Beiträge von Iris

    Hallo, His!


    Zitat von "Historikus"

    Ecos Roman ist einer der historisch korrektesten Romane, den ich je gelesen habe. ;)


    Und daß sie eine Hexe verbrennen, ist dir nicht aufgefallen? :zunge:


    Oder die mörderischen Kamine in der armenischen Burg im Baudolino?


    Da beides klare Reminiszenzen sind und damit literarisches Konzept, hab ich allerdings kein Problem damit.
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo, Bettina!


    Zitat von "Bettina"

    Gerade bei so einem Roman mit angebundenem Hype ist es vielleicht doppelt schwer, den Kern heraus zu lesen. Nun, mit Deiner Skepsis geimpft, dass gerade medienintensive Romane bevorzugt schludrig sind, künftig vielleicht nicht mehr.


    Naja, der Hype kommt immer erst mit dem Erfolg, und Ecos Name der Rose wurde auch mächtig "gehypet". Man sollte halt seine Meinung nicht davon abhängig machen, was die Werbung erzählt -- aber das wissen wir ja eh, da erzähl ich nix Neues. :)


    Zitat

    Wobei ich mich aber hin und wieder mit sowas auseinander gesetzt habe, weil ich als (studierte) Frau alls mal zu solchen Themen angehauen wurde.


    Das geht wohl allen Frauen während des Studium mal so.
    Meine Magisterarbeit habe ich über Sappho geschrieben, vielmehr über die Sapphoforschung von etwas 1890-1990. Als das Thema durch war, hat mich mal eine Kommilitonin angestubst und gefragt, ob das stimme, daß ich in Scheidung liege? Ich war platt -- allein aufgrund der Themenwahl war schon klar, daß ich homosexuell sein müsse! :breitgrins:
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo, Bettina!


    Zitat von "Bettina"

    Aber hallo, die Zahl klingt ja fürchterbar. Ist das nun eine Frage der Statistik, weil
    1. in Angelsachsen mehr Bücher geschrieben werden, einfach weil es mehr Menschen und damit Autoren gibt?
    2. in Angelsachsen überhaupt viel mehr geschrieben wird und Deutsche schreibfauler sind
    oder ist es
    3. eine Frage unserer Vorlieben?


    Es ist einerseits eine Frage der Größe des Sprachraums; das Englische als Weltsprache wird nun mal in aller Welt gelesen.
    Andererseits hat das ganze sehr viel mit der Kommerzialisierung, die den Buchmarkt beherrscht. Die bedeutenden Verlage sind heute zumeist Teile von multinationalen Medienkonzernen, und solche "Monstren" werden aufgrund der laschen Gesetzgebung in den USA vorzugsweise von dort aus geführt.
    Zudem ist es zwar nicht billiger aber hinsichtlich der Projektkalkulation übersichtlicher, wenn man mit Lizenzen arbeitet: Das Manuskript ist fertig, der Autor hat (man bedenke das US-Copyright im Vergleich zum europäischen, speziell deutschen Urheberrecht) nix mehr mitzureden, häufig ist das Projekt bereits mit einem gewissen Erfolg gelaufen, es muß kein neues Marketingkonzept entwickelt werden ...
    Angesichts des extremen Drucks, den die Konzernleitungen im Hinblick auf Maßnahmen zur Kostensenkung ausüben, hat ein Projekt, das man mit einer übersichtlichen kleinen (aus Text- und Bildbausteinen zusammengesetzten) PowerPoint-Präsentation vorstellen kann, bessere Chancen als eine Autorin mit bislang unveröffentlichtem Manuskript, die womöglich noch Zicken macht, wenn sie den Krimi zur Schmonzette umschreiben soll, weil sich bei Autorinnen Schmonzetten einfach besser vermarkten lassen als Krimis. ;)


    Okay, das ist sehr hart, aber es steckt viel Wahres drin. :breitgrins:
    Verlage sind nun mal keine Wohltätigkeitsorganisationen, sondern Wirtschaftsunternehmen.


    Zitat

    Oha, ich war der Meinung, dass an Johanna mit den üblichen Abstrichen (siehe die Diskussion um die Medien als Quelle) ein Funken Wahrheit ist.


    Ich zitier mal aus dem Biographisch-bibliographischen Kirchenlexikon:

    Zitat

    JOHANNA, angebliche Päpstin, auch Agnes, Gilberta, erst bei Martin von Troppeau als J. bezeichnet, soll zwischen Leo IV. (855) und Benedikt III. (858) regiert oder um 1100 gelebt haben. - Die Fabel über die Existenz einer Päpstin taucht erstmals in der »Chronica universalis Mettensis« des Jean de Mailly Mitte des 13. Jahrhunderts auf. Doch erst mit der Chronik des Dominikaners Martinus Polonus oder Martin von Troppeau fand sie erhebliche Verbreitung. Dessen Version erzählt von einem Mädchen aus Mainz oder England, das in Athen ein Studium absolviert habe und dann als Mann verkleidet nach Rom gekommen, dort durch ihr Wissen aufgefallen und schließlich nach dem Tod Leos IV. 855 als Johannes Anglicus zum Papst gewählt worden sei. Nach zweieinhalbjähriger Regierungszeit habe sie während einer Prozession zum Lateran ein Kind geboren, sei noch an Ort und Stelle gestorben und begraben worden. Die Fabel über die angebliche Päpstin hat mehrere Versionen hervorgebracht. Der frühere, von Mailly verfaßte Text schildert, wie J. vom Notar der Kurie zum Kardinal und schließlich zum Papst aufgestiegen sei. Im Begriff, ein Pferd zu besteigen, gebar sie einen Knaben, worauf man sie mit ihren Füßen an den Schweif eines Pferdes binden, schleifen und vom Volk steinigen ließ. Doch auch die Martin-Handschrift selbst zeigt Abweichungen: In einer Variante wird berichtet, daß die Päpstin nach ihrer Niederkunft abgesetzt worden sei, ein Leben in Buße begann, bis ihr Sohn Bischof in Ostia geworden war. Nach ihrem Tod soll man sie in der dortigen Kathedrale beigesetzt haben. Der mittelalterlichen Chronik der Äbte von Kempten zufolge soll ihr sogar ein böser Geist erschienen sein, der ihr mit der Aufdeckung ihrer Identität drohte, es sei denn, sie schließe sich ihm und seiner Gesellschaft an. Ein Engel oder eine Offenbarung ließ ihr dann die Wahl, entweder - und diesen Weg wählte sie - Schmach zu erdulden oder für immer verdammt zu sein. Spekulationen über den Ursprung der Legende kamen schon früh auf. Bereits im 15. Jahrhundert äußerten Enea Silvio Piccolomini und Platina, im 16. Jahrhundert Aventinus, O. Panvinio, R. Bellarmin und D. Blondel Zweifel. Mögliche Hintergründe gibt es viele: Zum einen - dies ist die verbreitetste These - mag ihr eine römische Volkssage zugrunde liegen. In einer engen römischen Gasse befand sich eine heute verschwundene, verstümmelte antike Statue (Mithrapriester?) mit Knabe, die vom Volk als weibliche Figur und die bei ihr befindliche Inschrift als Grabinschrift der Päpstin gedeutet wurde. Ein weiterer Ursprung könnte in der Erinnerung an die Herrschaft der Theodora und Marozia im 10. Jahrhundert sein, oder eine Satire auf Johann VIII. und seine Weichheit, sowie die allegorische Verarbeitung der Entstehung und Verbreitung der pseudoisidorischen Decretalen. Die angebliche Päpstin Johanna war gerade in der Reformation ein willkommenes Mittel im Kampf gegen das Papsttum, zumal sie schon Hus auf der Konstanzer Synode als Hauptargument in den Kontroversen über Recht und Umfang der Papstgewalt gedient hatte. So fand die Fabel ihren Niederschlag auch in vielen illustrierten Flugblättern der Reformationszeit.


