch, und da ist viel Wahres dran, zumal in der zweiten Hälfte der Reihe, wo die einzelnen Bände nahtlos aneinander anschliessen und es viele übergreifende Handlungsbögen gibt. Das war auch der Grund, warum ich jetzt die fehlenden 10 Bände am Stück gelesen habe: man mag wirklich nicht aufhören und wenn ich die Reihe noch einmal lese (was ich auf jeden Fall und sicherlich recht bald tun werde), werde ich sie von Band 1 bis Band 20 non-stop lesen.


    So, genug geschwafelt, mein Fazit sollte mittlerweile klar erkennbar sein: volle Leseempfehlung für alle, die nautische Abenteuerliteratur, historische Romane im allgemeinen UND überhaupt stilistisch brilliante Bücher lieben. Warnen sollte ich nur davor, dass, hat man die Bücher einmal angefangen, man nicht mehr von ihnen loskommt, und dass man für viele eher mittelmässige Bücher verdorben ist; die eigene Messlatte, was ein gutes Buch ausmacht, hängt bei mir jetzt um einiges höher.


    Morwen

    Llyren
    Ich würde besser am Anfang anfangen - die Bände bauen doch klar aufeinander auf, man versteht dann viele Anspielungen auf die Vorgeschichte nicht.


    Ich habe die Bände alle günstig bei Booklooker gefunden, da ist zZt nichts, aber man bekommt sie auch für den Kindle.

    So, ich habe jetzt mal in einem Rutsch auch diese Reihe fertig gelesen (dieses Jahr entwickelt sich zum Jahr der beendeten Serien für mich :smile:). Vorher hatte ich von Porter Hill die "Bombay Marines"-Reihe gelesen, und die bewegte sich doch hart am Groschenheft-Niveau entlang. Dagegen ist Dudley Pope ein richtiger Schriftsteller der sicher sein Seemannshandwerk versteht und auch Charaktere und Situationen prägnant beschreiben kann. Auch wenn er nicht an das Niveau und den subtilen Witz von Patrich O'Brian herankommt, sind die Bücher flott zu lesen, besonders dank des robusten Humors, den die Hauptfiguren Ned, Thomas, Aurealia und Diana pflegen. Diese Bücher könnte man sich perfekt in den 60er Jahren verfilmt vorstellen, mit Cary Grant oä in der Hauptrolle als Gentleman-Korsar.


    Zur Handlung der Bände 2-4: nachdem Ned als treuer Royalist vor Cromwells Anhängern flüchten musste, hat er sich zum Anführer der Brethren of the Coast gemausert, der durch eine Reihe wagemutiger Raubzüge gegen die Spanier uneingeschränkte Autorität unter den Brethren genießt. Mit deren Hilfe wird Port Royal auf Jamaika ausgebaut und zum Stützpunkt der Brethren. Nachdem Cromwell tot und die Monarchie wieder eingeführt ist müssen Ned und seine Brethren sich mit dem unfähigen Gouverneur herumschlagen, der nicht einsehen will, dass die Spanier ein englisches Jamaika nicht lange dulden werden ("no peace beyond the line").


    Fazit
    Eine locker-flockig erzählte Gentleman-Korsaren-Geschichte, die man sich als Liebhaber des Genres nicht entgehen lassen sollte. Im 3. & 4. Band gab es im Mittelteil einige kleinere Längen, wo dem Autoren offenbar nichts besseres eingefallen ist, als seine segelnden Protagonisten sich gegenseitig die karibische Szenerie beschreiben zu lassen.


    Ein weiterer Punkt, der mir jetzt aufgefallen ist: der Autor deutet an, dass die Korsaren mit ihren Mätressen nicht nur züchtig Karten spielen, wird aber zum Glück wenig explizit. Trotzdem kann er es sich an mehreren Stellen nicht verkneifen, die körperlichen Reize von Aurelia und Diana im Detail

    zu beschreiben; diese Art von Altherren-Literatur (Pope ist jenseits der 60 zu dieser Zeit) ist mir schon bei Asimov, Heinlein und Frank Herbert ("Dune") in ihren späteren Werken aufgefallen - da muß wohl schwindendes eigenes Vermögen literarisch kompensiert werden.


