Steamtown - Mit vereinten Kräften zum Online-Roman-Projekt

Das Schreiben als einsamer Prozess im stillen Kämmerlein mit Katze auf der Tastatur? Diese Zeiten sind längst vorbei. Inzwischen werden Romane mit Scrivener oder Papyrus Autor geschrieben, man hält Gedankenfetzen mit Evernote fest und speichert interessante Links für die kommende Recherche via Pocket. Steamtown ist das Online-Projekt der Autoren Carsten Steenbergen und Tom & Stephan Orgel.

Auf der neuen Webseite des Projekts wird es beschrieben als "eine Mischung aus geschriebenem Improvisationstheater, Foren-Rollenspiel und als Team ausgeübtem Discovery-Writing". Die Handlung dieses interaktiven Fortsetzungsromans selbst stand fest, wie man dahinkommen sollte stand dagegen eher in den Sternen. Die Geschichte nahm Gestalt an und immer häufiger gab es dabei dann auch die Gelegenheit für Leserinnen, selbst Einfluss zu nehmen. Man konnte also hautnah miterleben, wie ein Roman entsteht. Eva Bergschneider erklärt die Hintergründe sehr umfangreich auf Phantastisch Lesen.

2009: das Internet-Mittelalter

Das alles klingt wunderbar interaktiv und digital und technisch und was weiß ich nicht noch alles. Meine Vermutung, dass ich aus dem Dreiergespann nicht nur etwas über die Zusammenarbeit im Allgemeinen, sondern auch ein paar Tipps zu den genutzten Apps und Software-Tools herauspressen konnte, verlief aber anders als erwartet. Die Drei waren nämlich ausgesprochen spartanisch unterwegs zu der Entstehungszeit.

steamtown das team

Es ließ sich schnell herausfinden, dass sowohl die alte als auch die neue Webseite mit Wordpress erstellt wurden. Ansonsten war das Problem die Zeit, in der das Projekt entstand. 2009? Gab es da überhaupt schon Smartphones? Tom hatte jedenfalls noch keines und auch Stephan erhielt seines erst später. Das Jahr 2009 erscheint mir nach dem Gespräch mit den dreien wie das frühe Mesozoikum der digitalen Erdgeschichte.

 

Ich komme mir im Rückblick vor, als hätten wir für Steamtown lediglich eine Reiseschreibmaschine genutzt. Alle drei. Dieselbe. (Tom)

 

Die Idee zum Projekt entstand live und unelektronisch in einer S-Bahn in Leipzig und es wurde überwiegend via E-Mail und das „Science Fiction & Fantasy"-Forum auf Xing kommuniziert. Facebook? Fehlanzeige. Tom eröffnete seinen Facebook-Account erst, nachdem Steamtown schon weitgehend in trockenen Tüchern war.

 

Wir haben damals das einzige Medium genutzt, das wir halbwegs kannten - einen Wordpress-Blog mit dem einzigen damals existierenden halbwegs steampunkigen Theme, das wir finden konnten. Das wurde noch etwas mit angepassten Grafiken und zwei drei interessanten Plugins aufgebohrt: Das heute nicht mehr existierende, grandiose Semmelstatz zum Beispiel, oder einem Plugin, das die Reihenfolge der Einträge im Archiv umkehrte, aber den neuesten Eintrag trotzdem als ersten zeigte. Heute alles ein alter Hut, aber damals 'state of the art'. (Tom)

 

Wordpress war auch das Mittel der Wahl zum Schreiben. Nützlich war hier vor allem, dass man Artikel schreiben konnte, sie aber noch nicht sofort veröffentlichen musste. So war für die anderen genug Gelegenheit, den Artikel nochmals durchzulesen. Sehr praktisch bei Wordpress ist natürlich auch die Möglichkeit, Artikel einzuplanen. Die Leseabschnitte wurden automatisch rechtzeitig um 0.00 Uhr montags, mittwochs und freitags veröffentlicht.

steamtownWas anfangs noch via E-Mail diskutiert wurde, fand irgendwann den Versuch einer Ablösung durch Skype. Mit einem 1.000er ISDN via Funknetz mangels Telekom war dieser Versuch allerdings zuerst zum Scheitern verurteilt. Die damals gerade aufkommenden Skype-Konferenzen fanden somit ohne die drei statt, aber nachdem Stephan herausgefunden hatte, wie sein Telefon zu Konferenzschaltungen zu überreden war, konnte auch dieses Problem gelöst werden.