    (Quelle, dort ist auch weiterführende Literatur angegeben)


    Ich gebe unumwunden zu, daß auch ich mich mal fürchterlich über solche Artikel aufregen konnte, die für mich Beispiele der jahrtausendealten Männerverschwörung gegen die Frauen und ihre Spiritualität etc. waren. Ich habe mich durch sehr, sehr viele Quellen gewühlt, habe mich auch mit Heide Göttner-Abendroth etc. beschäftigt und wurde immer skeptischer. Zumal die Figuren Theodora und Marocia zunehmend interessanter wurden -- zwei Frauen, Mutter und Tochter, die auf raffinierte Weise die Geschiche Italiens und des Papstums samt Kirche lenkte. Und nie wurde das bestritten!


    BTW: Eric Walz aus Berlin hat einen Roman über die beiden, vor allem über Marocia geschrieben, der wirklich gelungen ist und trotz des Titels weitgehend ohne die üblichen Versatzstücke des historischen Frauenromans auskommt.


    Zitat

    Ich komme um den Eindruck nicht herum (gerade wenn ich Deine Posts verfolge), dass sich mir eine ganze Reihe von Hintergründen nur erschließen, wenn ich mich auf Sekundärliteratur einlasse - und zwar mehr als nur ein bis zwei Titel, Recherche bei Bibliotheksbesuche eingeschlossen. Täuscht der Eindruck?


    Manche Dinge -- und das sind ausgerechnet die umstrittensten -- erfordern wirklich gründliche Arbeit. Ich hab mir ja auch so ein Thema ausgesucht, das aus Gründen des deutschen "nation building" einen ewig langen Rattenschwanz der hanebüchensten Thesen hinter sich herschleppt ... In diesem Fall stehe ich allerdings nicht auf Seiten der "Tradition". ;)


    Sorry wegen des Riesenpostings ... :winken:
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo, Nimue!


    Zitat von "nimue"

    Dessen bin ich mir sogar sicher. Lass das Buch einen Amerikaner lesen (oder einen Jugendlichen im Jahre 2020) und er wird den Fehler nicht bemerken ;)


    Da deutsche Romane so gut wie nie in den englischsprachigen Raum verkauft werden*, kann man nicht auf soviel mangelnde Bildung hoffen. ;)
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:
    -------
    *) [size=9px]80 Ausnahmen im Jahr gegenüber einer fünfstelligen Zahl von Lizenzpublikationen aus dem englischsprachigen Raum bestätigen diese Regel.[/size]

    Hallo, Bettina!


    Zitat von "Bettina"

    ich rechne mich zu denen, die die Existenz dieser Päpstin für sehr wahrscheinlich halten. Ich frage mich nur grundsätzlich, wie weit ein Autor gehen dürfte, um immer noch ernst genommen zu werden - die Genauigkeit des Umfelds alleine (Klima, Währung, Ernährung) kann es ja nicht sein, oder? Denn wenn eine Figur wie die Päpstin erfunden wäre, hätte jeder Autor ja wirklich heftigst in die Geschichte eingegriffen, während er das bei "normalen" Leuten nicht hätte.


    Mit Verlaub, wenn man sich die Quellen mal sehr genau anschaut, dann entlarvt sich die Legende von dieser "Päpstin" sehr schnell als eine griffige Kolportage auf der Basis von zwei frühmittelalterlichen Pamphleten aus der Feder der "spin doctors" von Gegenpäpsten. ;) Es gibt absolut keinen Hinweis darauf, daß jegliches Zeugnis für die Existenz eines weiblichen Papstes getilgt worden sei, weil ein weiblicher Papst für die Kirche eine Peinlichkeit gewesen sei, so groß, daß es deren Existenz bzw. Machtanspruch bedroht hätte. Das ist eine Behauptung, die auch bei strengster wissenschaftlicher Überprüfung jeglicher Grundlage entbehrt.
    Nicht daß die Kirche kein Geschichtsfälschung betrieben hat, aber jede Geschichtsfälschung hinterläßt Spuren in den Quellen, irgendwelche Quellen wurden immer übersehen -- und warum soll es ausgerechnet diesmal anders gewesen sein? Es gab weiß Gott Dinge, Personen und Ereignisse, die die Kirche in ihrem Machtanspruch und in ihrer Existenz bedroht haben -- eine Frau auf dem Pfaffenthron? Wirklich nicht!
    Das Ganze ist ein Märchen aus der Reformationszeit, um den Vatikan lächerlich zu machen. Das ist der einzige Schluß, den ein aufmerksames und kritisches Quellenstudium zuläßt. Schön wär 's, aber jenseits aller Wahrscheinlichkeit, da aufgrund der damaligen Verhältnisse schlichtweg unmöglich.
    Es gab päpstliche Konkubinen, Mütter, Schwestern, Töchter, die nachweislich die Macht in den Händen hielten, nach Gutdünken Päpste machten und absetzten -- die Verschwörungstheorie um eine Päpstin ist schlichtweg ein Konstrukt aus Spinnweben. ;)


    Bei Robin Hood hingegen bin ich auf Experten angewiesen, da kenne ich mich nicht aus -- würde ihn aber als Archetypen einer ganzen Bevölkerungsgruppe ansehen: Angehörige niederen Adels, die ihre Lehen verloren und fortan auf Raubzüge zu ihrem Lebensunterhalt angewiesen waren, oder ein freier (Groß)Bauer, der enteignet wurde. Wenn so ein Vogelfreier bei seinen ehemaligen Leibeigenen und Hörigen beliebter war als sein Nachfolger, ist schnell die Legende vom Rächer der Enterbten geboren. Ob es einen solchen Vogelfreien mit Namen Robin Hood gegeben hat, steht in den Sternen, der bedeutungschwangere Name ("Hood" - "Kappe", man denkt irgendwie sofort an die Jakobiner und ähnliches) scheint mir allerdings mehr auf die Erzählfreude der Menschen zurückzuführen als auf eine reale Person.
    Aber was soll 's! Es gab genügend seiner Art, warum sollte man nicht einen davon stellvertretend Robert of Locksley nennen? Auch Sophokles' Helden waren kein 100%igen historischen Figuren, aber sie dienten seinerzeit gut als glaubwürdige Exempel für menschliches Handeln. :)
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo, Bettina!


