Solche Fragen fände ich auch dämlich, denn dafür braucht man ein fotografisches Gedächtnis. Wenn man sich merken muss, welche Farbe jeder einzelne Gegenstand hat, der in einem Buch von 50 und mehr Seiten erwähnt wird (ich gehe jetzt mal von einem dünneren Buch für die unteren Klassenstufen aus, bei einem dickeren halte ich es erst Recht für unmöglich), dann hat man den Kopf doch für die wichtigen Dinge gar nicht mehr frei. Und dann wird am Ende nicht nach der Farbe gefragt, sondern nach der Marke des Autos des Vaters oder ob die Wendeltreppe links oder rechts herum verläuft...
Wenn man schon Fragen stellen will, um herauszufinden, ob ein Buch gelesen wurde, dann sollte es eher in andere Richtungen gehen. Beispielsweise, was das Ergebnis eines Gesprächs zwischen A und B war, als sie an dem und dem Ort standen. Wer das Buch gelesen hat, sollte die Frage zumindest oberflächlich beantworten können, selbst wenn das Buch schon vor einigen Wochen gelesen wurde. Oder der Protagonist hat eine Angewohnheit, die immer mal wieder erwähnt wird, vielleicht wird er auch mal darauf angesprochen. Dem Leser sollte so etwas dann bewusst sein, der Nicht-Leser weiß es einfach nicht. Und ich bezweifle, dass solche Kleinigkeiten bei Wikipedia erwähnt werden.
Dass Mitschüler sich lieber einen Film anschauen, statt das Buch zu lesen, kenne ich auch. Ich habe mich schon sehr gewundert, als ich über das Buch High Fidelity ausgefragt wurde, weil der betreffende Mitschüler nur den Film kannte und da doch einige Dinge anders waren. Die machen es sich eben einfach, die meisten Hausaufgaben kann man trotzdem machen. Der Lehrer weiß spätestens in dem Moment Bescheid, in dem von Amerika und nicht von England die Rede ist...
Wir haben übrigens in der Schule Dickens gelesen. Nicht den Copperfield, aber auch nicht A Christmas Carol, sondern den Oliver Twist, und das sogar zwei Mal. Zunächst in einer Schülerfassung in der achten Klasse, später dann im LK das Original. Für mich war es eine der besten Schullektüren überhaupt.
Mit den Lektüren im Deutschunterricht konnte ich aber kaum etwas anfangen, was aber weniger an der Auswahl lag, sondern an der Heranführung. In der 5. bis 7. Klasse haben wir nur Kinderbücher gelesen, außerdem war der Lehrer aufgrund seiner Krankheit ständig abwesend. In der 8. hatten wir dann einen neuen Deutschlehrer, der kurz vor der Pensionierung stand. Hier stand direkt nach den Sommerferien Die Judenbuche und ein paar Monate später Michael Kohlhaas auf dem Plan, mitsamt Interpretationen, jedoch ohne jegliche Anleitung. Als sich dann die Eltern über den Lehrer beschwert hatten, wurde es zwar besser, die Lektüre allgemein bekömmlicher, Anleitung fehlte aber immer noch, und ich hatte schon den Spaß an Schullektüren verloren und bis zum Abi nicht wiedergefunden. Dabei war die Auswahl gar nicht mal so schlecht, die meisten habe ich "einfach so" ganz gerne gelesen. Nur was man alles aus diesen Werken herauslesen können soll, daraus werde ich bis heute nicht schlau.
Ich finde es wichtig und richtig, in der Schule Klassiker zu lesen. Nicht nur, aber auch, die gesunde Mischung macht's. Dann sollte aber auch Schritt für Schritt an sie herangeführt werden. Leichtere Lektüre mit wenigen, eindeutigeren Interpretationsmöglichkeiten zuerst, den Faust dann am Ende der Schullaufbahn. Vielleicht kann man den Kohlhaas in der achten Klasse lesen, dann aber bitte nicht quasi direkt im Anschluss an Kinderbücher. Als mein Deutsch-GK das Werk dann in der zwölften Klasse gelesen hat, bin ich auch wesentlich besser damit zurechtgekommen, und das nicht nur wegen des Vorwissens.