    Trotz alledem: eine kurzweilige Reihe, insgesamt 3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Gestern habe ich dieses Buch (auf Englisch) beendet - mein erster Kay, sicherlich aber nicht mein letzter - und ein paar Gedanken muß ich noch loswerden.


    Zum Inhalt
    Einig war die Halbinsel "Die Hand" noch nie: verfeindete Fürstentümer (den italienischen Stadtstaaten der Renaissance nachempfunden) bekämpften sich seit Generationen, aber nun ist sie von zwei wiederum verfeindeten Großmächten fast vollständig besetzt und wird von zwei Tyrannen mit harter Hand und ihren Zauberkräften regiert. Die ehemalige Provinz Tigana hat es dabei besonders hart getroffen: hier war der Sohn des Tyrannen Brandin getötet worden und dieser hat grausame Rache geschworen. Nicht genug, dass er die Provinz unterworfen und die berühmten Türme, das Wahrzeichen der Hauptstadt, dem Erdboden gleichgemacht hat; mit Hilfe seines Zaubers soll die Erinnerung an diese Provinz aus dem Gedächtnis der Menschen getilgt werden. Niemand, der nicht dort geboren wurde, kann sich an den Namen Tigana erinnern, die Provinz wird jetzt zu "Lower Corte", einem Teil des ehemals größten Feindes, und niemand hört auch nur den Namen, wenn er ausgesprochen wird.


    Eine kleine Truppe von Aufständischen macht sich auf, für das Gedächtnis ihrer Heimat und für die Freiheit der ganzen Hand zu kämpfen.


    Meine Meinung
    Wie gesagt, dies war mein erstes Buch dieses Autors, aber ich bin sicher, er wird sich zu einem meiner Favoriten der phantastischen Literatur entwickeln! Dieses Buch mit seiner Welt ist so sorgfältig konstruiert, die Figuren so vielschichtig gezeichnet, der Plot bis zum Ende so überraschend und wenig vorhersehbar, ohne auf billige cliffhanger zu setzen - das alles hebt das Buch weit über den genretypischen Durchschnitt.


    Faszinierend fand ich zunächst das Konzept der historical fantasy: eine reale historische Epoche und Region wird in's Phantastische transponiert, aber ohne dass die Phantasie mit dem Autoren durchgeht; das Leben in den Städten und Dörfern ist sehr realistisch und stimmig gezeichnet und die Magie bleibt über weite Strecken dezent im Hintergrund. Dieses Konzept gefällt mir viel besser, als sein Vetter, die alternate history, wo die Welt erkennbar unsere ist, aber aufgepeppt durch magische oder sonstige Gimmicks; das kann sicher auch seine Reize haben, mir gefiel an Tigana aber gerade die Disziplin, mit der der Autor seine Welt gestaltet hat.


    Ein anderer faszinierender Aspekt: obwohl es auch in diesem Buch reichlich genretypische Motive gibt, so zB die zusammengewürfelte Gruppe von Wanderern ("die Gefährten"), die zu einer Queste ausziehen, natürlich die Zauberer, aber auch der Gedanke des gerechten Königs/Fürsten (hat irgendjemand bei der Figur des Alessan NICHT an Aragorn-Elessar gedacht?), steht doch im Mittelpunkt des Buches eine Idee: die Rolle der Erinnerung für die kulturelle Identität eines Volkes und die Möglichkeit der Auslöschung dieser Identität. Der Autor beschreibt in einem Nachwort, wie ihm dieser Gedanke in der Zeit nach dem Prager Frühling kam, als unliebsame Politiker plötzlich aus Photos wegretuschiert wurden und so im doppelten Sinne ausgelöscht wurde; und es fällt auch nicht schwer, Parallelen zur russischen Krimpolitik zu finden: ur-russisches Land? Die Krimtataren dürfen sicher nicht mit viel Verständnis für ihr Vorstellung von Heimat und kultureller Identität rechnen; auch die Kurden wurden zu Bergtürken umdeklariert, um sie so ihrer Identität zu berauben; ein weites Feld, aber das nur am Rande.