    Zitat von "Bettina"

    Wie grenzt man so etwas seriös ab?


    Gute Frage ... :confused:
    Im Grunde kann man kaum mehr tun als beobachten, wer wie argumentiert, und auf dieser Basis entscheiden, wem man Glauben schenkt. Und sich auch selbst informieren -- aber auch da muß man sich entscheiden, welchen Experten man vertraut.
    Es liegt am Ende in der eigenen Verantwortung.


    Zitat

    In einem anderen Forum gibt es gerade den aktuellen Fall "Die Päpstin", daher frage ich mich mal an diesem Beispiel entlang:


    Besonders aktuell ist der Fall nicht, da das Buch schon ein paar Järchen auf dem Buckel hat und der Archetyp der "Die ...in"-Romane ist. ;)
    Nur aus diesem Grund habe ich das Buch gekauft und gelesen.
    Auf die Diskussion möchte ich mich wirklich nciht mehr einlassen, irgendwann ist man der Sache schlichtweg müde.


    Zitat

    Dann wäre das Problem eines Autors historischer Romane, dass die Geschichte einfach schon passiert ist und dadurch festgelegt ist, speziell was Daten angeht - seine Eckpunkte sind schlicht absolut fixiert (im Gegensatz zu denen eines eines modernen Autors, dessen Auswirkungen in der Zukunft liegen).


    Ich bewege mich ja selbst in diesem Genre, und denke, daß man es so streng nicht sehen kann. Was reale Personen angeht, ist man auf bestimmte Daten festgelegt -- aber gilt das nicht ebenso für Ereignisse der zeitgeschichte? Dürfte man "straflos" die Wiedervereinigung nachträglich auf das Jahr 1984 vorverlegen, bloß weil der Held 1988 laut Plot schon tot ist und er doch verdammt nochmal eine große Rolle gespielt haben soll? :breitgrins:
    Ich bin auch der Ansicht, daß ein Autor historischer Romane (so sie mehr als trivial sein sollen) sich in der Mentalität, der Sachkultur, der Kunst, Literatur und Musik der Zeit, die er beschreibt, auskennen sollte -- vor allem um seiner selbst willen!
    In sehr, sehr vielen Fällen tappen einfach Blinde durch bunte Kulissen, die absolut nichts mit historischen Realien zu tun haben, sondern nur Vorurteile bedienen -- genauso wie es die zeitgenössische Trivialiteratur auch handhabt.
    Ich sehe also den Unterschied nicht wirklich.
    In beiden Fällen geht es doch darum (wie schon der alte Aristoteles sagte), daß der Erzähler eine Geschichte erzählt, wie sie möglich/wahrscheinlich ist bzw. möglich/wahrscheinlich gewesen wäre. Mehr geht sowieso nicht. :)
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo, Nimue!


    Zitat von "nimue"

    Wobei das eher den gegenteiligen Anschein hat (vielleicht täuscht dieser Eindruck ja - ich lasse mich gerne belehren). Bei mir kommt an:


    Triviale historische Romane sind unverzeihlich.


    Blödsinn! :breitgrins:
    Triviale historische Romane sind trivial. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger.


    Ich für meinen Teil lese keine historischen Trivialromane, weil sich mir bei diesen Dingern schlichtweg die Fußnägel aufrollen -- und das tut weh! Ich spreche dabei von mir und niemand anderem!
    Ich habe ausdrücklich betont, daß die Festellung, ein bestimmtes Buch sei trivial, keineswegs eine Verurteilung der Leser dieses Buches darstellt. Warum auch? Wenn ich behaupte, daß Daimler teure Autos baut, erklärt das doch auch nicht automatisch jeden Mercedesfahrer zum Snob! :rollen:


    Zitat

    sorry, aber das ist für mich ein absolutes Reizthema, weil ich denke, dass jeder das lesen sollte, was ihm gefällt, ohne dass er sich dafür rechtfertigen muss.


    Über Gabaldon kann ich nichts sagen, die liegt thematisch einfach nicht in meiner Spur und meine Daumenkinotests im Buchladen haben mich nicht überzeugt, die Bücher zu kaufen. Deshalb kann und will ich diese Romane auch nicht en detail beurteilen.
    Ich verstehe allerdings auch nicht, warum Leser glauben, man erwarte von ihnen, sie müßten sich rechtfertigen, wenn sie etwas gerne lesen, was ein anderer verrissen hat oder auch nur als trivial bezeichnet.
    Die Welt ist groß und bunt. Ich z.B. bin ein großer Fan von Umberto Eco, dessen Roman Das Foucaultsche Pendel seinerzeit von Hellmuth Karasek im Literarischen Quartett nach Strich und Faden verrissen wurde. Die Tirade gipfelte in der Bemerkung: "Ich liebe Ballaststoffe, Ballaststoffe sind wichtig -- aber dieses Buch besteht nur aus Ballaststoffen!"
    Offen gestanden hat mich dieses Verdikt in meiner völlig gegenteiligen Ansicht über diesen Roman nicht im geringsten wanken lassen. Ich fand allerdings die zitierte Bemerkung so klasse, daß ich sie gerne als Beispiel für eine gegenteilige Meinung zu diesem Buch oder als "zündende Spitze" zitiert habe und noch immer zitiere.
    Ich begreife wirklich nicht, warum man einen Verriß nicht einfach stehenlassen kann anstatt sich den Schuh anzuziehen, man müsse sich jetzt rechtfertigen. Wie soll 's denn erst einem Autor gehen, wenn schon die Leser mit einem Verriß nicht leben können? ;)
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo, Grisel!


    Du bist entschuldigt: Ich mache gerade Mittagspause. :breitgrins:


    Zitat von "Grisel"

    Wenn mir ein Buch von der Story her sehr gut gefällt, bin ich bereit, großzügiger zu sein. Oder sagen wir umgekehrt, wenn da viele Fehler sind, und die Geschichte ist banal, ja, was soll ich dann noch mit dem Buch?


    Selbstverständlich gibt es Fälle, wo ein literarisches Konzept die Realien manipuliert, ob das nun Schiller ist, Feuchtwanger oder auch Klaus Mann. Wenn mir das erkennbar gezeigt wird, dann habe ich damit auch kein Problem.
    Allermeistens kommen diese Mankos aber zusammen: Man hat eine superbanale, geradezu austauschbare Story (insbesondere beim "Die ... in"-Strickmuster), der gesamte Hintergrund ist kaum rudimentär recherchiert und die Daten sind auch noch der Story angepaßt.
    Oder die Autorin (meist sind es nun mal Autorinnen oder - selten - weibliche Pseudonyme männlicher Autoren) läßt das Ganze gleich in unteren Gesellschaftsschichten spielen, dann muß man offenbar auf keine Realien Rücksicht nehmen (als ob man sowieso nicht wüßte, wie die damals gelebt hätten:vogelzeigen:) und kann die vorurteilsgeschwängerte Phantasie wuchern lassen. ;)
    Dieses Zeug ist schlicht und einfach trivial! :)


    Mit dieser Feststellung verurteile ich keinen Leser zum Idioten -- ich lese selbst gelegentlich Triviales -- aber sicherlich nichts "Historisches", denn... s.o. :)


    Zitat

    Natürlich suche ich stets nach dem "perfekten" Buch, wo einfach alles paßt, aber ich lese auch gern Bücher, die einfach nur nett sind, ohne mir mehr zu geben.


