Das ist eine interessante Frage, über die ich mir auch schon so meine Gedanken gemacht habe.
Ich habe mir jetzt alle Seiten durchgelesen. Auch wenn die Diskussion schon vor zehn Jahren stattgefunden hat, so ist sie heute nicht weniger aktuell, auch wenn ich den Eindruck habe, dass das Prädikat "historischer Roman" heute nicht mehr ganz so negativ behaftet ist wie damals - sprich: Die Qualität hat sich meinem Gefühl nach gesteigert...
Ein guter historischer Roman muss für mich beides haben, er muss mich gut unterhalten und zusätzlich weitestgehend historisch korrekt sein. Wenn der historische Hintergrund, soweit ich es beurteilen kann, zu 100% korrekt ist, aber Schreibstil und Geschichte einfach langweilig sind, dann ist das Buch für mich ebenso schlecht wie wenn der Roman mich zwar super unterhält, sich aber ein Anachronismus an den anderen reiht und dies offensichtlich nicht beabsichtigt ist.
Am besten ist es, wenn die spannende, interessante Geschichte so oder ähnlich hätte passiert sein können.
Möglichkeiten für historische Unkorrektheiten gibt es an vielen Stellen. Das können falsche Gegenstände sein (die berüchtigte Kartoffel), jemand, der ohne Sprachprobleme von England über Frankreich in östliche Länder reist, falsche Strukturen wie Gilden, die es einfach zu dem Zeitpunkt in dem Land nicht gab, falsche Namen (im England des frühen 11. Jahrhunderts wird ein junger Mann einen angelsächsischen Namen tragen, keinen normannischen), moderne Charaktergestaltung und oberflächliche, ggf. fehlerhafte Beschreibung der Handlungszeit, aber eben auch fiktive Charaktere, Füllen von Lücken und leichtes Verschieben von Daten.
Es kommt immer auf den Zusammenhang an, wie sehr mich das eine oder andere stört.
Fiktive Charaktere gehören nun einmal dazu, das hat man in zeitgenössischen Romanen schließlich auch. Ebenso erfundene Handlung im historischen Hintergrund, ein Mord kann ruhig mal passieren. Und Lücken in der Biografie historischer Persönlichkeiten müssen schon irgendwie gefüllt werden. Und wenn es Diskrepanzen zwischen verschiedenen Quellen gibt, dann muss ein Autor auch überlegen, welche er annimmt, welche ihm am wahrscheinlichsten erscheint oder welche am besten in seine Geschichte passt. Hier wäre ein erklärendes Nachwort schön, was man ja heutzutage auch meist findet.
Bei falschen Tieren und Pflanzen kommt es darauf an. Rebecca Gablé meinte einmal, dass sie wohl eine Kastanie falsch verortet hat, die soll es in England zu dem Zeitpunkt noch nicht gegeben haben. So etwas ist mir ziemlich egal, die wurde auch nur so nebenbei erwähnt.
Wenn aber beispielsweise die Medizin und Heilkräuter eine große Rolle in einem Roman spielen und sich die Autorin viel Mühe bei der Beschreibung der Anwendung diverser Kräuter gegeben hat, dann sollte auch die Zeit da sein, herauszufinden, dass es im 16. Jahrhundert noch keine Pfefferminze gab.
Am meisten stört mich, wenn die Einstellung der Charaktere nicht zu dem passt, was ich über die jeweilige Zeit weiß. Aber meist passiert dies in Romanen, deren Handlung mich sowieso meist nicht überzeugen kann, da weiß ich inzwischen auch oft im Vorfeld schon, wie ich das filtern kann.
Nachdem Der Medicus vor ein paar Monaten im TV lief, habe ich nochmal kurz ins Buch reingeschnuppert. Alleine auf den ersten fünf Seiten sind mir schon mehrere Anachronismen aufgefallen (falsche Namen, normannische statt angelsächsische, Gildenstrukturen, Mieder), so dass ich das Buch vorerst wieder zur Seite gelegt habe, das hat mich dann doch erst einmal abgeschreckt. Dabei bin ich in der Hinsicht nur Laie!
Und bei einem anderen Buch, das ich mir eigentlich demnächst noch einmal vornehmen wollte, wird angenommen, dass viele Waliser im 12. Jahrhundert noch dem heidnischen Glauben anhingen, dabei waren sie meines Wissens nach früher christianisiert als die Engländer. Hier geht es aber im Grunde um eine Theorie bzw. Legende (Stichwort Madoc), also etwas, was sowieso nicht belegt ist, da bin ich schon wieder ein wenig offener.