    Das Motiv des gerechten Königs/Fürsten, der völlig selbstverständlich sein ihm zustehendes Reich zurückfordert, hatte ich schon angesprochen: auch wenn Kay hier ganz klar auf die klassische Fantasy a la Tolkien zurückgreift (wo die Rechtmässigkeit von Aragorns Anspruch nie wirklich in Frage gestellt wird), gibt es hier die Figur des Zauberers Erlein, der anmerkt, dass immerhin die Straßen unter den Tyrannen sicherer waren als vorher. Kay ist sich also des Problems der Macht und ihrer Legitimation bewußt, zumal ja der Freiheitskampf allen 9 Provinzen gilt und die zerstrittene Halbinsel geeint werden soll - selbstverständlich unter Alessan, der ja qua Geburt ein Recht auf die Herrschaft hat. Die neuere Fantasy ist da doch um einiges zynischer geworden: auch wenn ich Game of Thrones noch nicht gelesen habe, scheint es dort keine Illusion eines gerechten Herrschers mehr zu geben.


    Ein Punkt noch, bevor ich mich hier total verheddere: die Vergleiche mit Tolkien kommen nicht von ganz ungefähr, war doch der Autor nach Tolkiens Tod mit dessen Sohn an der Herausgabe des Silmarillions beteiligt - für einen Fantasyautor gewissermaßen eine Heilig-, oder doch zumindest eine Seligsprechung. Die Einflüsse sind nicht zu leugnen, aber auch nicht der Versuch, sich von ihnen abzusetzen: mehr Sex, aber auch mehr Religion und mehr starke Frauen.


    An manchen Stellen liest man, dies sei nicht sein stärkstes Buch: wenn dem so ist - wie sehen dann erst seine guten aus?


    Insgesamt ein volles Wow und beinahe 5ratten - leichte Abzüge in der B-Note wegen gelegentlichem Pathos, aber das ist verzeihlich.


    Morwen

    Tamlin


    Den Parkinson habe ich schon auf dem Schirm gehabt, obwohl ich im Moment das Thema Hornblower eher abgeschlossen habe und lieber etwas Neues angehe (habe mir gerade einen Band von Porter Hill über die Bombay Marines gegriffen) bzw an alten Baustellen weiterarbeite (habe noch etwa die Hälfte der Aubrey/Maturin-Bände vor mir).


    Der 11. Band der Hornblower-Kassette ist übrigens eben jener Sammelband mit drei Erzählungen plus autobiographischer Skizze - war sehr interessant zu erfahren, wie diese Reihe entstanden ist, wie Zeitgeschehen und Leserwünsche (mehr von Horry!) mitgewirkt haben und wie sein Menschenbild da mit reingespielt hat. Als Abschluß der Reihe wirklich erhellend.


    Etwas anderes: ich habe gerade gesehen, dass du 2011 einen Band von Guy Gavriel Kay besprochen hast, der ja wohl, wenn ich das richtig sehe, hierzulande eher als Geheimtipp gilt. Ich habe eben "Tigana" beendet (sehr gut!) und sollte vielleicht doch noch zu einer Rezension ansetzen. Muß mal in deinem Profil stöbern, vielleicht gibt's da ja noch andere Überschneidungen.


    Morwen

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    Blurb:
    Um ihre Doktorarbeit in Ruhe vervollständigen zu können (und um auf Abstand zu einer vermurksten Beziehung zu kommen) nimmt Victoria Scott einen Job auf einer Wetterstation auf einer einsamen Insel vor der norwegischen Küste an. Worauf sie nicht vorbereitet ist: seltsame Schatten tummeln sich nachts vor ihrer Hütte, Gerüchte von einem Dämon, der einem nachts die Seele aussaugen will werden unter den Mitarbeitern erzählt und auch im stillen Waldsee soll ein mörderischer Geist hausen. Das Schlimmste daran: all dies ist ihr auf unheimliche Weise vertraut. Als dan urplötzlich ein Fremder auf der einsamen Insel auftaucht, muß Victoria erkennen, daß sie Teil einer Geschichte ist, die vor über tausend Jahren begann, daß die alten nordischen Götter wie Odin, Loki und Vidar alles andere als verstaubte Sagengestalten sind und daß jemand sehr mächtiges ihren Tod will.


    Fazit
    Paranormal romance ist nun wirklich nicht mein Genre, mich hatte die Verquickung von nordischen Mythen und heutiger Zeit gereizt und ich bin nicht enttäuscht worden. Die Autorin hat ihre Hausaufgaben gut erledigt, soll heißen, die nordische Mythologie ist solide verarbeitet und auch sonst ist die Story, wenn sie auch manchmal etwas langsam von der Stelle kommt, spannend und stilistisch sauber erzählt. Die Romanze umfaßt verschiedene menschliche und nicht-menschliche Protagonisten in einem komplizierten n-Eck Verhältnis (2 Frauen, menschlich; 1 Frau, nicht-menschlich; 2 Männer, menschlich und 2 Männer, nicht-menschlich, also zusammen sieben) und ist für meinen Geschmack erfreulich un-schmalzig geschrieben.