    S.o. Es gibt sicherlich niemanden, der niemals Triviales liest (nehmen wir mal eine auf Klassiker fixierte Bildungsborniertheit aus!). Etwas als trivial zu bezeichnen, stempelt auch nicht den, der es auch gern mal liest, zum Deppen. Wer allerdings nur Triviales liest und anderes nicht gelten läßt, hat m.A.n. schon ein arg beschränktes Literaturverständnis. :breitgrins:


    Übrigens bin ich nicht der Ansicht, daß "Hochliteratur" sich im Gegensatz zur Trivialliteratur dadurch auszeichnet, daß sie schwer oder gar unverständlich ist! Das verzeihe ich nur Büchern aus früheren Jahrhunderten oder fremden Kulturkreisen, deren Verständnishorizont mit dem unseren nicht deckungsgleich ist.
    Ganz im Gegenteil adelt es ein richtig gutes Buch, daß es sehr gut lesbar ist ("fließt"), Denkanstöße liefert und zugleich Raum für eigene Bilder und Gedanken läßt.


    Zitat

    So häufig bin ich persönlich noch nicht auf sowas gestoßen, daß ich da einen Trend heraussehen würde.


    Die ganze Sache wird auch unter Kollegen immer wieder diskutiert, bei der Zusammenarbeit im Lektorat kommt so was oft genug zur Sprache, abgesehen davon wurde diese Auseinandersetzung schon zu Zeiten von Felix Dahn geführt -- sogar in Rezensionen werden mal diese, mal jene Positionen vertreten. Es ist wirklich nichts Neues.
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo, Grisel!


    Dir ist schon klar, daß du mich gerade vom Schreiben abhältst? ;)


    Zitat von "Grisel"

    Ich beurteile jeden Fall für sich. Ist es ein himmelschreiender Fehler, eine andere Deutung, etwas was man nur besser wissen kann (oder zu wissen glaubt!), wenn man das Glück hatte, die entsprechende Info zufällig gefunden zu haben, etc.


    Das ist schon klar: "Fehler" sind etwas, daß man graduell beurteilen muß. (Das sollten sich Lehrer mal hinter die Ohren schreiben!:breitgrins:)


    Zitat

    Es sind die himmelschreienden Fehler die mich ärgern, weil sie so unnötig sind. Ich gestehe, ich verstehe es auch einfach nicht, warum das so schwer zu sein scheint.


    Da gibt 's ein nettes Argument, das von der entsprechenden Seite häufig angewendet wird: "Hauptsache, es ist eine gute Geschichte."


    Offen gestanden, wenn jemand bei unschwierig überprüfbaren Dingen stümpert, dann kann es für mich keine "gute Geschichte" mehr werden. ;)


    Zitat

    Das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Wenn einer auf sein Buch "Roman" schreibt, dann ist es einer. Da kann er marketingmäßig machen, was immer ihm Freude macht, es bleibt ein Roman.
    Wenn er ein Geheimnis aufzudecken hat, soll er ein fachliches Buch schreiben, und dann kann er uns alle erschüttern mit seinen weltbewegenden Eröffnungen.


    Dem widerspreche ich: Denn erstens wird in Sachbüchern genausoviel gestümpert wie in der Belletristik, und zweitens wird der Zweck von Literatur nicht ausschließlich dadurch definiert, Augengymnastik und mentalen Zeitvertreib zu liefern. Literatur (wie jede Art von Kunst) kann viel mehr -- und erst wenn sie die simple Augengymnastik übersteigt, wenn sie mich auf Ideen bringt, mich bereichert, dann ist es für mich eine "gute Geschichte".


    Nebenbei bemerkt ist das auch die einzige akzeptable Definition von Literatur als solche.
    Alles andere ist und bleibt trivial! Dann lieber Kino! :breitgrins:


    Zitat

    BTW, falls Du Dan Brown meinst, ich frage mich, was die Aufregung soll? Diese Prieuré-Geschichte ist doch ein alter Hut. Lincoln/Baigent/Leigh haben ihr erstes Buch vor 20 Jahren rausgebracht!


    Wenn es mir um Dan Brown ginge, hätte ich den Namen genannt. Es ist eine verbreitete Masche: Beide Argumente ("Roman = frei erfunden" <-> "Hintergrund real") werden nach Bedarf miteinander kombiniert und gegeneinander ausgetauscht. Auf diesen Zug mußte auch Dan Brown nur aufspringen -- ebenso wie auf die Züge mit den verschiedenen Verschwörungstheorien. Solche Drehrumdiebolzenargumentationen gab es schon bei den Sophisten im Athen des 4.Jhs. v.Chr. -- was sie nicht weniger unethisch macht. ;)
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo Grisel!


    (Jetzt stimmt 's aber! :breitgrins:)


    Zitat von "Grisel"

    Ich gehöre nicht zu denjenigen, die falsche Bücher für gefährlich für die Menschheit halten,


    Das habe ich auch nicht behauptet!


    Zitat

    Habe das Bsp. sicher schon mal irgendwo angebracht, aber wenn Du zB einen Zeitungsartikel über Deine Heimatstadt liest, und die ist da auf einmal im falschen Bundesland, die Bürgermeisterin ist ein Mann, etc. ärgerst Du Dich doch sicher auch?


    Nee, das finde ich nicht ärgerlich, sondern lächerlich, bestenfalls fürchterlich peinlich für den Stümper (s.o.!), der den Mist gebaut hat -- und die Redaktion, die das unbesehen publiziert.


    Es geht mir vielmehr darum, daß ich es für zutiefst unethisch ansehe, wenn dieselben, die darauf pochen, es sei ja "nur ein Roman", also eine erfundene Geschichte, z.B. im selben Interview darauf beharren, daß der Hintergrund ein seit Jahrtausenden gut dokumentiertes "Geheimnis" sei, das von finsteren Mächten (Vatikan, CIA, Freimaurer, Ärztekammer, "die Männer" ...) unterdrückt werde und man sich auf begeisterte Unterstützung durch "viele Wissenschaftler" beruft, während sehr leicht feststellbar ist, daß das genaue Gegenteil der Fall ist.