Nochmal zu Wordpress: Die einzige gemeinsame Datenbank, in der alle möglichen Informationen zur Geschichte standen kamen in der Form eines nicht zur Veröffentlichung freigegebenen Artikels daher und so überstanden die drei die komplette Schreibzeit der "Urversion" von Steamtown, individuell noch ergänzt von ‚Word' (Carsten und Stephan) bzw. Apples damals noch wirklich guten ‚Pages' (Tom) für das individuelle Vorarbeiten. Die Kommunikation mit den Leserinnen lief vollständig über die Kommentare im Blog.

 

Wer jetzt aber denkt, dass wir danach wesentlich moderner wurden, muss enttäuscht werden. (Tom)

 

Carsten stieg immerhin schon im Jahr 2010 auf Papyrus Autor um. Ein Programm, das er bis heute mit ein paar seitlichen Ausgrätschern zu Word oder Open Office, zum Schreiben nutzt. Papyrus Autor nutzte er sowohl für die Überarbeitung der Hörbuchversion, als auch später für die Printversion für den Papierverzierer-Verlag. Gerade die Hinweise in Sachen Wortwiederholung, zu lange Sätze und Phrasen seien da recht hilfreich.

Tom, der Apple-Fan, arbeitete zuerst mit Pages, aber die Kommentarfunktion glich sich im Laufe der Zeit zu sehr der von Word an (Katastrophe!). Er startete dann einen Versuch mit Papyrus Autor und Scrivener, beides Autorenprogramme, von denen viele Kollegen schwärmen.

 

Ich muss ehrlich sein - ich finde die Features und Spielereien dieser Programme super. Vor allem für den großen Prokrastinator in mir, der sich nächtelang mit Listen, Sortierfunktionen, Notizverzeichnissen, Personenbeschreibungen, Plotskizzen, Pseudowikis, Bildanhängen und tausend cleveren Basteleien beschäftigen kann – ohne auch nur eine einzige Zeile Buchtext zu Papier zu bringen. Auch die diversen Optionen von besonders Papyrus, mit denen man sich seine Schreibeigenarten und -schwächen zeigen lassen kann (durchschnittliche Wortlängen, Satzlängen, Wortwiederholungen, Lieblingsphrasen, etc. p.p.) haben mich mehr als nur zwei oder drei Nächte beschäftigt.

 

Am Ende kam Tom aber doch wieder zur Normseite mit Zeilennummerierung in Word zurück, denn die Ablenkung, die er liebevoll auch Featuritis nennt, war in den anderen Programmen zu stark.

Word oder zwischenzeitlich Open Office, das jedoch gelegentlich in der Konvertierung zwischen den unterschiedlichen Systemen (Tom nutzt Mac OS X, Stephan und Carsten allerdings unterschiedliche Windowsversionen) mal die kompletten Formatierungen vergisst. Also doch wieder nur Word, das zumindest halbwegs Plattformresistent ist und am Ende ohnehin von den Verlagen gewünscht wird.

Es gab sogar zaghafte Versuche, ein Wiki zu erstellen, doch Deadlines brachen dem schon direkt am Anfang das Genick.

Deshalb ist Toms Pro-Tipp: Die Schreibkladde und ein guter Stift für Notizen zu Figuren und Settings. Der Vorteil ist klar: Egal, ob Akku aufgeladen oder Internet verfügbar: Man kann immer damit arbeiten.

Minimalism as its best

Das für Tom nützlichste elektronische Hilfsmittel sei vermutlich OneNote von Microsoft, in dem jedes Buchprojekt einen eigenen Ordner hat und in dem einige Listen über Figuren und ein paar Seiten inspirierendes Bildmaterial und entsprechende Webfundstücke samt Weblinks liegen - für die Zusammenarbeit mit anderen Autoren ebenso wie für die sichere Aufbewahrung beim Wechsel des Rechners (Laptop, Desktop und Smartphone sind inzwischen damit ausgerüstet). Daneben reichten Tom zumindest nach wie vor Word und gelegentlich auch nur TextEdit (im MacSystem) oder ein guter Schreibstift und etwas Papier.

Ansonsten scheint Tom der Technikfreak unter den dreien zu sein. Er nutzt nicht nur Kalenderfunktionen (die auf seinem Mac installiert sind und sich synchronisieren lassen), sondern auch die Standard-App von Twitter und Facebook. Außerdem ‚Flume' (aus dem einzigen Grund, weil man damit vom Desktop Bilder ganz normal auf Instagram hochschieben kann).

