Es geht in diesem historischen Roman um die Geschichte der Familie Rothmann und ihrer Schokoladenfabrik in Stuttgart im Jahr
1903. Der Beginn des 20. Jh. war eine Epoche geprägt von Umbrüchen,
sowohl in gesellschaftlicher Hinsicht als auch was die technische und
industrielle Entwicklung betrifft. Das alles wird hier thematisiert
und gerade bei Judith, der 21- jährigen Tochter, spüren wir die
gute Energie und Dynamik eines modernen Frauenlebens, was allerdings
den Vorstellungen ihres Vaters Wilhelm Rothmann widerspricht, der
noch verkrustet in althergebrachten Vorstellungen von Tradition,
Gehorsam und Autorität seine Ziele durchsetzen will.
Er hat mit einigen Sorgen und Problemen zu kämpfen in diesen Zeiten. Familiär läuft nicht alles nach seinen Vorstellungen - seine Gattin Hélène befindet sich bereits seit vielen Monaten zu einem Kuraufenthalt am
Gardasee, wo ihr Nervenleiden behandelt werden soll, seine
8-jährigen Zwillingssöhne haben allerlei Streiche im Kopf ,
während ihre schulischen Leistungen weniger überzeugen und seine Tochter Judith zeigt wenig Begeisterung für den jungen Mann, den er als Ehemann für sie ausgesucht hat. Dazu kommen auch noch finanzielle Probleme durch einige riskante Fehlinvestitionen.
Die Situation in der Familie und der Firma bekommt eine neue Dynamik, als Victor Rheinberger auf der Bildfläche erscheint und eine Anstellung in der Schokoladenfabrik erhält.
Er findet seinen Platz im Betrieb und macht sich schnell
unentbehrlich durch sein Geschick und sein Talent für Maschinenbau.
Zudem entwickelt sich da was zwischen ihm und Judith - noch sehr
vorsichtig und verhalten, aber immer wenn die beiden sich begegnen,
ist da so eine bestimmte Schwingung und Atmosphäre in der Luft, was in ihr den Widerstand gegen die vom Vater gewünschte
Eheschließung noch zusätzlich verstärkt.
Der Roman ist großartig erzählt, er beschreibt eine sehr
zeittypische Atmosphäre und bleibt doch immer nahe an den Personen,
die so echt und glaubwürdig agieren und empfinden, dass es eine
wahre Freude ist, sie durch das Geschehen zu begleiten. Meine
Sympathien liegen bei den vielschichtigen Romanfiguren, die zu
kämpfen haben, die an sich und der Welt verzweifeln, Fehler machen
und sich doch wiederfinden - wie auch immer, sie sind interessant und
man kann mit ihnen verzweifeln, leiden und sich freuen, wenn sie dann doch
einen Weg gefunden haben, der ihnen entspricht.
Zu dem Lesegenuß tragen auch die
lebensnahen Dialoge bei und das hohe sprachliche Niveau des Romans.
Die Geschichte ist für uns Leser so spannend und berührend, weil
sie wunderbar und sehr intensiv erzählt wird, jede Romanfigur hat
ihr ganz eigenes Wesen, ihre Identität und Sprache sind
unverwechselbar und typgenau getroffen. Zudem wird auch die Epoche
und das Umfeld in Stuttgart zu diesen Zeiten sehr eindringlich und
glaubwürdig beschrieben, es ist mehr als nur Kulisse, diese Dinge
sind sehr prägend und dramaturgisch perfekt eingesetzt und so ist mir der Abschied von den Personen am Ende richtig schwergefallen.