    Stell dir vor, ein Autohersteller mache damit Werbung, daß die Sitze in seinen Autos nach uraltem medizinischen Gehemwissen konstruiert worden seien, das die Schulorthopädie stets unterdrückt habe, um ihre Einnahmequelle zu sichern -- denn alle anderen Autositze seien so gebaut, daß damit früher oder später die Bandscheiben geschädigt würden!


    Die Verantwortlichen müssen nicht nur damit rechnen, daß man sie für bekloppt erklärt, sondern sogar mit Abmahnungen und ähnlichem.
    Und das mit Recht! ;)
    Liebe Grüße. :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo Nimue!


    Hmm .. diesen "Freibrief" kann ich einfach nicht akzeptieren. ;)


    Zitat von "nimue"

    Aber solche Menschen...noch viel ehrlicher...sie merken sich doch auch nicht, was in den Büchern steht. Glaubt ihr wirklich, dass es so viele Leute gibt, die einen dicken Schmöker kaufen und diesen dann für bare Münze halten geschweige denn sich alles merken, was sie da lesen?


    Alles merken sich Leser nicht, aber merkwürdigerweise alles, was ihnen zupaß kommt -- und das ist das Problem: Die Leute glauben, was sie glauben wollen!


    Hier liegt aber eben die Verantwortung der Schriftsteller -- entweder sie machen ganz deutlich, daß sie die ganze Sache erfunden haben, um die Leute gut zu unterhalten, oder sie halten sich auch an die rekonstruierte Realität -- oder sie tummeln sich lieber gleich im Bereich Fantasy. Aber sich was zusammenzuzuppeln, was in den Zeitgeist paßt und dann indem man seine eigene Glaubwürdigkeit als Autor in die Waagschale wirft, um der Lüge auch nur den Anstrich der Wahrheit zu geben -- das ist in meinen Augen eine Riesensauerei!


    Aber das Thema hatten wir jetzt schon zu oft, und ich glaube, wir kommen da nicht recht zusammen.
    Ich bin schlicht und einfach der Überzeugung, daß jeder Beruf ein Berufsethos hat -- und wer nicht danach handelt, ist schlichtweg ein Stümper!
    Liebe Grüße :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo, Grisel!


    Edit: Hach! Ich Depp! doh.gif
    Ich meinte natürlich:


    Hallo, Nimue!


    Zitat von "nimue"

    mal eine kurze Frage: Wie verhaltet ihr euch bei Büchern, die falsches Wissen vermitteln - Wissen, über das ihr selbst aber gar nicht Bescheid wisst? Das können ja auch Kleinigkeiten sein.


    Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden ... :confused:
    Wenn ich gar nicht Bescheid weiß (wie z.B. wenn es um die französische Geschichte nach Napoleon I bis Napoleon III geht (da sieht's bei mir ganz finster aus ... das ist "mein" dunkles Zeitalter!), dann merke ich das doch gar nicht.
    Teil mir jemand mit, daß ich einem Scharlatan aufgesessen bin und belegt mir das auch noch, dann ärgere ich mich natürlich über den Scharlatan -- und über meine Bildungslücke -- und wenn ich feststelle, daß der Kritiker auch nicht recht hat, suche ich halt weiter. Denn dann hat mich meist der Virus gepackt. ;)


    Zitat

    Noch eine Frage zum Mittelalter: Wenn die Hygiene leidlich gut war, wie konnte dann die Pest übertragen werden?


    Es geht schon damit los, daß Pest früher jede epidemisch auftretende, lebensbedrohliche Seuche bezeichnete, da lat. pestis schlicht und einfach "Seuche" heißt.
    Es war also längst nicht jede "Pest" die von Yersinia pestis übertragene Infektionskrankheit -- es konnte sich ebensogut um Typhus, Cholera, Grippe, hämorrhagische Fieber u.ä. handeln.
    Durch die Kreuzzüge, aber auch durch andere Migrationsbewegungen wurden immer wieder Infektionskrankheiten eingeschleppt, gegen die die Menschen Mitteleuropas schlicht und einfach keine Abwehrkräfte hatten (ähnlich wie die Indianer Nordamerikas gegen Mumps, Masern u.ä.). Es läßt sich heute leider nur sehr schwer rekonstruieren, welche Krankheit zuschlug. Jedesmal von der Pest auszugehen, ist arg spekulativ.


    Ich hatte bei der Hygiene eine Einschränkung gemacht: Episodisch auftretende Landflucht (z.B. nach Mißernten etc.) führte zur Bildung von Elendsvierteln in und vor den Städten. In Elendsvierteln herrschen auch heute noch extrem schlechte hygienische Bedingungen, die einerseits auf die Beengtheit der Wohnsituation, andererseits auf die sich bei Armut ausbreitende fatalistische Lebenseinstellung zurückgeführt werden können. Diese Umstände führen nahezu automatisch zur Ausbreitung von Seuchen; brutal gesprochen handelt es sich hier quasi um einen "natürlichen Selbstregulierungsprozeß".


    Bei den großen Pestepidemien des 14. und 17.Jhs. können wir die Verbreitung zu einem ganz erheblichen Teil auch auf die Verelendung zurückführen, die zu immer schlechteren hygienischen Bedingungenführte -- ebenso wie die Entwicklung der Leibfeindlichkeit, die ebenfalls ihren Beitrag zu dieser Entwicklung leistete.


    Es ist auffällig, daß Kulturen, die in beengten Verhältnissen Wohnen ("Naturvölker", prähistorische Völker etc.) von der Ethnographie meist als sehr sauber dargestellt werden (die Negativdarstellung als "schmutzige Wilde" findet sich hingegen in der politischen Propaganda). Offenbar ist Schmut ein typisches Elendsproblem, dessen Ursachen vor allem im Inneren des Menschen, in seiner psychischen Verfassung, liegen -- einer Verfassung, die durchaus von äußeren sozialen und materiellen Umstände forciert werden kann.


    Manfred Vasold hat übrigens ein hochinteressantes Buch darüber geschrieben, indem auch die Problematik der Überlieferung und der Legendenbildung behandelt wird (s.u.).
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo, His!


    Danke für die Blumen.


    Ganz im Ernst: Wenn du deine Negativbeispiele immer wieder mit Kommentaren versiehst, bringst du sie nur immer wieder ins Gespräch -- und veranlaßt den einen oder anderen sogar dazu, das betreffende Buch zu kaufen, und wenn auch nur um zu sehen, ob was dran ist an der Kritik. Andere kriegen dann den Beschützerdrang und verteidigen Sachen, die sie sonst nie verteidigen würden.


    Es ist wirklich besser, die Finger halbwegs still zu halten und solche Anmerkungen bestenfalls ganz nebenbei dort anzubringen, wo Bücher besprochen werden, die deiner Meinung nach gut sind. Dann kannste in einem kurzen Nebensatz (und nicht mehr!) mal eine Spitze fallenlassen.
    Das ist wesentlich wirkungsvoller als wiederholte Tiraden, die andere schon auswendig herbeten können. ;)
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo, Grisel!


    Zitat von "Grisel"

    Ich bezeichne alles als Sachbuch, was nicht Belletristik, Drama etc. ist.


