[quote author=Sibylle Berg]Ich bezweifle, dass es "Ulysses" und "Der Mann ohne Eigenschaften" heute gäbe.
So was wie Vergil oder Don Quijote hat es auch schon seit Ewigkeiten nicht mehr gegeben. Ein klares Zeichen des Niedergangs.
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...dass es den Mann ohne Eigenschaften heute nicht gäbe, hmm. Im ersten Moment wollte ich zustimen, aber dann fiel mir ein, dass es immer noch eine ganze Reihe engagierter Kleinverlage gibt, bei denen der Dämon der Quartalszahlen noch nicht alle vor sich hertreibt. Die würden vielleicht auch heute noch ein solches Wagnis eingehen. Bei den Großverlagen mache ich mir keine Illusionen. Da würden der Mann ohne Eigenschaften oder Ulysses schon von der Praktikantin bei der ersten Vorsortierung eliminiert. Viel zu riskant im Vergleich zur 500sten Vampirromanze. Aber ich will gar nicht böse sein und zum Thema zurückkehren, das ja eigentlich die Literaturkritik war.
Ich lese leider ganz selten Literaturbesprechungen im Feuilleton, bei denen ich hinterher sage: toll, das hat mich jetzt so begeistert, dass ich dieses Buch unbedingt lesen muss. Denis Scheck macht mich manchmal neugierig. Vorhin habe ich mich an einen ganz konkreten Fall erinnert; ich wollte vor einigen Monaten nämlich endlich im zweiten Anlauf "Die Enden der Parabel" von Pynchon lesen. Pynchon ist ja seitenweise ganz originell, durch die Parabeln muss man sich aber ganz schön durchschaufeln.
Jedenfalls habe ich im Zuge meiner Pynchon-Wochen ein wenig gegoogelt um zu sehen, was mir denn das Feuilleton dazu vielleicht zu sagen hat. Ich bin auf diese bemerkenswerten Zeilen gestossen.
"Dieses irrwitzige Labyrinth von einem Roman beweist, dass man vor dicken Büchern keine Angst haben muss – nur vor langweiligen. Thomas Pynchon verbindet in diesem Klassiker der Postmoderne die Geschichte vom Beginn des Raktenzeitalters mit hypertropher Fabulierlust und enzyklopädischen Kenntnissen und erweitert sie um psychologische, parapsychologische, politische, pornographische und popkulturelle Dimensionen. " Quelle: Kulturradio (das müsst ihr mir glauben, der Link wurde zwischenzeitlich deaktiviert)
Und da dachte ich mir im ersten Moment: lieber Gott, was ist denn das? Ich habe vor dicken Büchern keine Angst, ich habe aber Angst vor solchen Formulierungen. Was ich sagen wollte ist, dass ich gerne Literaturkritiken lesen würde, die eben genau so nicht sind wie oben, sondern klar und verständlich formuliert. Ich möchte gerne den Eindruck gewinnen, dass das Buch beim Rezensenten zu einer gewissen emotionalen Reaktion geführt hat (darum lesen wir Bücher doch), und diese emotionale Reaktion darf mir der Rezensent auch mitteilen, ohne dass ich Steine nach ihm werfe. Ich möchte aber nicht den Eindruck haben, dass sich der Rezensent nicht auf irgendeine Aussage festlegen will und sich stattdessen mit unverständlichen Formulierungen einnebelt.
VG Helmut