    Als leichte Zwischenmahlzeit, die Lust darauf macht, die nordische Mythologie mal wieder zu erkunden, durchaus zu empfehlen.
    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    EDIT: Vornamen im Betreff ergänzt. LG, Saltanah

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    Peter Handke hat in den letzten gut 20 Jahren fünf "Versuche" geschrieben, kurze Bücher, die jeweils ein Thema, eine Idee, umkreisen, aber nicht wie ein Essay mit dem Ziel der scharfsinnigen Analyse, sondern eher eine suchende, tastende Annäherung, ein Mäandern, das nicht unbedingt an ein Ziel kommen will.


    Drei der bisherigen Versuche habe ich schon gelesen ("Versuch über die Müdigkeit", "Versuch über die Jukebox" und "Versuch über den geglückten Tag"), der vierte "Versuch über den stillen Ort" ist mir bisher irgendwie entschlüpft. Allen Versuchen gemein ist die eigentümliche, in manchen Kritiken steht 'verschwurbelte', Sprache. Es ist eine Sprache, die vielleicht nicht nirgendwo hinwill, aber zumindest nicht auf dem kürzesten Weg; es sind Sätze mit zahllosen Einschüben, Unterbrechungen, Sätze, die sich gewissermaßen selber in's Wort fallen, die sich vorsichtig, tastend, mäandernd ihrem Gegenstand nähern, immer wieder neu ansetzend. Dies sind alles keine Bücher für Zwischendurch, so kurz sie auch sein mögen, und viele werden sie vermutlich genervt weglegen, weil sie scheinbar nirgendwohin führen. Mich faszinieren sie immer wieder, weil sie eine Vorsicht, eine Genauigkeit, eine Behutsamkeit in der Beobachtung demonstrieren, eine Beobachtung, die gleichzeitig das Allerkleinste und das Allergrößte fokussiert, die Farbe eines Pilzkopfes im Schattenspiel eines Waldes und das Wechseln des Wetters und der Jahreszeiten.


    Worum geht es nun in diesem Buch? Ganz einfach um einen Pilznarren, einen alten Jugendfreund des Erzähler-Ichs (des Autors?), der schon immer die Gabe hatte, "in die Pilze zu gehen", der sich, seinen Beruf und seine Familie später an die Pilznarrheit verlor, und zumindest sich dann doch wiederfand. Mehr lässt sich über dieses Buch sinnvoll nicht sagen, manchem mag es komplett pointless erscheinen, mich inspiriert (ermahnt/regt an) es zu einem genauen, fast meditativen Beobachten (was mir als Botanikerin sowieso vertraut ist).


    Kein Buch für jeden, für manche aber vielleicht eine Offenbarung


    Morwen

    Ende 2013 bis Anfang 2014 habe ich alle 11 Hornblower-Bücher am Stück gelesen und möchte auch hierzu noch ein paar Worte nachschicken.


    Für die, denen Hornblower nichts sagt: C.S. Forester hat mit seinen Hornblower-Büchern den Urtypus der marinehistorischen Romanserie geschaffen, die dem Helden vom Anfang seiner Karriere als jugendlicher und vor allem seekranker midshipman bis zum verdienten Ruhestand als geachteter Lord folgt. Wie seine zahlreichen Nachfolger (zB Patrick O'Brian, Richard Woodman u.v.a.m.) siedelt Forester seine Geschichten in der Zeit der Napoleonischen Kriege an und wie es das Schicksal (bzw der Autor) will, ist Hornblower bei vielen Wendepunkten dieses langen Krieges anwesend oder sogar beteiligt.