    Da gibt 's aber erhebliche Unterschiede ... :)
    Einerseits das populärwissenschaftliche Sachbuch, das Fachbuch und die engere Forschungsliteratur.
    Jede Art von "non-fiction" sollte eigentlich von einem Fachmann geschrieben sein, ob der nun im entsprechenden Fach einen akademischen Abschluß odr einen höheren Berufsabschluß gemacht hat, spielt eigentlich keine Rolle, aber er sollte sich auf dem Gebiet, das er behandelt, wirklich auskennen. das kann durchaus auch ein versierter Wissenschaftsjournalist sein oder ein Essayist -- damit habe ich kein Problem.


    Der Unterschied zwischen einem (populär[wissenschaftlich]em Sachbuch und einem Fachbuch liegt meines Wissens in der Ausarbeitung: das Sachbuch meidet Fußnoten (es gibt bestenfalls Endnoten), und die Literaturhinweise gehen nicht allzusehr in die Tiefe. Außerdem ist das Thema "heutigen Vorstellungen angemessen" (was immer das heißen mag) dargestellt.


    Zitat

    Würde mich wirklich interessieren, wie man auf so eine Schnapsidee kommt. Weißt Du zufällig, ob das der Autor oder der Verlag entscheidet?


    Das entscheidet sich sicherlich bei der Erarbeitung des Konzepts, aber ob das eine verlagsseitige Entscheidung ist oder ein Versäumnis des Autors, kann man so nicht einfach sagen. Es kommt vermutlich auch auf den Verlag an, ob dessen Gesamtprogramm mehr auf Fachleute oder auf interessierte Laien ausgerichtet ist.
    Liebe Grüße :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo Grisel!


    Zitat von "Grisel"

    Aber wenn man sich den Autor, sein Literaturverzeichnis und die Entstehungszeit genau ansieht, findet man schon vertrauenswürdigere. Und dann natürlich die Art, wie der die Sache angeht. Schreibt er unhinterfragt ab? Stellt er unbewiesene Behauptungen auf? Gibt er seine Quellen per Fußnote im Text an? Ist er objektiv? Wobei es hier natürlich hilfreich ist, wenn man sich in einem einigermaßen abgegrenzten Gebiet bewegt, wie ich. Und man muß viel lesen und vergleichen.
    Aber, Vorsicht, Suchtgefahr, wenn man damit einmal anfängt. :rollen:


    Wenn du Literaturverzeichnisse und Fußnoten erwähnst, sprichst du aber auch schon eher von Fachliteratur als vom simplen Sachbuch, das sich häufig darauf beschränkt, in einem flüssig lesbaren Text die Fakten gemäß der Auffassung des Autors unter dem Anschein der Objektivität auszulegen. Häufig sogar ohne richtige Quellenangaben.
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo, His! :winken:


    Zitat von "Historikus"

    Geschichtsverdrängung fängt schon im Kleinen an, und hört dann beim Verdrängen der Schuld auf.


    Jetzt reg dich doch nicht immer gleich so auf! :trost:


    Offen gestanden ist es mir grundsätzlich ziemlich egal, wenn Müll produziert wird -- der Verbraucher muß es ja nicht kaufen, steht ja niemand mit vorgehaltener Pistole hinter ihm und tönt: "Friß oder stirb!"
    Meistens setzt sich Müll ja auch nicht wirklich durch.


    So ist es auch in der Literatur: Vom meisten Schmonzes wird nicht mal die erste Auflage vollständig abverkauft, der Rest landet in den Grabbelkisten. Natürlich findet das Zeug seine LiebhaberInnen, aber es ist doch letztendlich Einwegbelletristik, Gebrauchsliteratur, die vor allem als Augengymnastik dient.


    Und dann gibt es gelegentlich Bücher, die den großen Reibach machen und von einer breiten Leserschaft über den grünen Klee gelobt wird. Das hat meistens mehr damit zu tun, daß ein Roman einen verbreiteten Zeitgeist trifft. Aber Zeitgeist ist etwas sehr Unstetes ...


    Was mir wesentlich mehr Sorgen macht, ist der Umstand, daß die gleichbleibende Nachfrage nach diesen nervig stereotypen »Die ...in« dazu führt, daß von Autoren -- und vor allem von Autorinnen zunehmend solche Storys verlangt werden -- und das nervt mich als Autor(in) wirklich!
    Liebe Grüße :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo Bettina!


    Zitat von "Bettina"

    Gibt es Quellen, die Du da noch nutzt bzw. denen Du Glaubwürdigkeit attestierst? z.B. 3sat, FAZ, GEO oder SWR2 (einfach als Beispiele für Medien, denen allgemeinhin Seriosität zugestanden wird).


    Es kommt darauf an, was ich gerade suche. In Sachen Recherche hole ich mir die Quellen und hocke mich gerne in die örtliche UB und die entsprechenden Institutsbibliotheken -- dann will ich es nämlich wirklich wissen. ;)
    Magazine sind nicht so meines. Ich hab mich schon zu oft über schlimme Ausrutscher geärgert, u.a. auch falsche Datierungen bei Fotos. Es gibt viele hervorragende Publikationen aus Verlagen wie Zabern, Theiss, Hirmer u.v.m., die man sich neu und antiquarisch beschaffen kann. Sehr informativ sind z.B. Kataloge von Museen und Ausstellungen.
    Einen allgemeinen, schnellen Überblick kann man sich gut mit Reportagen der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten verschaffen, insbesondere denen der dritten Programme, ARTE, 3SAT, Phoenix -- die der beiden Hauptprogramme neigen schon wieder zu sehr dazu, einem als wenig gebildet eingeschätzten Zielpublikums gefallen zu wollen.) Gerade die Reportagen über bestimmte Regionen sind tw. verblüffend gut recherchiert und schön umgesetzt (angesichts solcher Sendungen tut es nicht mehr ganz so weh, den GEZ-Obolus zu entrichten).
    Zeitungen wiederum haben ihre grundsätzlichen politischen Tendenzen, aber grundsätzlich sind die großen überregionalen (nicht die Boulevardpresse!) immer mal für einen Tip gut. :)


    Zitat

    Oder kommst Du aufgrund Deiner langjährigen Beschäftigung mit der Geschichte an eine Punkt, wo Du in den Massenmedien keinen für Dich notwendigen Tiefgang mehr findest? (Schließlich bist Du ja auf umfangreiche Infos angewiesen, oder?)


    Wie gesagt: Was echte Recherche angeht, benutze ich nicht mal Sachbücher, nachdem ich die Erfahrung gemacht habe, daß die häufig ebenso fiktional sind wie die Belletristik ;) oder ewig überholt.


    Trotzdem: Sachbücher sollten auf jeden Fall eine Liste der weiterführenden Fachliteratur enthalten -- keine Rede von Forschungsliteratur, das würde zu weit führen.


    Zitat

    Kommt ein Problem bei der Beurteilung des Mittelalters nicht auch daher, dass man mit diesem Begriff einfach zuviele Jahrhunderte über einen Kamm schert?


