@ Valentine,
das "Seelenhaus" hat eine ganz eigentümlich, ruhige Atmosphäre, finde ich. Am Schluss heult man, aber erst auf den letzten Seiten. Bis dahin gibt es ein paar "Ausreißer", aber größtenteils ist der Reiz des Buches mMn, dass trotz einer eigentlich dunklen, hoffnungslosen Stimmung und trotz Armut, Schimmel, Kälte, schwerer Arbeit, Neid eine ruhige, zufriedene Stimmung herrscht. Jedenfalls kam das bei mir so rüber.
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"The good people": Sehr interessantes Buch. Das erste Kapitel nahm mich so gefangen, dass ich noch mal nachlesen musste, worum es eigentlich ging, weil man nach dem ersten Kapitel vermutet, dass es eher um die Trauer um den Ehemann gehen würde.
An dem Buch fand ich wirklich genial, dass so nebenbei dem Leser ein paar Dinge bewusst gemacht werden, etwa, wie man in dieser Zeit mit Alzheimer oder Demenzkrankheiten umging und was für Missverständnisse es dabei (und beim Umgang mit andereren Behinderungen) geben könnte.
Beeindruckend fand ich aber vor allem, dass man erst am Schluss merkt, dass man das Buch doch nicht mit der Sichtweise der Protagonistin/en gelesen hat, sondern seine moderne Einstellung nicht ablegen konnte. Das letzte Kapitel war für mich wirklich, wirklich überraschend, so überraschend, dass ich zurückgeblättert habe und geschaut habe, ob ich etwas falsch verstanden hatte. Erst da fiel der Groschen, wie die Sichtweise/ das Weltbild der Protaginistin wirklich ist und wie viel man tatsächlich nicht über sie verstanden hatte.
Ich muss allerdings sagen, als jemand mit einem geistig behinderten Bruder fiel es mir schwer, die "Behandlungen" des Kindes zu lesen, insbesondere eine Szene, in der beschrieben wird, wie Micheál einen Kommunikationsversuch unternimmt, vermutlich auf die einzig ihm mögliche Weise, der so dermaßen grausam falsch verstanden wird, dass das Kind danach vermutlich keinen Kontaktversuch mehr unternehmen wird.
Das Buch macht auch für moderne Leser sehr deutlich, was passieren kann, wenn man etwas nicht versteht und sich selbst eine Erklärung bastelt, die auf einer Wertung basiert. Ist das Kind böse, besessen oder einfach behindert? Und wenn es behindert ist (oder jemand dement), ist es dann noch das Kind oder nur die Behinderung oder kann man, wie hier ja angenommen, beides trennen und das Kind zurückbekommen, indem man die Behinderung tötet?
Ich denke, das ist heutzutage immer noch bei einigen Menschen ein Thema, wenn es um Demenz und ähnliche Erkrankungen geht. Da ist der Betroffene dann plötzlich in den Augen nahestehender Personen nicht mehr er selbst, sondern die Erkrankung, und es ist okay, wenn man ihn ignoriert, dirigiert, anschreit oder abpöbelt ("jetzt halt doch mal die Mule!/ Ja, das hast du schon hundertmal erzählt, sei jetzt still!"). In dem Buch wird sehr schön beschrieben, wie so ein Gedanke entlasten kann. Man muss sich nicht mehr damit auseinandersetzen, wie es dem Betroffenen geht und wie man einen Zugang zu seiner Welt findet, sondern spaltet einfach seine Krankheit/ Behinderung ab und legt sich so sein bequemes Weltbild zurecht. Ich denke, das haben wir heute noch nicht alle überwunden.
LG von
Keshia