    Zu den einzelnen Büchern möchte und kann ich nicht viel sagen, da ging es schon beim Lesen etwas durcheinander, so dass ich manchmal nicht mehr wusste, was zwei Bücher zuvor passiert war. Trotzdem liefern die Bücher alles, was man von einer historischen Abenteuerreihe erwartet: die Historie ist - nach allem, was ich gelesen habe - sehr gut recherchiert (so gut, dass, so erzählt man, manche Historiker über bis dato unbekannte Details des Russlandfeldzuges von 1812 überrascht und erfreut waren, und wissen wollten, aus welchen Quellen Forester davon erfahren habe), die Seeabenteuer und das Leben an Deck sind packend und realistisch geschrieben.


    Wozu ich aber etwas sagen möchte sind die Personen und ihre Charakterisierungen: Forester stattet alle seine Figuren mit sehr dezidierten Eigenschaften aus, denen man manchmal etwas das bewußt konstruierte anmerkt. Hornblower zB ist ein ambivalenter Charakter: wenn wir ihn kennenlernen ist er ein unsicherer, von Seekrankheit geplagter midshipman, aber er wächst sehr schnell in die Rolle des brillianten Strategen herein, der mit wenigen Blicken eine Lage erfasst und makellose Strategien entwirft. Seine Selbstzweifel, seine Seekrankheit und seine (immer wieder demonstrativ herausgestellte) Unmusikalität bleiben aber durch alle Bücher erhalten. Das mag man als Realismus schätzen, Hornblower ist eben kein makelloser Superheld, aber es wirkt doch eben manchmal etwas konstruiert, zumahl Forester gerne über Hornblowers Charaktereigenschaften doziert, wo man ihm gerne zugerufen hätte "show, don't tell". Aber das ist wohl insgesamt Forersters großes Thema gewesen: Männer in Extremsituationen, einsame Entscheider und Helden, die nach dem Motto leben "A man's got to do what a man's got to do." Das ist sicher auch der Zeit geschuldet, in der die Bücher erschienen: der erste Band kam 1937 heraus, und ein großer Teil erschien während des zweiten WK, so daß man das herausgestellte Heldentum auch als Unterstützung der Heimatfront in schweren Zeiten deuten kann. In diesem Sinne muss Napoleon wohl auch die Rolle Hitlers als grausamer Despot übernehmen und die französischen und spanischen Soldaten kommen meist sehr schlecht weg (ähnlich dem deutschen "Frrritz" in frühen Kriegsfilmen) - die Engländer brauchten's halt etwas morally uplifting in der Zeit.


    Auch die Frauenrollen entsprechen nicht ganz dem heutigen Standard, das kann O'Brian in seinen Aubrey/Maturin Büchern einfach in jeder Hinsicht besser, aber sie erfüllen die ihnen vom Autor zugedachte Rolle im Hinblick auf den zentralen Helden.


    Ein paar Worte sind noch zur Lesereihenfolge nötig: Forester hat die Reihe etwa in der Mitte von Horatios Karriere angefangen, dann einige Romane in chronologischer Folge geschrieben und später gewisse Lücke am Anfang und am Ende aufgefüllt. Ich habe, wie es auch oft bei solchen Reihen empfohlen wird, die Bücher in strikt chronologischer Folge gelesen, so wie sie im Schuber der vollständigen Ausgabe standen. Mittlerweile würde ich eher raten, die Bücher in der Folge ihres Erscheinens zu lesen: der Autor und sein Stil reifen merklich über die Jahre, dazu kommt, dass der chronologisch erste Band (Fähnrich Hornblower) eine Sammlung von Episoden ist, der man den Zweck, biographische Lücken zu füllen, deutlich anmerkt.


    Fazit
    Wer sich für marinehistorische Romane interessiert kommt an diesen Büchern einfach nicht vorbei: sie sind der Ausgangspunkt dieses ganzen modernen Genres, auch wenn Forester natürlich Vorbilder hatte (zB die Bücher von Frederick Marryat, die ich mir irgendwann mal vornehmen muss). Der moderne Leser muss etwas Toleranz aufbringen gegenüber einem Menschenbild und gegenüber Geschlechter- und Charakterzeichnungen, die vielleicht heute etwas angestaubt wirken, aber einfach ihrer Zeit geschuldet sind. Wenn man darüber hinwegsehen kann bleiben 11 spannende Abenteuerroman, die sicher auch in Jahrzehnten noch gelesen werden können.

    Es ist schon wieder 2 Wochen her, dass ich dieses Buch abgeschlossen habe und ich will doch noch ein paar Kommentare nachschicken.


    Zunächst: es ist ein überwältigendes Buch - in jederlei Hinsicht. Überwältigend durch seine scheinbar endlose Vielfalt an Figuren, Geschichten, Schicksalen, Orten, überwältigend durch die schier grenzenlose Phantasie, mit der C. Valente all diese Zutaten zu einem undendlichen Wandteppich verwebt, der immer neue Einzelheiten zeigt, wie nah man auch herangeht (da Valente auch naturwissenschaftlich bewandert ist, ist ein Vergleich mit den fraktalen "Apfelmännchen" sicher nicht unangebracht, wo immer neue Details sichtbar werden, wie tief man auch hereinzoomt).


    Überwältigend aber auch manchmal durch seine verschachtelte Komplexität: mehr als einmal habe ich etwas den Faden verloren bei den tief ineinandergeschachtelten Geschichten und manche Motive müsste ich bei einem zweiten Lesedurchgang etwas genauer im Blick behalten (wie genau zB die Grassterne, die vom Himmel auf der Erde stürzen, im Zentrum der ganzen Geschichte stehen).


    Ich frage mich gerade, ob die Autorin das ganze quasi freihändig geschrieben hat, oder ob sie eine Art Landkarte oder Plan hatte, wie alle Geschichten zusammenhängen: es wäre vielleicht ein lohnenswertes Vorhaben, so einen Plan beim nächsten Lesen zu rekonstruieren.


    Fazit: wer sich auf dieses Leseabenteuer einlässt, wir über die Maßen reich belohnt, aber er/sie muss wach und aufmerksam sein - dies ist kein Buch für nebenher. Und vielleicht sollte man (anders als ich) beide Bücher direkt hintereinander lesen: die vielen verknüpften Details sind dann einfach frischer in der Erinnerung. Wer also ein märchenhaft-phantastisches Buch jenseits der ausgetretenen Fantasy-Pfade sucht, sollte dieses Buch unbedingt lesen.


    Morwen

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    Ich bin zwar erst knapp halb durch, aber ich mache schon mal einen thread auf, da es sicher noch ein paar Tage dauern wird bis ich fertig bin.


    Wie schon sein Vorgänger (In the Night Garden), den man unbedingt vorher gelesen haben sollte, da dieses Buch nahtlos und ohne weitere Einführung weitermacht wo jenes aufgehört hat, ist dies eine komplex verschachtelte Geschichte in der Geschichte in der Geschichte ... in der Tadition von 1001 Nacht. Wer Cat Valente kennt, weiß was sie/ihn erwartet: die Autorin hat eine geradezu übermenschliche Phantasie und eine so eigene, bildreiche Sprache, dass man sie wirklich mit nichts vergleichen kann, was ich kenne.


    Der Einstieg in dieses Buch war für mich nicht ganz so einfach, wie bei seinem Vorgänger (ich hatte auch 1 1/2 Jahre mit der Fortsetzung gewartet), die ersten Geschichten sind ziemlich düster geraten, aber mittlerweile hat sich die Erzählung freigeschwommen und ich warte immer nur darauf, dass abends bei uns Ruhe im Karton ist (dies ist auch kein Buch für zwischendurch, man verliert gnadenlos den Überblick, wenn man nicht bei der Sache ist), um endlich wieder in Valentes verwunschene Welt abzutauchen.


    Es ist wirklich unglaublich: die Autorin scheint wirklich jede einzelne Sage und jedes Märchen auf dieser nicht gerade kleinen Welt aufgenommen zu haben und alles zu etwas ganz eigenem und neuem geformt zu haben. Es wird nach diesem Buch wieder nicht einfach sein, zu ganz normalen bread-and-butter Büchern zurückzukehren.


    Morwen

    Obwohl ich eigentlich gerade Cities of Coin and Spice angefangen hatte, musste ich doch erst noch dieses Buch zwischenschieben, wo ich doch gerade mit September unterwegs gewesen war.