    Das ist völlig richtig. Die Unterschiede zwischen den Generationen und Regionen sind tw. gigantisch -- was allerdings auch für die Neuzeit gilt, zu der sowohl die bürgerliche Aufklärung, der Absolutismus, aber auch das Zeitalter der Eroberungen und die Nazizeit gehören u.v.m. Wer das alles über einen Kamm schert, gehört eingeliefert. ;)
    Mir geht es grundsätzlich auch darum, dieses undifferenzierte Bild einmal auszufalten. Deshalb ärgert es mich immer wieder, wenn das sattsam bekannte Bild von armen, tapferen Frauen umgeben von schmutzigen, notgeilen Kerlen in einer finsteren Zeit voller Aberglauben und Willkürterror, Seuchen und Grausamkeiter breitgewalzt wird ... :rollen:
    Liebe Grüße :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo Bettina!


    Zitat von "Bettina"

    So halb ja, so halb nein: Wissenschaftsjournalisten haben ja die Aufgabe, komplizierte Zusammenhänge verständlich darzustellen. Kürzungen müssen sein und Vereinfachungen sind nötig, in der Tiefe abhängig davon, für welche Zielgruppe geschrieben wird. Und Fachleute mögen so etwas gar nicht, weil sie jede einzelne Vereinfachung der Quantentheorie für Frevel halten - obwohl sie doch auf die Kommunikation der WJ zu den Laien angewiesen sind. Nur wenige Experten können sich verständlich ausdrücken.


    Mir geht es nicht um solche Exzesse. Es wird ja schon im Kleinen gemogelt, nur damit die Meldung "knallt".
    Ein Beispiel: Im Frühjahr 2002 fand im Museum Ephesus in Selçuk statt. In diesem Zusammenhang publizierten zwei österreichische Wissenschaftler eine archäologisch-humanbiologische Untersuchung, aus der hervorging, daß die Gladiatoren von Ephesus eine den Anforderungen ihres Berufes emtsprechende Ernährung hatten, die auch modernen ernährungsphysiologischen Erkenntnissen entsprach. Daraus machte ein Wissenschaftsjournalist einen Spiegelartikel, in dem die Gladiatoren zu fetten Sumoringern wurden, was ja auch nützlich sei, weil eine dicke Speckschicht ja schließlich auch vor schweren Verletzungen schützen würde. (Jeder Chirurg kriegt die Motten, wenn er einen übergewichtigen Patienten auf dem Tisch liegen hat, weil Verletzungen von fettreichem Gewebe viel diffiziler sind und viel schwerer heilen als Verletzungen bei normalgewichtigen Patienten!)
    Ich übertreibe übrigens nicht.
    Und das ist kein Einzelfall -- der Dreißigjährige Krieg ist plötzlich tiefstes Mittelalter, in einem anderen Artikel werden die Stauferkaiser Friedrich I Barbarossa und Friedrich II Roger ständig durcheinandergeschmissen und Erieignisse wie Kraut und Rüben datiert, weil der Verfasser offenbar die ersten Zahlenpaare der Jahresangaben -- 11 und 12 -- nicht auseinanderhalten kann ... usw. usf.


    Zitat

    Für einige Sendungen wird sehr vereinfacht, für andere nur soweit sie den Konsumenten das Mitdenken erleichtern wollen. Auch hier wieder der Hintergrund der Zielgruppe.


    Richtig, die Zielgruppe ist Trumpf! Denn es wird nicht nur vereinfacht, es wird auch alles so zurechtgebogen und entstellt, daß die bereits bestehenden Vorurteile ja nicht in Frage gestellt werden. ;)
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo Bluebell!


    Zitat von "Bluebell"

    Das hast du an anderer Stelle auch schon mal erwähnt. Ist dieses Bild tatsächlich so falsch? Mich interessiert brennend, wie es wirklich war - kannst du mir vielleicht ein bisschen was darüber erzählen (falls das in diesen Thread passt)?


    Eigentlich schon, denn unser Mittelalterbild ist das Ergebnis einer monströsen Geschichtsfälschung, die vor allem die französische Aufklärung durch Diderot und Voltaire betrieben haben, aber zuvor schon Descartes.


    Das Selbstbewußtsein dieser Herren war schon gigantisch. Aber wenn man in einer der grausamsten Epochen lebt und diese dann als Krönung deklarieren möchte, dann muß man alles, was je zuvor geschehen ist, als finster und barbarisch verunglimpfen.
    Gelernt haben die frz. Aufklärer das übrigens von den Reformatoren, die das Kind mit dem Bade ausschütteten, indem sie nicht nur die z.T. haarsträubenden Zustände innerhalb der Heiligen Mutter Kirche anprangerten, sondern dafür gesorgt haben, daß die billigsten Kolportagen allein durch ihre Flugschriften den Anschein von "Wahrheit" erhielten -- das betrifft z.B. die "Päpstin" und ähnlichen Quatsch.


    Keimzelle war hier die berühmte querelle des anciens et des modernes, in deren Gefolge alles, was vor dem Zeitalter des "Sonnenkönigs" lag, als Barbarei abgestempelt wurde. Der Bannstrahl traf zunächst den Dreißigjährigen Krieg, wurde dann aber ad infinitum ausgerichtet, bis er in der historischen Ferne wieder ein Leuchtfeuer auszumachen wähnte: das imperium Romanum. ;)


    Zitat

    Zum Beispiel was die Hygiene betrifft. Ich dachte immer, dass im Mittelalter die Kanalanlagen der Römer schon wieder weitgehend in Vergessenheit geraten waren und die Leute ihren Unrat und ihre Nachttöpfe einfach aus dem Fenster auf die Straße gekippt haben. Ist das so eine Fehlinformation, von denen du sprichst? Wie ist das Problem denn wirklich gelöst worden?


    In den Städten gab es immer dann Hygieneprobleme, wenn die Bevölkerungsdichte überhand nahm. Üblicherweise wurden Urin und Exkremente und Urin von Bauern und Gerbern gesammelt, kompostierbare Abfälle wurden zumeist selbst verarbeitet und im eigenen Garten verwendet oder zusammen mit Exkrementen und Mist von Haustieren getauscht. Das Prinzip des Düngens war seit der Römerzeit bekannt! Auch die Römer haben einen Großteil des Mistes nicht einfach in die Flüsse gekippt, sondern genutzt. Burgen als landwirtschaftliche Großbetriebe haben ebenfalls ihre Abfälle auf diesem Weg recyclet. Abfälle waren Rohstoffe!
    Allerdings gehörten diejenigen, die mit diesen Substanzen arbeiteten, grundsätzlich niedrigen sozialen Schichten an, vermutlich nicht zuletzt aufgrund der Geruchsbelästigung, die von ihnen ausging. Niemand wohnte freiwillig in einem Gerberviertel!
    In den Städten gab es Badehäuser, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Die Hygiene war weitaus besser, als wir uns das heute so denken. Die klösterliche Medizin empfiehlt sehr häufig Waschungen und Bäder als Heilmethoden, also muß das Waschen und Baden etwas Normales gewesen sein.