Good News: Skype funktioniert inzwischen auch. Nur leider hat Tom dafür seit seinem letzten Update das Passwort verschlampt und deshalb das Programm auch schon seit fast einem Jahr nicht mehr genutzt. Da er Videokonferenzen ohnehin nicht ausstehen kann, ist es vermutlich auch kein Verlust.

Der Webauftritt wird weiterhin mit Wordpress und gelegentlichen Updates gehandhabt. In der Hoffnung, dass sie nie das Wordpress-Datenbank-Backup benötigen.

Das Hörspiel

Auch in der folgenden Überarbeitung für das Hörbuch sind die drei der spartanischen Grundausstattung weitgehend treu geblieben. Der fertige Text wurde 2011 irgendwann mal komplett und inklusive Kommentaren in ein Word-Dokument kopiert - was später auch die Rohfassung für jede weitere Version darstellte. Für die Hörbuchfassung haben sie das gute Stück dann erstmals auf Normseiten gebracht (eine immer noch unersetzliche Einrichtung beim Arbeiten für den Druck) - und dabei ist es bis zur heute vorliegenden Druckversion geblieben.

Carsten setzte bei der Überarbeitung für das Hörspiel auf eine Mischung auf Papyrus Autor und der Drehbuch-Software Drama Queen. Das helfe für den Aufbau eines Drehbuchs ungemein.

 

Wir hatten ja damals nichts. Nur unsere Apfelsinenkisten als Möbelersatz und die Reiseschreibmaschine, bei der das ß kaputt war. Oder so. (Carsten)

 

Heutzutage nutzt Carsten übrigens noch die App Evernote auf seinem Smartphone. Das ist nützlich, um schnell unterwegs Notizen anzulegen, wenn mal kein Laptop oder Rechner zur Hand ist: "Der Rest kommt dann in meinen wohlgeordneten Schreib-Stick (unter Anlegen diverser Sicherheitskopien selbstverständlich), damit ich immer alles griffbereit hab, egal, wo ich bin. Vielleicht sollte ich mich mal mit einer online-Aufbewahrungsmöglichkeit beschäftigen. Oder ist das zu modern gedacht?"

Ach, nein Carsten, wie kommst du auf die Idee?

Falls bei dir der Strom länger als die Notebook-Akku-Laufzeit ausfallen sollte, hat Stephan noch den ultimativen Tipp für dich:

Sorry, ich kann zu dem Thema wirklich nichts beisteuern. Ich schreibe auf nem DIN A 5-Heftchen (kariert) und übertrage das in Word. Alles andere habe ich wieder aufgegeben, weil nicht wirklich zielführend für mich. Mehr wüsste ich dazu nicht zu sagen. (Stephan)

Auf Literaturschock findest du natürlich auch die Buchvorstellung von "Steamtown. Die Fabrik"

Vielen Dank an die drei Autoren, die uns einen kuriosen und lustigen Blick hinter die Kulissen gewährt haben. Nun würde mich von dir interessieren: Auf welche nützlichen Apps und Tools kannst du nicht verzichten?

Gewinnspiel

Schreib mir deine Antwort in den Kommentaren und du nimmst automatisch am Gewinnspiel teil. Bitte lies dir dazu vorher kurz noch die Regeln durch. Dieser Artikel entstand als Teil einer Blogtour in Zusammenarbeit mit Tom & Stephan Orgel, sowie Carsten Steenbergen. Die Übersicht über alle Stationen und Preise findest du hier: Blogtour Steamtown 1 - die Fabrik

Bildnachweise:

Teamfoto: Fotograf war Wolfgang Brandt, den das aber garantiert nicht interessiert. Dem hab ich nur meine Kamera in die Hand gedrückt und gesagt, wo er draufdrücken soll. (Tom)

SuseÜber die Autorin

Susanne K. (Literaturschock.de)

Susanne Kasper ist Gründerin und Chefredakteurin von Literaturschock und Leserunden.de. Sie liebt es, andere für die Literatur zu begeistern, ist Preisträgerin des Virenschleuderpreises der Kategorie "Persönlichkeit des Jahres" 2016 und bietet unter Social-Reading.media einen Autoren- und Verlagsservice. Über schamlose Mails freut sie sich ebenso wie über vegane Keksspenden. Sie nutzt in ihren Artikeln immer mehr das Femininum, weil sie der Ansicht ist, dass damit auch Männer gemeint sind.

 

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