    Ja, auch mir ging es ähnlich wie Dir, Wendy: der Anfang zieht es sich etwas, und man weiss nicht recht, wo die Reise hingeht. Auch wird gelegentlich ein klein wenig zu viel doziert; aber letztlich ist auch dieses Buch wieder so hinreissend, wie seine Vorgänger - vielleicht sogar noch hinreissender, weil (zumindest mir) nach und nach klar wurde, dass September und mir die Bücher, älter und reifer werden. Es ist letztlich eine coming-of-age Geschichte und hinter der überbordenden Phantasie stecken eine Menge wichtige Fragen, die sich Jugendliche in Septembers Alter fragen: was fange ich mit meinem Leben an, kann ich überhaupt selbst entscheiden, was ich tue; übernehme ich Verantwortung für andere und bin ich auch in 20 Jahren noch der-/dieselbe, die ich mal war; und natürlich die Frage, was die erste unbeholfene Liebe mit einem macht ...


    Unglaublich diese Frau. Ich bin sicher, diese Bücher werden auch in der Rückschau in 30 oder 50 Jahren als Klassiker gelten.


    Morwen


    wegen der leichten Startschwierigkeiten
    4ratten & :marypipeshalbeprivatmaus:

    Auch ich habe das Buch jetzt gelesen, ich habe es schon vor zwei Tagen beendet, aber ich habe immer noch diesen Geschmack auf dieser Zunge, dieses typische CM Valente-Aroma, das nur sie zustande bringt. Ich versuche jetzt erst gar nicht, irgendwelche Vergleiche zu bemühen, diese Frau ist einfach einzigartig und man kann sich nur dankbar und demütig vor ihrer Sprachkunst verbeugen.


    Was mir diesmal noch stärker als im ersten Buch aufgefallen ist (was aber an mir liegen mag), wie sie in der oft komplett absurden Komik tiefe Wahrheiten über das Leben und den Menschen verstecken kann; als Kind liest oder hört man vielleicht darüber hinweg, aber für den erwachsenen Leser sind da viele, viele Perlen vergraben - einfach wunderbar.


    5ratten


    Band drei ist schon bestellt, ich müsste ihn nur noch beim Buchladen abholen, und um nicht in der profanen Wirklichkeit notlanden zu müssen lese ich jetzt gerade den zweiten Teil der "The Orphan's Tales - In the Cities of Coin and Spice".


    Morwen


    Hast Du mal die Biographie von Carpenter gelesen? Ich könnte mir vorstellen, dass sie Dir gefällt, darin steht viel über seine Ansichten und seine Motivation.


    Ja, ich habe das Buch gelesen, ist aber eine Ewigkeit her. Müsste ich mal wieder in die Hand nehmen.


    Valentine
    Interessantes Fundstück! Ich wollte das erst auch als völlig überzogene Paranoia abtun, aber es sind da einige nicht zu leugnenden Parallelen. Man muß allerdings auch die Zeit bedenken: 1980 war gewissermassen noch Nachkriegszeit, da gab noch ganz andere Empfindlichkeiten und die Nazi-Keule lag sehr locker in der Hand. Heute sind wir da etwas "entspannter" (oder abgestumpfter) - ob zum Guten oder Schlechten möchte ich mal offen lassen. Tolkien offenen Rassismus vorzuwerfen ist sicher überzogen, er hat sich gewisser Stereotype bedient, von denen niemand frei ist. Mittlerweile ist der Anti-Rassismus genauso ein Stereotyp geworden, das sofort reflexhaft zuschnappt, wenn sich nur jemand schwarze Schuhcreme in's Gesicht schmiert. Ein sehr spannendes Thema - muss aber leider warten, die Küche ruft.


    Morwen


    Hm...peppiger finde ich die Übersetzung von Krege wirklich nicht, zumal sich ja am Erzähltempo und der Handlung nichts ändert.


    Ich habe die neue Krege-Übersetzung nicht wirklich gelesen, aber nach allem, was ich gehört und an Auszügen gesehen habe war man dort bemüht, die bei Tolkien (besonders auch in der Carroux-Übersetzung) eher archaische Sprache auf frisch und modern zu bürsten. Ich kann die Motivation nachvollziehen, da sich die Lesegewohnheiten seit der Zeit stark geändert haben (und Tolkien war zu seiner Zeit schon ein Anachronismus), aber das geht an Tolkiens Intention natürlich völlig vorbei.


    Zitat

    Was genau siehst Du denn jetzt kritischer?


    Kritisch war nicht im Sinne von "negativer Kritik" gemeint (wie es ja heute meist verstanden wird), sondern eher, dass ich gewisse Motive und Motivationen Tolkiens besser verstehe, als Jugendliche habe ich doch weitgehend an der Oberfläche der Geschichte lang gelesen. Z.B. wie Tolkien das Auenland als Idealbild des "Merry old England" konstruiert, oder die Wiederherstellung des gerechten Königtums durch Aragorn am Ende, das sagt eine Menge über Tolkiens Ansichten aus, auch wenn er ja eine allegorische Lesart seiner Bücher immer abgelehnt hat.


    Zitat

    Dass Du Tolkien humorfrei findest überrascht mich ziemlich, ich finde es teilweise doch sehr komisch und die Hobbits (Merry und Pippin) und auch teilweise Legolas und Gimli sehr flapsig :zwinker: Hauptsächlich natürlich im 2. Teil, aber im 1. merkt man es auch schon.


    Humorfrei war vielleicht der falsche Begriff; du hast ganz Recht, es gibt eine ganze Reihe humorvoller Szenen, aber der Humor ist doch eher von einer gebremsten Natur, er blitzt immer mal wieder kurz auf, während der generelle Ton doch eher ernst ist. Im Gegensatz dazu scheinen mir moderne Autoren ohne den Einsatz des Stilmittels "comic relief" garnicht mehr auskommen zu können - mich nervt das eher.


    Zitat

    Für mich übrigens immer noch das beste Buch was je geschrieben wurde :breitgrins:


    Für mich ist es auch eines der bemerkenswertesten Bücher und durch meine eigene Lese-Historie wird es mir immer sehr am Herzen liegen (ähnlich wie die Kleinstadt, die ich vor über 20 Jahren verlassen habe und vielleicht alle paar Jahre wiedersehen werde); aber in meinem "fortgeschrittenen Alter" wird dieses Spiel um Lieblingsbücher, -autoren, -bands, -filme etc zunehmend bedeutungslos (was meine Kinder auch nicht so richtig verstehen können, wenn sie mich nach meiner Lieblingsfarbe, meinem Lieblingstier oder sonstwas fragen): es gibt so viel gute Bücher (und noch viel mehr schlechte), und sie sind auf so viele verschiedene Art und Weise gut ... was soll man da sagen?


    LG


    Morwen

    Ich habe mir auch gleich als Gegengift den ersten Band der Hornblower-Reihe rausgeholt - wollte ich eh mal wieder in Angriff nehmen. Da merkt man in jedem Satz, dass der Übersetzer weiss, wovon er spricht.


    Hier noch ein letztes Beispiel. Der Satz, den Doris gerade zitiert hat, geht im Original folgendermassen weiter:
    " ...., which folded him like paper around itself, crushing his innards and backbone as it did so." Nicht sehr appetitlich, aber bildhaft beschrieben.
    In der Übersetzung:
    "Wie Papier schlang er sich um den Mast, der ihm Eingeweide und Rückgrat brach!"


    Wer tut hier was, wer ist hier Subjekt und wer ist Objekt? Im Original wird er gefaltet, in der Übersetzung schlingt er sich selbst um den Mast - ein nicht unwesentlicher Unterschied will mir scheinen. Und dann die brechenden Eingeweide: naah, geht gar nicht! Wie wäre es denn mit dem schönen Wort "zerschmettern" gewesen? Das passt gleichermaßen für Eingeweide und Rückgrate, aber da hätte man vielleicht für 5 cent nachdenken müssen.


    Genug davon - zurück an's Buch

    WAAAH! trifft es ziemlich genau.


    Aus "A great wave more monstrous than all that had gone before smashed over the side." macht dieser ... ... "Eine riesige Welle schwappte über uns hinweg." Schwappte?
    In einer Teetasse schwappt es manchmal, auch in der Badewanne kann etwas in Schwappen geraten, aber Monsterwellen schwappen doch nicht so einfach über ein Schiff. Simply ridiculous!


    Oder direkt der nächste Satz:
    "I shut my mouth a fraction too late, and what seemed a gallon or more of salt water coursed down my throat."
    "Ich schloß den Mund einen Sekundenbruchteil zu spät und hatte eimerweise Salzwasser geschluckt"
    Warum plötzlich der Tempuswechsel: "schloß den Mund" und dann "hatte geschluckt", ganz abgesehen davon, dass da aus einem eleganten Satzgebilde ein müdes Konstrukt auf dem Niveau eines VHS-Kurses "Jeder kann schreiben lernen" wird.


    Noch einmal alle zusammen:


    WAAAAAH!