    Man kann das vergleichen mit (noch) funktionierenden (weil nicht überbevölkerten) Siedlungen in den Entwicklungsländern: Alles, was noch irgendwie verwertet wird, wird verwertet, und deshalb bleibt am Ende sehr wenig, was unverwertbar ist. Dieses Unverwertbare wird dann vor die Stadt gekarrt und vergraben.


    Die Entwicklung verschiebt sich im Zuge der Armutsbewegungen; der gnostische Gut-Böse-Dualismus der Katharer (Albigenser) betrachtet den Leib als Werk des Teufels, jede Bemühung, ihn zu pflegen und zu erhalten, als Sünde. Ähnlich die Büßerbewegungen der Geißler. Auch Teile der Minoriten übernahmen die Vorstellungen der Leibfeindlichkeit, die das mittelalterliche Christentum ursprünglich ablehnt.
    Im Zuge der Leibfeindlichkeit und der daraus resultierenden mangelnden Hygiene verbreiteten sich Seuchen, die wiederum die Büßertendenzen anheizten (die Leobfeindlichkeit stärker verinnerlichen) und einen Fatalismus Vorschub leisteten, der auch dazu führt, daß die Äcker nicht mehr gedüngt wurden, daß also Exkremente und Mist einfach liegen blieben!


    In den Armenvierteln mittelalterlicher Städte dürften speziell aufgrund der zunehmenden Landflucht und der daraus resultierenden Enge ähnliche Bedingungen geherrscht haben wie in den Slums in der Dritten Welt heute. Man lebte dort auch vom Müll der Bessersituierten.


    Zitat

    Oder die Hexenverbrennungen - stattgefunden haben die ja wohl. Aber erst nach dem Mittelalter, oder wie meinst du das?


    Im Mittelalter spielte die Verfolgung von Hexerei so gut wie keine Rolle! Das Augenmerk kirchlicher Verfolgung lag auf der Ketzerei, womit insbesondere die Katharer (Albingenser) gemeint waren.


    Viele findest du im Portal Hexenverfolgung von historicum.net (Uni Köln).


    Zitat

    Was hier vielleicht ganz am Rande auch dazupasst: es gibt doch diese Theorien (und Bücher) über das "erfundene Mittelalter" - also dass ganze Jahrhunderte in der Geschichtsschreibung einfach dazugedichtet wurden. Das kommt mir persönlich dann ja doch etwas zu weit hergholt vor, aber vielleicht kennt sich von euch jemand damit aus!?


    Nur soweit, daß es derlei Theorien schon zu allen Zeiten gegeben hat. Das hat etwas mit der apokalyptischen Vorstellung eines Tausendjährigen Reiches zu tun. Als nach dem Jahre 1000 n.Chr. die Welt nicht unterging, fingen die Theologen wie wild an zu rechnen, weil man der Überzeugung war, man müsse sich verrechnet haben, denn die Schrift könne ja nicht irren. Vor dem Jahr 1500 ging die Weltuntergangshysterie wieder los -- damals zum ersten Male mit der Idee, es sei um (min.) 500 Jahre geschummelt worden.
    Deshalb ist es kaum verwunderlich, daß ausgerechnet kurz vor der zweiten Jahrtausendwende, die auch von einem Schub Massenhysterie begleitet war, jemand mit mit dieser Mär Furore zu machen versuchte.
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

    Hallo, Bettina!


    Zitat von "Bettina"

    Ich erwarte zwar, dass Autoren recherchieren (egal ob Neuzeit-Roman oder historischer Roman), aber letztlich widersprechen sich doch auch Historiker. Keiner weiss letztlich wirklich, wie es gewesen ist - Zeitreisen gibt es halt nicht.


    Es sind eigentlich weniger die Historiker, die einander widersprechen -- die krassesten Widersprüche findest du zwischen "Sachliteratur" und Fachliteratur, da Sachbuchautoren und Wissenschaftsjournalisten Dinge sehr verkürzt darstellen bzw. aus Gründen, die ihnen selbst anzulasten sind, den tatsächlichen Forschungsstand zugunsten uralter, wissenschaftliche längst überholter Vorurteile entstellen und unberücksichtigt lassen. Ein typisches Beispiel ist die "Sachliteratur" im Bereich Frauengeschichte, Medizingeschichte und "Hexen"; in diesen Bereichen wird seit Jahrzehnten hanebücherner Blödsinn als historische Wahrheit verkauft.
    Das Problem liegt nicht darin, ob ein Text fiction oder non-fiction ist, sondern im Anspruch, den ein Autor an sich selbst hegt, und im Geschäftsgebaren der Verlage.


    Zitat

    Da aber keiner (s.o.) wirklich etwas weiss, muss man als Autor glauben, dass die Angaben einer Recherchequellen glaubhaft, schlüssig oder richtig sind.


    Was wirklich strittige Punkte angeht wird sich ein Autor hoffentlich für die Meinung entscheiden, die ihm als die plausibelste erscheint.
    Wissen kann man zumindest über die Kriterien der eigenen Entscheidung erlangen. Denn wenn das auch noch "relativ" ist, dann sollten wir auf historische Forschung -- nein, eigentlich auf jede Art von Forschung mangels Erkenntnisgewinn verzichten, da reine Geldverschwendung. ;)


    Zitat

    Bei aller Recherchepflicht: Aber irgendwann muss der Roman ja auch geschrieben werden. Nach 2 Jahren Recherche oder nach 7 Jahren Recherche?


    Mir ist aufgefallen, daß gerade bei Romanen, die völligen Schmarrn als "historische Wirklichkeit" verkaufen, auf eine besonders lange und intensive Recherche hingewiesen wird. D.h. je schlechter der Hintergrund recherchiert war, je mehr hanebüchenes Zeug vermittelt wurde, desto lauter wurde auf Seriosität und Authentizität insbesondere hinsichtlich der Recherchedauer gepocht.


    Zitat

    In einem Roman kann man keinen Historikerstreit aufbereiten, sondern muss sich für eine Sichtweise entscheiden.


    Es gibt etliche Autoren, die können das. ;)
    (Ich rede nicht von mir!)


    Zitat

    Für mich als Leser muss der Roman schlüssig sein mit dem, was ich aus anderen Quellen über eine bestimmte Epoche erfahre, z.B. TV, Zeitschriften, andere Bücher oder Zeitungen. Denn ich kann mich nicht selbst in Sekundärliteratur vertiefen.


    Genau das ist der Hund begraben! Solange die Massenmedien tumb das Bild des schmutzigen, frauenfeindlichen, hexenverbrennenden, notgeilen Mittelalters verbreiten, solange wird dieser Müll auch belletristisch verwurstet werden. Weil genau das für bare Münze genomen wir -- obwohl es keineswegs der historischen Realität entspricht.
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne: